© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 057/16 7 Kompensations- und Beschwerdemöglichkeiten bei überlanger Verfahrensdauer in Frankreich, Italien und Spanien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 057/16 Seite 2 Kompensations- und Beschwerdemöglichkeiten bei überlanger Verfahrensdauer in Frankreich, Italien und Spanien Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 057/16 Abschluss der Arbeit: 5. Juli 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 057/16 Seite 3 1. Einführung Kompensations- und Beschwerdemöglichkeiten bei überlanger Dauer von Gerichtsverfahren in den Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention waren im Jahr 2006 Gegenstand eines vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen rechtsvergleichenden Gutachtens1 und eines Fragenkatalogs, den die Venedig-Kommission zur Grundlage des in ihrer 69. Sitzung verabschiedeten Berichts2 gemacht hat3. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Bestandsaufnahmen wird im Folgenden dargestellt , ob und in welcher Weise sich die in den genannten Veröffentlichungen beschriebene Rechtslage in Frankreich, Italien und Spanien seither geändert hat. 2. Frankreich Für Frankreich ist insoweit lediglich zu konstatieren, dass infolge einer per Verordnung vorgenommenen Änderung der Nummerierung die in den oben genannten Veröffentlichungen erläuterte Regelung des Artikel L781-1 des Gerichtsorganisationsgesetzes (Code de l’organisation judiciaire), auf deren Grundlage der Ausgleich von Schäden, die durch einen Verstoß gegen das Gebot angemessener Verfahrensdauer geltend gemacht werden können,4 nunmehr dem Artikel L141-1 des Code de l’organisation judiciaire zu entnehmen ist. 5 1 Anna-Katharina Luczak, Wirksame Beschwerdemöglichkeiten im Sinne der Art. 6 I, 13 EMRK – Rechtsvergleichendes Gutachten zu den Regelungen in den Unterzeichnerstaaten der EMRK, April 2006, abgedruckt in: Bundestagsdrucksache 16/7655, Anlage zur Antwort auf Frage 4. 2 European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Report on the Effectiveness of National Remedies in Respect of Excessive Length of Proceedings, adopted by the Venice Commission at its 69th Plenary Session (Venice, 15-16 December 2006), CDL-AD(2006)036rev. 3 Fragenkatalog und Antworten der EMRK-Unterzeichnerstaaten sind veröffentlicht in: Venice Commission , Can excessive length of proceedings be remedied?, Collection Science and technique of democracy, No. 44, Straßburg 2007. 4 Siehe dazu Anna-Katharina Luczak, Gutachten (o. Fn. 1), S. 11 f.; Venice Commission, (o. Fn. 3), S. 153 ff. 5 Vgl. https://www.legifrance.gouv.fr/affichCode.do;jsessionid =373AAB58C99D19170290B44DBEAC33E4.tpdila15v_2?idSectionTA=LEGISCTA000006151763&cid- Texte=LEGITEXT000006071164&dateTexte=20080505. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 057/16 Seite 4 3. Italien Das sog. Pinto-Gesetz von 20016, auf dessen Grundlage ein Ersatzanspruch für einen wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens erlittenen Schaden geltend gemacht werden kann7, ist in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierungen des italienischen Staates durch Gesetzesdekrete von 2012 und 2013 und das sog. Stabilitätsgesetz 20168 Ergänzungen und inhaltlichen Veränderungen unterworfen worden, die sich im Wesentlichen folgendermaßen darstellen9: Zum einen wurden 2012 für die verschiedenen Instanzenzüge Zeiträume festgelegt, in denen die Verfahrensdauer jeweils als angemessen anzusehen ist (Artikel 2 Absatz 2-bis Pinto-Gesetz), nämlich drei Jahre in der ersten Instanz (primo grado), zwei Jahre in der Berufungsinstanz (secondo grado), ein Jahr in der Revisionsinstanz (giudizio di legittimità). Zugleich wurde die Höhe der nach dem Pinto-Gesetz zustehenden Entschädigung gesetzlich festgelegt (Artikel 2-bis Pinto-Gesetz). Zunächst auf regelmäßig nicht weniger als 1000 Euro und nicht mehr als 1500 Euro pro Jahr überlanger Verfahrensdauer festgesetzt, wurde sie zwischenzeitlich auf einen Betrag zwischen 400 und 800 Euro angepasst. Schließlich wird nach Maßgabe des Stabilitätsgesetzes 2016 der Anspruch auf eine Entschädigungsleistung wegen überlanger Verfahrensdauer nunmehr grundsätzlich davon abhängig gemacht, dass der Geschädigte spezielle, im Gesetz für die jeweiligen Gerichtszweige im Einzelnen fesgelegte Rechtsbehelfe, die zur Beschleunigung des Verfahrens führen , (sog. rimedi preventivi) angestrengt hat (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1-ter Pinto-Gesetz). Diese sind jeweils mindestens sechs Monate vor Ablauf der oben genannten Zeiträume einzulegen, die als angemessene Verfahrensdauer gelten. Zusätzlich wurden detaillierte Regelungen über die Modalitäten der Auszahlung der Entschädigungsleistungen durch die Staatskasse getroffen. 6 Legge Pinto: durata ragionevole del processo ed equa riparazione, Legge, 24/03/2001 n° 89, G.U. 03/04/2001. 7 Siehe dazu Anna-Katharina Luczak, Gutachten (o. Fn. 1), S. 14 ff.; Venice Commission, (o. Fn. 3), S. 200. 8 Decreto-legge nr. 83 del 22. giugno 2012; Decreto-legge n.35 del 8. aprile 2013; Legge di stabilità nr. 208 del 28.12.2015. 9 Siehe den Abdruck des konsolidierten Textes des Legge Pinto unter: http://www.professionegiustizia .it/guide/Legge_Pinto_-_ragionevole_durata_del_processo.php. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 057/16 Seite 5 4. Spanien Der für das Jahr 2006 beschriebene Stand der spanischen Gesetzgebung10 ist, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit der Beschleunigung eines Verfahrens durch Eingabe beim Verfassungsgericht, das sog. amparo, unverändert geblieben. Im Übrigen ist mit einem Gesetz von 201511 der § 324 der spanischen Strafprozessordnung dergestalt reformiert worden, dass für die Dauer des vorgerichtlichen Ermittlungsverfahrens eine gesetzliche Zeitspanne von sechs Monaten gesetzlich festgelegt worden ist, die auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen auf 18 Monate sowie in Ausnahmefällen darüber hinaus ausgedehnt werden kann.12 - Ende der Bearbeitung - 10 Siehe Anna-Katharina Luczak, Gutachten (o. Fn. 1), S. 38-40; Venice Commission, (o. Fn. 3), S. 293-296. 11 Ley 41/2015, de 5 de octubre, de modificación de la Ley de Enjuiciamiento Criminal para la agilización de la justicia penal y el fortalecimiento de las garantías procesales. 12 Siehe für den Wortlaut des § 324 der spanischen Strafprozessordnung (Ley de Enjuiciamiento Criminal) die konsolidierte Fassung des Gesetzes unter https://www.boe.es/buscar/pdf/1882/BOE-A-1882-6036- consolidado.pdf.