© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 055/16 Verhältnis des naturschutzrechtlichen zum siedlungsrechtlichen Vorkaufsrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 055/16 Seite 2 Verhältnis des naturschutzrechtlichen zum siedlungsrechtlichen Vorkaufsrecht Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 055/16 Abschluss der Arbeit: 18.04.2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 055/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Regelungsbereich des § 62 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG 4 3. Die Zulässigkeit landesnaturschutzrechtlicher Regelungen 5 4. Fazit 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 055/16 Seite 4 1. Einleitung Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)1 enthält eine Regelung, nach der das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht landesrechtlich begründeten Vorkaufsrechten im Rang vorgeht; ausgenommen davon sind Vorkaufsrechte auf dem Gebiet des Grundstücksverkehrs und Siedlungswesens (vgl. § 66 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG). Hier könnte sich die Frage stellen, ob in den Ländern Vorkaufsrechte auf dem Gebiet des Grundstücksverkehrs und des Siedlungswesens einem naturschutzrechtlichen Vorkaufsrecht in jedem Fall im Rang vorgehen. Der Entwurf eines nordrhein-westfälischen Landesnaturschutzgesetzes sieht demgegenüber vor, dass das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht dem auf den Gebieten des Grundstücksverkehrs und des Siedlungswesens im Range gleichsteht.2 Dies gibt Anlass zu der Frage, ob in einem Landesgesetz im Hinblick auf § 66 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG eine Regelung aufgenommen werden kann, die naturschutzrechtliche und siedlungsrechtliche Vorkaufsrechte gleichrangig nebeneinander stellt. Nach seinen Verfahrensgrundsätzen nehmen die Wissenschaftlichen Dienste keine Stellung zu rechtlichen Fragen im Einzelfall. Die nachfolgenden Ausführungen stellen deshalb keine Bewertung des nordrhein-westfälischen Gesetzentwurfs dar. 2. Der Regelungsbereich des § 62 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG Grundsätzlich geht das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht den rechtsgeschäftlich und landesrechtlich begründeten Vorkaufsrechten im Rang vor. Ausnahmsweise soll dies bei Vorkaufsrechten auf dem Gebiet des Grundstücksverkehrs und des Siedlungswesens nicht der Fall sein. Dies bedeutet, dass derartig begründete Vorkaufsrechte solchen nach dem Bundesnaturschutzgesetz im Rang vorgehen. Diese Ausnahme trägt der im Zuge der Föderalismusreform geänderten Verfassungslage Rechnung . Durch die Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 des Grundgesetzes (GG) können die Länder 1 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch Art. 421 der Zehnten Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474). 2 Landtag NRW Drucksache 16/11154, S. 47 und 182. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 055/16 Seite 5 nunmehr die bislang durch das Grundstückverkehrsgesetz3 und das Reichssiedlungsgesetz4 bundesrechtlich besetzten Gebiete selbst regeln.5 Landesrechtliche Vorkaufsrechte auf den Gebieten des Grundstücksverkehrs und des Siedlungswesens gehen deshalb regelmäßig im Rang einem bundesnaturschutzgesetzlichen Vorkaufsrecht vor. Mit anderen Worten: Landesgesetzliche Vorkaufsrechte auf dem Gebiet des Grundstücksverkehrs und des Siedlungswesens gehen einem naturschutzrechtlichen Vorkaufsrecht, das auf dem BNatSchG beruht, im Rang grundsätzlich vor. 3. Die Zulässigkeit landesnaturschutzrechtlicher Abweichungen Das Gebiet des Naturschutzes unterliegt nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz . Nach Art. 72 Abs. 1 GG haben die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Nimmt der Bund seine Befugnis wahr, so geht mit der Verkündung des Bundesgesetzes für die Länder eine Sperrwirkung einher. Der Bund hat mit dem am 6. August 2009 verkündeten und am 1. März 2010 in Kraft getretenen BNatSchG seine Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG ausgeübt. Dies hatte zur Folge, dass dieses BNatSchG für die Länder zunächst eine Sperrwirkung entfaltete, ihrerseits auf dem Gebiet des Naturschutzes tätig zu werden. Mit der Verkündung des BNatSchG wurden entsprechende landesrechtliche Vorschriften grundsätzlich unzulässig und nichtig.6 a) Die Öffnungsklausel Nicht alle Vorschriften in den alten Landesnaturschutzgesetzen sind allerdings unwirksam geworden . Bestimmte Besonderheiten in den Ländern wollte der Bund nicht abschaffen. Hierzu zählen nach der Öffnungsklausel des § 66 Abs. 5 BNatSchG die in den Ländern bestehenden Vorkaufsrechte . Der Bundesgesetzgeber hat mit § 66 Abs. 5 BNatSchG klargestellt, dass er in Bezug auf bestehende naturschutzrechtliche Vorkaufsrechte der Länder keinen Gebrauch gemacht hat. 3 Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstückverkehrsgesetz – GrdstVG) vom 28. Juli 1961 (BGBl. I S. 1091, ber. S. 1652 und 2000), zuletzt geändert durch Art. 108 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586). 4 Reichssiedlungsgesetz vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1429), zuletzt geändert durch Art. 8 Abs. 2 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2355). 5 BT-Drucks. 16/12274, S. 76. 6 Vgl. Reiff, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG – Kommentar (2011), § 66 Rdnr. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 055/16 Seite 6 Festzuhalten ist demnach, dass die Verkündung des BNatSchG nicht zur Unwirksamkeit der landesrechtlichen Vorkaufsrechte geführt hat. Die entsprechenden Regelungen blieben in Kraft7 und können von den Ländern geändert werden.8 Dies gilt beispielweise für § 36a des Landschaftsgesetzes NRW9, der bisher das gesetzliche Vorkaufsrecht des Trägers der Landschaftsplanung regelt. b) Die Abweichungskompetenz Hat der Bund mit dem BNatSchG von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz für den Naturschutz hiervon abweichende Regelungen treffen (vgl. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG). Diese Abweichungskompetenz gilt lediglich nicht für die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes . Der Gesetzgeber hat diese Grundsätze in den §§ 8, 13 und 20 BNatSchG im Einzelnen benannt. Das bundesgesetzliche Vorkaufsrecht wird dort nicht ausdrücklich erwähnt. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber in der Öffnungsklausel des § 66 Abs. 5 BNatSchG dafür ausgesprochen, die naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechte der Länder „unberührt“ zu lassen, das heißt, in diesem Bereich nicht von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch zu machen. 4. Fazit Es ist den Ländern folglich möglich, ein landesrechtliches Vorkaufsrecht abweichend von § 66 BNatSchG zu regeln, wie dies beispielsweise in § 74 des Entwurfs eines Landesnaturschutzgesetzes (LNatSchG NRW)10 der Fall ist. Insbesondere ist es den Ländern möglich, in Abweichung von § 66 Abs. 3 BNatSchG die Gleichrangigkeit des naturschutzrechtlichen Vorkaufrechts mit dem landwirtschaftlichen Vorkaufsrecht, wie in § 74 Abs. 4 des Entwurfs eines LNatSchG NRW, festzuschreiben . Ende der Bearbeitung 7 Berghoff/Steg, NuR 2010, S. 17 (19); Louis, NuR 2010, S. 77 (78); Hecht, DNotZ 2010, S. 323 (326). 8 Reiff, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG – Kommentar (2011), § 66 Rdnr. 10. 9 Landschaftsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Juli 2000 (GV. NRW., S. 568), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 16. März 2010 (GV. NRW., S. 185). 10 Gesetz zum Schutz der Natur in Nordrhein-Westfalen und zur Änderung anderer Vorschriften (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG NRW), Landtag NRW Drucks. 16/11154, S. 47/48.