© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 – 057/19 Zur Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen im Ausland Strafrechtliche Beurteilung der Mitwirkung deutscher Staatsangehöriger in fremden Streitkräften Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 057/19 Seite 2 Zur Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen im Ausland Strafrechtliche Beurteilung der Mitwirkung deutscher Staatsangehöriger in fremden Streitkräften Aktenzeichen: WD 7 - 3000 – 057/19 Abschluss der Arbeit: 28.03.2019 Fachbereich: WD 7: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 057/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anwendbarkeit deutschen Strafrechts 4 3. Deutsche Staatsangehörigkeit und deren Verlust 5 4. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 057/19 Seite 4 1. Einleitung Die Beurteilung bei Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Staatsangehörige in fremden Streitkräften richtet sich in erster Linie nach den allgemeinen Grundsätzen der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts. Diese sind in den §§ 3 ff. StGB1 geregelt. Dabei kommt es, neben dem Tatort im In- oder Ausland, vor allem darauf an, ob der Täter die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. 2. Anwendbarkeit deutschen Strafrechts Das Strafanwendungsrecht (§§ 3 – 7, 9 StGB) regelt, in welchen Fällen das deutsche Strafrecht angewendet werden kann, wenn der betreffende Sachverhalt Bezüge zum Ausland aufweist. Deutsches Strafrecht gilt zunächst für Taten, die im Inland begangen worden sind (§§ 3, 9 Abs. 1 StGB, sog. Territorialitäts- oder Gebietsprinzip). Dass das deutsche Strafrecht auf Taten Anwendung findet, die im Inland begangen werden, ist naheliegend. Anders sieht dies allerdings aus, soweit das StGB auf Taten anwendbar sein soll, die einen solchen Bezug zum Inland gerade nicht aufweisen. Hier ist jeweils erforderlich, dass zwischen dem Auslandssachverhalt und der Bundesrepublik Deutschland ein legitimierender sinnvoller Anknüpfungspunkt existiert. Denn anderenfalls würde das deutsche Strafrecht Geltung beanspruchen in Fällen, die allein zu den inneren Angelegenheiten des ausländischen Staates gehören, und damit das völkerrechtliche Nichteinmischungsverbot verletzen.2 Die Ausnahmen in denen das deutsche Strafrecht anwendbar sein soll, obwohl die Tat im Ausland begangen wurde sind in den §§ 4 – 7 StGB geregelt.3 Im Ausland begangene Straftaten sind nach § 7 StGB immer dann nach deutschem Recht strafbar, wenn die Tat gegen oder von einem Deutschen begangen wurde und „die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist“ oder „der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt“. Die Tatortstrafbarkeit setzt voraus , dass für die konkrete Tat unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt kriminelle Strafe oder eine gleichwertige Sanktion angedroht ist.4 Als „Deutsche“ gelten nach Art. 116 Abs. 1 GG5 sowohl deutsche Staatsangehörige als auch Volkszugehörige (Flüchtlinge, Vertriebene).6 1 Strafgesetzbuch (StGB), in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 18.12.2018 (BGBl. I S. 2639). 2 Hombrecher: Grundzüge und praktische Fragen des Internationalen Strafrechts – Teil 1: Strafanwendungsrecht und Internationale Rechtshilfe, JA 2010, S. 637 ff. (639). 3 Werle, Jeßberger: Grundfälle zum Strafanwendungsrecht, JuS 2001, S. 141 ff. (141). 4 Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, Heintschel-Heinegg, 41. Edition, Stand: 01.02.2019, § 7, Rn. 2. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, vom 23.05.1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 Änderungsgesetz (Art. 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) vom 13.07.2017 (BGBl. I S. 2347). 6 Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 7 StGB, Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 057/19 Seite 5 § 5 StGB enthält ferner einen Katalog von Straftaten, bei denen das deutsche Strafrecht selbst dann anwendbar ist, wenn die Tat nach Tatortrecht überhaupt nicht strafbar wäre.7 Einige Straftaten sind unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Täters oder Opfers nach deutschem Strafrecht verfolgbar (so etwa Hochverrat nach §§ 81 – 83 StGB). Häufig enthält der Katalog des § 3 StGB aber ebenfalls den Zusatz, dass die Tat nur dann in Deutschland verfolgbar ist, wenn „der Täter Deutscher ist“ oder wenn sich die Tat gegen „eine Person richtet, die zur Zeit der Tat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“. § 6 StGB regelt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts bei Auslandstaten gegen international geschützte Rechtsgüter und führt einen Katalog von Delikten auf, die unabhängig von der Staatsbürgerschaft und des Tatorts immer in Deutschland verfolgbar sind (sog. „Weltrechtsprinzip“).8 Genannt werden etwa der unbefugte Vertrieb von Betäubungsmitteln, Geld- und Wertpapierfälschung oder Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Grundsätzlich obliegt es den primär zur Strafverfolgung berufenen Staaten, diese Taten zu verfolgen. Erst wenn diese Staaten ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, eröffnet das Weltrechtsprinzip eine Verfolgungszuständigkeit von Drittstaaten. Die auf diese Weise begründete Strafgerichtsbarkeit ist also subsidiär gegenüber derjenigen des Tatortstaates.9 Zudem fordert die Rechtsprechung einen legitimierenden Anknüpfungspunkt, der im Einzelfall einen unmittelbaren Bezug zur Strafverfolgung im Inland herstellt.10 3. Deutsche Staatsangehörigkeit und deren Verlust Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts hängt nach alledem zu einem großen Teil davon ab, ob der Täter „Deutscher“ im Sinne von Art. 116 GG ist. § 1 StAG11 bestimmt, dass jeder der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt „Deutscher“ ist. Auch eine doppelte Staatsangehörigkeit steht dem nicht entgegen, solange die Person zumindest auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Nach § 17 Abs. 1 StAG kann ein deutscher Staatsangehöriger seine Staatsangehörigkeit aber auch wieder verlieren. Das ist etwa der Fall bei Entlassung (§§ 18 – 24 StAG) oder bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit (§ 25 StAG). Ferner verliert nach § 28 StAG ein Deutscher die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn er auf Grund freiwilliger Verpflichtung ohne eine Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung oder der von ihm bezeichneten Stelle in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eintritt. Der Gesetzgeber sieht in dem Eintritt in den Militärdienst des anderen Heimatstaats eine Hinwendung 7 Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 5 StGB, Rn. 1. 8 Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 6 StGB, Rn. 1. 9 Martin Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 6, Rn. 7. 10 BGH, Urteil vom 20.10.1976 - 3 StR 298/76, NJW 1977, S. 507 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 6, Rn. 1. 11 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), vom 22.07.1913 (RGBl. I S. 583), zuletzt geändert durch Art. 3 Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesmeldegeseztes und weiterer Vorschriften vom 11.10.2016 (BGBl. I S. 2218). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 057/19 Seite 6 zu diesem Staat und zugleich eine Abwendung von Deutschland und hält deshalb den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für gerechtfertigt.12 Der Eintritt muss aber in der Weise freiwillig erfolgen, dass ein Zwang oder eine Verpflichtung weder aufgrund allgemeinen Wehrpflicht noch aus einem anderen Grund besteht. Eine Pflicht ist auch dann anzunehmen, wenn eine Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst und zivilem Ersatzdienst eröffnet ist. Daher fehlt es an der Freiwilligkeit, wenn in diesem Fall aus welchen Gründen auch immer Wehr- und nicht Ersatzdienst geleistet wird. Unfreiwillig ist außerdem eine Rekrutierung mittels physischer oder psychischer Gewalt oder aufgrund von unwiderstehlichen Drohungen . Auf eine formelle Verpflichtungs- oder Bereitschaftserklärung kommt es dann ebenso wenig an wie auf Art und Höhe des Entgelts.13 Außerdem muss es sich um Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband handeln. Streitkräfte unterscheiden sich von Polizei- und anderen Sicherheitskräften durch ihre auf die Verteidigung nach außen gerichtete Aufgabe sowie durch ihre militärische Organisation und Ausrüstung. Ein anderer bewaffneter Verband steht nur dann gleich, wenn er ähnlich organisiert und ausgerüstet und mit ähnlichen militärischen Aufgaben betraut ist. Eine „Privatarmee“ ist nicht „vergleichbar“ im Sinne von „ähnlich“, auch wenn sie von staatlichen Stellen initiiert und eingesetzt ist. In Betracht kommen aber Polizeisondertruppen14 oder paramilitärische Organisationen , weil diese üblicherweise nicht nur ähnlichen Zwecken dienen wie Streitkräfte, sondern auch ähnlich strukturiert sind.15 Vorausgesetzt ist nach § 28 S. 1 StAG auch, dass der Eintretende neben seiner deutschen auch die Staatsbürgerschaft des Staates besitzt, in dessen Militärdienst er eintritt. Daran kann es etwa beim Eintritt in die französische Fremdenlegion fehlen.16 Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt kraft Gesetzes mit dem Eintritt in den Verband ein. Es bedarf dazu keiner irgendwie gearteten Feststellung oder vorherigen Belehrung. Die Verpflichtung zum Eintritt allein genügt noch nicht. Auf den weiteren Verlauf der Tätigkeit kommt es aber nicht an.17 12 Hailbronner/Maaßen, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, § 28 StAG, Rn. 5. 13 Hailbronner/Maaßen, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, § 28 StAG, Rn. 11. 14 Vgl. Bundestag-Drucksache 14/533, S. 15. 15 Hailbronner/Maaßen, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, § 28 StAG, Rn. 9. 16 Prof. Dr. Klaus F. Gärditz: Ausbürgerung deutscher IS-Kämpfer - Abschütteln der ungeliebten Kinder, vom 01.06.2018, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/entzug-verlust-staatsangehoerigkeitdeutsch -terrormiliz-ausland-is/ (zuletzt abgerufen am 28.03.2019). 17 Hailbronner/Maaßen, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Auflage 2017, § 28 StAG, Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 057/19 Seite 7 4. Fazit Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im Falle der Begehung einer Straftat im Ausland durch Mitglieder ausländischer Streitkräfte mit deutscher Staatsangehörigkeit, richtet sich, wie bei jeder im Ausland begangenen Straftat, nach dem Strafanwendungsrecht des deutschen Strafgesetzbuches . In erster Linie stellt sich die Frage, ob der Angehörige des ausländischen Militärs noch deutscher Staatsbürger ist. Tritt ein Deutscher aber ohne einer Wehrpflicht zu unterliegen in die Streitkräfte eines ausländischen Staates ein, so verliert er seine deutsche Staatsbürgerschaft. Eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts kommt dann nur in den wenigen Ausnahmefällen der §§ 5, 6 StGB in Betracht. Tritt ein Deutscher mit doppelter Staatsangehörigkeit freiwillig in den Dienst einer ausländischen Armee, um seiner Wehrpflicht zu genügen, geht die deutsche Staatsbürgerschaft hingegen nicht verloren. Bei Begehung einer Straftat im Ausland ist der Täter dann noch immer „Deutscher“ im Sinne der §§ 3 ff. StGB. Neben der strafrechtlichen Verfolgung nach deutschem Strafrecht kann auch eine Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch18 in Betracht kommen, wenn es sich bei der Tat um Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder ein Aggressionsverbrechen handelt. *** 18 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2254), geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches vom 22.12.2016 (BGBl. I S. 3150).