© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 056/18 Fragen zum Wechselmodell Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 2 Fragen zum Wechselmodell Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 056/18 Abschluss der Arbeit: 20. März 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Das Wechselmodell nach der deutschen Rechtslage 4 2.1. Rechtlicher Charakter der Entscheidung für das Wechselmodell 5 2.2. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs 1. Februar 2017 7 2.3. Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni 2017 zum Wechselmodell 9 2.4. Petitionsverfahren zum Wechselmodell beim Deutschen Bundestag 9 2.5. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 10 2.6. Anträge der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion der FDP 11 3. Die Resolution des Europarats zum Wechselmodell 12 4. Die gesetzlichen Regelungen zum Wechselmodell in verschiedenen Staaten der EU und in anderen europäischen Staaten 12 5. Statistische Angaben bezogen auf das Wechselmodell 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 4 1. Einleitung In diesem Sachstand geht es um verschiedene Fragen zum sogenannten „Wechselmodell“. Das Wechselmodell wird auch „Doppelresidenzmodell“ genannt. Diese Begriffe umschreiben, wenn ein Kind nach der Trennung seiner Eltern von beiden Elternteilen abwechselnd, jeweils aber mit ungefähr dem gleichen Zeitaufwand und der gleichen Verantwortlichkeit betreut wird. Das Kind lebt dabei zeitweise bei der Mutter und zeitweise beim Vater, wechselt also zwischen beiden Haushalten. In welchen Zeitabständen der Wechsel zwischen den Haushalten erfolgt, ist unterschiedlich . Es gibt halbwöchentliche, wöchentliche, aber auch größere oder kleinere Zeitabstände , in denen der Wechsel erfolgt.1 Damit von einem Wechselmodell gesprochen werden kann, ist wichtig, dass sich die Eltern sowohl vom Zeitaufwand als auch von ihrer elterlichen Verantwortlichkeit her ungefähr hälftig um das Kind kümmern.2 Es gibt auch noch weitere Modelle, wie Kinder nach einer Trennung ihrer Eltern von diesen betreut werden. In der Bundesrepublik Deutschland hat bisher das sogenannte „Residenzmodell“ die größte Rolle gespielt. Bei diesem Modell lebt das Kind (fast) ausschließlich in dem Haushalt eines Elternteils und sucht den Haushalt des anderen Elternteils nur besuchsweise, etwa für bestimmte Stunden, für das Wochenende oder für einen Teil der Ferien auf.3 In diesem Sachstand soll Folgendes geklärt werden: wie sich die deutsche Rechtslage zum Wechselmodell verhält, wie sich die Rechtslage in den Mitgliedstaaten der EU beim Wechselmodell darstellt, wie sich die Zahlen der gerichtlichen Kindschaftssachen vor und nach Einführung der Doppelresidenz entwickelt haben und wie sich der verhandlungsorientierte Streitbeilegungsmechanismus Mediation im Vergleich zum gerichtlichen entscheidungsorientierten Streitbeilegungsmechanismus bezogen auf Kindschaftssachen in den Mitgliedstaaten der EU entwickelt hat. 2. Das Wechselmodell nach der deutschen Rechtslage Das Wechselmodell ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Es wird allerdings in zunehmendem Maße von Eltern praktiziert. Grundsätzlich steht den Eltern gemäß § 1626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)4 die elterliche Sorge gemeinsam zu. Nach § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB erhält ein Vater durch Heirat kraft Gesetz das gemeinsame Sorgerecht. Väter von nichtehelichen Kindern können das gemeinsame Sorgerecht gemäß § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB beim Familiengericht 1 Hennemann, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (MüKoBGB), 7. Auflage 2017, § 1671 Rn. 23. 2 Hennemann, in: MüKoBGB, § 1671 Rn. 23. 3 Hennemann, in: MüKoBGB, § 1671 Rn. 24. 4 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BJNR001950896.html [letzter Abruf: 13. März 2018]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 5 beantragen. Die gemeinsame elterliche Sorge bleibt auch dann bestehen, wenn die Eltern sich trennen oder scheiden lassen.5 Nach § 1627 BGB haben Eltern die elterliche Sorge zum Wohle des Kindes auszuüben. Dazu zählt auch der nach § 1626 Abs. 3 BGB geregelte Umgang mit beiden Elternteilen oder/und Personen, zu denen das Kind eine Bindung besitzt. Daher können sich Eltern - zum Wohle des Kindes - auf die Ausübung des Wechselmodells/Doppelresidenzmodells einigen. 2.1. Rechtlicher Charakter der Entscheidung für das Wechselmodell In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Entscheidung für das Wechselmodell eine sorgerechtliche Regelung6 oder eine Regelung des Umgangs7 ist. Das elterliche Sorgerecht ist umfassender als das Umgangsrecht. § 1631 BGB bestimmt Inhalt und Grenzen der Personensorge. Nach § 1631 Absatz 1 BGB umfasst die Personensorge insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Die elterliche Sorge ist damit eine umfassende Pflicht- und Rechtsbeziehung gegenüber dem Kind und gegenüber Dritten8, wobei sich das Pflichtenverhältnis vor allen Dingen in Bezug auf das Kind ausdrückt, indem es die Eltern zur Personensorge, Vermögenssorge , zur Vertretung des Kindes verpflichtet (§ 1629 BGB) und sie der Haftung aussetzt, wenn diese Personensorge vernachlässigen9. Die Eltern üben ihr Sorgerecht nicht als eigenes Recht aus, sondern stets im Interesse des Kindes; dabei haben sie auch die Entwicklung ihres Kindes zu berücksichtigen vgl. § 1626 Absatz 2 BGB. Dass das Sorgerecht einzig am Wohl des Kindes ausgerichtet ist, zeigt sich auch daran, dass es sich um ein Pflichtrecht der Eltern handelt; sie müssen 5 Budzikiewicz, in: Jauernig, BGB, 16. Auflage 2015, § 1671, Rn. 1. 6 Wechselmodell als sorgerechtliche Regelung: Kinderrechtskommission des Deutschen Familienrechtstages e.V., Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 2014, 1157 (1163); Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Beschluss vom 21. Mai 2016 – 18 UF 231/14 -, FamRZ 2015, 1736 (1737); OLG Naumburg, Beschluss vom 8. August 2014 – 8 UF – 152/14 -, FamRZ 2015, 764 (765); OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juli 2011 – 7 UF 830/11 , FamRZ 2011, 1803 (1804); OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. September 2014 – 6 UF 62/14 -, Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report (NJW-RR) 2015, 135 (136); Finke, Rechtliche Grundlagen und Ausgestaltung der Kindesbetreuung durch Eltern und Dritte, Neue Zeitschrift für Familienrecht (NZFam) 2014, 865 (868). 7 Wechselmodell als Regelung des Umgangs: Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15 (OLG Nürnberg), NZFam 2017, 206 ff; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.11.2013 - 5 UF 27/13, BeckRS 2014, 04658, beck-online; Amtsgericht (AG) Hannover, Beschluss vom 10. Februar 2014 – 618 F 491/14 –, juris; AG Heidelberg, Beschluss vom 19. August 2014 – 31 F 15/14 –, juris; AG Erfurt, Beschluss vom 01. Oktober 2014 – 36 F 1663/13 –, juris mit kritischer Anmerkung Spangenberg, FamRZ 2015, 683; Kammergericht (KG), Beschluss vom 28. Februar 2012 – 18 UF 184/09 -, Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR) 2012, 974 f. 8 Zu den Teilbereichen der elterlichen Sorge, vgl. Huber, in: MüKoBGB, § 1628 Rn. 8 f. und § 1626 Rn. 25-27; Budzikiewicz, in: Jauernig, § 1626, Rn. 1 bis 5. 9 Huber, in: MüKoBGB, § 1631 Rn. 2; Veit, in: Beck’scher Online-Kommentar zum BGB (BeckOK BGB), hrsg, von Bamberger/Roth/Hau/Poseck, 44. Edition, Stand: 01.11.2017, § 1631 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 6 also, soweit es um ihre Elternrechte geht, diese auch wahrnehmen und können nicht darauf verzichten 10 Der Umgang des Kindes mit seinen Elternteilen ist in § 1684 BGB geregelt. In der Literatur wird teilweise vorgetragen, die Vorschrift gehe vom Residenzmodell aus, also davon, dass das Kind bei einem Elternteil lebe und mit dem anderen aber auch Umgang pflegen solle. Das werde zwar nicht am Wortlaut des § 1684 BGB deutlich, ergebe sich jedoch aus § 1687 Absatz 1 Satz 2 BGB, wonach nur derjenige Elternteil, bei dem sich das Kind entweder aufgrund Vereinbarung oder gerichtlicher Entscheidung aufhalte, das Recht habe, in den alltäglichen Belangen des Kindes zu entscheiden. Der Gesetzgeber habe diese Regelung, die daran anknüpfe, mit wem das Kind seinen Hausstand teile, durch § 1687 Absatz 1 Satz 4 BGB ergänzt für denjenigen, bei dem das Kind sich besuchsweise aufhalte. Denn nach § 1687 Absatz 1 Satz 4 BGB habe der Elternteil, bei dem sich das Kind besuchsweise aufhalte, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung.11 Während die Elternteile auch eine Umgangspflicht mit dem Kind trifft, ist der Umgang des Kindes mit seinen Eltern nur als Recht, nicht aber als Pflicht ausgestaltet. Für das Umgangsrecht der Eltern ist es unerheblich, ob dem jeweiligen Elternteil auch das Sorgerecht zusteht. Auch wenn ein Elternteil allein sorgeberechtigt ist, so bleibt es dabei, dass der andere Eltern umgangsberechtigt und –verpflichtet ist. Das Kindesumgangsrecht gehört zum Kindeswohl und ist daher bei der Sorgerechtsausübung zu beachten12. Dies gilt insbesondere für den Umfang des Umgangsrechts. Dabei sind jeweils die Umstände des Einzelfalles, wie räumliche Entfernung, Alter, Schulpflicht etc., zu beachten.13 Berücksichtigt man, dass es beim Wechselmodell im Kern darum geht, wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, könnte man zu der Auffassung gelangen, bei der Entscheidung für das Wechselmodell gehe es um mehr als nur um den Umgang, nämlich eigentlich um das Aufenthaltsbestimmungsrecht . Dieses ist aber nicht Ausfluss des Umgangsrechts, sondern des Personen- 10 Veit, in: BeckOK BGB, § 1626 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 11 Auch Hennemann sieht in diesen Regelungen das Residenzmodell als Regelfall verankert, Das Wechselmodell als Umgangsregelung – eine überzeugende Lösung? Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2017, 1787, 1788. Ähnlich auch Schmid, Wechselmodell, Definition, Voraussetzungen, rechtliche Funktion der Alltagssorge, NZFam 2016, 818, 819. 12 Budzikiewicz, in: Jauernig, BGB, 16. Auflage 2015, §§ 1684, 1685, Rn. 2 f. 13 Budzikiewicz, in: Jauernig, BGB, 16. Auflage 2015, §§ 1684, 1685, Rn. 4 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 7 sorgerechts. Vor diesem Hintergrund hat es bisher zahlreiche Stimmen gegeben, die die Entscheidung für das Wechselmodell rechtlich als eine sorgerechtliche Regelung einordnen und nicht als eine Regelung über das Umgangsrecht.14 2.2. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs 1. Februar 2017 Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich in seinem Beschluss vom 1. Februar 201715 mit der Frage auseinandersetzen, ob das Wechselmodell als Regelung der Personensorge oder des Umgangs einzuordnen ist. In dem konkreten Fall waren die Eltern geschieden und gemeinsam sorgeberechtigt . Das Kind lebte bei der Mutter und der Vater beantragte, das Wechselmodell anzuordnen . Die Vorinstanz – das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg – hatte entschieden, das vom Vater begehrte Wechselmodell könne nicht angeordnet werden, weil das Umgangsrecht dort seine Grenzen finde, wo es um die Bestimmung des Lebensmittelpunkts des Kindes ginge. Denn insoweit sei das Umgangsrecht vom Aufenthaltsbestimmungsrecht abzugrenzen. Deshalb bestehe keine Möglichkeit, das paritätische Wechselmodell im Rahmen des Umgangsrechts anzuordnen.16 Der BGH hat dagegen entschieden, dass ein paritätisches Wechselmodell auch im Rahmen einer gerichtlichen Umgangsregelung angeordnet werden könne. In seinen Leitsätzen heißt es dazu wie folgt: „1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl. 2. Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus .“ … „Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen. 3. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes. 14 Wechselmodell als sorgerechtliche Regelung: Kinderrechtskommission des Deutschen Familienrechtstages e.V., Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 2014, 1157 (1163); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Mai 2016 – 18 UF 231/14 -, FamRZ 2015, 1736 (1737); OLG Naumburg, Beschluss vom 8. August 2014 – 8 UF – 152/14 -, FamRZ 2015, 764 (765); OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juli 2011 – 7 UF 830/11 , FamRZ 2011, 1803 (1804); OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. September 2014 – 6 UF 62/14 -, Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report (NJW-RR) 2015, 135 (136); Finke, Rechtliche Grundlagen und Ausgestaltung der Kindesbetreuung durch Eltern und Dritte, Neue Zeitschrift für Familienrecht (NZFam) 2014, 865 (868). 15 BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15 (OLG Nürnberg), NZFam 2017, 206 ff. 16 OLG Nürnberg, Beschluss vom 8. Dezember 2015 - 11 UF 1257/15 – 11 UF 1257/15, BeckRS 2015, 115994, beckonline = FamRZ 2016, 2119. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 8 4. Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes.“… Der BGH begründet seine Auffassung damit, dass im Gesetz nicht festgeschrieben sei, in welchem Umfang ein Umgang maximal angeordnet werden könne. Daher erfasse der Gesetzeswortlaut auch die Situation des Wechselmodells, in der beide Elternteile die Betreuung des Kindes hälftig untereinander aufteilen. Auch aus der Systematik des Sorge- und Umgangsrechts ließe sich nicht ableiten, dass der Umfang des Umgangsrechts beschränkt sei. Insbesondere sei § 1687 BGB nicht auf das Residenzmodell festgelegt. Dies folge schon daraus, dass dem Gesetzgeber bewusst gewesen sei17, dass die Eltern sich bei der Betreuung ihres Kindes auch für die Doppelresidenz entscheiden könnten.18 Normalerweise wird der Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes in einem Verfahren über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und nicht in einem über das Umgangsrecht geklärt. Da es bei dem Wechselmodell darum geht, wo der Lebensmittelpunkt des Kindes anzusiedeln ist, musste sich der BGH mit dem Konflikt auseinandersetzen, wie sich beim Wechselmodell das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teil der elterlichen Sorge zum Umgangsrecht verhält. Der BGH vertritt die Auffassung, dass jedenfalls für die Fälle, in denen wie in dem von ihm zu entscheidenden Fall, die Eltern das Sorgerecht gemeinsam ausüben, der Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes über eine Umgangsregelung geklärt werden könne.19 Damit bleibt die Frage offen, ob eine Anordnung des Wechselmodells über die Umgangsregelung nach Auffassung des BGH auch dann möglich wäre, wenn nur einem Elternteil das Sorgerecht zusteht. Da somit nach Auffassung des BGH das Gesetz einer Anordnung des Wechselmodells über eine Umgangsregelung nicht entgegensteht, prüfte das Gericht, ob eine gemeinsame oder geteilte Betreuung dem Kindeswohl am besten entspricht. Dabei seien folgende Kriterien zu berücksichtigen : Auch wenn der Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen gemäß § 1626 Absatz 3 Satz 1 BGB zum Wohl des Kindes gehört, bedeute dies nicht, dass damit einem bestimmten Betreuungsmodell der Vorzug zu geben sei. Vielmehr müsse jeweils im Einzelfall geprüft werden, welches Modell dem Kindeswohl am ehesten entspreche. Beim Wechselmodell sei zu beachten, dass es sowohl an die Eltern als auch an das Kind, höhere Anforderungen stelle.20 Dem Kindeswohl entspreche das Wechselmodell nur dann, wenn das Kind eine „auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen“ habe. Außerdem 17 Unter Berufung auf BT-Drs. 13/4899, S. 36 f. 18 BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206, 208. 19 BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206, 208, 209 20 BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206, 209. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 9 sei mit zunehmendem Alter dem Willen des Kindes entsprechende Bedeutung beizumessen .21 Die praktische Umsetzung des Wechselmodells setze einen erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarf voraus. Ansonsten könnten die äußeren Rahmenbedingungen, die für ein Wechselmodell erforderlich seien, wie etwa eine gewisse Nähe der Elternhaushalte, die Erreichbarkeit von Schulen und sonstigen Betreuungseinrichtungen, nicht erreicht werden.22 Angesichts dieses erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarfs zwischen den Eltern entspreche das Wechselmodell in der Regel nicht dem Kindeswohl, wenn zwischen den Eltern eine hohe Konfliktbelastung herrsche.23 2.3. Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni 2017 zum Wechselmodell Die Justizministerinen und Justizminister haben in ihrer Frühjahrskonferenz vom 21. und 22 Juni 2017 zum Wechselmodell folgenden Beschluss getroffen:24 Da es keine adäquate gesetzliche Regelung für das Wechselmodell noch für die damit verbundenen unterhaltsrechtlichen Folgen gebe, das Wechselmodell als Abkehr vom Residenzmodell aber mit so wesentlichen Wertentscheidungen verbunden sei, müsse sich die Rechtspolitik dieser Diskussion ausgerichtet am Kindeswohl stellen. Deshalb sei zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche gesetzlichen Regelungen zum Wechselmodell geboten seien. Dabei müssten neben den prozessualen und materiell-rechtlichen Auswirkungen des Wechselmodells auf den Kindes- und Betreuungsunterhalt auch sozialrechtliche Regelungen einbezogen werden. Die Justizministerkonferenz hat daher ausdrücklich begrüßt, dass der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz den Regelungsbedarf bereits prüft. 2.4. Petitionsverfahren zum Wechselmodell beim Deutschen Bundestag Mit einer Petition an den Deutschen Bundestag war gefordert worden, dass Väter bei getrenntlebenden Eltern grundsätzlich gleichermaßen im Rahmen des Wechselmodells in die Erziehung der Kinder einbezogen werden und dies im Rahmen der Barunterhaltspflicht zu berücksichtigen sei.25 21 BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206, 210. 22 BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206, 210. 23 BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15, NZFam 2017, 206, 210 24 Justizministerkonferenz, Frühjahrskonferenz vom 21. und 22 Juni 2017 zum Wechselmodell, Berichterstatter: Sachsen, der Beschluss ist abrufbar unter: https://jm.rlp.de/fileadmin/mjv/Jumiko/Fruehjahrskonferenz _neu/I.1_Gesetzliche_Regelung_des_Wechselmodells_und_seiner_Folgen.pdf [letzter Abruf: 14. März 2018]. 25 Pet 4-18-07-40325-028463, abrufbar unter: file:///N:/GLW_wd7-gl/Elektronische%20Akten%202018/WD%207- 3000-056-18%20Fri-Wechselmodell/Petition-63382-abschlussbegruendung.pdf [letzter Abruf: 14. März 2018]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 10 Der Petitionsausschuss hatte keinen konkreten gesetzgeberischen Handlungsbedarf gesehen. Insbesondere beruft sich der Petitionsausschuss auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Juni 201526, wonach weder Art. 6 Absatz 2 Grundgesetz (GG)27 noch die UN-Kinderrechtskonvention 28 den Gesetzgeber dazu verpflichte, die paritätische Betreuung des Kindes durch die getrennt lebenden Elternteile als Regelfall vorzusehen.29 Der Deutsche Bundestag hat daraufhin die Petition am 5. September 2017 abschließend beraten und Folgendes beschlossen:30 „1. Die Petition der Bundesregierung – dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für Familie, Senioren , Frauen und Jugend – als Material zu überweisen, soweit es um die verschiedenen Betreuungs- und Umgangsformen im Bereich der Kindererziehung geht, 2. das Petitionsverfahren im Übrigen abzuschließen.“ 2.5. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) verweist darauf31, dass es schon seit geraumer Zeit die Debatte um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Wechselmodell gerichtlich soll angeordnet werden können, sehr aufmerksam verfolge. Das BMJV sieht zurzeit keinen unmittelbaren gesetzgeberischen Handlungsbedarf für das Kindschaftsrecht. Denn durch die Entscheidung des BGH vom 1. Februar 2027 sei insoweit eine Klarstellung erfolgt, dass das Wechselmodell über eine gerichtliche Umgangsregelung auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden könne. Entscheidend sei jeweils, was dem Kindeswohl im Einzelfall diene. Gleichwohl seien weiter viele, auch grundlegende Fragen offen, wie z.B. die nach dem Verhältnis von Sorge- und Umgangsrecht. Auch die Entscheidungsbefugnisse der Eltern im Rahmen der Alltagssorge würfen Fragen auf, schon weil das geltende Recht bisher in 26 BVerfG, 1. Senat 1. Kammer vom 24. Juni 2015 - BvR 486/14 - , Juris, Orientierungssatz 1b, Rn. 10, Orientierungssatz 3, Rn. 18. 27 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html [letzter Abruf: 14. März 2018]. 28 Eine amtliche deutsche Übersetzung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes befindet sich in der Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/blob/93140/8c9831a3ff3ebf49a0d0fb42a8efd001/uebereinkommen-ueber-die-rechte-deskindes -data.pdf [letzter Abruf: 14. März 2018]. 29 Pet 4-18-07-40325-028463, S. 6. 30 Pet 4-18-07-40325-028463, S. 1. 31 Antwort des BMJV durch das zuständige Referat in einer E-Mail vom 19. März 2018. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 11 § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB regele, dass der Elternteil bei dem sich das Kind „gewöhnlich aufhält“, zur Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens befugt sei. Nicht zuletzt passe die geltende Regelung zur Vertretung bei gemeinsamer Sorgeberechtigung der Eltern nicht recht auf das Wechselmodell, bei dem sich das Kind nahezu zu gleichen Zeitanteilen bei beiden Eltern aufhalte. Es bestehe daher Anlass zu einer gründlichen Prüfung, inwieweit im Kindschaftsrecht ein Reformbedarfs bestehe. Zu diesem Zweck werde zeitnah eine interne Expertenarbeitsgruppe eingesetzt werden. Auf diese Weise solle gleichzeitig der Prüfbitte der Justizministerkonferenz Rechnung getragen werden. Was das gleichermaßen betroffene Unterhaltsrecht angehe, habe das BMJV den gesetzgeberischen Reformbedarf auf diesem Gebiet bereits eingehend analysiert. Im Anschluss an ein unterhaltsrechtliches Symposium im Mai 2015 hatte das BMJV eine hochkarätig besetzte interne Arbeitsgruppe aus Vertreten der Justiz, der Lehre, der Anwaltschaft und der Ressorts eingesetzt, die ihre Arbeit im Januar 2017 abgeschlossen hat. Auf der Basis der dort erzielten Ergebnisse würden derzeit auf Fachebene Reformoptionen geprüft 2.6. Anträge der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion der FDP Jüngst haben die Fraktionen DIE LINKE und die Fraktion Anträge zum Wechselmodell im Deutschen Bundestag gestellt. Während die Fraktion DIE LINKE den Deutschen Bundestag auffordert zu beschließen, das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen und das Wechselmodell nicht als Regelfall festzuschreiben32, fordert die Fraktion der FDP den Deutschen Bundestag auf zu beschließen , das Wechselmodell gesetzlich als Regelfall zu verankern33. Beide Anträge wurden federführend dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen .34 32 Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, Gökay Akbulut und weiterer Abgeordneter und der der Fraktion DIE LINKE vom 13. März 2018, Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellen ‒ Keine Festschreibung des Wechselmodells als Regelmodell, BT-Drs. 19/1172. 33 Antrag der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Roman Müller-Böhm, Dr. Marco Buschmann und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP vom 13. März 2018, Getrennt leben ‒ Gemeinsam erziehen: Familienrechtliches Wechselmodell als Regelfall einführen, BT-Drs. 19/1175. 34 Bundestag Stenografischer Bericht 20. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. März 2018, Tageordnungspunkte 15 a und b, BT-Plenarprotokoll 19/20, S. 115 D. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 12 3. Die Resolution des Europarats zum Wechselmodell Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat am 2. Oktober 2015 die Resolution 2079 (2015)35 einstimmig verabschiedet, mit der sie alle Mitgliedstaaten auffordert, die Doppelresidenz /das Wechselmodell, als bevorzugtes anzunehmendes Modell im Gesetz zu verankern. Unter dem Gliederungspunkt 5.5 der Resolution heißt es dazu: „5.5. in ihre Gesetze den Grundsatz der Doppelresidenz (Wechselmodell) nach einer Trennung einzuführen, und Ausnahmen ausschließlich auf Fälle von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung, oder häuslicher Gewalt einzuschränken , mit jener Zeitaufteilung, in der das Kind mit jedem Elternteil lebt, die entsprechend den Bedürfnissen und Interessen des Kindes angepasst sind;“ Diese Resolution verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht dazu, das Wechselmodell als Regelfall der elterlichen Betreuung gesetzlich einzuführen. Denn bei den Resolutionen des Europarats handelt es sich nicht um rechtsverbindliche Beschlüsse, die die Mitgliedstaaten zur Umsetzung zwingen, sondern lediglich um politische Beschlüsse.36 4. Die gesetzlichen Regelungen zum Wechselmodell in verschiedenen Staaten der EU und in anderen europäischen Staaten Die folgende Tabelle gibt einen kurzen Überblick darüber, ob und wie das Wechselmodell in einzelnen Mitgliedstaaten der EU oder in anderen europäischen Staaten außerhalb der EU geregelt ist. In der Tabelle sind nur die Staaten angegeben, in denen es Regelungen zum Wechselmodell gibt. Die basiert auf den Angaben in dem Aufsatz von Balomatis, Das Wechselmodell in Europa. Der Aufsatz wurde 2016 veröffentlicht, sodass neuere Entwicklungen dort nicht erfasst sind.37 Die Auflistung in der Tabelle folgt der Reihenfolge der Darstellung in dem Aufsatz von Balomatis . Er vertritt die These, dass je „offener und gleichberechtigter die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Gesellschaft, der Politik und dem Recht eines Staats verankert“ sei, „desto selbstverständlicher“ sei „ein paritätisches Betreuungsmodell sowohl während des Zusammenlebens aber auch und erst recht nach der Trennung der Eltern.“38 35 Parlamentarische Versammlung des Europarats, deutsche Übersetzung der Resolution 2079 (2015), abrufbar unter : https://internationalervatertag.de/images/gutachten/Europarat_Regelfall_Doppelresidenz_50_50_Doppelresidenz _EU_10_2015.pdf [letzter Abruf: 14. März 2018]. 36 So auch der Petitionsausschuss, Pet 4-18-07-40325-028463, S. 6. Ebenso: Grabenwarter, Rechtliche Rahmenbedingungen des Verhältnisses zwischen EU und Europarat aus der Perspektive des Europarates und die Rolle der Mitgliedstaaten, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 2014, 419, 431; Müller -Graff, in: Dauses/Ludwig, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 43. EL, Oktober 2017, Gliederungspunkt A. I. Verfassungsziele der Europäischen Union, Rn. 11. 37 Balomatis, Das Wechselmodell in Europa, NZFam 2016, 833 ff. 38 Balomatis, Das Wechselmodell in Europa, NZFam 2016, 833, 834. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 13 Staat Regelung zum Wechselmodell Schweden Wechselmodell wurde als gesetzlicher Regelfall 2006 eingeführt . Kann auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden. Die gemeinsame elterliche Sorge gilt seit 1998 als Regelfall. Norwegen Gemeinsame elterliche Sorge ist gesetzlicher Regelfall. Das Wechselmodell kann von Gesetzes wegen angeordnet werden. Belgien Seit 1995 gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall nach Scheidung. Bei der gesetzlichen Einführung des Wechselmodells kommt Belgien in Europa eine Vorreiterrolle zu: seit 2006 Wechselmodell als Regelfall der elterlichen Betreuung gesetzlich verankert . Frankreich Ähnliche Lage wie in Belgien: Seit 1993 gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung. Wechselmodell wird neben dem Residenzmodell vom Gesetzgeber bevorzugt, indem es an erster Stelle genannt wird. Wechselmodell kann gerichtlich angeordnet werden und zwar auch für eine bestimmte Zeit zur Probe. Spanien Wechselmodell neben dem Nestmodell zumindest gleichwertiges Betreuungsmodell. Nach Trennung der Eltern besteht gemeinsame elterliche Sorge. Allerdings wird in Spanien zwischen der elterlichen Sorge im Allgemeinen und dem Personensorgerecht unterschieden . Das Personensorgerecht erhält als Alltagsorgerecht in der Regel der Elternteil, bei dem das Kind seinen überwiegenden Aufenthalt hat. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht steht allerdings beiden Elternteilen zu, sodass das Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils vom Gericht angeordnet werden kann. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 14 Italien Gemeinsames Sorgerecht der Eltern nach Trennung. Wechselmodell seit 2006 als gesetzlicher Regelfall verankert, wenn das Kindeswohl nicht dagegen spricht. Griechenland Welches Betreuungsmodell nach der Scheidung der Eltern erfolgt , hängt davon ab, ob es sich um eine einvernehmliche Scheidung oder um eine streitige Scheidung handelt: Für eine einvernehmliche Scheidung müssen die Eltern mit dem Scheidungsantrag eine einvernehmliche Regelung auch in Bezug auf die gemeinsamen Kinder vorliegen. In diesem Rahmen kann eine paritätische Betreuung vereinbart werden. Den Begriff des Wechselmodells gibt es Griechenland allerdings nicht. Die einvernehmliche Scheidung erfolgt im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Bei streitiger Scheidung findet ein Verfahren statt, das der Familienstreitsache nach dem FamFG ähnlich ist. Die Richter entscheiden sich hier fast ausschließlich für das Residenzmodell . Österreich In Österreich ist gesetzlich das Residenzmodell verankert, indem die gesetzlichen Regelungen von „hauptsächlichem“ und „hauptsächlicher“ Betreuung sprechen. In der Praxis wird auch das Wechselmodell zwischen den Eltern einvernehmlich vereinbart. Die gerichtliche Anordnung des Wechselmodells soll nur ausnahmsweise dort möglich sein, wo das Kind bereits vor der Trennung der Eltern von beiden Elternteilen paritätisch betreut worden ist und diese Betreuungsform auch dem Kindeswohl entspricht. Großbritannien Seit 1989 üben die Eltern nach ihrer Trennung das Sorgerecht gemeinsam aus. Das Wechselmodell ist auch hier bekannt. Gerichtliche Entscheidungen über Aufenthalt und Betreuung von Kindern erfolgen nur selten. Deshalb ist keine Aussage darüber möglich, ob das Wechselmodell hier ein Regel- oder Ausnahmemodell ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 056/18 Seite 15 5. Statistische Angaben bezogen auf das Wechselmodell Der Sachstand sollte auch Auskunft über folgende statistische Entwicklungen geben: zum einen über die Zahlen der Kindschaftssachen nach „Einführung“ des Wechselmodells , zum anderen sollte die Entwicklung der Zahlen zum verhandlungsorientierten Streitbeilegungsmechanismus Mediation im Vergleich zum gerichtlichen entscheidungsorientierten Streitbeilegungsmechanismus bezogen auf Kindschaftssachen in den Mitgliedstaaten der EU aufgezeigt werden. Für die Frage, ob und welchen Einfluss die „Einführung“ des Wechselmodells auf die Entwicklung der Zahlen der Kindschaftssachen Einfluss hat, liegen nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes im Informationsangebot der amtlichen Statistik keine Daten vor. Weder gebe es entsprechende Daten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Lediglich in der Steuerstatistik werde erfasst, ob Eltern sich den Kinderfreibetrag teilen. Aus der Rechtspflegestatistik gebe es nur Daten zu Sorgerechtsverfahren, die aber die Fragestellung nicht abdeckten.39 Zur Frage unter dem zweiten Spiegelstrich gibt es, soweit ersichtlich, ebenfalls kein Zahlenmaterial . Für die Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)40 überwiegend, insbesondere bei Kindschaftssachen nach § 151 FamFG, um ein Verfahren handelt, bei dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt41. Damit ist zweifelhaft, ob eine Mediation im technischen Sinne in diesem Verfahren überhaupt zum Zuge kommen kann. Zwar wird das Gericht immer versuchen, eine Einigung der Eltern hinsichtlich der strittigen Fragen zu erreichen. Gleichwohl hat das Gericht hat bei allen seinen Entscheidungen das Kindeswohl zu berücksichtigen42, über das auch nicht im Wege einer Mediation einvernehmlich verfügt werden kann. *** 39 Auskunft des Statistischen Bundesamtes vom 13. März 2018. 40 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/famfg/BJNR258700008.html [letzter Abruf: 15. März 2018]. 41 Burschel, in: Beck’scher Online-Kommentar zum FamFG (BeckOK FamFG), hrsg. Von Hahne/Schlögel/Schlünder , 25. Edition, Stand. 1. Januar 2018, § 151 Rn. 2 f. 42 Dazu vgl. die Ausführungen gerade auch im Hinblick auf das Wechselmodell von Heilmann, Kindeswohl und Wechselmodell, NJW 2015, 3346 ff.