© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 055/21 Einzelfragen zur Strafbarkeit sexueller Gewalt gegen Kinder Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 055/21 Seite 2 Einzelfragen zur Strafbarkeit sexueller Gewalt gegen Kinder Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 055/21 Abschluss der Arbeit: 18. Juni 2021 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 055/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Gesetzgebung, Strategien und politische Leitlinien bezogen auf das Strafrecht zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt 4 2. Mindestalter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit 5 2.1. Wie lautet die gesetzliche Definition der Einwilligung in sexuelle Aktivitäten? 5 2.2. Wie hoch ist das Mindestalter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit? 6 2.3. Gibt es Ausnahmen, d.h. Situationen, in denen das Mindestalter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit anders bestimmt wird? 6 2.3.1. § 182 StGB: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen 6 2.3.2. § 174 StGB: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen 6 2.4. Sind Änderungen an den bestehenden Regelungen geplant? 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 055/21 Seite 4 1. Gesetzgebung, Strategien und politische Leitlinien bezogen auf das Strafrecht zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt Gesetzgebung Das deutsche Strafrecht schützt Kinder und Jugendliche durch verschiedene Vorschriften im Strafgesetzbuch1 (StGB). Namentlich sind dies: o Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) o Sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176 StGB) o Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176a StGB) o Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB) o Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 StGB) o Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB) o Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) o Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inhalte (§ 184c StGB) o Veranstaltung und Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietungen (§ 184e StGB) o Jugendgefährdende Prostitution (§ 184g StGB) Der Deutsche Bundestag hat am 25. März 2021 ein Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen, das in Kürze verkündet werden wird.2 Kernpunkte der Reform sind neben Neuerungen in der Prävention und Qualifizierung der Justiz sowie in der Strafverfolgungsarbeit vor allem Verschärfungen und Erweiterungen des Strafgesetzbuchs .3 Unter anderem wird der sexuelle Missbrauch von Kindern (§ 176 StGB) sowie die Verbreitung, der Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) künftig härter bestraft werden. Zudem wird ein neuer Straftatbestand (künftig § 184l StGB) eingeführt , nach dem das Herstellen, Inverkehrbringen, Erwerben oder Besitzen von kindlichen Sexpuppen strafbar sein wird. 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März.2021 (BGBl. I S. 441, geändert durch Gesetz vom 30. März 2021, BGBl. I S. 448), abrufbar unter: http://www.gesetzeim -internet.de/stgb/ (letzter Abruf dieses Links und aller weiteren: 18. Juni 2021). 2 Siehe Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, BT-Drs. 19/23707 vom 27. Oktober 2020, abrufbar unter: https://dserver.bundestag .de/btd/19/237/1923707.pdf, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz , BT-Drs. 19/27928 vom 24.März 2021, abrufbar unter: https://dserver.bundestag .de/btd/19/279/1927928.pdf, Beschluss des Bundesrates vom 7. Mai 2021, BR-Drs. 285/21, abrufbar unter: https://dserver.bundestag.de/brd/2021/0285-21B.pdf. 3 Einen Überblick über die Änderungen bietet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2021/032521_GE_sexualisierte_Gewalt.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 055/21 Seite 5 Strategien/politische Leitlinien Am 19. Juli 2017 hat die vom damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas eingesetzte Reformkommission zum Sexualstrafrecht ihren Abschlussbericht vorgelegt.4 Dieser enthält detaillierte Vorschläge zur Änderung des gesamten Sexualstrafrechts, darunter auch ausführliche Abschnitte betreffend den Schutz von Kindern und Jugendlichen.5 2. Mindestalter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit 2.1. Wie lautet die gesetzliche Definition der Einwilligung in sexuelle Aktivitäten? Das zentrale Element der Einwilligung findet sich in § 177 Abs. 1 StGB. Demnach macht sich strafbar, wer sexuelle Handlungen an einer Person gegen deren „erkennbaren Willen“ vornimmt. Hiermit verdeutlicht der Gesetzgeber, dass Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit das fehlende Einverständnis des Opfers ist.6 Das Gesetz selbst enthält keine Legaldefinition des fehlenden Einverständnisses , jedoch trifft die Gesetzesbegründung detaillierte Aussagen: „Absatz 1 erfasst sexuelle Handlungen, mit denen sich der Täter über den entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt und damit das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung verletzt . Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit ist damit der erkennbare Wille des Opfers, so dass Artikel 36 der Istanbul-Konvention Rechnung getragen wird. Der Gesetzentwurf greift damit den Gedanken der sogenannten „Nein-heißt-Nein“-Lösung auf. Maßgeblich ist der erkennbare entgegenstehende Wille des Opfers. Ob der entgegenstehende Wille erkennbar ist, ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen. Für diesen ist der entgegenstehende Wille erkennbar, wenn das Opfer ihn zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich (verbal) erklärt oder konkludent (zum Beispiel durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung) zum Ausdruck bringt. Der bloße innere Vorbehalt des Opfers ist jedoch nicht maßgeblich . Auch werden Fälle, bei denen die Motivlage des Opfers ambivalent ist, nicht von der Vorschrift erfasst. Denn es ist dem Opfer zuzumuten, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen […]“7 4 Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht vom 19.7.2017, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/StudienUntersuchungenFachbuecher/Abschlussbericht _Reformkommission_Sexualstrafrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 5 Abschlussbericht der Reformkommission (Fn. 4), dort vor allem S. 102-149; 244-266. 6 Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 177 Rn. 31. 7 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 18/8210, 18/8626 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 6. Juli 2016, BT-Drs. 18/9097, S. 22 f., abrufbar unter: https://dserver.bundestag.de/btd/18/090/1809097.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 055/21 Seite 6 2.2. Wie hoch ist das Mindestalter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit? Das Mindestalter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit liegt bei 14 Jahren (vgl. § 176 Abs. 1 StGB). 2.3. Gibt es Ausnahmen, d.h. Situationen, in denen das Mindestalter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit anders bestimmt wird? Die einvernehmliche Vornahme sexueller Handlungen an Jugendlichen, die älter als 14 Jahre sind, kann nach § 182 StGB und § 174 StGB strafbar sein. 2.3.1. § 182 StGB: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen § 182 StGB bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Vornahme von (einvernehmlichen) sexuellen Handlungen an Personen unter 18 Jahren strafbar sein kann. Während § 182 Abs. 1 und Abs. 2 StGB für eine Strafbarkeit verlangen, dass neben der sexuellen Handlung weitere objektive Voraussetzungen erfüllt sein müssen (Abs. 1: „Ausnutzung einer Zwangslage“; Abs. 2: Vornahme sexueller Handlungen „gegen Entgelt“), kann bei § 182 Abs. 3 StGB die bloße Vornahme der sexuellen Handlung ausreichen, um den Straftatbestand zu erfüllen . Jedoch steht die Strafbarkeit auch hier unter zwei Bedingungen: Erstens muss der Täter über 21 Jahre und das Opfer unter 16 Jahre alt sein und zweitens muss der Täter die ihm gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzen . 2.3.2. § 174 StGB: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen Eine weitere Ausnahme betrifft den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB): - § 174 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB Das Mindestalter zur Vornahme einvernehmlicher sexueller Handlungen beträgt 16 Jahre, wenn der Jugendliche dem Täter „zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist“, also z.B. Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Missbraucht der Täter dabei zusätzlich eine mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs -, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundene Abhängigkeit, so ist auch die Vornahme sexueller Handlungen an Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar. - § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB Diese Norm betrifft die Vornahme sexueller Handlungen von Eltern an ihren Kindern unter 18 Jahren. Erfasst sind dabei leibliche oder rechtliche Kinder, seien es die eigenen oder diejenigen des Ehe- bzw. Lebenspartners. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 055/21 Seite 7 - § 174 Abs. 2 StGB Betroffen ist hier der Schutz von Jugendlichen unter 18 Jahren in Einrichtungen der „Erziehung , Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung“. Ist der Täter in einer solchen Einrichtung tätig, so macht er sich strafbar, wenn er an einem ihn anvertrauten Jugendlichen unter 16 Jahren sexuelle Handlungen vornimmt (§ 174 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Nutzt er seine verantwortliche Stellung zur Vornahme aus, dann beträgt das Mindestalter des Opfers 18 Jahre (§ 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB). 2.4. Sind Änderungen an den bestehenden Regelungen geplant? Das bereits oben erwähnte Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder8 sieht vor, das Schutzalter beim Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) einheitlich auf 18 Jahre anzuheben9. *** 8 Siehe Fn. 2. 9 BT-Drs. 19/27928 (Fn. 2), S. 5.