© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 050/21 Einzelfragen zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 2 Einzelfragen zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 050/21 Abschluss der Arbeit: 8. Juni 2021 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Aktueller Diskussionsstand zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen 4 2.1. Verfassungsmäßigkeit 4 2.2. Verbreitung in der planerischen Praxis 5 2.2.1. Studie „Neue Stadtquartiere – Konzepte und gebaute Realität“ 5 2.2.2. Weitere empirische Untersuchungen 7 3. Allgemeine Durchführungsvoraussetzungen (§ 165 Abs. 3 BauGB) 7 3.1. Maßgebliche Kontrollinstanz 8 3.2. Gerichtlicher Kontrollmaßstab bei § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BauGB 9 3.2.1. Problematik der Prognoseentscheidung 9 3.2.2. Beginn und Ende des „absehbaren Zeitraums“ 11 3.2.3. Maximal zulässige Dauer des „absehbaren Zeitraums“ 11 3.3. Einbeziehung von Umweltschutzbelangen beim Beschluss der Entwicklungssatzung 12 3.3.1. Berücksichtigung bei § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB 12 3.3.2. Berücksichtigung beim allgemeinen baurechtlichen Abwägungsgebot 12 4. Fazit 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 4 1. Einleitung Das baurechtliche Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (§§ 165 ff. des Baugesetzbuches (BauGB)1) eröffnet Gemeinden das Recht, eine bedeutsame Teilfläche des Gemeindegebiets zusammenhängend erstmalig zu entwickeln oder städtebaulich neu zu ordnen.2 Besonderes Element dieser Befugnis ist die grundsätzliche „Erwerbs- und Reprivatisierungspflicht“3 der Gemeinden für die sich auf solchen Teilgebieten befindlichen Grundstücke. Somit agiert die Gemeinde über ihre bauleitplanerischen Befugnisse im herkömmlichen Städtebaurecht hinaus als Mobilisiererin von Bauland.4 Hierbei kann sie im Einzelfall auch mittels der „Durchgangsenteignung “ von Grundstücken in private Eigentumsrechte eingreifen.5 Den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages wurden bezüglich städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen mehrere Einzelfragen gestellt, die im Folgenden zusammenhängend beantwortet werden. 2. Aktueller Diskussionsstand zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen 2.1. Verfassungsmäßigkeit Die allgemeine Verfassungsmäßigkeit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme wird von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur nicht in Frage gestellt.6 Hiervon zu unterscheiden ist eine mögliche Verfassungswidrigkeit im Einzelfall, die sich nach der Recht- 1 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/ (letzter Abruf dieser und sämtlicher nachfolgender Internetquellen: 8. Juni 2021). 2 Vgl. § 165 Abs. 2 BauGB. 3 Begrifflichkeit übernommen von Mitschang, Wohnungsnot! – Hilft die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme?, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 2014, S. 276. 4 Dürsch/Rixner, in: Rixner/Biedermann/Charlier, Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO, 3. Auflage 2018, § 165 BauGB, Randnummer 4. 5 Vgl. zum Begriff und Thematik ausführlich bereits Wissenschaftliche Dienste, Verschiedene Parameter städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen (§§ 165 ff. BauGB), Dokumentation vom 18. Juni 2020, WD 7 - 3000 - 068/20, S. 7 f., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/706688/854e6bc101707bc69aeafff19836fb55/WD-7-068-20-pdf-data.pdf. 6 Vgl. Nachweise bei Schmitz, in: Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 52. Edition (Stand: 1. Februar 2021), § 165 BauGB, Randnummern 4 ff. und Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 140. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2020), Vorbemerkungen zu den §§ 165 bis 171 BauGB, Randnummer 41. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 5 sprechung insbesondere aus einer unzureichenden gemeindlichen Berücksichtigung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Grundgesetz (GG)7) der unter Umständen zu enteignenden Grundstückseigentümer ergeben kann.8 2.2. Verbreitung in der planerischen Praxis 2.2.1. Studie „Neue Stadtquartiere – Konzepte und gebaute Realität“ Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) hat im April 2021 zum Thema „Neue Stadtquartiere – Konzepte und gebaute Realität“ eine Studie veröffentlicht, die u. a. Aussagen zu neueren empirischen Entwicklungen bei städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen trifft.9 Dort ausgemachte Grundtendenz bei der Entwicklung neuer Stadtquartiere ist die häufige Kombination von im BauGB nicht geregelten informellen städtebaulichen Instrumenten (z. B. „städtebaulicher Rahmenplan“) mit formellen (z. B. Bebauungsplan, städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ).10 Im Gegensatz zu dem bei den formellen Instrumenten in über 90 % der Fälle eingesetzten (einfachen) Bebauungsplan als Teil des allgemeinen Städtebaurechts (§§ 1 bis 135 BauGB), komme die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme als Teil des besonderen Städtebaurechts (§§ 136 bis 191 BauGB) nur in knapp 11 % der untersuchten Quartiersentwicklungen zum Einsatz .11 Des Weiteren sei letztere in ihrer Verbreitung leicht rückläufig.12 Die insbesondere im Vergleich zur Quartiersentwicklung durch privatwirtschaftliche Akteure geringe Verbreitung von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen führt die Studie u. a. auf deren besondere Anwendungsvoraussetzungen , das hohe politische Konfliktpotenzial, aber auch auf ihre „besonderen Möglichkeiten im Hinblick auf die Preisgestaltung“ zurück.13 7 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/. 8 Decker, in: Schiwy, Baugesetzbuch (BauGB) – Sammlung des gesamten Bau- und Städtebauförderungsrechts des Bundes und der Länder, 177. Ergänzungslieferung (Stand: Mai 2021), Vorbemerkung zu §§ 165 ff. BauGB, S. 13 mit weiteren Nachweisen. 9 BBSR, Neue Stadtquartiere – Konzepte und gebaute Realität, BBSR-Online-Publikation 04/2021, abrufbar unter: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2021/bbsr-online-04-2021-dl.pdf;jsessionid =663C30E3BC289AC4C6DC91103A89E24D.live21302?__blob=publicationFile&v=2. 10 Ebenda, S. 40. 11 Ebenda, S. 37 und S. 38, Abbildung 10. 12 Ebenda, S. 37. 13 Ebenda, S. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 6 Dennoch stellt die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme der Studie zufolge das am häufigsten benutzte Instrument des besonderen Städtebaurechts dar.14 Die vergleichsweise geringe Fallzahl städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen sei zudem nicht so zu interpretieren, dass diese eine untergeordnete Rolle für die Entwicklung neuer Stadtquartiere spielten.15 Es sei vielmehr davon auszugehen, dass gerade die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme regelmäßig nur für städtebauliche Großprojekte zum Einsatz komme.16 An anderer Stelle heißt es hierzu: „Die politische Entscheidung für eine Durchführung von Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen scheint stark von den Vorerfahrungen der Kommunen abzuhängen. Dabei ist es auch denkbar, dass dieses Instrument des Besonderen Städtebaurechts in Kombination mit anderen informellen, vorbereitenden Instrumenten zum Einsatz kommt. Gleichsam als Gegenentwurf können kooperative Verfahren zur Planung und Umsetzung neuer Stadtquartiere zum Einsatz kommen. Eine zentrale Rolle können dabei städtebauliche Verträge in Kombination mit der Bebauungsplanung spielen.“17 In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass allgemeine städtebaurechtliche Instrumente wie städtebauliche Verträge (§ 11 BauGB) im Vergleich zu städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen auch in rechtlicher Hinsicht mildere Mittel sind.18 Im Fortgang der empirischen Untersuchung hebt die Studie hervor, dass von den 19 in die Untersuchung einbezogenen städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen nur 31,6 % deren letzte Stufe, die sogenannte Aufhebungssatzung, erreicht hätten.19 Die Studie bemerkt in ihrer Zusammenfassung dazu: „[…] Die wenigsten Maßnahmen werden vollständig umgesetzt, wobei die Kulisse der SEM [städtebauliche Entwicklungsmaßnahme] die starke Position der Gemeinde unterstreicht und dadurch andere (kooperative) Vorgehensweisen fördern kann. Die Anwendung scheint für kleinere Gemeinden aber mit Hemmnissen verbunden zu sein, die zum einen in der geringeren Größe der Projekte oder in der geringen Personalkapazität begründet sein könnten.“20 In Bezug auf eine mögliche Reformierung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme berichtet die Studie über Rückmeldungen aus Expertenkreisen folgendes: 14 Ebenda, S. 37 und S. 38, Abbildung 10. 15 Ebenda, S. 40. 16 Ebenda. 17 Ebenda, S. 39 [Hervorhebungen diesseits]. 18 Vgl. hierzu näher Wissenschaftliche Dienste (Fußnote 5), S. 5 f. 19 BBSR-Studie (Fußnote 9), S. 39. 20 Ebenda, S. 71 [Auslassung, Hinzufügung und Hervorhebungen diesseits]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 7 „Vom Kreis der Expertinnen und Experten wurde bestätigt, dass die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme zunehmend zumindest als Option betrachtet würde. Besonders für kleinere Kommunen erschienen die Hürden groß. Ein Hinweis war, dass eine Art „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme light“ als Instrument benötigt würde, das nicht so strikt, aber leichter umzusetzen sein sollte.“21 Auch die Studie erteilt im späteren Verlauf einen dahingehenden „Hinweis“: „Die bislang wenigen Anwendungsfälle der Instrumente des besonderen Städtebaurechts können auf bestehende Unsicherheiten auf Seiten der Gemeinden hindeuten. Der Einsatz beziehungsweise die Handhabung sollte diesbezüglich durch die Politik geprüft werden. Insbesondere für kleinere Kommunen könnten die Hürden einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zu hoch sein. Ein leichter zu handhabendes Instrument könnte sich positiv auf die Planungsverläufe und Realisierungschancen neuer Stadtquartiere, auch in kleineren Kommunen, auswirken.“22 2.2.2. Weitere empirische Untersuchungen Neben der BBSR-Studie hatten die Wissenschaftlichen Dienste in einem bereits veröffentlichten Gutachten die Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu verschiedenen Parametern städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen dokumentiert.23 Auch danach hoben das im Rahmen des Gutachtens angefragte BBSR und eine andere Literaturquelle die Konzentration städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen auf bestimmte Großprojekte hervor.24 3. Allgemeine Durchführungsvoraussetzungen (§ 165 Abs. 3 BauGB) Das deutsche Baurecht sieht die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme als mehrstufiges Verfahren vor.25 Zentral ist dabei der Beschluss der Entwicklungssatzung durch die Gemeinde.26 Dessen inhaltliche Voraussetzungen ergeben sich aus § 165 Abs. 3 BauGB. Sie lauten auszugsweise: 21 Ebenda, S. 40 [Hervorhebungen diesseits]. 22 Ebenda, S. 72 [Hervorhebungen diesseits]. 23 Wissenschaftliche Dienste (Fußnote 5), S. 12 ff. 24 Ebenda. S. 12 f. 25 Einzelheiten ebenda, S. 4 ff. 26 § 165 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 165 Abs. 6 BauGB. Aufgrund kommunalrechtlicher Besonderheiten wird die förmliche Festsetzung in den Stadtsaaten Berlin und Hamburg statt durch Satzung durch Rechtsverordnung vollzogen, vgl. § 27 Abs. 1 Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches (AGBauGB) Berlin (https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-BauGBAGBEV2P27) bzw. § 4 Satz 1 Bauleitplanungsfeststellungsgesetz Hamburg (http://www.landesrechthamburg .de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?nid=5&showdoccase=1&doc.id=jlr-BauleitplGHAV3P4&st=lr). Zudem sieht § 166 Abs. 4 BauGB vor, dass eine Gemeinde die Vorbereitung und Durchführung der Entwicklungsmaßnahme einem Planungsverband übertragen kann. Der Einfachheit halber werden im Folgenden dennoch pauschal die Begriffe „Satzung“ und „Gemeinde“ verwandt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 8 „(3) 1Die Gemeinde kann einen Bereich, in dem eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchgeführt werden soll, durch Beschluss förmlich als städtebaulichen Entwicklungsbereich festlegen, wenn […] 2. das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfordert, insbesondere zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten , zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen oder zur Wiedernutzung brachliegender Flächen, […] 4. die zügige Durchführung der Maßnahme innerhalb eines absehbaren Zeitraums gewährleistet ist. 2Die öffentlichen und privaten Belange sind gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen .“27 3.1. Maßgebliche Kontrollinstanz Anders als nach früherer Rechtslage unterliegen Entwicklungssatzungen nicht mehr der Genehmigungspflicht durch die höhere Verwaltungsbehörde.28 Ungeachtet einer etwaigen (sich maßgeblich nach dem jeweiligen Landesrecht richtenden) rechtsaufsichtlichen Überprüfung innerhalb der Exekutive, findet die gerichtliche Kontrolle von Entwicklungssatzungen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit statt. Im öffentlichen Recht werden Satzungen grundsätzlich als von bestimmten Körperschaften (hier: Gemeinden als kommunale Selbstverwaltungskörperschaften) gesetzte Rechtsnormen definiert.29 Deren Inhalt kann von Verwaltungsgerichten prinzipiell auf zwei Wegen überprüft werden, wobei sich die Form der Kontrolle nach dem jeweiligen Begehren richtet: – Richtet sich ein Antrag abstrakt gegen die Entwicklungssatzung selbst, ist hierzu gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)30 die sogenannte abstrakte (prinzipale) 27 § 165 Abs. 3 BauGB [Hervorhebungen und Auslassungen diesseits]. 28 Schmitz, in: Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 52. Edition (Stand: 1. Februar 2021), § 165 BauGB, Randnummer 41.1. 29 Näher Weber, in. Creifelds, Rechtswörterbuch, 26. Edition 2021, Stichwort „Satzung“. 30 Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 15 Absatz 9 des Gesetzes vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) geändert worden ist, abrufbar unter : https://www.gesetze-im-internet.de/vwgo/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 9 Normenkontrolle vor den jeweils örtlich zuständigen Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen der Länder31 statthaft.32 Kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass die geprüfte Satzung ganz oder ein von ihr abtrennbarer Teil ungültig ist, so erklärt es sie insoweit allgemeinverbindlich für unwirksam.33 – Daneben besteht die Möglichkeit der sogenannten inzidenten Normenkontrolle durch die Verwaltungsgerichte, wenn sich das Begehren etwa gegen eine bestimmte Maßnahme im Rahmen einer städtebaulichen Maßnahme richtet (Bsp.: Enteignung). Dort findet die Rechtmäßigkeit der Satzung als Vorfrage Eingang in den Prozess.34 Falls das Gericht im Rahmen dieser Prüfung die Satzung als unwirksam erachtet, hat es die Satzung lediglich für die Entscheidung im konkreten Rechtsstreit als ungültig zu erachten.35 Die Art des Rechtsbehelfs (z. B. Anfechtungs- oder Leistungsklage) hängt dabei von der Rechtsqualität der angegriffenen Maßnahme ab. 3.2. Gerichtlicher Kontrollmaßstab bei § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BauGB Was die Satzung betrifft, erstreckt sich die gerichtliche Kontrolle inhaltlich in allen Fällen auf deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, hier konkret auf die Erfüllung der Anforderungen der bundesgesetzlichen Regelung des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BauGB. 3.2.1. Problematik der Prognoseentscheidung § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BauGB erhebt die „zügige Durchführung“ einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme „innerhalb eines absehbaren Zeitraums“ zu einer Voraussetzung für deren Beschluss. Da es hierbei um zukünftige Umstände geht, kann deren Vorliegen durch die Entscheidungsträger im Beschlusszeitpunkt nicht abschließend festgestellt, sondern lediglich prognostiziert werden.36 Auf der anderen Seite wird ein Gericht in aller Regel im Nachhinein zur in- 31 In manchen Bundesländern wie Bayern führen die Oberverwaltungsgerichte weiter den tradierten Namen „Verwaltungsgerichtshof “ (Wolff, in: Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 57. Edition (Stand: 1. April 2021), § 184 VwGO, Randnummer 1). 32 Der Wortlaut von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO schließt dabei auch die Kontrolle von „Entwicklungsrechtsverordnungen “ in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg ein (vgl. bereits Fußnote 26). 33 § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Vgl. näher zur Teilunwirksamkeitserklärung Giesberts, in: Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 57. Edition (Stand: 1. April 2021), § 47 VwGO, Randnummer 76. 34 Beispiel übernommen von Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 140. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2020), § 165 BauGB, Randnummer 137. 35 Panzer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung: VwGO, 39. Ergänzungslieferung (Stand: Juli 2020), § 47 VwGO, Randnummer 8. 36 Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 2. Oktober 1986 – III ZR 99/85 –, Randnummern 31 f. zur wortgleichen Vorgängernorm, § 53 Abs. 1 Nr. 3 StBauFG (zitiert nach juris). Ansicht für die aktuelle Rechtslage übernommen etwa durch Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 165 BauGB, Randnummer 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 10 haltlichen Kontrolle einer Entwicklungssatzung zu einem Zeitpunkt herangezogen, in dem aufgrund des Nichteintreffens gemeindlicher Prognosen bereits eine nachteilige Situation entstanden sein kann. Grundsätzlich folgt aus dem grundgesetzlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes , Art. 19 Abs. 4 GG, eine gerichtliche Vollkontrolle von Verwaltungsentscheidungen.37 Die gerichtliche Kontrolldichte ist allerdings in der Fallgruppe der Prognoseentscheidungen beschränkt : Zunächst knüpft die gerichtliche Kontrolle an den Zeitpunkt des Treffens der Prognose an, der Zeitpunkt der Beschlussfassung der Entwicklungssatzung.38 Ausgehend davon sind Prognosen gerichtlich lediglich daraufhin überprüfbar, ob sie mit den seinerzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln methodisch richtig erstellt wurden und auf zutreffenden tatsächlichen Annahmen beruhen („Prognosefehler“).39 In diesen Grenzen steht der Verwaltung ein sogenannter Beurteilungs-, genauer Prognosespielraum zu.40 Insbesondere darf das prüfende Gericht nicht seine eigene Prognose an die Stelle der Verwaltung setzen.41 Eine Prognoseentscheidung wird zudem nicht nachträglich dadurch rechtswidrig, dass sie sich nicht bewahrheitet.42 Verläuft die tatsächliche Entwicklung anders als prognostiziert, kann dies allenfalls ein Indiz für eine unsachgemäß erstellte Prognose sein.43 Nichtsdestotrotz kann eine später abweichende tatsächliche Entwicklung den Entscheidungsträger dazu nötigen, seine Entscheidung zu überprüfen.44 Stellt sich etwa im Nachhinein aufgrund von zeitlichen Verzögerungen heraus, dass die zügige Durchführung der Entwicklungsmaßnahme innerhalb eines absehbaren Zeitraums nicht möglich sein wird, ist die Entwicklungssatzung ggf. durch die Gemeinde mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.45 37 Vgl. etwa Ludwigs, Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte, Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2020, S. 405, 409 mit weiteren Nachweisen. 38 So für die zügige Durchführung nach § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BauGB explizit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 3. Juli 1998 – 4 CN 5/97 –, Randnummer 57. Entsprechend auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Nichtannahmebeschluss vom 19. September 2007 – 1 BvR 1698/04 –, Randnummer 10 (beide zitiert nach juris). 39 BVerfG (Fußnote 38), Randnummer 10. So vorher auch schon zur alten Rechtslage, BGH (Fußnote 36), Randnummer 32. 40 Decker, in: Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 57. Edition (Stand: 1. April 2021), § 114 VwGO, Randnummern 35, 36f. 41 BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 – 4 C 51/89 –, Leitsatz 7 (zitiert nach juris). 42 BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 3 C 28/08 –, Randnummer 25 mit weiteren Nachweisen (zitiert nach juris). 43 BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2001 – 4 BN 55/00 –, Randnummer 13 (zitiert nach juris). 44 BVerwG (Fußnote 42), Randnummer 25 mit weiteren Nachweisen. 45 BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2004 – 4 BN 7/04 –, Randnummer 20 unter Bezugnahme auf § 169 Abs. 1 Nr. 8 in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB (zitiert nach juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 11 3.2.2. Beginn und Ende des „absehbaren Zeitraums“ Aus der Rechtsprechung zum Prognosespielraum lässt sich ebenfalls der Beginn und das Ende des „absehbaren Zeitraums“ gemäß § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BauGB unmittelbar ableiten: Er beginnt mit dem Beschluss der Entwicklungssatzung.46 Denn – wie gezeigt – ist dies der Zeitpunkt in dem die Prognoseentscheidung überhaupt erst getroffen wird und auf den auch die spätere gerichtliche Kontrolle abstellt. Auch der maßgebliche Endzeitpunkt ist entsprechend auf die Prognose bezogen, konkret der Zeitpunkt, den die Gemeinde anlässlich des Satzungsbeschlusses als Ende des Abwicklungszeitraumes veranschlagt (Abschluss der Bauarbeiten).47 3.2.3. Maximal zulässige Dauer des „absehbaren Zeitraums“ Eine maximal zulässige Dauer des „absehbaren Zeitraums“ zwischen Beginn und prognostiziertem Ende lässt sich nach Ansicht der Rechtsprechung nicht abstrakt festlegen.48 Insoweit komme es maßgeblich auf den Umfang und Komplexität der jeweiligen Entwicklungsmaßnahme an.49 Auch Finanzierungsgesichtspunkte spielten insofern eine Rolle, als sie geeignet sein könnten, die zügige Durchführung der Maßnahme innerhalb eines absehbaren Zeitraums in Frage zu stellen.50 Wie unter 3.2.1. dargelegt, ist dem prognostizierten Zeitraum ggf. die tatsächlich abgelaufene Zeit gegenüberzustellen. Die Rechtsprechung ist hier jedoch tendenziell großzügig: So haben Obergerichte gemeindlich veranschlagte Durchführungszeiten von 12, 15 oder 17 Jahren für zulässig erachtet .51 In Einzelfällen wie der großflächigen und komplexen Neuordnung des Berliner Parlaments - und Regierungsviertel seit den 1990er Jahren hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sogar einen tatsächlich abgelaufenen Zeitraum von über 23 Jahren gebilligt.52 Dabei geht allerdings aus den Entscheidungsgründen der ursprünglich von der Verwaltung prognostizierte Zeitraum nicht hervor. 46 So auch explizit zur Vorgängervorschrift, BGH (Fußnote 36), Randnummer 31, wobei die Festlegung nach der damaligen Rechtslage nicht als Satzung, sondern als Rechtsverordnung erfolgte. 47 Vgl. etwa BVerwG (Fußnote 38), Randnummer 57; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 2010 – 10 D 42/06.NE –, Randnummer 115 (zitiert nach juris). 48 BVerwG (Fußnote 45), Randnummer 19. 49 Ebenda. Vgl. auch vertiefend für einen Einzelfall BVerwG (Fußnote 38), Randnummer 57 (zitiert nach juris). 50 BVerwG (Fußnote 43), Randnummer 21 (zitiert nach juris). 51 Überblick bei Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 165 BauGB, Randnummer 24. 52 Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – OVG 2 S 21.16 –, Randnummer 16 (zitiert nach juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 12 3.3. Einbeziehung von Umweltschutzbelangen beim Beschluss der Entwicklungssatzung 3.3.1. Berücksichtigung bei § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB Neben der Voraussetzung der (prognostizierten) zügigen Durchführung innerhalb eines absehbaren Zeitraums verlangt § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB für den rechtswirksamen Beschluss einer Entwicklungssatzung, dass das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfordert. Das Gesetz gibt das Allgemeinwohl im Anschluss insbesondere mit der Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten, zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen oder zur Wiedernutzung brachliegender Flächen an. Dabei sind im Rahmen des Beschlusses einer Entwicklungssatzung auch potenzielle Zielkonflikte mit Umweltschutzbelangen aufzulösen, allerdings erst im Rahmen einer hiervon losgelösten allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Einzelnen bilden die Kriterien von § 165 Abs. 3 Satz 1 BauGB lediglich die erste Stufe einer zweistufigen Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Entwicklungssatzung: Bei der Prüfung der Erfüllung des Allgemeinwohlerfordernisses findet keine vollständige Abwägung statt, diese erfolgt erst im Anschluss gemäß § 165 Abs. 3 Satz 2 BauGB („Die öffentlichen und privaten Belange sind gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“).53 Das Erfordernis des Wohls der Allgemeinheit dürfte sich am ehesten mit einem „Positivkriterium“ beschreiben lassen, das u. a. erfüllt sein muss, um überhaupt zu einer späteren Abwägung mit allen widerstreitenden Belangen zu gelangen. Wie aus der beispielhaften Aufzählung in der Norm ersichtlich wird, verlangt § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB das Zusammentragen von Umständen durch die Gemeinde, die den großflächigen Siedlungsbau unter Zuhilfenahme möglicher Enteignungen rechtfertigen. Folglich ist Gegenstand dieser Prüfung nur der spezielle Konflikt dieses Ziels mit der alternativen kleinteiligen Entwicklung des Gebiets durch die Grundstückseigentümer selbst.54 Entsprechend ist auch die Voraussetzung des „Wohls der Allgemeinheit“ der Rechtfertigungsnorm von Enteignungen im Grundgesetz (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG) nachgebildet.55 Nichtsdestotrotz wird in der neueren Literatur unter diesem Kriterium auch die Klimagerechtigkeit als „Positivkriterium“ für einen Siedlungsbau diskutiert, der sich spezifisch diesem Ziel verschreibt.56 3.3.2. Berücksichtigung beim allgemeinen baurechtlichen Abwägungsgebot Da für die Entwicklungssatzung auch keine gesonderte Umweltprüfung vorgesehen ist, sind Umweltbelange allein im Rahmen des allgemeinen Abwägungsgebots gemäß § 165 Abs. 3 Satz 2 53 BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2010 – 4 BN 67/09 –, Randnummer 10 (zitiert nach juris). 54 Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 165 BauGB, Randnummer 18. 55 Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 140. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2020), § 165 BauGB, Randnummer 91. 56 Vgl. Mitschang, Klimaschutz und Klimaanpassung im Besonderen Städtebaurecht, Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht (ZfBR) 2020, S. 613, 618 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 13 BauGB zu berücksichtigen.57 Die Vorschrift wiederholt für die Entwicklungssatzung das allgemeine baurechtliche Abwägungsgebot der Bauleitpläne (§ 1 Abs. 7 BauGB) als Ausfluss des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.58 Entsprechend gelten auch die dortigen Grundsätze. Danach zählen zu den in die Abwägung einzustellenden öffentlichen Belangen neben den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung und der Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen auch etwa die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege .59 Als Ausdruck der Staatszielbestimmung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) enthält § 1a BauGB zudem weitere zu berücksichtigende Belange aus dem Bereich Umwelt- und Klimaschutz, die seit Einführung der Vorschrift 1998 stetig erweitert wurden.60 Der Bedarf an Bauland und der Umweltschutz stehen klassischerweise in einem widerstreitenden Verhältnis, weswegen diese Belange prinzipiell untereinander abzuwägen sind.61 Dabei ist durch die bisherige Rechtsprechung geklärt, dass kein abstrakter Vorrang bestimmter öffentlicher Belange besteht.62 Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in einer Entscheidung von 2002 explizit geurteilt, dass auch die aus Art. 20a GG folgenden Belange dieses prinzipielle Gleichgewicht der Belange nicht verändern.63 Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerf GH) gelangte 2013 ebenfalls zu dieser Auffassung.64 Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird allerdings zum Teil eine verpflichtend vorrangige Berücksichtigung von Umweltinteressen gefordert.65 57 Decker, in: Schiwy, Baugesetzbuch (BauGB) – Sammlung des gesamten Bau- und Städtebauförderungsrechts des Bundes und der Länder, 177. Ergänzungslieferung (Stand: Mai 2021), § 165 BauGB, S. 28. So ebenfalls geschehen durch das BVerwG (Fußnote 38), Randnummern 58 ff. 58 Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 140. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2020), § 165 BauGB, Randnummer 91. 59 Alle diese Punkte finden sich in einzelnen Nummern von § 1 Abs. 6 BauGB, aus dem sich die Liste der öffentlichen Belange insbesondere speist (vgl. näher Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 1 BauGB, Randnummer 101). 60 Überblick bei Wagner, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 140. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2020), § 1a BauGB, Randnummern 1 ff. 61 Söfker/Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 140. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2020), § 1 BauGB, Randnummer 204. 62 Dirnberger, in: Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 52. Edition (Stand: 1. November 2018), § 1 BauGB, Randnummer 162 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 5. April 1993 – 4 NB 3/91 –, Randnummer 47 (zitiert nach juris). 63 BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2002 – 4 BN 51/02 –, Leitsätze (zitiert nach juris). 64 BayVerfGH, Entscheidung vom 3. Dezember 2013 – Vf. 8-VII-13 –, Randnummer 44 (zitiert nach juris). 65 Vgl. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, § 20a GG, Randnummern 53, 70 f. mit weiteren Nachweisen zu dieser Ansicht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 14 Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) betraf die Verfassungswidrigkeit einzelner Vorschriften aus diesem Gesetz und somit einen anderen Themenkomplex als planerische Abwägungsentscheidungen im Baurecht.66 Entsprechend traf das Gericht zur hier interessierenden Thematik keine unmittelbaren Aussagen. Allerdings hebt das BVerfG das aus Art. 20a GG folgende staatliche Klimaschutzgebot hervor.67 Des Weiteren führt es aus: „Art. 20a GG genießt […] keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Das gilt auch für das darin enthaltene Klimaschutzgebot. Wegen der nach heutigem Stand weitestgehenden Unumkehrbarkeit des Klimawandels wäre eine Überschreitung der zum Schutz des Klimas einzuhaltenden Temperaturschwelle jedoch nur unter engen Voraussetzungen – etwa zum Schutz von Grundrechten – zu rechtfertigen. Zudem nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu.“68 Ob, und wenn ja welche Auswirkungen diese Aussagen auf künftige planerische Abwägungen in der Praxis und deren gerichtliche Kontrolle haben werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden, sondern wird zu beobachten sein. Soweit (weiter) der Grundsatz der Gleichrangigkeit der öffentlichen Belange im Baurecht gilt, ist vor allem die konkrete Gewichtigkeit und Betroffenheit der jeweiligen Belange im Einzelfall entscheidend .69 Sofern die Gemeinde dabei bestimmte Grundsätze beachtet, kommt ihr auch hier ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Spielraum zu, welchem Belang sie im Einzelfall ggf. den Vorrang einräumt.70 Im Übrigen stellt sich die gleiche Problematik bei der nachfolgenden Aufstellung von Bebauungsplänen im Plangebiet, wozu die Gemeinde im weiteren Verlauf der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme grundsätzlich verpflichtet ist.71 Auch dort gilt das allgemeine baurechtliche Abwägungsgebot .72 66 BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –. 67 Ebenda, Randnummer 198 (zitiert nach juris). 68 Ebenda [Auslassungen diesseits. Nachweise aus dem Original entfernt.] 69 Dirnberger, in: Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 52. Edition (Stand: 1. November 2018), § 1 BauGB, Randnummer 163. 70 Überblick bei Rixner/Biedermann/Charlier in: Rixner/Biedermann/Charlier, Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO, 3. Auflage 2018, § 1 BauGB, Randnummern 106 ff. 71 Vgl. § 166 Abs. 1 Satz 2 BauGB. 72 § 1 Abs. 2 und 7 BauGB. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 050/21 Seite 15 4. Fazit Die allgemein verfassungsrechtlich nicht in Zweifel gezogene städtebauliche Entwicklungsmaßnahme findet derzeit in der Praxis vor allem bei städtebaulichen Großprojekten größerer Kommunen Anwendung. Häufig wird dabei das gesetzliche Instrumentarium bewusst nur teilweise genutzt . Die förmliche Festlegung eines Entwicklungsgebietes erfolgt durch gemeindlichen Beschluss der Entwicklungssatzung. Dabei hat die Gemeinde Prognoseentscheidungen zu treffen, die nur der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Der Prognosezeitraum beginnt dabei mit Satzungsbeschluss und endet mit dem prognostizierten Ende des Abwicklungszeitraumes. Umweltschutzbelange finden im Rahmen der allgemeinen baurechtlichen Abwägungsprüfung Berücksichtigung . * * *