© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 042/17 Beteiligung von Start-Up-Unternehmen an Vergabeverfahren Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 042/17 Seite 2 Beteiligung von Start-Up-Unternehmen an Vergabeverfahren Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 042/17 Abschluss der Arbeit: 30. März 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutz, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 042/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Gesetzliche Rahmenbedingungen 4 2.1. Zwingende Ausschlussgründe 4 2.2. Fakultative Ausschlussgründe 5 2.3. Zwischenergebnis 5 3. Ausgestaltung des Vergabeverfahrens 5 4. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 042/17 Seite 4 1. Einleitung In Ausschreibungen über öffentliche Aufträge werden im Rahmen der Eignungsprüfung der Auftragnehmer unter anderem Umsatznachweise der letzten drei Geschäftsjahre vorausgesetzt. Da insbesondere Start-Up-Unternehmen vielfach noch nicht solange am Markt tätig sind, könnte sich die Frage stellen, ob diese Firmen nach der geltenden Rechtslage von vornherein von Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge ausgeschlossen sind. Vor diesem Hintergrund werden zunächst die gesetzlichen Rahmenbedingungen vorgestellt (Ziffer 2.), um im Anschluss daran die untergesetzliche Ausgestaltung von entsprechenden Vergabeverfahren zu beleuchten (Ziffer 3). 2. Gesetzliche Rahmenbedingungen Nach § 122 Abs. 1 GWB1 werden öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungsfähige (geeignete ) Unternehmen vergeben. Ein Unternehmen ist geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Die Eignungskriterien dürfen sich hierbei ausschließlich beziehen auf - die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, - die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie - die technische und berufliche Leistungsfähigkeit (vgl. § 122 Abs. 2 GWB). Eignungskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Sie sind in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen (vgl. § 122 Abs. 4 GWB) und stellen regelmäßig für Unternehmen keine Ausschlussgründe für eine Teilnahme am Vergabeverfahren dar. Das GWB unterscheidet in seinen §§ 123 und 124 zwischen zwingenden und fakultativen Ausschlussgründen 2.1. Zwingende Ausschlussgründe Die zwingenden Gründe ein Unternehmen von einem Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge auszuschließen ergaben sich aus § 123 GWB. Hiernach schließen öffentliche Auftraggeber ein 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.06.2013 (BGBl. I S. 1750, ber. S. 3245), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien vom 13.10. 2016 (BGBl. I S. 2258). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 042/17 Seite 5 Unternehmen grundsätzlich von der Teilnahme am Vergabeverfahren aus, wenn sie Kenntnis davon erhalten, dass eine Person, deren Verhalten dem Unternehmen zuzurechnen ist, rechtskräftig verurteilt oder gegen das Unternehmen eine Geldbuße nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten rechtskräftig festgesetzt worden ist. Die entsprechenden Straftaten sind im Einzelnen in § 123 Abs. 1 GWB aufgeführt. Die in § 122 Abs. 1 GWB aufgeführten Eignungskriterien, insbesondere mangelnde Umsatznachweise über die letzten drei Geschäftsjahre eines Start-Up-Unternehmens, stellen keinen zwingenden Ausschließungsgrund für ein Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge dar. 2.2. Fakultative Ausschlussgründe Daneben können aber fakultative Gründe zu einem Ausschluss von einem Vergabeverfahren führen . Nach § 124 GWB können Öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen , wenn es etwa bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat. Daneben kommen noch weitere im Einzelnen gesetzlich definierte fakultative Ausschlussgründe von einem Vergabeverfahren in Betracht. Aber auch hier stellen die in § 122 Abs. 1 GWB aufgeführten Eignungskriterien keinen fakultativen Ausschließungsgrund für ein Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge dar. 2.3. Zwischenergebnis Die mangelnden Umsatznachweise über letzten drei Geschäftsjahre stellen weder zwingende, noch fakultative Gründe im Sinne der §§ 123, 124 GWB dar, Start-Up-Unternehmens von vornherein von einem Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge auszuschließen. 3. Ausgestaltung des Vergabeverfahrens Durch § 113 GWB wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten zur Vergabe öffentlicher Aufträgen zu regeln. Diese Ermächtigung umfasst die Befugnis zur Regelung von Anforderungen an den Auftragsgegenstand und an das Vergabeverfahren, insbesondere zur Regelung der Auswahl und Prüfung der Unternehmen . Die Rechtsverordnung ist dem Bundestag zuzuleiten. Die Zuleitung an den Bundestag erfolgt vor der Zuleitung an den Bundesrat. Die Rechtsverordnung kann durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird der Bundesregierung zugeleitet . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 042/17 Seite 6 Von dieser Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung hat die Bundesregierung mit der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung - VgV)2 Gebrauch gemacht . Die VgV ist am 18. April 2016 in Kraft getreten ist. In dieser VgV werden insbesondere Anforderungen an die Eignung von Unternehmen gestellt, um an Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge teilzunehmen. § 45 Abs. 1 bis 4 der VgV stellt hierbei besondere Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des entsprechenden Unternehmens. Die Regelungen haben folgenden Wortlaut: „(1) Der öffentliche Auftraggeber kann im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter Anforderungen stellen, die sicherstellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten für die Ausführung des Auftrags verfügen. Zu diesem Zweck kann er insbesondere Folgendes verlangen: 1. einen bestimmten Mindestjahresumsatz, einschließlich eines bestimmten Mindestjahresumsatzes in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags, 2. Informationen über die Bilanzen der Bewerber oder Bieter; dabei kann das in den Bilanzen angegebene Verhältnis zwischen Vermögen und Verbindlichkeiten dann berücksichtigt werden, wenn der öffentliche Auftraggeber transparente, objektive und nichtdiskriminierende Methoden und Kriterien für die Berücksichtigung anwendet und die Methoden und Kriterien in den Vergabeunterlagen angibt, oder 3. eine Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung in bestimmter geeigneter Höhe. (2) Sofern ein Mindestjahresumsatz verlangt wird, darf dieser das Zweifache des geschätzten Auftragswerts nur überschreiten, wenn aufgrund der Art des Auftragsgegenstands spezielle Risiken bestehen. Der öffentliche Auftraggeber hat eine solche Anforderung in den Vergabeunterlagen oder im Vergabevermerk hinreichend zu begründen. (3) Ist ein öffentlicher Auftrag in Lose unterteilt, finden die Absätze 1 und 2 auf jedes einzelne Los Anwendung. Der öffentliche Auftraggeber kann jedoch für den Fall, dass der erfolgreiche Bieter den Zuschlag für mehrere gleichzeitig auszuführende Lose erhält, einen Mindestjahresumsatz verlangen, der sich auf diese Gruppe von Losen bezieht. (4) Als Beleg der erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des Bewerbers oder Bieters kann der öffentliche Auftraggeber in der Regel die Vorlage einer oder mehrerer der folgenden Unterlagen verlangen: 1. entsprechende Bankerklärungen, 2. Nachweis einer entsprechenden Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung, 2 Vom 12.04.2016 (BGBl. I S. 624). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 042/17 Seite 7 3. Jahresabschlüsse oder Auszüge von Jahresabschlüssen, falls deren Veröffentlichung in dem Land, in dem der Bewerber oder Bieter niedergelassen ist, gesetzlich vorgeschrieben ist, 4. eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls den Umsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags; eine solche Erklärung kann höchstens für die letzten drei Geschäftsjahre verlangt werden und nur, sofern entsprechende Angaben verfügbar sind.“ Bei diesen Regelungen über die Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens handelt es sich durchgängig um sogenannte Kann-Vorschriften, bei denen es in das pflichtgemäße Ermessen der öffentlichen Auftraggeber gestellt ist, welche Eignungskriterien im Einzelnen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit an die am Vergabeverfahren zu beteiligenden Unternehmen zu stellen sind. Hierbei schränkt bereits der Wortlaut des § 45 Abs. 4 Nr. 4 GWB den Ermessensspielraum des öffentlichen Arbeitgebers erheblich ein. Eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls den Umsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags kann der öffentliche Auftraggeber „höchstens“ für die letzten drei Geschäftsjahre verlangen.3 Es ist damit regelmäßig nicht ermessensfehlerhaft, Nachweise zu verlangen, die einen Zeitraum von deutlich weniger als drei Geschäftsjahren umfassen . Eine derartige Erklärung kann der im Übrigen nur dann verlangt werden, „sofern entsprechende Angaben verfügbar sind“. Start-Up-Unternehmen, die weniger als drei Geschäftsjahre am Markt tätig sind, verfügen über entsprechende Nachweise nicht. Vor dieser Sach- und Rechtslage dürfte deshalb ermessensfehlerhaft sein, wenn öffentliche Auftragsgeber Ausschreibungskriterien so zu formulieren, dass Unternehmen, die nicht bereits drei Geschäftsjahre am Markt tätig sind, vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Im Übrigen kann nach § 45 Abs. 5 der VgV die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit durch Vorlage anderer, vom öffentlichen Auftraggeber als geeignet angesehener Unterlagen belegt werden, wenn ein Start-Up-Unternehmen aus einem berechtigten Grund die geforderten Unterlagen nicht beibringen kann. 4. Fazit Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit steht es im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, in welchem Umfang er Start-Up-Unternehmen für ein Vergabeverfahren als finanzier und wirtschaftlich als geeignet betrachtet, die ausgeschriebenen konkreten öffentlichen Aufträge ordnungsgemäß auszuführen. *** 3 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/7318, S. 183.