© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 052/21 Leistungsstörungen im Reiserecht Ansprüche Reisender bei Reiseausfall oder Verspätung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 2 Leistungsstörungen im Reiserecht Ansprüche Reisender bei Reiseausfall oder Verspätung Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 052/21 Abschluss der Arbeit: 10. Juni 2021 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Leistungsstörungen bei Pauschalreisen 4 3. Leistungsstörungen bei Individualreisen 6 3.1. Grundsätzlich anwendbare Regelungen 6 3.2. Spezielles Regelungsregime bei Flugreisen 8 3.3. Spezielles Regelungsregime bei Bahnreisen 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 4 1. Einleitung Das Reiserecht umfasst das Reisevertragsrecht der Pauschalreise, das Reisevermittlungsrecht und das Individualreiserecht.1 Im Individualreiserecht wird zwischen dem auf die Beförderung mit einem bestimmten Verkehrsmittel gerichteten Beförderungsvertrag sowie dem auf Unterbringung gerichteten Beherbergungsvertrag unterschieden.2 Nachfolgend soll in Bezug auf das deutsche Zivilrecht summarisch dargestellt werden, ob und ggf. welche Kompensationen zu leisten sind, wenn es zu Reiseausfällen oder Verspätungen kommt.3 2. Leistungsstörungen bei Pauschalreisen Das deutsche Pauschalreiserecht ist in den §§ 651a ff. BGB4 geregelt. Mit diesen Bestimmungen wird insbesondere das einschlägige EU-Recht umgesetzt, insbesondere die Pauschalreiserichtlinie 5.6 Kommt es bei einer Pauschalreise zu Leistungsstörungen, beurteilen sich deren Folgen nach den besonderen pauschalreiserechtlichen Regelungen, namentlich dem Reisegewährleistungsrecht – das allgemeine Recht der Leistungsstörungen (§§ 280 ff. BGB) wird insofern verdrängt .7 Gemäß § 651y BGB sind die §§ 651a ff. BGB „halbzwingende(n) Vorschriften, deren Änderung bis zum Ende der Reise nur zugunsten des Reisenden möglich ist (…). Eine Änderung zulasten des Reisenden ist weder über AGB noch über Individualvereinbarungen zulässig.“8 Gemäß § 651i Absatz 1 BGB hat der Reiseveranstalter dem Reisenden die Pauschalreise frei von Reisemängeln zu verschaffen. Die Pauschalreise ist frei von Reisemängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat (§ 651i Absatz 2 Satz 1 BGB). Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Pauschalreise gemäß § 651i Absatz 2 Satz 2 BGB frei von Reisemängeln, – wenn sie sich für den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen eignet, ansonsten 1 Staudinger, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 1 Rn. 4. 2 Staudinger, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 1 Rn. 4. 3 Zum einschlägigen europäischen Recht vgl. Fachbereich Europa, Folgen bei Verspätung oder Ausfall von Flug-, Pauschal- und Bahnreisen nach Unionsrecht, Az. PE 6 - 3000 - 030/21 vom 26. Mai 2021. 4 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Mai 2021 (BGBl. I S. 1082) geändert worden ist. 5 Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. 2015 L 326/1 vom 11. Dezember 2015. 6 Vgl. Teichmann, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Auflage 2021, Vorbemerkungen zu §§ 651a ff. Rn. 1; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, Vorbemerkung (Vor § 651a) Rn. 21 ff. 7 Bergmann, in: Tonner/Bergmann/Blankenburg (Hrsg.), Reiserecht, 2018, § 2 Rn. 305. 8 Staudinger, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Auflage 2019, § 651y Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 5 – wenn sie sich für den gewöhnlichen Nutzen eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Pauschalreisen der gleichen Art üblich ist und die der Reisende nach der Art der Pauschalreise erwarten kann. § 651i Absatz 1 Satz 3 BGB bestimmt dabei ausdrücklich, dass ein Reisemangel vorliegt, wenn der Reiseveranstalter Reiseleistungen nicht oder mit unangemessener Verspätung verschafft. Bei Vorliegen eines Reisemangels kann der Reisende bei Vorliegen der jeweiligen weiteren Voraussetzungen – Abhilfe verlangen oder schaffen, – den Vertrag kündigen, – die sich aus einer Minderung des Reisepreises ergebenden Rechte geltend machen sowie – Schadensersatz oder den Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen (§ 651i Absatz 3 BGB). Diese Ansprüche des Reisenden verjähren in zwei Jahren, beginnend mit dem Tag, an dem die Pauschalreise dem Vertrag nach enden sollte (§ 651j BGB). Hinsichtlich der Abhilfe gilt gemäß § 651k BGB, dass der Reisende zunächst berechtigt ist, vom Veranstalter Abhilfe zu verlangen. Leistet der Reiseveranstalter keine Abhilfe, kann der Reisende „selbst Abhilfe schaffen und den Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen. Schließlich kann der Reisende bei Vorliegen eines Reisemangels, der einen erheblichen Teil der Reiseleistungen betrifft, … Abhilfe durch andere, angemessene Reiseleistungen (Ersatzleistungen) verlangen .“9 Eine Kündigung gemäß § 651l Absatz 1 BGB kommt dann in Betracht, wenn die Reise durch den Reisemangel erheblich beeinträchtigt ist und der Veranstalter eine ihm vom Reisenden bestimmte angemessene Frist hat verstreichen lassen, ohne Abhilfe zu leisten. Wird der Vertrag gekündigt , so behält der Reiseveranstalter gemäß § 651l Absatz 2 BGB hinsichtlich der erbrachten und ggf. zur Beendigung der Pauschalreise noch zu erbringenden Reiseleistungen den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis – wobei Ansprüche des Reisenden auf Minderung oder Schadensersatz hinsichtlich dieser Leistungen unberührt bleiben. Hinsichtlich der nicht mehr zu erbringenden Reiseleistungen entfällt der Anspruch des Reiseveranstalters auf den vereinbarten Reisepreis; insoweit bereits geleistete Zahlungen sind dem Reisenden vom Reiseveranstalter zu erstatten. Gemäß § 651m BGB mindert sich für die Dauer des Reisemangels der Reisepreis. Bei der Minderung ist der Reisepreis in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Pauschalreise in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. Die Minderung ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln. Hat der Reisende mehr als den geminderten Reisepreis gezahlt, so ist ihm gemäß § 651m Absatz 2 BGB der 9 Bergmann, in: Tonner/Bergmann/Blankenburg (Hrsg.), Reiserecht, 2018, § 2 Rn. 315. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 6 Mehrbetrag vom Reiseveranstalter zu erstatten. Hinsichtlich Abflugverzögerungen gilt, dass Flugverspätungen von bis zu vier Stunden noch keinen Reisemangel darstellen und somit keinen Minderungsanspruch auslösen.10 Ab der begonnenen fünften Stunde der Verspätung entsteht hingegen ein Anspruch auf Minderung in Höhe von 5 % pro angefangene Stunde, gemessen am Tagesreisepreis .11 Nach § 651n BGB kann der Reisende unbeschadet der Minderung oder einer Kündigung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, wenn ein Reisemangel im Sinne des § 651n Absatz 2 BGB vorliegt, es sei denn, der Reisemangel – ist vom Reisenden verschuldet, – ist von einem Dritten verschuldet, der weder Leistungserbringer ist noch in anderer Weise an der Erbringung der von dem Pauschalreisevertrag umfassten Reiseleistungen beteiligt ist, und war für den Reiseveranstalter nicht vorhersehbar oder nicht vermeidbar oder – wurde durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht. Gemäß § 651p BGB kann der Reiseveranstalter durch Vereinbarung mit dem Reisenden seine Haftung für solche Schäden auf den dreifachen Reisepreis beschränken, die keine Körperschäden sind und nicht schuldhaft herbeigeführt werden. Hat der Reisende gegen den Reiseveranstalter Anspruch auf Schadensersatz oder auf Erstattung eines infolge einer Minderung zu viel gezahlten Betrages, so muss sich der Reisende den Betrag anrechnen lassen, den er aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung oder als Erstattung infolge einer Minderung nach Maßgabe internationaler Übereinkünfte oder von auf solchen beruhenden gesetzlichen Vorschriften oder nach Maßgabe verschiedener einschlägiger EU-Regelungen12 erhalten hat (§ 651p BGB). 3. Leistungsstörungen bei Individualreisen 3.1. Grundsätzlich anwendbare Regelungen Unter einer Pauschalreise ist gemäß § 651a Absatz 2 BGB eine Gesamtheit von mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise zu verstehen. Eine Pauschalreise liegt auch dann vor, wenn – die von dem Vertrag umfassten Reiseleistungen auf Wunsch des Reisenden oder entsprechend seiner Auswahl zusammengestellt wurden oder – der Reiseveranstalter dem Reisenden in dem Vertrag das Recht einräumt, die Auswahl der Reiseleistungen aus seinem Angebot nach Vertragsschluss zu treffen. 10 Bergmann, in: Tonner/Bergmann/Blankenburg (Hrsg.), Reiserecht, 2018, § 2 Rn. 362 mit einschlägigen Rechtsprechungsnachweisen . 11 Bergmann, in: Tonner/Bergmann/Blankenburg (Hrsg.), Reiserecht, 2018, § 2 Rn. 362 mit einschlägigen Rechtsprechungsnachweisen . 12 Siehe die Aufzählung in § 651p BGB. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 7 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, handelt es sich begrifflich um eine Individualreise, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Reisende selbst Einzelleistungen für Beförderung und Unterkunft bucht.13 Die Regelungen über die Pauschalreise finden auf diese Einzelleistungen keine Anwendung; stattdessen werden die Verträge über die Einzelleistungen jeweils dem Miet-, Werkoder Dienstvertragsrecht unterfallen.14 Hinsichtlich der Rechte des Individualreisenden bei Leistungsstörungen treffen die gesetzlichen Regelungen grundsätzlich folgende Regelungen: – Mietvertragsrecht: Durch den Mietvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache – also etwa eines Autos, einer Ferienwohnung oder eines Hotelzimmers – während der Mietzeit zu gewähren (§ 535 BGB). Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit (§ 536 Absatz 1 Satz 1 BGB). Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten (§ 536 Absatz 1 Satz 2 BGB). Dies gilt auch, wenn eine zugesicherte Eigenschaft fehlt oder später wegfällt. Eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer Betracht. Gemäß § 536a Absatz 1 BGB kann der Mieter unbeschadet der Rechte aus § 536 BGB Schadensersatz verlangen, soweit der Mangel bei Vertragsschluss vorhanden ist, ein solcher Mangel später wegen eines Umstands entsteht, den der Vermieter zu vertreten hat oder wenn der Vermieter mit der Beseitigung des Mangels in Verzug kommt. Hat der Mieter bei Vertragsschluss Kenntnis vom Mangel der Mietsache, so stehen ihm die Rechte aus den §§ 536 und 536a BGB nicht zu; ist ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so stehen ihm diese Rechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 536b BGB). – Werkvertragsrecht: Durch den Werkvertrag gemäß § 631 BGB wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes verpflichtet. Gegenstand eines Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein – so etwa die veranstaltermäßige Überlassung von Ferienhäusern .15 Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gegebenenfalls nach den §§ 635 ff. BGB Nacherfüllung verlangen, den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, von dem Vertrag zurücktreten oder die Vergütung mindern und Schadensersatz oder den Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen. – Dienstvertragsrecht: Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste verpflichtet (§ 611 BGB). Gemäß § 626 BGB kann das 13 Staudinger, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 28 Rn. 1. 14 Staudinger, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 28 Rn. 3. 15 Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 651a Rn. 36 ff.; Staudinger, in: Staudinger /Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 28 Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 8 Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Wird das Dienstverhältnis nach dem Beginn der Dienstleistung fristlos gekündigt, so kann der Verpflichtete einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen (§ 628 BGB). Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles dazu veranlasst zu sein, oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teiles, so steht ihm ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben. Ist die Vergütung für eine spätere Zeit im Voraus entrichtet, so hat der Verpflichtete sie nach Maßgabe des § 346 BGB oder, wenn die Kündigung wegen eines Umstands erfolgt, den er nicht zu vertreten hat, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuerstatten. 3.2. Spezielles Regelungsregime bei Flugreisen Sind die vorrangigen Regelungen des Montrealer Übereinkommens16 und der europäischen Fluggastrechte-Verordnung17 nicht anwendbar, beurteilt sich der Luftbeförderungsvertrag nach deutschem Recht.18 Hiernach ist der Luftbeförderungsvertrag, wenn die Beförderung entgeltlich erfolgt, als Werkvertrag zu klassifizieren, dessen Gegenstand der Ortswechsel von Personen und Sachen ist.19 Primär trifft das Luftfahrtunternehmen die Pflicht, den Fluggast zum vereinbarten Zeitpunkt zum vorhergesehenen Bestimmungsort mit einem sicheren und pünktlichen Flug zu transportieren.20 Die Beförderung zum vereinbarten Zeitpunkt ist hierbei wesentlicher Vertragsbestandteil und nicht etwa nur eine unverbindliche Flugzeitangabe.21 16 Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. Mai 1999 (BGBl. 2004 II S. 458), zuletzt geändert durch Art. 1 Zweite VO über die Inkraftsetzung der angepassten Haftungshöchstbeträge des Montrealer Übereinkommens vom 3. Dezember 2019 (BGBl. II S. 1098). 17 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. L 46/1 vom 17. Februar 2004 (nachfolgend: Fluggastrechte- VO). Vgl. insofern Fachbereich Europa, Folgen bei Verspätung oder Ausfall von Flug-, Pauschal- und Bahnreisen nach Unionsrecht, Az. PE 6 - 3000 - 030/21, 26. Mai 2021, S. 4 ff. 18 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 1. 19 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 1. 20 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 31. 21 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 9 Entsteht dem Fluggast wegen der Verletzung von Haupt- oder Nebenleistungspflichten ein Schaden , ist dieser vom Luftfahrtunternehmen gemäß §§ 280 Absatz 1, 276 BGB zu ersetzen.22 Während die Fluggastrechte-VO „standardisierte Mindestrechte gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen schafft, um sofort die durch die Nichtbeförderung, Annullierung und Verspätung geschaffenen Unannehmlichkeiten zu beseitigen, kann der Fluggast darüber hinausgehende Schäden nach dem nationalen Leistungsstörungsrecht gegen den vertraglichen Luftfahrtunternehmer aus dem Beförderungsvertrag geltend machen.“23 Der höchstrichterlichen Rechtsprechung zufolge ist der Luftbeförderungsvertrag dabei regelmäßig als relatives Fixgeschäft im Sinne von § 323 Absatz 2 Nr. 2 BGB einzustufen, so dass die Nichteinhaltung der Leistungszeit nicht zu einer Unmöglichkeit der Leistung führt.24 Bei Nichtbeförderung oder Annullierung kann der Fluggast zwischen Erfüllung und Rücktritt wählen.25 Letzterer ist jedoch ausgeschlossen, wenn eine lediglich unerhebliche Pflichtverletzung vorliegt – weshalb dem Fluggast grundsätzlich in Anlehnung an die Fluggastrechte-VO eine gewisse, je nach geplanter Flugdauer variierende Wartezeit zumutbar ist.26 Im Falle eines Rücktritts ist der gezahlte Preis nach § 346 Absatz 1 BGB ohne Abzüge zu erstatten.27 Hat der Fluggast zusätzlich einen individuellen Schaden erlitten, kann er diesen ggf. nach den §§ 275, 280 Absätze 1 und 2, 283 BGB geltend machen, soweit ein Verschulden des Luftfahrtunternehmens vorliegt .28 Nutzlos aufgewendete Urlaubszeit kann hierbei im Gegensatz zur Rechtslage bei Pauschalreisen (§ 651n Absatz 2 BGB) nicht als Schaden geltend gemacht werden.29 Im Falle der Flugverspätung ergeben sich die Mindestrechte des Fluggastes vorrangig aus der Fluggastrechte-VO, dem Montrealer Übereinkommen sowie der VO (EG) Nr. 2027/9730.31 22 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 33. 23 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 55. 24 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 56 m.w.N. 25 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 61. 26 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 61. 27 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 61. 28 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 61. 29 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 64. 30 Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen, ABl. L 285/1 vom 17. Oktober 1997. 31 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 65. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 10 3.3. Spezielles Regelungsregime bei Bahnreisen Die zwischen dem Reisenden und dem Eisenbahnverkehrsunternehmen zustande kommenden Beförderungsverträge sind zivilrechtlich regelmäßig als Werkverträge gemäß §§ 631 ff. BGB einzustufen .32 Die Vorschriften des nationalen Zivilrechts greifen jedoch nur, insofern sie nicht durch vorrangiges Unionsrecht oder nationale Spezialregelungen verdrängt werden.33 Dies ist hinsichtlich Verspätungen oder Fahrtausfall jedoch grundsätzlich der Fall, da die Haftung für Verspätungen, verpasste Anschlüsse und Zugausfälle detailliert in den Artikeln 15 bis 18 der europäischen Fahrgastrechte-Verordnung34 geregelt sind.35 Auch für Folgeschäden soll dieser Vorrang greifen: die nationalen werkvertragsrechtlichen Regelungen würden verdrängt und seien mithin nicht anwendbar.36 Hinsichtlich des inländischen Schienenpersonennahverkehrs wiederum verdrängen die einschlägigen Regelungen der Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO)37 die Schadensersatzregelungen des allgemeinen zivilrechtlichen Werkvertragsrechts.38 Die Rechte der Reisenden bei Verspätungen und Zugausfall regelt insofern § 8 EVO: § 8 Verspätung im Schienenpersonennahverkehr (1) Besitzt der Reisende einen Fahrausweis, der ausschließlich für den öffentlichen Personennahverkehr gilt, so hat er, sofern vernünftigerweise davon ausgegangen werden muss, dass er wegen eines Ausfalls oder einer Unpünktlichkeit des von ihm gemäß dem Beförderungsvertrag gewählten Zuges eines Eisenbahnverkehrsunternehmens verspätet am Zielort ankommen wird, neben den in der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 genannten Rechten und Ansprüchen die folgenden Rechte: 1. Der Reisende kann die Fahrt zum vertragsgemäßen Zielort mit einem anderen Zug durchführen , sofern vernünftigerweise davon ausgegangen werden muss, dass der Reisende mindestens 20 Minuten verspätet am Zielort ankommen wird. Der Reisende kann die Benutzung des anderen Zuges jedoch nicht verlangen, wenn für diesen eine Reservierungspflicht besteht oder der Zug eine Sonderfahrt durchführt. 2. Der Reisende kann die Fahrt zum vertragsgemäßen Zielort mit einem anderen Verkehrsmittel durchführen, sofern die vertragsgemäße Ankunftszeit in den Zeitraum zwischen 0.00 Uhr 32 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 45 Rn. 1. 33 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 45 Rn. 1. 34 Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr, ABl. L 315/14 vom 3. Dezember 2007. 35 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 45 Rn. 1, 79 ff., 88 ff. Vgl. insofern Fachbereich Europa, „Folgen bei Verspätung oder Ausfall von Flug-, Pauschal- und Bahnreisen nach Unionsrecht“, Az. PE 6 - 3000 - 030/21, 26. Mai 2021, S. 8 f. 36 Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 45 Rn. 83. 37 Eisenbahn-Verkehrsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. April 1999 (BGBl. I S. 782), die zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 30. November 2019 (BGBl. I S. 1942) geändert worden ist. 38 Vgl. Führich, in: Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 45 Rn. 112 ff. sowie Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 651y Rn. 11, jeweils noch bezogen auf § 17 EVO alter Fassung, der insofern die heute in § 8 EVO enthaltene Regelung enthielt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/21 Seite 11 und 5.00 Uhr fällt und vernünftigerweise davon ausgegangen werden muss, dass der Reisende mindestens 60 Minuten verspätet am Zielort ankommen wird, oder sofern es sich bei dem vom Reisenden gewählten Zug um die letzte fahrplanmäßige Verbindung des Tages handelt und der Reisende wegen des Ausfalls dieses Zuges den vertragsgemäßen Zielort ohne die Nutzung des anderen Verkehrsmittels nicht mehr bis um 24.00 Uhr erreichen kann. (2) Macht der Reisende von seinem Recht nach Absatz 1 Gebrauch, so kann er von demjenigen , mit dem er den Beförderungsvertrag geschlossen hat, Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, für eine Beförderung nach Absatz 1 Nr. 2 jedoch nur die erforderlichen Aufwendungen bis zu einem Höchstbetrag von 80 Euro. (2a) Reisende, die wegen Ausfalls oder Unpünktlichkeit des Zuges gemäß Absatz 1 mit einem anderen Zug fahren wollen, können von der Beförderung mit einem bestimmten anderen Zug ausgeschlossen werden, wenn ansonsten eine erhebliche Störung des Betriebsablaufs zu erwarten ist. (3) Dem Reisenden steht der Anspruch nach Absatz 2 nicht zu, wenn der Ausfall oder die Unpünktlichkeit des Zuges auf eine der folgenden Ursachen zurückzuführen ist: 1. betriebsfremde Umstände, die das Eisenbahnverkehrsunternehmen, das den Zug betreibt, trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen es nicht abwenden konnte; 2. Verschulden des Reisenden; 3. Verhalten eines Dritten, das das Eisenbahnverkehrsunternehmen, das den Zug betreibt, trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen es nicht abwenden konnte. Liegt eine der in Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 3 genannten Ursachen vor, so kann sich derjenige, mit dem der Reisende den Beförderungsvertrag geschlossen hat, hierauf nur berufen, wenn der Reisende über die Ursache rechtzeitig unterrichtet wurde oder wenn die Ursache offensichtlich war. Der Betreiber der Eisenbahninfrastruktur, auf der die Beförderung erfolgt, ist im Verhältnis zum Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht als Dritter anzusehen. * * *