Deutscher Bundestag Ideologisch belastete Markenlogos Zu den Möglichkeiten, im Rahmen bestehender Gewerberaummietverträge mit Mitteln des Zivilrechts und des Gefahrenabwehrrechts gegen Mieter vorzugehen, die diese Markenlogos vertreiben Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 7 – 3000 - 049/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 2 Ideologisch belastete Markenlogos Zu den Möglichkeiten, im Rahmen bestehender Gewerberaummietverträge mit Mitteln des Zivilrechts und des Gefahrenabwehrrechts gegen Mieter vorzugehen, die diese Markenlogos vertreiben Verfasser: Ausarbeitung: WD 7 – 3000 – 049/10 Abschluss der Arbeit: 18. März 2010 Fachbereiche: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: WD 7: WD 3: Die Ausführungen zum Verbot nach Gefahrenabwehrrecht wurden von Fachbereich WD 3 verfasst . Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zivilrechtliche Ansprüche 4 2.1. Vertragliche Ansprüche 4 2.1.1. Räumungsanspruch wegen Kündigung 4 2.1.1.1. Ordentliche Kündigung 5 2.1.1.2. Außerordentliche Kündigung 5 2.1.1.2.1. Kündigungsgrund Aufklärungspflichtverletzung 5 2.1.1.2.2. Kündigungsgrund Verletzung Hausordnung 7 2.1.1.3. Kündigung aus wichtigem Grund 11 2.1.2. Störung der Geschäftsgrundlage 11 2.2. Vorvertragliche Ansprüche 12 2.3. Gesetzliche Ansprüche 12 2.3.1. Herausgabeansprüche 12 2.3.2. Unterlassungsanspruch 12 2.4. Zusammenfassung 13 3. Verbot nach Gefahrenabwehrrecht 13 3.1. Gefahrbegriff und Fallgruppen 13 3.2. Gewerberecht 14 3.3. Bauordnungsrecht 15 3.4. Jugendschutzrecht 15 3.5. Polizeirecht 16 3.6. Künftiges Recht 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 4 1. Einleitung Bundesweit vertreiben Läden Bekleidungsmarken, deren Tragen zwar nicht gemäß § 86a StGB1 strafbar ist2, die aber Rechtsextremen als identitätsstiftendes Erkennungszeichen dienten3 und die daher Unmut in der Öffentlichkeit hervorruften. Ausdruck diesen Unmuts sind Proteste und Sachbeschädigungen, etwa durch Farbbeutelwerfen an Fassaden und an Scheiben des vermieteten Geschäftes.4 Einige dieser Läden sollen offenbar als Treffpunkt von Personen mit rechtsextremer Gesinnung dienen.5. Für den Fall, dass Vermieter solcher Geschäftsräume bei Vertragsschluss nicht gewusst haben, welche Firma die angebotene Kleidung herstellt und welche Folgen dies für ihre Immobilien hat, soll nachfolgend untersucht werden, mit welchen zivilrechtlichen Möglichkeiten die Vermieter gegen den Verkauf der Ware vorgehen bzw. sich vom Mietvertrag lösen können bzw. ob sich der Betrieb dieser Läden nach Gefahrenabwehrrecht verbieten lässt. 2. Zivilrechtliche Ansprüche Das Zivilrecht kennt vertragliche, vorvertragliche und gesetzliche Anspruchsgrundlagen. Soweit es darum geht, Ansprüche ohne längeres Zuwarten geltend machen zu können, sind deren Voraussetzungen von der Antwort auf zwei Leitfragen abhängig. Zum einen, ob und inwieweit Mieter verpflichtet sind, den Verkauf von Waren der benannten Art vor Vertragsschluss anzuzeigen. Zum anderen, ob Hausordnungen den Verkauf dieser Waren verhindern können bzw. ob dies auch noch nach Abschluss des Mietvertrages durch Hausordnung geregelt werden kann. 2.1. Vertragliche Ansprüche 2.1.1. Räumungsanspruch wegen Kündigung Die Vermieter haben Anspruch auf Herausgabe der Wohnung gemäß § 546 Abs. 1 BGB6, wenn das Mietverhältnis beendet ist. Das Mietverhältnis ist durch Kündigung beendbar. Die Norm findet für Geschäftsräume entsprechende Anwendung.7 Geschäftsräume sind solche Räume, die nach dem Zweck des Vertrages zu geschäftlichen, insbesondere gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken angemietet sind.8 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998, BGBl. I, Seite 3322, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 2. Oktober 2009, BGBl. I, Seite 3214. 2 So im Fall des ehemaligen Logos der Marke „Thor Steinar“: Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 12. September 2005, Aktenzeichen: 1 Ss 58/05; Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 12. Dezember 2008, Aktenzeichen: 3 Ss 89/06. 3 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2008, S. 174. 4 Vgl. Nachweise bei Wikipedia, ebenfalls für die Marke „Thor Steinar“, online verfügbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Thor_Steinar (Stand dieser und weiterer Online-Quellen: 16. März 2010). 5 Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, Broschüre „Ladenschluss jetzt!“, 2009, Seiten 5f., als Online- Quelle verfügbar unter: http://www.mbr-berlin.de/start/get_file?file=PMMBR_Ladenschluss_Jetzt.pdf. 6 Bürgerliches Gesetzbuch, in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002, BGBl. I, Seite 42, 2909; 2003 I, Seite 738, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 28. September 2009, BGBl. I, Seite 3161. 7 Weidenkaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Auflage 2009, Einführung vor § 535, Rn. 93. 8 Weidenkaff (Fn. 7), Rn. 92. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 5 2.1.1.1. Ordentliche Kündigung Gemäß § 580a Abs. 2 BGB ist das Mietverhältnis bis spätestens am dritten Werktag eines Quartals zum Ablauf des folgenden Quartals ordentlich kündbar. Mithin beträgt die Frist knapp 6 Monate. Folglich kann das Mietverhältnis unter Wahrung der benannten Frist ohne Angabe eines Grundes 9 gekündigt werden. 2.1.1.2. Außerordentliche Kündigung Gemäß § 543 BGB kann jede Vertragspartei10 das Mietverhältnis auch außerordentlich fristlos kündigen, sofern ein wichtiger Grund vorliegt. Gemäß § 543 Abs. 1 S. 2 BGB ist dies der Fall, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen, die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. 2.1.1.2.1. Kündigungsgrund Aufklärungspflichtverletzung Denkbar ist, dieses Fehlverhalten in einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung zu sehen , weil der Mieter den Verkauf einer solchen ideologisch belasteten Marke nicht angezeigt hat. Dazu müssten den Mieter aber jene Aufklärungspflicht treffen. Hinsichtlich des Vertriebs der Modemarke „Thor Steinar“ gibt es widerstreitende gerichtliche Entscheidungen: Nach Auffassung des Landgerichts Berlin, bestätigt durch das Kammergericht Berlin, bestehen Aufklärungspflichten sowohl hinsichtlich der Absicht des Verkaufs der Marke, als auch hin sichtlich der negativen Presse über die Marke in der Öffentlichkeit und ihrer möglichen Konsequenzen im Hinblick auf öffentliche Proteste und Sachbeschädigungen.11 Die benannten Gerichte hatten einen Fall zu entscheiden, in denen die Mieterin vor Vertragsschluss über keine dieser beiden Komponenten aufgeklärt hatte. Die Gerichte führen zur Begründung an, grundsätzlich sei es zwar Sache jeder Partei, ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Daher müsse die andere Seite nicht ungefragt über alle ungünstigen Eigenschaften einer Sache oder Person aufklären. Allerdings müsse über Umstände aufgeklärt werden, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung seien.12 Bei Dauerschuldverhältnissen, wie Mietverträgen, stünden die gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten im Vordergrund.13 Soweit es um für den Vertragspartner nicht bekannte und nicht ohne weiteres erkennbare erhebliche Umstände gehe, die jedoch der anderen Partei 9 Vgl. Weidenkaff (Fn. 7), § 542, Rn. 1. 10 § 569 BGB gewährt nur dem Mieter weitere wichtige Gründe, fristlos zu kündigen. 11 Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. Oktober 2008, 29. Zivilkammer, Aktenzeichen: 29. O 143/08; Urteil des Kammergerichts Berlin vom 28. Mai 2009, 8. Zivilsenat, Aktenzeichen: 8 U 223/08. Die Urteile sind auf www.juris.de verfügbar. 12 Vgl. Kammergericht Berlin (Fn. 11), Rn. 32. 13 Kammergericht Berlin (Fn. 11), Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 6 bekannt seien, sei die mehr wissende Partei im Einzelfall redlicherweise zur Aufklärung verpflichtet . Die Einzelfallbetrachtung ergebe, dass dem Vermieter durch die Vertragsdurchführung eine Schädigung seines Ansehens und seines Vermögens drohten. Hierfür komme es lediglich auf das Image der angebotenen Ware an. Dieses Image provoziere Proteste, die Beendigung von anderen Mietverhältnissen und Anschläge auf die Ladenräume. Diese könnten wiederum zu Mietminderungen wegen Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache führen. Selbst wenn dem Vermieter der beabsichtigte Vertrieb der Ware durch die Mieterin offenbart worden wäre, reiche dies noch nicht aus, weil nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass jedem Vermieter das Label und die öffentliche Diskussion darüber bekannt seien oder bekannt sein müssten.14 Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt befand mit ähnlichen Erwägungen wie zuvor für einen gleich gelagerten Fall, den Mieter treffe nur die Aufklärungspflicht, den Vermieter vor Vertragsschluss über die Absicht des Verkaufs der ideologisch belasteten Marke zu informieren. Dies sei bereits ausreichend, da er dem Vermieter hierdurch ausreichend Gelegenheit geben würde, selbst Recherchen über die Marke anzustellen.15 Zu einem anderen Ergebnis kam das Landgericht Nürnberg-Fürth.16 Das Gericht hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem zwar der beabsichtigte Vertrieb der Marke, nicht aber die negative Presse und die möglichen Reaktionen der Öffentlichkeit durch die Mieterin mitgeteilt wurden. Es befand, dass keinerlei Aufklärungspflichten bestehen. Der Mieter sei bei Abschluss eines gewerblichen Mietvertrages weder verpflichtet, darüber aufzuklären, welche Marken er vertreiben wolle, noch dass solche Marken Dritte veranlassen könnten, ihren Protest dagegen durch Demonstrationen und Straftaten gegen das Mietobjekt kundzutun. Zur Begründung führt das Gericht aus, die Umstände, die zu einer fristlosen Kündigung des Vertragsverhältnisses führen können, stammten nicht aus der Sphäre der Mieterin. Die politische oder sonstige gesellschaftlich relevante Einstellung potentieller Käufer sei der Mieterin nicht zuzurechnen . Der Mieterin könne auch nicht angelastet werden, dass Bürger von ihrem Grundrecht auf Meinungsäußerung Gebrauch machten und hierbei unter Umständen auch Straftaten verübten . In Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt17 ging auch das Landgericht Nürnberg-Fürth davon aus, dass die Pflicht, den Vermieter zusätzlich über zu erwartende Reaktionen der Öffentlichkeit durch den Verkauf der Marke zu informieren, deshalb nicht bestehe, weil der Vermieter durch Nennung der Marke selbst in der Lage sei, Recherchen anzustellen. Dies sei beispielsweise durch Eingabe des Markennamens bei den gängigen Internetsuchmaschinen möglich . Höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Mietinteressent ungefragt offenlegen muss, welche Marken er in den Gewerberäumen vertreiben will bzw. ob er zusätzlich noch Hintergrundinformationen dieser Marken preisgeben muss, fehlt. Die zitier- 14 Landgericht Berlin (Fn. 11), Rn. 13. 15 Urteil des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. November 2008, 9. Zivilsenat, Aktenzeichen: 9 U 39/08, Rn. 42 bis 52. 16 Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12. Juni 2009, 14. Zivilkammer, Aktenzeichen: 14 O 139/09, Rn. 23 f. 17 Siehe Fn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 7 te Entscheidung des Kammergerichts Berlin wurde nicht rechtskräftig. Das Verfahren liegt dem Bundesgerichtshof vor.18 Der Bundesgerichtshof wird zudem über ein weiteres Verfahren mit teilweise identischer Rechtsfrage19 zu entscheiden haben.20 Wann mit den Urteilen zu rechnen ist und wie sie ausfallen werden, ist derzeit nicht absehbar. 2.1.1.2.2. Kündigungsgrund Verletzung Hausordnung Grund zur fristlosen Kündigung des Mietvertrages könnte die Verletzung der Hausordnung sein, wenn dort ein entsprechendes Verkaufsverbot verankert wurde und die Hausordnung den Mieter des Gewerberaumes bindet. 2.1.1.2.2.1.Hausordnung als zusätzliche Bestimmung zum Mietvertrag Durch Hausordnungen wird bei Häusern oder Wohnanlagen für mehrere oder zahlreiche Mieter der Vertragsinhalt zusätzlich bestimmt.21 Sie umfasst alle Regelungen, die den Gebrauch der gemieteten Räume und die Benutzung gemeinschaftlicher Einrichtungen betreffen. Die Hausordnung bedarf der vertraglichen Grundlage, sie muss aber nicht schriftlich festgelegt werden. Der Mieter muss lediglich Gelegenheit haben, sie in zumutbarer Weise zur Kenntnis zu nehmen.22 Fraglich ist, ob Regelungen in der Hausordnung zulässig sind, die den Vertrieb ideologisch belasteter Ware verbieten. Die Ausgestaltung und Akzeptanz von Hausordnungen unterliegt grundsätzlich der Gestaltungsfreiheit und Privatautonomie derer, die sich ihr unterwerfen. Diese beliebige Gestaltung von Verträgen, mithin auch der Hausordnung als Bestandteil des Mietvertrages, findet ihre Grenze im Gesetz, beispielsweise in gesetzlichen Verboten gemäß § 134 BGB, in der Vorschrift zum sittenwidrigen Rechtsgeschäft gemäß § 138 BGB oder in der Regelung zur Leistung nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Das Verbot, Ware bestimmter Marken zu verkaufen, könnte gegen Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)23 verstoßen. Individualvereinbarungen sind im Lichte des AGG an § 138 BGB zu messen, während Formularvereinbarungen bei einem Verstoß gegen das AGG eine unangemessene Benachteiligung darstellen und unwirksam sind.24 Zunächst kommt ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG in Verbindung mit § 1 AGG in Betracht. Dann müsste es sich um eine Benachteiligung in Bezug auf den Zugang zu unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position handeln. Eine Hausordnung, die den Verkauf einer bestimmten Marke verbietet, dürfte aber nicht den Zugang zur Erwerbstätigkeit, sondern vielmehr das Maß ihrer Ausübung beschränken. 18 BGH Aktenzeichen: XII ZR 123/09. 19 Vgl. Urteil des Kammergerichts Berlin (siehe Fn. 11). 20 BGH Aktenzeichen: XII ZR 192/08. 21 Vgl. Weidenkaff (Fn. 7), § 535, Rn. 20. 22 Weidenkaff (Fn. 21). 23 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006, BGBl. I, Seite 1897, zuletzt geändert durch Art. 15 Abs. 66 des Gesetzes vom 5. Februar 2009, BGBl. I, Seite 160. 24 Eisenschmidt, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, jurisPR-MietR 18/2006, Anm. 4, Seite 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 8 Mithin läge schon aus diesem Grund kein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG in Verbindung mit § 1 AGG vor. Daneben ist ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Nr.8 AGG in Verbindung mit § 1 AGG denkbar. Dann müsste es sich um eine Benachteiligung des Zugangs und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen , die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, handeln. Mit Dienstleistungen sind nicht nur Werk- und Dienstverträge gemeint, sondern auch Mietverträge.25 Angesichts des Schutzzwecks des AGG gemäß § 1 dieses Gesetzes ist aber fraglich, ob auch Mietverträge über Gewerberaum erfasst sind. Der Wortlaut von § 1 AGG lässt darauf schließen, dass die Diskriminierung stets einen persönlichen Bezug zu einem Individuum haben muss. Hier würde durch die Hausordnung jedoch nicht der Mieter selbst, sondern nur dessen Gewerbeausübung eingeschränkt. Unbeschadet einem Befinden hierzu, dürfte eine etwaige Diskriminierung durch entsprechende Ausgestaltung der Hausordnung auch gerechtfertigt sein. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nicht gegeben, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient. Der Ausschluss des Verkaufs bestimmter Marken in Hausordnungen zu Gewerbemietverträgen trüge hier dem Umstand Rechnung tragen, dass der Vertrieb dieser Marken Dritte provoziert, mit unlauteren Mittel ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen. Die Regelungen würden der Vermeidung von Gefahren und Verhütung von Schäden dienen. Mithin läge kein Verstoß gegen das AGG vor. Ferner bliebe noch die Möglichkeit, die Hausordnung wegen Verletzung der Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG für unwirksam zu erachten. Grundrechte sind zwar nach ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte, die ein Eingriffsverbot für den Staat begründen, konzipiert . Die Verpflichtung zur Beachtung der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung gilt aber auch zivilprozessrechtlich. Demzufolge wirken Grundrechte zumindest mittelbar auf die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten. Dies bezeichnet man als mittelbare Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht. Damit Grundrechte mittelbar im Privatrecht beachten werden müssen, bedarf es allerdings einer Norm, die hierzu einen Anwendungsbereich eröffnet, wie beispielsweise § 242 BGB.26 Soweit die Hausordnung mit entsprechendem Verbot von Anfang an Vertragsgegenstand war, kommt § 242 BGB jedoch nicht zur Anwendung. Dem Mieter ist es verwehrt, die ihn in seiner Tätigkeit einschränkende Hausordnung bei Vertragsschluss zu akzeptieren, um sich im Nachhinein darauf zu berufen, dass diese Einschränkung wegen Verletzung seiner Berufsausübungsfreiheit unzulässig sei. Wenn daher in der Hausordnung ein entsprechendes Verbot Eingang gefunden hat und die Hausordnung Bestandteil des Mietvertrages wurde, stellt dies einen Grund zur fristlosen Kündigung dar. Soweit eine entsprechende Einschränkung in der Hausordnung bei Vertragsschluss nicht vorgesehen war, ist eine nachträgliche Änderung der Hausordnung durch den Vermieter als einseitige Vertragsänderung grundsätzlich unzulässig. 25 Eisenschmidt (Fn. 23). 26 Heinrichs (Fn. 7), § 242, Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 9 2.1.1.2.2.2. Hausordnung nach Wohnungseigentümergesetz Von der oben dargestellten Hausordnung ist diejenige unterscheiden, die von einer Wohnungseigentümergemeinschaft gemäß § 21 Abs. 5 Nr. 1 WEG27 beschlossen werden kann. Streitig ist, ob diese Hausordnung auch ohne besondere Vereinbarung für die Mieter der Eigentumswohnung gilt, weil der Mieter mit dem Bestehen einer solchen Hausordnung von vornherein rechnen muss28, oder ob die von der Wohnungseigentümergemeinschaft beschlossene Hausordnung nur dann für den Mieter verbindlich ist, wenn diese Hausordnung auch in den Mietvertrag einbezogen wurde, weil die von der Wohnungseigentümergemeinschaft beschlossene Hausordnung grundsätzlich nur die Wohnungseigentümer selbst bindet.29 Die letzte Auffassung erscheint vorzugswürdig. Denn die Unterstellung, ein Mieter müsse mit der Existenz einer Hausordnung rechnen, wenn er eine Eigentumswohnung mietet, und er habe die Hausordnung daher im Grunde anerkannt, ohne ihren Inhalt zu kennen bzw. gar die Möglichkeit zur Kenntnisnahme zu haben, kommt einem Vertrag zu Lasten Dritter gleich. Ein Vertrag zu Lasten Dritter ist unzulässig. Mithin muss die Hausordnung in den Mietvertrag einbezogen worden sein, um für den Mieter verbindlich zu sein. Fraglich ist, ob die Normen des Wohnungseigentumsgesetzes auch für Gewerberäume Anwendung finden. Gemäß § 1 Abs. 1 WEG kann an Wohnungen, die nicht zu Wohnzwecken dienen, Teileigentum begründet werden. Gemäß § 1 Abs. 6 WEG gelten für Teileigentum die Vorschriften über das Wohneigentum entsprechend. Mithin finden die Normen des Wohnungseigentumsgesetzes auch für Gewerberäume Anwendung. Die Hausordnung gemäß § 21 Abs. 5 Nr. 1 WEG kann grundsätzlich in Form einer Vereinbarung oder eines Mehrheitsbeschlusses sowie durch die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung erstellt werden.30 Das Gericht entscheidet nach billigem Ermessen im Rahmen der formellen und materiellen Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes anstelle der Wohnungseigentümer .31 Diese dürfen aber Regelungen in einer Hausordnung nur dann treffen, wenn sie dispositionsbefugt sind. Die Grenzen zulässiger Regelungen sind unterschiedlich zu beurteilen. Sie sind davon abhängig, ob eine Vereinbarung oder ein Mehrheitsbeschluss vorliegt. Eine Vereinbarung ist ein privatrechtlicher Vertrag, dessen privatautonomer Gestaltung wiederum nur durch Gesetz, Grenzen gesetzt werden, siehe Ziffer 2.1.1.2.2.1. Verstößt die Vereinbarung hiergegen, ist sie nichtig.32 Wird die Hausordnung nur durch die Mehrheit beschlossen, so darf dieser Beschluss gemäß § 23 Abs. 4 WEG ebenfalls nicht gegen Rechtsvorschriften versto- 27 Wohnungseigentumsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 403-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 7. Juli 2009, BGBl. I, Seite 1707. 28 Weidenkaff ( Fn. 7), § 535, Rn. 20. 29 So auch Reichel-Scherer in: jurisPK-BGB, 4. Auflage 2008, § 21 WEG, Rn. 203. 30 Reichel-Scherer (Fn. 29), Rn. 191. 31 Reichel-Scherer (Fn. 29), Rn. 196. 32 Reichel-Scherer (Fn. 29), Rn. 207. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 10 ßen.33 Soweit die Hausordnung bei Abschluss des Mietvertrages bereits das Verbot enthielt, bestimmte Marken zu verkaufen, ist dies zulässig, siehe Ziffer 2.1.1.2.2.1. Fraglich ist, wie es sich mit der Zulässigkeit entsprechender Verbote in der Hausordnung verhält, wenn diese erst nachträglich geschaffen werden. Privatrechtliche Verträge (Vereinbarungen) und Mehrheitsbeschlüsse sind abänderbar.34 Soweit man davon ausgeht, dass die Hausordnung nicht automatisch für den Mieter eines Gewerberaumes verbindlich ist, sondern dass diese erst in den Mietvertrag einbezogen werden muss, wäre eine nachträgliche Hausordnung für den Mieter unbeachtlich. Soweit man mit der Gegenauffassung davon ausgeht, dass die Hausordnung für den Mieter auch ohne besondere Vereinbarung gilt, könnte eine den Mieter einschränkende nachträgliche Hausordnung unzulässig sein. Mit Abschluss des Mietvertrages ist der Vermieter gemäß § 242 BGB verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es fordern. Der Vermieter schuldet gemäß § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB Gebrauchsgewährung. Durch das nachträgliche Verbot , bestimmte Marken zu verkaufen, würde die Gebrauchsgewährung beschränkt. Nach Treu und Glauben muss sich der Mieter aber auf die Einhaltung der ursprünglichen „lastenfreien“ Vereinbarung verlassen können. Verträge sind einzuhalten. Dies muss insbesondere im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG gelten (mittelbare Wirkung von Grundrechten im Privatrecht). Die Mieter würden durch die Beschränkung in ihrer Berufsausübungsfreiheit verletzt. Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit sind nur gerechtfertigt, wenn sie aus Gründen vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls erfolgen und verhältnismäßig sind. Zwar wären Beschränkungen des Vertriebs grundsätzlich zu mindestens auch dem Gemeinwohl dienlich, sofern sie Übergriffen von Gegnern auf das Ladengeschäft und dessen unmittelbarem Umfeld vorbeugen sollen. Aber dies wäre nicht der einzige Zweck des Eingriffs, da er daneben in gleich starkem Maße dem Schutz der Vermögensinteressen der Vermieter dient, die durch unlautere Maßnahmen Dritter gegen den Verkauf ebenfalls bedroht sein können. Mithin ist schon fraglich, ob solche Eingriff aus Gründen des Gemeinwohls zulässig wären. Letztlich wären sie aber dann nicht verhältnismäßig, wenn der Mieter überwiegend oder ausschließlich Waren der Marke vertreibt, deren Verkauf nachträglich durch Hausordnung untersagt werden soll. Dies würde dem Mieter die Existenzgrundlage entziehen. Folglich wäre eine nachträgliche Einschränkung des Verkaufs durch Hausordnung unter den genannten Bedingungen unzulässig. 2.1.1.2.2.3. Zusätzliche Voraussetzungen neben der Verletzung der Hausordnung Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, dass wegen Verstoßes gegen die Hausordnung ein Grund zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 3 BGB vorliegt, würde dies den Mieter nur unter Beachtung der zusätzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 3 BGB zur fristlosen Kün- 33 Reichel-Scherer (Fn. 29), Rn. 208. 34 Zur Abänderbarkeit von Mehrheitsbeschlüssen vgl. Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 20. November 1997, Aktenzeichen: 2Z BR 93/97; Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 9. Juni 1975, Aktenzeichen: 2 Z 35/75. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 11 digung berechtigen. Denn unabhängig von der Art oder dem Zeitpunkt ihrer Ausgestaltung, muss die Hausordnung Bestandteil des Mietvertrages werden, um den Mieter rechtlich zu binden, bzw. sie bindet den Mieter, weil er mit ihr rechnen muss35. Mithin stellt ihre Verletzung eine Pflichtverletzung aus dem Mietvertrag gemäß § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB dar. Demzufolge wäre eine Kündigung erst nach Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 BGB gilt dies nur dann nicht, wenn eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht. 2.1.1.3. Kündigung aus wichtigem Grund Neben der außerordentlichen Kündigung kommt als weitere Möglichkeit der fristlosen Kündigung die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB in Betracht. Mietverträge sind Dauerschuldverhältnisse. Ein wichtiger Grund liegt gemäß § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Wenn aufgrund des Vertriebs der Bekleidungsmarke nachhaltig Störungen durch Dritte verursacht werden, kommt eine Kündigung gemäß § 314 BGB in Betracht. Insbesondere kommt es hierzu nicht darauf an, ob der Mieter zur Offenbarung des beabsichtigten Verkaufs oder der Vermieter zur Nachfrage verpflichtet ist. Ein Verschulden des anderen Teils ist weder erforderlich, noch ausreichend. Eigenes Verschulden schließt das Kündigungsrecht nicht notwendig aus. Auch vor dem Beginn des Dauerschuldverhältnisses liegende, dem Kündigenden zunächst unbekannte Umstände, können zur Kündigung berechtigen.36 Jedoch kann der Berechtigte gemäß § 314 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 314 Abs. 3 BGB nur binnen einer angemessenen Frist kündigen, sofern diese Fristsetzung nicht gemäß § 314 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB entbehrlich ist. Entbehrlichkeitsgründe gemäß § 323 Abs. 2 BGB sind aber fernliegend. Die angemessene Kündigungsfrist für Mietverträge kann ausnahmsweise bis zu 4 Monate betragen.37 Mithin bestünde zeitlich gesehen kaum ein Unterschied zur ordentlichen Kündigung. 2.1.2. Störung der Geschäftsgrundlage Eine Rückabwicklung des Mietvertrages über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB hängt, unbeschadet einem Befinden darüber, ob der unbeschränkte Verkauf von Waren Geschäftsgrundlage wurde, wiederum von der Frage ab, ob den Mieter Offenbarungspflichten treffen. Denn Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB) bzw. Rückabwicklung, sofern Vertragsanpassung nicht möglich ist (§ 313 Abs. 3 BGB), kommt gemäß § 313 Abs. 1 BGB nur in Betracht , wenn einem Teil unter Berücksichtigung des Einzelfalls ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Dies richtet sich insbesondere nach der vertraglichen oder 35 Siehe Ziffer 2.1.1.2.2.2. am Anfang zu dem Streit, unter welchen Voraussetzungen die Hausordnung gemäß § 21 Abs. 5 Nr. 1 WEG für den Mieter bindend ist. 36 Grüneberg, in: Palandt (Fn. 7), § 314, Rn. 7. 37 Grüneberg (Fn. 36), Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 12 gesetzlichen Risikoverteilung. Soweit der Mieter nicht zur Aufklärung verpflichtet gewesen wäre, lägen die mit der Nichtaufklärung verbundenen Risiken beim Vermieter. 2.2. Vorvertragliche Ansprüche Gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB kann Schadenersatz wegen Pflichtverletzung bei den Vertragsverhandlungen begehrt werden (culpa in contrahendo). Rechtsfolge dieses Schadenersatzanspruchs ist Naturalrestitution. Der zum Schadenersatz Verpflichtete hat gemäß § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Daher kann über diesen Grundsatz der Naturalrestitution auch die Rückabwicklung des Vertrages verlangt werden. Der Anspruch setzt gemäß § 311 Abs. 2 und 3 BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis und eine Pflichtverletzung gemäß § 241 Abs. 2 BGB voraus. Das darüber hinaus erforderliche Verschulden wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Das vorvertragliche Schuldverhältnis entsteht beispielsweise bereits schon durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Einzig problematisch ist die Pflichtverletzung aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Aufklärungspflichtverletzungen fallen zwar darunter. Wie oben (Ziffer 2.1.1.2.1. am Ende) bereits gezeigt, ist derzeit nicht absehbar, wie die der Bundesgerichtshof entscheiden wird. 2.3. Gesetzliche Ansprüche 2.3.1. Herausgabeansprüche Soweit der Vermieter den Mietvertrag erfolgreich anfechten kann, bestehen die gesetzlichen Herausgabeansprüche gemäß § 985 BGB (Eigentümer- Besitzer- Verhältnis) und § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB (Bereicherungsrecht). Als Anfechtungsgrund kommt arglistige Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 Fall 1 BGB in Betracht. Neben den weiteren Voraussetzungen müsste der Mieter den Vermieter bei Vertragsschluss getäuscht haben. Das Verschweigen von Tatsachen stellt jedoch nur dann eine Täuschung dar, wenn bezüglich der verschwiegenen Tatsache eine Aufklärungspflicht besteht. Demnach sind auch die gesetzlichen Herausgabeansprüche des Vermieters entscheidend von der zu erwartenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abhängig. 2.3.2. Unterlassungsanspruch Ein Unterlassungsanspruch des Vermieters gegen den Mieter gemäß § 1004 BGB, gerichtet auf die Unterlassung des weiteren Verkaufs der ideologisch belasteten Marke, erscheint fernliegend.38 Der Mieter wäre nicht tauglicher Adressat dieses Anspruchs. Er wäre nicht Störer gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Begriff des Störers ist streitig. Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen Handlungsstörern, Zustandsstörern und der Mehrheit von Störern.39 38 Anderer Auffassung ohne nähere Begründung Landgericht Berlin (Fn. 11), Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 13 Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung durch seine Handlung oder pflichtwidrige Unterlassung adäquat verursacht.40 Der Mieter kann weder unmittelbarer noch mittelbarer Handlungsstörer sein, weil er selbst rechtmäßig handelt. Der Vertrieb und das Tragen der Kleidung ist weder gesetzlich verboten und erst recht nicht strafbar. Zustandsstörer ist der Eigentümer/Besitzer/Verfügungsbefugte einer Sache, von der eine Beeinträchtigung ausgeht.41 Der Mieter ist nicht Zustandsstörer, weil von dem Laden selbst keine Beeinträchtigung ausgeht, sondern von Gegnern des Ladens. Bei Mehrheiten von Störern richtet sich der Anspruch gegen jeden dieser Störer, unabhängig vom Tatbeitrag.42 Diese setzt aber voraus, dass der Mieter neben den Dritten selbst Störer wäre, was nicht der Fall ist. 2.4. Zusammenfassung Insgesamt betrachtet gestaltet sich ein zivilrechtliches Vorgehen gegen Mieter von Gewerberaummietverträgen als schwierig, sofern der Verkauf ideologisch belasteter Ware dem Vermieter erst nach Vertragsschluss bekannt wird. Rechtlich gesichert ist lediglich das Mittel der ordentlichen Kündigung unter Wahrung der sechsmonatigen Kündigungsfrist. Ob eine vorzeitige Auflösung der Vertrages möglich ist, hängt davon ab, ob und inwieweit Aufklärungspflichten des Mieters bestehen. Hierzu bleibt die höchstrichterliche Rechtsprechung abzuwarten . Den Verkauf bestimmter Marken von Beginn des Mietverhältnisses an durch Hausordnung auszuschließen , begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken. Nachträgliche dahingehende Änderungen sind jedoch mindestens dann unzulässig, wenn der Mieter überwiegend oder ausschließlich die durch die Hausordnung untersagten Marken veräußert. 3. Verbot nach Gefahrenabwehrrecht 3.1. Gefahrbegriff und Fallgruppen Das gesamte Gefahrenabwehrrecht ist geprägt durch den Begriff der Gefahr. Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die öffentliche Sicherheit und Ordnung schädigen wird.43 39 Bassenge in: Palandt (Fn. 7), § 1004, Rn. 16 bis 26. 40 Bassenge (Fn. 39), Rn. 16. 41 Bassenge (Fn. 39), Rn. 19. 42 Bassenge (Fn. 39), Rn. 26. 43 BVerwGE 45, 51 (57). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 14 Hiernach sind folgende drei Fallgruppen zu unterscheiden: a. Das Geschäft vertreibt wiederholt verbotene Produkte (z. B. mit NS-ähnlichen Symbolen) und/oder dient wiederholt als Ort zur Begehung rechtsextremer Straftaten (Hitlergruß o. ä.). In diesem Fall liegt eine Gefahr zukünftiger Rechtsverletzungen vor; Maßnahmen der Gefahrenabwehr kommen in Betracht. b. Das Geschäft vertreibt im Einzelfall umstrittene Produkte, die sich – z. B. infolge einer Gerichtsentscheidung 44 – als verboten herausstellen und deren Verkauf das Geschäft sodann einstellt. Im Geschäft ist es allenfalls im Ausnahmefall zur Begehung einer rechtsextremen Straftat durch die Kunden gekommen. In diesem Fall dürfte noch keine Gefahr zukünftiger Rechtsverletzungen gegeben sein, die eine Betriebsschließung rechtfertigen würde. c. Das Geschäft vertreibt keine verbotenen Produkte. In dem Geschäft verkehren Kunden, die möglicherweise mit – nicht verbotenen – rechtsextremen Parteien sympathisieren. Rechtsextreme Straftaten ereignen sich in dem Geschäft jedoch nicht. In diesem Fall ist keine Gefahr zukünftiger Rechtsgutsverletzungen gegeben; Maßnahmen der Gefahrenabwehr kommen nicht in Betracht. Die vorgenannten drei Überlegungen zur Gefahrenabwehr gelten für die folgenden speziellen und allgemeinen Tatbestände der Gefahrenabwehr entsprechend: 3.2. Gewerberecht Das Gewerberecht dient in Teilen der Gefahrenabwehr.45 Ein modifizierter Gefahrenbegriff findet sich in dem Prinzip der Unzuverlässigkeit des § 35 Abs. 1 Gewerbeordnung46 (GewO). Besteht eine Unzuverlässigkeit des Gewerbebetreibenden, kann die Aufsicht das Gewerbe gemäß § 35 Abs. 1 GewO untersagen. Gewerberechtlich unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß d. h. entsprechend der gesetzlichen Vorschriften und unter Beachtung der guten Sitten, ausüben wird.47 Die Unzuverlässigkeit muss sich nach § 35 Abs. 1, S. 1 GewO aus in der Vergangenheit eingetretenen Tatsachen ergeben, die den Schluss zu lassen, dass künftig weitere Verstöße wahrscheinlich sind.48 Bloße Zweifel an der Unzuverlässigkeit oder Vermutungen reichen für die Untersagung ebenso wenig aus, wie die schlichte Möglichkeit eines Fehlverhaltens.49 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten können die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden begründen, soweit sie im Bezug zu dem ausgeübten Gewerbe stehen.50 44 Amtsgericht Leipzig, Urteil vom 25. Oktober 2005, Aktenzeichen: 219 Cs 302 Js 20891/05; Amtsgericht Dresden, Urteil vom 14. Dezember 2005, Aktenzeichen: 219 Cs 205 Js 35436/05. 45 Sailer in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, D IV Rn. 2. 46 Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S.202), zuletzt geändert durch Artikel 4 Absatz 14 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S.2258). 47 BVerwGE, 65, 1f. 48 Tettinger in: Tettinger/Wank, Gewerbeordnung, 6. Aufl. 1999; § 35. Rn. 27f. 49 Tettinger (Fn. 48) Rn. 30. 50 Tettinger (Fn. 48) Rn.36. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 15 Wie im Gaststättenrecht kann der Betreiber eines Ladengeschäfts möglicherweise auch für das Verhalten seiner Kundschaft verantwortlich gemacht werden, soweit er deren Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten duldet.51 Kommt es etwa – wie in obiger Fallgruppe a – zu wiederholten Straftaten durch die Kundschaft des Betreibers, so kann dies seine Unzuverlässigkeit und damit die Gewerbeuntersagung begründen.52 Solange keine derartigen Erkenntnisse vorliegen, kann der Verkauf von ideologisch belasteter Ware nicht gewerberechtlich unterbunden werden. 3.3. Bauordnungsrecht Im Bauordnungsrecht lässt sich nachrangig zu den bauordnungsrechtlichen Spezialbefugnissen die Nutzungsuntersagung einer baulichen Anlage auf die bauordnungsrechtliche Generalklausel53 stützen. Sie dient ebenfalls der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung . Dieser Gefahrenbegriff ist bauordnungsrechtlich auszulegen und ist damit auf die bauliche Anlage bezogen.54 Maßnahmen nach der bauordnungsrechtlichen Generalklausel können nur dann getroffen werden, wenn eine Gefahr von der baulichen Anlage selbst ausgeht.55 Derartige Gefahren sind im Bezug auf den Verkauf ideologisch belasteter Ware nicht denkbar. Im Zuge der Gegenaktivitäten gegen die Läden kommt es häufig zu Sachbeschädigungen, wie das Zerstören der Fensterscheiben oder das Werfen von Farbbeuteln gegen die Fassade. In den Landesbauordnungen bestehen Verunstaltungsverbote56, wonach die Entfernung von Farbschmierereien und anderen Beschädigungen dem Eigentümer oder dem Nutzungsberechtigtem auferlegt werden können; eine Nutzungsuntersagung ist in diesem Fall jedoch nicht möglich. 3.4. Jugendschutzrecht Denkbar wäre auch ein Betretungsverbot zu den diese Bekleidung verkaufenden Läden für Minderjährige nach dem Jugendschutz. Nach § 7 Jugendschutzgesetz57 (JuschG) kann die zuständige Behörde anordnen, dass ein Gewerbebetrieb Kindern und Jugendlichen die Anwesenheit nicht gestatten darf, wenn die Gefahr besteht, dass die Entwicklung oder Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beeinträchtigt wird.58 Der Gesetzgeber nennt in der Gesetzesbegründung als Beispiele: Zuhälterei, Drogenhandel, übermäßigen Alkoholkonsum oder Gewaltdelikte.59 Nach alledem wäre ein Betretungsverbot nur dann denkbar, wenn die Voraussetzungen der obigen Fallgruppe a gegeben wären. 51 Metzer, Gaststättengesetz, 6. Auflage 2002, § 4, Rn. 132. 52 Verwaltungsgericht Weimar, Urteil vom 25. Juli 2006, 8 E 850/06. 53 Exemplarisch für Berlin: § 58 Abs. 1 Satz 2 Bauordnung für Berlin (BauO Bln). 54 Sailer (Fn. 10), D II Rn. 15. 55 Krebs (Fn. 5), 4.Kap., Rn. 191. 56 Vgl. § 9 Abs. 3 BauO Berlin. 57 Jugendschutzgesetz vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2730), zuletzt geändert durch Artikel 3 Absatz 1 des Gesetzes vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2149). 58 Nikles/Roll/Spürck/Umbach, Kommentar zum Jugendschutzrecht, 2. Aufl. 2005, § 7 Rn. 7. 59 Bundestagsdrucksache 10/772, S. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 16 3.5. Polizeirecht Wegen der Subsidiarität des allgemeinen Polizeirechts ist eine Ladenschließung durch die Polizei nur möglich, soweit keine spezielleren Normen im besonderen Ordnungsrecht vorhanden sind oder die Eilzuständigkeit der Polizei gegeben ist.60 Für eine dauerhafte Schließung eines Ladengeschäfts existiert § 35 Abs. 1 GewO als speziellere Befugnisnorm für die Gewerbeaufsicht. Somit kann nur eine temporäre Schließung im Rahmen der Eilzuständigkeit der Polizei erfolgen. Eine solche Maßnahme kann mangels einschlägiger Standardmaßnahmen nur auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt werden.61 Dafür muss eine in der Generalklausel beschriebene Gefahrenlage vorliegen, welche eine sofortige temporäre Schließung des Geschäfts erfordert, beispielsweise die anderweitig nicht behebbare Begehung von Straftaten in oder aus dem Geschäft heraus. Eine Gefahrenlage könnte sich auch in Straftaten von Gegenaktivitäten gegen die Geschäfte begründen . Eine Inanspruchnahme des Ladenbetreibers kann hierbei nur im Rahmen der Nichtstörerhaftung oder mittels Rechtsfigur des Zweckveranlassers erfolgen. Zweckveranlasser ist derjenige , der zwar die Gefahrengrenze überschreitet, nicht aber selbst die zeitlich letzte Handlung vor dem Schadenseintritt vornimmt62 und daher nicht als unmittelbarer Verursacher anzusehen ist. Das ist anzunehmen, wenn er die Gefahr absichtlich oder vorsätzlich setzt oder von seinem Verhalten bis zur Gefahrentstehung beherrscht63, aber auch, wenn bei objektiver Betrachtung der Gefahreintritt durch die Folgehandlungen Dritter dem typischen erfahrungsgemäßen Geschehensablauf entspricht.64 Daher kann auch ein unvorsätzlich Handelnder Zweckveranlasser sein.65 Es sind nur wenige Sachverhalte denkbar, bei denen diese Rechtsgrundlage tatsächlich zur Anwendung kommen könnte. 3.6. Künftiges Recht Ein einfachgesetzliches Verbot oder ein Verbot nach Gefahrenabwehrrecht für die die ideologisch belastete Ware verkaufenden Läden würde für die Ladenbesitzer jedenfalls in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG eingreifen. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der diesen Eingriff rechtfertigen würde. Schon weil rechtsextreme Parteien zu Parlamentswahlen zugelassen sind, kann der Gesetzgeber rechtsextreme Identifikationsmerkmale nicht verbieten. Im Übrigen ist auf tatsächlicher Ebene völlig unklar, welche Gesinnung der überwiegende Teil der Käufer dieser identitätsstiftenden Produkte überhaupt pflegt: „anti“, rechts, national, ausländerfeindlich, rechtsradikal, rechtsextrem, nationalsozialistisch, verfassungsfeindlich? Theoretisch denkbar wäre ein Verbot für die Herstellung und den Vertrieb dieser Kleidungsmarke auf grundgesetzlicher Ebene. Dieses Verbot würde die Grundrechte aus Art. 12 GG und Art. 14 60 Schoch (Fn. 5), 2. Kap., Rn. 52f. 61 Exemplarisch für Berlin: § 17 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). 62 BVerwG DVBl 1989, 59. 63 Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Aufl. 2009, Rn. 336. 64 Oberverwaltungsgericht Lüneburg NVwZ 1988, 638 [639]. 65 Pewestorf in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei und Ordnungsrecht - Berliner Kommentar, Köln 2009, Teil 1 § 13 Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 - 049/10 Seite 17 GG auf verfassungsrechtlicher Ebene einschränken. Ein solches Verbot ist aber offensichtlich praxisfern und im Hinblick auf das nach Art. 79 Abs. 3 GG unveräußerliche Rechtsstaatsprinzip nicht unbedenklich.