© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 039/19 „Cyberkriminalität“ Strafrechtliche Regelungen in Deutschland und ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 039/19 Seite 2 „Cyberkriminalität“ Strafrechtliche Regelungen in Deutschland und ausgewählten EU-Mitgliedstaaten Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 039/19 Abschluss der Arbeit: 9. April 2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 039/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Situation in Deutschland 4 3. Situation in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten 5 3.1. Frankreich 5 3.2. Griechenland 5 3.3. Italien 6 3.4. Polen 6 3.5. Schweden 6 3.6. Spanien 6 3.7. Ungarn 7 3.8. Vereinigtes Königreich 7 4. Fazit 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 039/19 Seite 4 1. Einleitung Bestimmte Straftaten werden zunehmend auch im Internet und mittels elektronischer Kommunikationsformen begangen. In den vergangenen Jahren ist die „Cyberkriminalität“ daher zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden und auch der Politik gerückt.1 Vor diesem Hintergrund ist vorliegend von Interesse, ob im europäischen Ausland geltende Gesetze oder laufende Gesetzgebungsverfahren existieren, die ausdrücklich digitale Begehungsformen von Straftaten inkriminieren. Der Fokus soll hierbei auf bestimmte Delikte eingegrenzt werden , die den höchstpersönlichen Lebensbereich von Tatopfern erfahrungsgemäß besonders tangieren : Beleidigung, Nachstellung, Nötigung, Bedrohung und Erpressung.2 2. Situation in Deutschland Die Straftatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB3), Nötigung (§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) sind allgemein und ohne ausdrückliche Erwähnung digitaler Begehungsformen ausgestaltet. Lediglich der Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) erwähnt in einer Tatvariante ausdrücklich Telekommunikationsmittel – was auch digitale Kommunikationsformen umfasst – als mögliche Tatmittel (§ 238 Absatz 1 Nr. 2 StGB): § 238 Nachstellung (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, indem er beharrlich 1. (…) 2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht, (…) Digitale Inhalte, die die Straftatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB) oder Bedrohung (§ 241 StGB) verwirklichen, sind Gegenstand des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG4). Dieses 1 Siehe die Hinweise des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat unter https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/kriminalitaetsbekaempfung-und-gefahrenabwehr/cyberkriminalitaet /cyberkriminalitaet-node.html sowie die Lagebilder der Bundeskriminalamtes unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Cybercrime/cybercrime _node.html (Stand dieser und sämtlicher nachfolgenden Online-Quellen: 09.04.2019). 2 Die Angaben zu den einzelnen Ländern basieren im Wesentlichen auf Auskünften der jeweiligen Parlamentsverwaltungen . 3 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. März 2019 (BGBl. I S. 350) geändert worden ist. 4 Netzwerkdurchsetzungsgesetz vom 1. September 2017 (BGBl. I S. 3352). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 039/19 Seite 5 richtet sich an Telemediendiensteanbieter und sieht mit Bußgeldern bewehrte Berichts- und Kontrollpflichten bezüglich entsprechender rechtswidriger Taten vor. Einschlägige strafrechtspolitische Gesetzgebungsverfahren sind im Deutschen Bundestag gegenwärtig nicht anhängig. 3. Situation in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten 3.1. Frankreich Das französische Strafgesetzbuch enthält hinsichtlich der einzelnen Delikte keinen expliziten Verweis auf digitale Begehungsformen. Allerdings enthält das französische Pressegesetz (Gesetz vom 29. Juli 1881 betreffend die Freiheit der Presse5) mit Artikel 23 eine allgemeine Vorschrift, welche auch die Strafbarkeit der Tatbegehung durch elektronische Medien regelt. Unter Strafandrohung gestellt wird darin der öffentliche Aufruf zu Straftaten in verschiedenen explizit genannten Tatbestandsvarianten. Artikel 24 des Pressegsetzes ergänzt dies durch Strafandrohung für das Hervorrufen bestimmter Straftaten auf die in Artikel 23 genannten Weise. Erfasst werden neben Straftaten gegen Leib und Leben sowie die sexuelle Selbstbestimmung auch Erpressung sowie Gewaltdrohungen gegen Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. 3.2. Griechenland Spezifische Verweise auf digitale Begehungsformen finden sich beim Tatbestand der Nachstellung (Artikel 333 des Griechischen Strafgesetzbuchs). Demnach ist die Kontaktaufnahme über Telekommunikation oder über elektronische Mittel tatbestandsmäßig. Auch die Anti-Rassismus-Gesetzgebung (Gesetz Nr. 4285/20146) enthält ausdrücklich Tatbestandsvarianten zur digitalen Tatbegehung. Griechenland hat auch durch das Gesetz Nr. 4411/2016 die Konvention des Europarates zu „Cybercrime“und das Zusatzprotokoll betreffend die Kriminalisierung von rassistischen und ausländerfeindlichen Taten, welche durch Computersysteme verübt werden, ratifiziert. Unter Strafe gestellt wird, wer zu Hass oder Gewalt gegen bestimmte Gruppen oder Mitgliedern dieser Gruppe aufruft. Gleiches gilt auch für die öffentliche Billigung oder Leugnung bestimmter Straftaten wie Kriegsverbrechen oder Völkermord. Daneben ist derzeit beabsichtigt, das griechische Strafrecht umfassend zu reformieren. In diesem Rahmen sieht der Entwurf eines neuen Griechischen Strafgesetzbuchs vor, den Tatbestand der Beleidigung (Artikel 361 des Griechischen Strafgesetzbuchs) um eine digitale Begehungsform zu erweitern. 5 Siehe https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=LEGITEXT000006070722. 6 Vgl. die Darstellung unter http://www.loc.gov/law/foreign-news/article/greece-new-law-criminalizes-denial-ofgenocide -hate-speech-and-other-acts-of-racism/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 039/19 Seite 6 3.3. Italien Neben dem auch auf digitale Begehung zugeschnittenen Tatbestand der Nachstellung (Artikel 612 bis des Italienischen Strafgesetzbuchs) wurde das „Cyberbullying“ gegenüber Minderjährigen unter Strafe gestellt (Gesetz Nr. 71/2017). Dies umfasst eine Reihe von digital verübten Delikten, unter anderem Beleidigung, Bedrohung und Erpressung. Zudem wird auch das Verbreiten von beleidigenden oder entwürdigenden Bildern und Dateien unter Strafe gestellt. Im Bereich des Sexualstrafrechts kriminalisiert Artikel 609 undecies denjenigen, der sich Minderjährigen durch Drohungen oder Schmeicheleien zu nähern versucht. Dies umfasst digitale und analoge Kommunikationskanäle . Daneben gibt es derzeit Bestrebungen, den Schutz von Personen im Internet zu verbessern. Die parlamentarische Beratung hat jedoch noch nicht begonnen. 3.4. Polen Die Rechtslage in Polen normiert hinsichtlich der fraglichen Delikte keine spezifischen digitalen Begehungsformen. 3.5. Schweden Auch in Schweden sind die fraglichen Delikte allgemein gefasst und enthalten keine spezifischen digitalen Begehungsformen. 3.6. Spanien In Spanien basieren die dargestellten Delikte ebenfalls auf allgemein gefassten Normen. 2015 wurden die Gesetze gegen Nachstellung erweitert und klargestellt, dass eine Kontaktaufnahme durch jede Form von Kommunikationsmitteln erfasst ist (Artikel 172 ter des Spanischen Strafgesetzbuchs). Weiterhin wurde 2015 ein neuer Tatbestand (Artikel 183 bis des Spanischen Strafgesetzbuchs) geschaffen, der Annäherungsversuche an Personen unter 13 Jahren über digitale Kommunikationsformen erfasst, wenn sie darauf ausgehen, Sexualstraftaten (sexueller Missbrauch, sexuelle Ausbeutung, sexuelle Belästigung) zu begehen. Eine Besonderheit dieses Tatbestands liegt darin, dass er digitale Begehungsformen nicht nur zusätzlich nennt, sondern sie ausdrücklich zur Tatbestandsvoraussetzung erklärt. Artikel 510 des Spanischen Strafgesetzbuchs stellt volksverhetzende Handlungen unter Strafe. Dies umfasst namentlich den Aufruf zu Gewalt, Hass und Diskriminierung gegenüber Gruppen oder Mitgliedern von Gruppen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit. Artikel 510 Absatz 3 ordnet für die Strafzumessung dabei an, dass die Strafe aus der oberen Hälfte des Strafrahmens zu entnehmen ist, sofern die Tat über soziale Medien, das Internet oder andere Formen der Informationstechnologie begangen wird. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 039/19 Seite 7 3.7. Ungarn Die Rechtslage in Ungarn stellt hinsichtlich der fraglichen Delikte nicht spezifisch auf digitale Begehungsformen ab. 3.8. Vereinigtes Königreich Im Vereinigten Königreich stellt der Malicious Communications Act7 von 1988 in Section 1 das Versenden von Nachrichten obszönen, beleidigenden oder bedrohenden Inhalts unter Strafe. 2001 wurden die Tatmodalitäten ausdrücklich um digitale Kommunikationswege ergänzt. Der Wortlaut der Norm lautet: Offence of sending letters etc. with intent to cause distress or anxiety. (1) Any person who sends to another person— (a) a letter, electronic communication or article of any description which conveys— (i) a message which is indecent or grossly offensive; (ii) a threat; or (iii) information which is false and known or believed to be false by the sender; or (b) any article or electronic communication which is, in whole or part, of an indecent or grossly offensive nature, is guilty of an offence if his purpose, or one of his purposes, in sending it is that it should, so far as falling within paragraph (a) or (b) above, cause distress or anxiety to the recipient or to any other person to whom he intends that it or its contents or nature should be communicated. (…) Der Communications Act8 von 2003 stellt in Section 127 in ähnlicher Weise auch den digitalen Medieneinsatz unter Strafe. Improper use of public electronic communications network (1) A person is guilty of an offence if he— (a) sends by means of a public electronic communications network a message or other matter that is grossly offensive or of an indecent, obscene or menacing character; or (b) causes any such message or matter to be so sent. (2) A person is guilty of an offence if, for the purpose of causing annoyance, inconvenience or needless anxiety to another, he— (a) sends by means of a public electronic communications network, a message that he knows to be false, 7 Siehe https://www.legislation.gov.uk/ukpga/1988/27/contents. 8 Siehe https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2003/21/contents. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 039/19 Seite 8 (b) causes such a message to be sent; or (c) persistently makes use of a public electronic communications network. (…) Die Nachstellung wird durch Section 2A des Protection from Harrasment Act9 von 1997 unter Strafe gestellt und erwähnt ausdrücklich auch digitale Begehungsformen. Die britische Regierung prüft gegenwärtig die Implementierung einer umfassenden Strategie zur Sicherheit im Internet. Dies umfasst auch eine Bestandsaufnahme, ob die gegenwärtige Rechtslage zu „Abusive and Offensive Online Communications“ ausreichend ist.10 Dies betrifft etwa Kriminalitätsformen wie Beleidigung, Nachstellung und Bedrohung. Ein konkretes Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht initiiert worden. 4. Fazit So wie in Deutschland werden auch in den betrachteten EU-Mitgliedstaaten digitale Begehungsformen von Kriminalität in den einschlägigen Normen bislang in der Regel nicht explizit adressiert , sondern unter die allgemeinen Tatbestandsvarianten subsummiert. Schweden, Ungarn und Polen stellen dabei bislang in keiner Weise gesondert auf digitale Begehungsformen in den Straftatkategorien Beleidigung, Nötigung, Erpressung, Gewaltdrohung und Nachstellung ab. Hingegen ist der verhältnismäßig junge Tatbestand der Nachstellung in Deutschland, Spanien, Griechenland , dem Vereinigten Königreich und Italien ausdrücklich auch auf digitale Tatausführung zugeschnitten . Im Übrigen finden sich jenseits der allgemeinen Straftatbestände vor allem besondere Delikte mit digitalem Einschlag, wie das auf den Schutz Minderjähriger zugeschnittene „Cyberbullying “ in Italien und Vorschriften gegen volksverhetzende Taten in Griechenland und Spanien . * * * 9 Siehe http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1997/40/contents. 10 Siehe die Evaluation https://s3-eu-west-2.amazonaws.com/lawcom-prod-storage-11jsxou24uy7q/uploads /2018/10/6_5039_LC_Online_Comms_Report_FINAL_291018_WEB.pdf sowie die Zusammenfassung https://s3-eu-west-2.amazonaws.com/lawcom-prod-storage-11jsxou24uy7q/uploads/2018/10/6.5013_LC_Online -Summary-Report_FINAL_WEB.pdf.