© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 052/18 Das Baugebot nach § 176 BauGB Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/18 Seite 2 Das Baugebot nach § 176 BauGB Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 052/18 Abschluss der Arbeit: 15. März 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Städtebauliche Erforderlichkeit 5 3. Wirtschaftliche Zumutbarkeit 5 4. Einschränkungen 6 5. Gebotsanordnung 6 6. Durchsetzung 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/18 Seite 4 1. Einleitung Grundsätzlich eröffnen die Festsetzungen eines Bebauungsplans dem Grundeigentümer fakultative Nutzungsmöglichkeiten hinsichtlich seines Grundstücks. Von diesem Grundsatz der Angebotsplanung stellen die in den §§ 175 bis 179 Baugesetzbuch (BauGB) 1 geregelten städtebaulichen Gebote Ausnahmeregelungen dar.2 Neben dem Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot (§ 177 BauGB), dem Pflanzgebot (§ 178 BauGB) und dem Rückbau- und Entsiegelungsgebot (§ 179 BauGB) ist das Baugebot nach § 176 BauGB eines der städtebaulichen Gebote. Durch Anordnung eines solchen Gebots kann eine Gemeinde einen Grundeigentümer aus städtebaulichen Gründen zu bestimmten Maßnahmen auf seinem Grundstück verpflichten. Der Gemeinde wird somit ermöglicht, unter bestimmten Voraussetzungen die Verwirklichung der zulässigen Nutzung der Grundstücke zu erzwingen.3 Bereits durch die Signalwirkung dieses Rechtsinstruments wird die Stellung der Gemeinden gegenüber den Grundeigentümern gestärkt.4 Baugebote kann die Gemeinde im Geltungsbereich eines Bebauungsplans sowie innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen i. S. v. § 34 BauGB erlassen. Gemäß § 176 Absatz 1 BauGB kann eine Gemeinde einem Grundeigentümer im Geltungsbereich eines Bebauungsplans durch Bescheid die Pflicht auferlegen, „innerhalb einer zu bestimmenden angemessenen Frist 1. sein Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zu bebauen oder 2. ein vorhandenes Gebäude oder eine vorhandene sonstige bauliche Anlage den Festsetzungen des Bebauungsplans anzupassen.“ Im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB kann nach § 176 Absatz 2 BauGB ein Baugebot angeordnet werden, „um unbebaute oder geringfügig bebaute Grundstücke entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen oder einer baulichen Nutzung zuzuführen, insbesondere zur Schließung von Baulücken.“ 1 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634). 2 Brenner, Öffentliches Baurecht, 4. Auflage 2014, Rn. 917; Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 1. 3 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 175 Rn. 3. 4 Schmidt-Eichstaedt/Weyrauch/Zemke, Städtebaurecht, 5. Auflage 2014, S. 498; Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 175 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/18 Seite 5 2. Städtebauliche Erforderlichkeit Ein Baugebot setzt zunächst voraus, dass die alsbaldige Durchführung der anzuordnenden Maßnahme aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist, wobei das Gesetz klarstellt, dass hierbei ein dringender Wohnbedarf der Bevölkerung Berücksichtigung finden kann (vgl. § 175 Absatz 2 BauGB). Die städtebauliche Erforderlichkeit ergibt sich nicht bereits aus einem etwaigen Bebauungsplan. Es bedarf vielmehr eines öffentlichen Interesses an der anzuordnenden Maßnahme, das im Rahmen einer Abwägung mit den Interessen des betroffenen Eigentümers überwiegen muss.5 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn für die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen eine Gemeinbedarfseinrichtung erbaut werden soll.6 Ermöglicht der Bebauungsplan unterschiedliche bauliche Nutzungen eines Grundstücks, müssen zur Anordnung eines Baugebots alle nach dem Bebauungsplan möglichen Varianten städtebaulich erforderlich sein, damit der Grundeigentümer nicht unzulässig in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird.7 Bei einem Grundstück im unbeplanten Innenbereich i. S. v. § 34 BauGB kann ein Baugebot insbesondere zur Schließung von Baulücken angeordnet werden (vgl. § 176 Absatz 2 BauGB). In einem solchen Fall ergibt sich die städtebauliche Erforderlichkeit in der Regel bereits aus der Verbesserung des Ortsbildes.8 Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem entschieden, dass ein Wohnungsmangel eine entsprechende Baulückenschließung erforderlich machen könne.9 Das Gericht führte weiter aus, dass eine städtebauliche Erforderlichkeit auch daraus resultieren könne, dass durch die Schließung vorhandener Baulücken das Bedürfnis nach Erschließung neuen Baulandes entfalle und dadurch die vorhandene städtische Infrastruktur besser genutzt werde.10 Grundsätzlich seien viele der in § 1 Absatz 6 BauGB aufgeführten öffentlichen Belange geeignet, eine städtebauliche Erforderlichkeit zu begründen.11 3. Wirtschaftliche Zumutbarkeit Ferner kann ein Baugebot nur dann angeordnet werden, wenn die durchzuführende Maßnahme für den Grundeigentümer objektiv wirtschaftlich zumutbar ist; andernfalls hat die Gemeinde von 5 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 175 Rn. 17, 19. 6 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 6. 7 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 13. Auflage 2016, § 176 Rn. 3; Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 6. 8 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 9. Siehe Rn. 10 für weitere Beispiele. 9 BVerwG, Urteil vom 15.02.1990, 4 C 41/87, NVwZ 1990, 658, 661. 10 Ebenda. 11 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/18 Seite 6 einem Gebot abzusehen (vgl. § 176 Absatz 3 BauGB).12 Bei der Prüfung der objektiven wirtschaftlichen Zumutbarkeit ist auf die Sicht eines wirtschaftlich orientierten und vernünftig handelnden Eigentümers abzustellen. Diesem ist etwa zuzumuten, für die Baufinanzierung ein Darlehen aufzunehmen; übersteigen die Zinsen des Darlehens jedoch bereits die erzielbaren Erträge aus der durchzuführenden Maßnahme, ist von einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit auszugehen.13 Für die Anordnung des Baugebots kommt es dagegen nicht auf die persönlichen Verhältnisse des konkreten Grundeigentümers an: Ist die Maßnahme zwar objektiv wirtschaftlich zumutbar, nur für den konkreten Eigentümer subjektiv wirtschaftlich unzumutbar, hat der Grundeigentümer bei einem erlassenen Baugebot lediglich einen Übernahmeanspruch gegenüber der Gemeinde (vgl. § 176 Absatz 4 BauGB).14 Nach einer Übernahme des Grundstücks durch die Gemeinde ist es ihre Pflicht, die entsprechende Bebauung des Grundstücks zu veranlassen.15 4. Einschränkungen Gemäß § 175 Absatz 4 BauGB sind die städtebaulichen Gebote nicht auf Grundstücke anzuwenden , die bestimmten öffentlichen Zwecken dienen. Dies sind nach § 26 Nummer 2 und 3 BauGB zum Beispiel Grundstücke öffentlicher Bedarfsträger für Zwecke der Bundespolizei oder des Zivilschutzes sowie Grundstücke von Kirchen für Zwecke des Gottesdienstes oder der Seelsorge. Liegen jedoch die Voraussetzungen für ein Baugebot vor, kann die Gemeinde von dem jeweiligen Bedarfsträger die Durchführung der entsprechenden Maßnahme verlangen, soweit der Bedarfsträger dadurch nicht in der Erfüllung seiner Aufgaben beeinträchtigt wird (vgl. § 175 Absatz 4 Satz 2 BauGB). 5. Gebotsanordnung Sind die Voraussetzungen für ein Baugebot erfüllt, steht es im Ermessen der Gemeinde, eine entsprechende Anordnung zu treffen (vgl. § 176 Absatz 1 BauGB: „kann“). Die Anordnung des Baugebots ist ein Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)16 und hat zumindest in den Fällen, in denen das Gesetz den Begriff „Bescheid“ verwendet , schriftlich zu ergehen.17 Das Baugebot muss hinreichend bestimmt sein (vgl. § 37 Absatz 1 12 Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.1958, I C 29/58, NJW 1959, 165, 166: Ein Baugebot, das zu einer objektiv unwirtschaftlichen Maßnahme verpflichtet, hat einen enteignenden Charakter. 13 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 13. 14 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 13. Auflage 2016, § 176 Rn. 9. 15 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 17-19. 16 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 11 Absatz 2 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 17 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 175 Rn. 37; § 176 Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/18 Seite 7 VwVfG) und neben einer angemessenen Frist die städtebaulich erforderliche Maßnahme umschreiben .18 Adressat des Baugebots ist der Grundeigentümer, wobei ein Eigentümerwechsel unschädlich ist, da es sich um einen dinglichen Verwaltungsakt nach § 35 Satz 2 VwVfG handelt, der sich auf das Grundstück und nicht die konkrete Person bezieht.19 Gemäß § 175 Absatz 1 BauGB hat die Gemeinde vor Anordnung eines Baugebots grundsätzlich die durchzuführende Maßnahme mit allen Betroffenen20 zu erörtern und sie entsprechend zu beraten . Erfordert die Umsetzung des Baugebots eine – zumindest teilweise – Beseitigung einer baulichen Anlage, ist der Eigentümer hierzu auch ohne gesonderte Anordnung verpflichtet (vgl. § 176 Absatz 5 BauGB). Da das Baugebot die landesrechtlichen Vorschriften unberührt lässt (vgl. § 175 Absatz 5 BauGB), ersetzt die Anordnung des Baugebots nicht die auch nach Landesrecht zu beurteilende Baugenehmigung . Der Eigentümer ist aber verpflichtet, deren Erteilung durch Einreichung eines Bauantrags anzustreben.21 Die Gemeinde kann die Anordnung des Baugebots gemäß § 176 Absatz 7 BauGB mit einer Fristsetzung verbinden, innerhalb deren der Eigentümer die Baugenehmigung beantragt haben muss. Lässt er diese Frist verstreichen, kann die Gemeinde unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 176 Absatz 8 BauGB ein Enteignungsverfahren einleiten, und dies bereits vor Ablauf der Frist des § 176 Absatz 1 BauGB, die dem Grundeigentümer zur endgültigen Umsetzung des Baugebots gesetzt wird.22 6. Durchsetzung Das Baugebot kann vor allem durch Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes vollstreckt werden, was sich nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der Länder richtet.23 Ob die Gemeinde auf Kosten des Grundeigentümers einen Dritten mit der Durchführung der städtebaulichen Maßnahme beauftragen kann (sog. Ersatzvornahme), ist in Literatur und Rechtsprechung 18 Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.02.1990, 4 C 41/87, NVwZ 1990, 658, 659 f. zu den Anforderungen an die Bestimmtheit des Baugebots. 19 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 175 Rn. 37; § 176 Rn. 23. 20 Vgl. § 175 Absatz 1 Satz 2 BauGB. 21 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 13. Auflage 2016, § 175 Rn. 12; Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 28, 33. 22 Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 33, 35. 23 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 13. Auflage 2016, § 176 Rn. 14; Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 175 Rn. 38 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 052/18 Seite 8 umstritten.24 Als ultima ratio kommt eine Enteignung nach § 85 Absatz 1 Nummer 5 BauGB in Betracht.25 *** 24 Siehe für verschiedene Ansichten Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch, 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 30 ff. 25 BVerwG, Urteil vom 15.02.1990, 4 C 45/87, NVwZ 1990, 663, 665; Köhler/Fieseler, in: Schrödter, Baugesetzbuch , 8. Auflage 2015, § 176 Rn. 29.