WD 7 - 3000 - 043/20 (23.03.2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Welche Regelungen existieren im Hinblick auf den Umgang mit überlangen Gerichtsverfahren ? In den §§ 198-201 GVG sind Regelungen zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren enthalten. Das GVG ist gemäß § 2 EGGVG auf die ordentliche Gerichtsbarkeit und deren Ausübung anzuwenden. Die Vorschriften gelten gemäß § 173 Satz 1 und Satz 2 VwGO mit Modifikationen entsprechend für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten . § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sieht eine angemessene Entschädigung für Verfahrensbeteiligte vor, die infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleiden. Dabei kann es sich um einen materiellen oder immateriellen Nachteil handeln (Barthe, Rn 2c). Nach § 198 Abs. 2 GVG beträgt die Entschädigung bei immateriellen Nachteilen 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist. Das Gericht kann jedoch nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, sofern der Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Eine Klage zur Durchsetzung des Entschädigungsanspruchs kann nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. § 199 GVG enthält Regelungen im Hinblick auf den Rechtsschutz im Falle des Strafverfahrens. Nach § 200 Satz 1 GVG haftet für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet nach § 200 Satz 2 GVG der Bund. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das Oberlandesgericht , in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist nach § 201 Abs. 1 Satz 2 GVG der Bundesgerichtshof . Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Überlange Gerichtsverfahren, Unterbrechung und Aussetzung Kurzinformation Überlange Gerichtsverfahren, Unterbrechung und Aussetzung Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 2. Welche Regelungen zur Aussetzung oder Unterbrechung eines Verfahrens beziehungsweise einer Verhandlung gibt es? Im Zivilprozessrecht sind Regelungen betreffend die Unterbrechung und die Aussetzung des Verfahrens insbesondere in den §§ 239-252 ZPO enthalten. Gründe für eine Unterbrechung sind in den §§ 239-245 ZPO aufgezählt (Tod einer Partei, Insolvenzverfahren, Prozessunfähigkeit, Nacherbfolge , Anwaltsverlust im Anwaltsprozess, Stillstand der Rechtspflege). Fand beispielsweise in den Fällen des Todes, des Verlustes der Prozessfähigkeit, des Wegfalls des gesetzlichen Vertreters oder des Eintritts der Nacherbfolge eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten statt, hat das Prozessgericht nach § 246 Abs. 1 ZPO auf Antrag die Aussetzung des Verfahrens anzuordnen . Nach § 247 ZPO kann das Gericht die Aussetzung anordnen, wenn eine Partei von dem Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist. Das Gesuch um Aussetzung des Verfahrens ist gemäß § 248 Abs. 1 ZPO bei dem Prozessgericht anzubringen. Eine Entscheidung hierüber kann nach § 248 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung ergehen. Zuständig für die Entscheidung ist das Ausgangsgericht, solange kein Rechtsmittel eingelegt worden ist (Jaspersen, Rn 3). Weitere Aussetzungsgründe finden sich beispielsweise in den §§ 148-154 ZPO. Gründe für eine Aussetzung beziehungsweise Unterbrechung einer Verhandlung im Strafprozess sind in der StPO an verschiedenen Stellen genannt. Hierzu gehören beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen das Bestreiten neu hervorgetretener Umstände unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein (§ 265 Abs. 3 StPO), die Bestellung eines notwendigen Verteidigers während der Hauptverhandlung beziehungsweise die mangelnde Zeit des neu bestellten Verteidigers zur Vorbereitung der Verteidigung (§ 145 Abs. 2 und 3 StPO) sowie die fehlende Einhaltung der Ladungsfrist (§ 217 Abs. 2 StPO). Eine Unterbrechung bis zu drei Wochen (§ 229 Abs. 1 StPO) ordnet der Vorsitzende an; über eine Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 StPO oder eine Aussetzung entscheidet dagegen das Gericht (§§ 228 Abs. 1 StPO). Die Aussetzung hat im Strafprozess zur Folge, dass mit der Hauptverhandlung neu begonnen werden muss (Gorf, Rn 2). Im Verwaltungsgerichtsprozess kann das Gericht nach § 94 VwGO, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. In der Regel ergeht die Entscheidung „von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten durch zu begründenden “ (§ 122 Abs. 2 VwGO) „Beschluss des Gerichts“ (Garloff, Rn 7). Vorschriften der §§ 239-251 ZPO über Aussetzung, Ruhen und Unterbrechung sollen wegen § 173 Satz 1 VwGO grundsätzlich entsprechend anwendbar sein (Garloff, Rn 11 ff., Ausführungen vor Rn 1). Quellen: – GVG: Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2633) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/BJNR005130950.html (letzter Abruf – auch für alle weiteren Internetlinks – 23.03.2020). – VwGO: Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 56 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652) geändert worden ist, abrufbar unter : https://www.gesetze-im-internet.de/vwgo/BJNR000170960.html. Kurzinformation Überlange Gerichtsverfahren, Unterbrechung und Aussetzung Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 – ZPO: Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2633) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/zpo/BJNR005330950.html. – StPO: Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 3. März 2020 (BGBl. I S. 431) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/BJNR006290950.html. – Barthe: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, Kommentierung zu § 198 GVG. – Garloff: Posser/Wolff (Hrsg.), BeckOK VwGO, 52. Edition, Stand: 01.04.2019, Kommentierung zu § 94. – Gorf: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 36. Edition, Stand: 01.01.2020, Kommentierung zu § 228 StPO. – Jaspersen: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, 35. Edition, Stand: 01.01.2020, Kommentierung zu § 248. ***