© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 038/16 Vertretungsbefugnis von nahen Angehörigen bzw. Ehegatten Rechtliche Situation in EU-Staaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 2 Vertretungsbefugnis von nahen Angehörigen bzw. Ehegatten Rechtliche Situation in EU-Staaten Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 038/16 Abschluss der Arbeit: 31. Mai 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Rechtliche Situation in Deutschland 5 3. Estland 6 4. Finnland 6 5. Griechenland 7 6. Großbritannien 7 7. Irland 7 8. Kroatien 7 9. Lettland 8 10. Litauen 8 11. Norwegen 9 12. Österreich 9 13. Polen 10 14. Portugal 10 15. Rumänien 10 16. Schweden 10 17. Schweiz 11 17.1. Die gesetzliche Vertretung einer urteilsunfähigen Person durch den Ehegatten oder eingetragenen Partner 11 17.1.1. Ordentliche Verwaltung 11 17.1.2. Vertretung bei medizinischen Maßnahmen 12 17.2. Vertretung der ehelichen Gemeinschaft für die laufenden Bedürfnisse der Familie 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 4 18. Slowakei 13 19. Slowenien 14 20. Spanien 14 21. Tschechien 14 22. Ungarn 14 23. Zypern 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 5 1. Einleitung Grundlage dieses Sachstandes ist die Frage nach Regelungen der Vertretungsmacht/-befugnis naher Angehöriger und Ehegatten in den europäischen Mitgliedstaaten, Norwegen und der Schweiz. 1. Gibt es in Ihrem Land eine gesetzliche Vertretungsmacht/-befugnis naher Angehöriger oder Ehegatten? 2. Wenn ja, wie sieht diese Regelung aus? Wo ist diese geregelt? Welche Voraussetzungen bedarf es für diese Vertretungsmacht/-befugnis? Für welche Bereiche gelten diese? 3. Gibt es in Ihrem Land Initiativen zur Einführung einer solchen Vertretungsmacht/-befugnis für nahe Angehörige oder Ehegatten? 4. Wenn ja, wie sehen diese aus? Wenn nein, warum nicht? Den Fragen wurde die im Folgenden unter 2. wiedergegebene Musterantwort zur Unterrichtung über die diesbezügliche Situation in Deutschland beigefügt. Die Auswertung der eingegangenen Antworten ergibt das unter 3. bis 24. dargestellte Bild. Die Antworten fielen in Ausführlichkeit und Aussagekraft sehr unterschiedlich aus, was sich auch in der folgenden Zusammenfassung der einzelnen Antworten niederschlägt. 2. Rechtliche Situation in Deutschland Die Vertretungsbefugnis ist zivilrechtlich von der Vertretungsmacht zu unterscheiden. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)1 kennt drei Möglichkeiten, Vertretungsmacht zu erteilen: durch Vertrag , durch Rechtsschein (vertragsähnlich) und durch Gesetz. Im BGB gibt es Regelungen zur gesetzlichen Vertretungsbefugnis von Ehegatten. § 1357 BGB bezieht sich auf Geschäfte zur Deckung des Lebensbedarfs der Familie. Die Vertretung von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern regeln §§ 1626, 1629 BGB. Im Bereich der Gesundheit und Pflege existieren keine Regelungen zur gesetzlichen Vertretungsbefugnis von Ehegatten oder nahen Angehörigen. Jedoch können vertragliche Regelungen im Rahmen einer Vollmacht (Vorsorgevollmacht o.ä.) im Vorfeld getroffen werden. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, kann durch das Betreuungsgericht ein Betreuer bestellt werden. Regelungen hierzu finden sich in den §§ 1896 ff. BGB. Ein Angehörigenvertretungsrecht existiert in Deutschland jedoch nicht. Zwar war dies Gegenstand der Änderungen im 1 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 396). Abrufbar unter http://www.gesetze -im-internet.de/bgb/index.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 6 Rahmen des 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes, doch scheiterte die Einführung einer gesetzlichen Vertretungsmacht (der geplanten §§ 1358, 1358a, 1618b BGB). Darin enthalten waren weitgehende Befugnisse im Rahmen der Vermögenssorge unter Ehegatten. Die Regelungen zur Verhinderung von Missbrauch jedoch wurden als nicht hinreichend angesehen. Daneben sollten Ehegatten und nahe Verwandte auch über Heilbehandlungen entscheiden dürfen. 3. Estland Ähnlich wie in § 1357 BGB das deutsche sieht auch das estnische Recht eine Regelung vor, wonach Rechtsgeschäfte eines Ehegatten auch für den Partner rechtliche Wirkung entfalten. Grundsätzlich bestimmt Art. 117 Abs. 2 des Allgemeinen Teils des Zivilgesetzbuches, dass Vertretungsbefugnis entweder auf Gesetz oder vertraglicher Ermächtigung beruht. Das Recht der Eltern, ihre Kinder zu vertreten, ist in Art. 120 des Familiengesetzes geregelt. Danach vertreten die Eltern ihr Kind grundsätzlich gemeinsam. Art. 29 des Familiengesetzes besagt, dass Ehegatten ihr gemeinsames Vermögen gemeinsam verwalten . Geschäfte des täglichen Lebens dürfen die Ehegatten auch allein tätigen. Bezüglich gesundheitlicher Fürsorge besteht keine gesetzliche Vertretungsbefugnis für Ehegatten. Ehepartner und Verwandte sind aber in Entscheidungen über die medizinische Behandlung von Patienten, die selbst nicht einwilligungsfähig sind, einzubeziehen. Auf diesem Wege soll insbesondere erforscht werden, welche Wünsche der Patient in Bezug auf seine Behandlung möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt geäußert hat. Derzeit gibt es keine Initiativen, diese Gesetzeslage zu ändern. 4. Finnland In Finnland ist eine gesetzliche Stellvertretung für Ehegatten und Verwandte in zwei Fällen vorgesehen : 1) Gemäß § 4 des Betreuungsdienstleitungsgesetzes (442/1999) ist der Vermögensverwalter eines Unmündigen zugleich auch dessen Betreuer. Dieser hat das Recht, die finanziellen und sonstigen Angelegenheiten des Unmündigen zu besorgen. 2) Gemäß § 6 des Gesetzes über die Stellung und die Rechte von Patienten (785/1992) müssen im Falle einer wichtigen Entscheidung über eine medizinische Behandlung der Betreuer, ein Familienmitglied oder eine dem Patienten nahestehende Person konsultiert werden, wenn dieser aufgrund geistiger Verwirrtheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, eine derartige Entscheidung zu treffen. In diesen Fällen muss der Betreuer, der nahe Verwandte oder eine sonstige dem Patienten nahestehende Person ihr Einverständnis zu der Behandlung geben. Bei dieser Entscheidung muss der Patientenwille berücksichtigt werden. Soweit dieser nicht feststellbar ist, ist das Patientenwohl maßgeblich. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 7 Falls die verantwortliche Person eine bestimmte Behandlung untersagt, muss eine Art von medizinischer Behandlung vorgenommen werden, die ihren Vorstellungen so weit wie möglich entspricht . Verweigert die verantwortliche Person auch diesbezüglich ihre Zustimmung, soll der Patient jene Behandlung bekommen, die seinem Wohlergehen am besten dient. Gem. § 7 des Gesetzes über die Stellung und die Rechte von Patienten (785/1992) muss die Meinung eines minderjährigen Patienten abhängig von seiner individuellen Einsichtsfähigkeit in die Entscheidung über die Art seiner Behandlung einbezogen werden. Je nach Entwicklungsstand seiner Einsichtsfähigkeit muss die Behandlung entweder im Einvernehmen mit ihm oder mit dem seiner Eltern oder seines Vormunds stattfinden. 5. Griechenland Die Ehegatten treffen alle Entscheidungen, die das eheliche Leben betreffen, gemeinsam. Falls einer der Ehegatten physisch oder rechtlich außerstande ist, dies zu tun, entscheidet der andere allein. Für den Fall, dass ein Minderjähriger eine dringende medizinische Behandlung benötigt und die Eltern diese ablehnen, kann vom behandelnden Arzt die Erlaubnis für die Behandlung gegen den Willen der Eltern beim zuständigen Gericht eingeholt werden. 6. Großbritannien Es besteht in Großbritannien keine gesetzliche Vertretungsbefugnis von Ehegatten oder nahen Verwandten. Seit 2007 ist es möglich, einen Bevollmächtigten zu bestimmen, der im Falle der eigenen Geschäftsunfähigkeit Entscheidungen treffen darf, die medizinische Behandlungen einschließlich des Abbruchs oder der Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen betreffen. 7. Irland Derzeit ist nicht geplant, Ehegatten oder nahen Verwandten eine gesetzliche Vertretungsmacht für ihre Angehörigen einzuräumen. 8. Kroatien Die rechtlichen Regelungen in Kroatien ähneln der deutschen Gesetzeslage stark. Im Familien-Gesetz ist geregelt, dass die Eltern ihr Kind in allen rechtlichen und persönlichen Angelegenheiten vertreten. Dies ist Bestandteil der elterlichen Sorge. Dort finden sich auch Regelungen zum Sorgerecht, sowohl bezüglich der Ausgestaltung der kindlichen Vormundschaft als auch der Betreuung volljähriger Personen. Allgemeine Vorschriften zur Stellvertretung enthält das Schuldrechtsgesetz. Hinsichtlich gesundheitlicher Fürsorge statuiert das Gesetz zum Schutz von Patientenrechten Regeln , um Patienten, die nicht fähig sind, in medizinische Behandlungen einzuwilligen (etwa weil Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 8 sie bewusstlos, minderjährig oder anderweitig einwilligungsunfähig sind), zu schützen. In derartigen Fällen, ist der Betreuer oder Vormund des Patienten zur Einwilligung berechtigt. Dieser kann, muss aber nicht zwingend ein enger Verwandter des Patienten sein. Ebenso wie in Deutschland gibt es bis auf wenige Ausnahmen fast keine gesetzlichen Bestimmungen über die Stellvertretung durch enge Verwandte. Derzeit gibt es auch keine entsprechenden Gesetzesvorhaben. Es kann angenommen werden, dass der Grund hierfür die Befürchtung ist, dass der Schutz der Patienten bei einer Ausweitung der gesetzlichen Vertretungsrechte enger Verwandten nicht mehr hinreichend gewährleistet sein könnte. Ferner könnte die Unbestimmtheit der Grenzen der Vertretungsbefugnis durch Familienmitglieder die Sicherheit des Rechtsverkehrs gefährden. 9. Lettland Nach lettischem Recht werden minderjährige Kinder durch ihre Vormünder vertreten und sonstige Geschäftsunfähige durch Treuhänder. Treuhänder werden durch Gerichtsbeschluss bestimmt. Dabei hat das Gericht den Wunsch des Betroffenen zu berücksichtigen, soweit dieser dazu in der Lage ist, seinen Willen zu formulieren. Üblicherweise kommen als Treuhänder Ehegatte oder nahe Verwandte in Betracht. Gesetzliche Vertretungsbefugnisse für Ehegatten und nahe Verwandte sind aber nicht vorgesehen. 10. Litauen Eltern haben die gesetzliche Befugnis, ihre Kinder in allen rechtlichen und persönlichen Angelegenheiten zu vertreten. Vormunde und Betreuer sind gesetzliche zur Vertretung ihrer Mündel befugt . In bestimmten gesundheitlichen Angelegenheiten räumt das Gesetz Ehegatten und nahen Angehörigen gesetzliche Vertretungsbefugnis ein: Nach Art. 6.744 des litauischen Zivilgesetzbuches müssen ärztliche Behandlungen von Patienten, die das 16. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, von den Eltern oder dem Vormund gestattet werden. Falls ein Erwachsener nicht einwilligungsfähig ist und keinen Betreuer oder Vormund besitzt, muss sein schriftlich benannter Vertreter in Entscheidungen über die medizinische Behandlung des Patienten einbezogen werden. Falls es keinen Vertreter gibt oder dieser seinen Aufgaben als Stellvertreter nicht nachkommt, muss die Zustimmung des Ehegatten oder Partners eingeholt werden. Gibt es keinen Ehegatten oder Partner, müssen Eltern oder Kinder hinzugezogen werden. Falls der Patient der Vornahme einer medizinischen Behandlung widerspricht, die sein Stellvertreter zuvor gestattet hat, wird sie nur ausgeführt, wenn andernfalls schwerwiegende Folgen für das Wohlergehen des Patienten drohen. Ferner kann ein Ehegatte unter bestimmten Voraussetzungen durch gerichtlichen Beschluss dazu ermächtigt werden, den anderen Ehegatten zu vertreten, auch wenn letzterer dem nicht zugestimmt hat. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 9 11. Norwegen Am weitesten reichen die gesetzlichen Vertretungsbefugnisse für Ehegatten und nahe Verwandte in finanziellen Angelegenheiten. Für den Fall, dass eine Person aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, ihre persönlichen und finanziellen Angelegenheiten zu regeln, hat der Ehepartner oder ein Familienmitglied das Recht, diese Aufgaben zu übernehmen und den Betroffenen zu vertreten. Die Vertretungsmacht ist jedoch auf Geschäfte des täglichen Lebens beschränkt. Der Vertreter muss über 18 Jahre alt sein und darf selbst nicht unter Betreuung stehen. Die Vertretungsbefugnis besteht in folgender Reihenfolge: 1. Ehegatte oder Lebenspartner 2. Kinder 3. Enkel 4. Eltern Fragen in Bezug auf Entscheidungen, die medizinische Behandlungen betreffen, regelt das Gesetz über Patientenrechte, das 1999 verabschiedet wurde. Hiernach ist jene Person entscheidungsbefugt, die vom Patienten selbst benannt wird oder – soweit dieser sich nicht äußern kann – die ihm faktisch am nächsten steht. Dies wird danach beurteilt , wer den längsten und intensivsten Kontakt mit dem Patienten gepflegt hat. In Betracht kommen Ehe- oder Lebenspartner, aber auch nichteheliche Lebensgefährten, volljährige Kinder, Eltern oder Personen, die die elterliche Sorge ausüben, volljährige Geschwister, Großeltern, sonstige nahestehende Angehörige oder Betreuer. 12. Österreich Neben der Vertretung von minderjährigen Kindern durch ihre sorgeberechtigten Eltern kennt das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) das Rechtsinstitut der Schlüsselgewalt gemäß § 96 ABGB, das eine eingeschränkte Vertretungsbefugnis von Ehegatten vorsieht, und die Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger, die in den §§ 284b bis 284e des ABGB geregelt ist. Ist eine volljährige Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung nicht in der Lage, Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens selbst zu besorgen und hat sie dafür keinen Sachwalter oder sonstigen gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter, kann sie in bestimmten Angelegenheiten von einem nächsten Angehörigen vertreten werden. Mangelt es der volljährigen Person nur in Teilbereichen an der Fähigkeit zur Besorgung ihrer Angelegenheiten, ist auch eine bloße Teil-Angehörigenvertretung möglich. Die Geschäftsfähigkeit der volljährigen Person wird weder durch das Entstehen noch die Wahrnehmung der Vertretungsbefugnis durch einen nächsten Angehörigen eingeschränkt oder gar beseitigt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 10 Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen entsteht die Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen ex lege. Diese sind verpflichtet, die volljährige Person von der Wahrnehmung ihrer Vertretungsbefugnisse zu informieren und die Aufnahme ihrer Vertretungstätigkeit im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis zu registrieren. Kommen sie diesen Verpflichtungen nicht nach, hat dies aber keinen Einfluss auf ihre Vertretungsbefugnis. Die volljährige Person hat jederzeit die Möglichkeit, der Vertretung zu widersprechen, wodurch die Vertretungsbefugnis ausgeschlossen oder beseitigt wird. Für die Wirkung des Widerspruchs ist es nicht von Bedeutung, ob die volljährige Person bereits geschäftsunfähig und/oder einsichtsund urteilsunfähig ist. Als wichtigster Schutzmechanismus gegen möglichen Missbrauch ist die jedermann zustehende Möglichkeit zu nennen, jederzeit das Pflegschaftsgericht anzurufen, das dann – im Rahmen eines Sachwalterschaftsverfahrens – die Lebenssituation der volljährigen Person zu prüfen und festzustellen hat, ob dessen Angelegenheiten durch seine nächsten Angehörigen ausreichend und redlich besorgt werden oder ob die Bestellung eines Sachwalters erforderlich ist. 13. Polen In Polen haben Ehegatten in begrenztem Umfang die Befugnis, ihren Partner zu vertreten. Umfassende Vertretungsmacht steht Eltern für Ihre Kinder zu. Für Ehepartner sieht das Gesetz eine wechselseitige Vertretungsmacht für Geschäfte des täglichen Lebens vor, sofern der vertretene Ehegatte zeitweilig verhindert ist. Derzeit gibt es keine Gesetzesinitiativen, die darauf gerichtet sind, die gesetzliche Vertretungsbefugnis von Ehepartnern auszuweiten. 14. Portugal In Portugal besteht eine gesetzliche Vertretungsmacht nur zugunsten von Eltern ihre minderjährigen Kinder. Ehegatten können sich gegenseitig bei der Verwaltung gemeinsamen Vermögens vertreten ; alle sonstigen Geschäfte bedürfen der gesonderten rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung. 15. Rumänien Das rumänische Zivilrecht sieht keine gesetzliche Vertretungsmacht für Ehegatten und nahe Verwandte vor. 16. Schweden Grundsätzlich besteht in Schweden keine gesetzliche Vertretungsbefugnis für Ehegatten und nahe Angehörige. Anderes gilt nur für Eltern: Diese verfügen über die Befugnis zur Vertretung ihrer minderjährigen Kinder. Es gibt derzeit keine Bestrebungen, die aktuelle Gesetzeslage zu ändern. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 11 17. Schweiz Vorliegend wird unterschieden zwischen der gesetzlichen Vertretung einer urteilsunfähigen Person durch den Ehegatten und der Vertretung der ehelichen Gemeinschaft für die laufenden Bedürfnisse der Familie. 17.1. Die gesetzliche Vertretung einer urteilsunfähigen Person durch den Ehegatten oder eingetragenen Partner Unter dem früheren Recht konnte der Ehegatte oder eingetragene Partner nicht von Gesetzeswegen für den urteilsunfähigen Partner handeln oder diesen vertreten. Solche Personen mussten entmündigt und bevormundet werden. Mit einer Gesetzesrevision (1. Januar 2013 in Kraft getreten ) wurde die Grundlage geschaffen, damit die Angehörigen urteilsunfähiger Personen in einem bestimmten Maß als gesetzliche Vertreter für diese handeln können. Die gesetzliche Vertretung einer urteilsunfähigen Person durch den Ehegatten oder eingetragenen Partner gelangt zur Anwendung , wenn kein Vorsorgeauftrag oder keine Beistandschaft besteht und der Ehegatte oder eingetragene Partner mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmäßigen und persönlichen Beistand leistet. 17.1.1. Ordentliche Verwaltung Legt weder ein Vorsorgeauftrag vor, noch besteht eine entsprechende Beistandschaft, so haben Ehegatten und eingetragene Partnerinnen und Partner, welche mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führen oder ihr regelmäßig persönlich Beistand leisten, nach Art. 374 Abs. 1 Zivilgesetzbuch (ZGB)2 von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht. Dieses umfasst gemäß Art. 374 Abs. 2 ZGB alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfes üblicherweise erforderlich sind, die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte sowie nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen oder zu erledigen. Einschränkend hält Art. 374 Abs. 3 ZGB fest, dass für Rechtshandlungen im Rahmen der außerordentlichen Vermögensverwaltung die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einzuholen ist. Mit der neu geschaffenen Vertretung durch Ehegatten bzw. eingetragene Partnerinnen und Partner soll sichergestellt werden, dass die grundlegenden persönlichen und materiellen Bedürfnisse einer urteilsunfähigen Person befriedigt werden können, ohne dass die Erwachsenenschutzbehörde tätig werden muss. Nur wenn eine Person nicht nur vorübergehend, sondern dauernd urteilsunfähig ist, soll in diesen Fällen grundsätzlich eine Beistandschaft angeordnet werden. Sind die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt, so kann auch der Ehegatte bzw. die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner zum Beistand ernannt werden. Vertretungsvoraussetzung ist allerdings, dass ein gemeinsamer Haushalt geführt wird oder regelmäßig und persönlich Beistand geleistet wird. Die Vertretungsbefugnis ist jedoch begrenzt und umfasst nur Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfes normalerweise erforderlich sind, sowie die ordentliche Verwaltung des Ein- 2 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10 Dezember 1097 (Stand am 1. Januar 2016). Abrufbar unter http://www.gesetze.ch/inh/inhsub210.htm. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 12 kommens und der übrigen Vermögenswerte. Dies betrifft in erster Linie Handlungen, die laut Gesetz und Vertrag nur bei Mitwirkung beider Ehegatten bzw. Partner Wirksamkeit entfalten, wie z.B. die Kündigung der ehelichen bzw. partnerschaftlichen Wohnung. Ehegatten bzw. eingetragene Partner sind nach neuem Gesetz unter gewissen Voraussetzungen auch befugt, die Post zu öffnen oder zu erledigen, wobei unter "Post" auch elektronische Post wie E-Mail zu verstehen ist. Sie sind nicht schon mit Eintritt der Urteilsunfähigkeit befugt die Post zu öffnen, sondern erst wenn sie in guten Treuen annehmen dürfen, dass Rechnungen zu bezahlen sind oder mit der Antwort auf Brief oder Mail nicht zugewartet werden kann. Ist unsicher, ob die Voraussetzungen für eine Vertretung erfüllt sind oder wird das Vertretungsrecht bestritten, so entscheidet gestützt auf Art. 376 Abs. 1 ZGB die Erwachsenenschutzbehörde über das Vertretungsrecht und händigt Ehegatten bzw. Partnerin oder Partner eine Urkunde aus, welche die Befugnisse verbrieft. Art. 376 Abs. 2 ZGB sieht vor, dass die Erwachsenenschutzbehörde dem Ehegatten bzw. der Partnerin oder dem Partner die Vertretungsbefugnisse ganz oder teilweise entziehen kann oder eine Beistandschaft errichtet, wenn die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind. Ein formeller Entzug erfolgt in diesen Fällen nur dann, wenn die Erwachsenenschutzbehörde keine Beistandschaft errichtet. Dazu ist anzumerken, dass es bei dauernder Urteilsunfähigkeit immer einer Maßnahme durch die Erwachsenenschutzbehörde bedarf. Werden die Kompetenzen an einen Beistand übertragen, entfällt das gesetzliche Vertretungsrecht von Ehegatte bzw. Partnerin oder Partner automatisch. 17.1.2. Vertretung bei medizinischen Maßnahmen Gesetzliche Vertretungsrechte für einen breiteren Kreis von nahestehenden Personen bestehen neu bei medizinischen Maßnahmen. Das gilt namentlich für Behandlungen, denen sich die urteilsunfähig gewordene Person unterziehen muss, ohne dass dazu eine Patientenverfügung vorliegt . Das Erwachsenenschutzrecht bestimmt die Reihenfolge derjenigen Personen, welche die urteilsunfähige Person bei medizinischen Maßnahmen vertreten: (Vertretung bei medizinischen Maßnahmen gem. Art. 378 Abs. 1 Ziff. 1 ff. ZGB): 1.die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person; 2.der Beistand, wenn diese oder dieser ein Vertretungsrecht bei medizinischen Maßnahmen hat; 3.der Ehegatte oder die eingetragene Partnerin bzw. der eingetragene Partner, wenn ein gemeinsamer Haushalt mit der urteilsunfähigen Person besteht oder ihr regelmäßiger und persönlicher Beistand geleistet wird; 4.die Person (z.B. Konkubinatspartnerin oder Konkubinatspartner), die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmäßigen und persönlichen Beistand leistet ; 5. die Nachkommen, die Eltern oder die Geschwister, wobei hier verlangt wird, dass der urteilsunfähigen Person regelmäßiger und persönlicher Beistand geleistet wird. Bei Unklarheit, wer vertretungsberechtigt ist, bei unterschiedlichen Auffassungen der vertretungsberechtigten Personen über die richtige medizinische Maßnahme und bei Gefährdung der Interessen der urteilsunfähigen Person schreitet die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) ein. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 13 Die KESB entscheidet nicht über medizinische Maßnahmen, d.h. niemals in der Sache selbst bzw. über die fachärztlichen Entscheidungen, sondern sie bestimmt die vertretungsberechtigte Person oder errichtet eine Vertretungsbeistandschaft. Ist dies nicht rechtzeitig möglich (dringliche Fälle), entscheidet die behandelnde Ärzteschaft nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person (Art. 379 ZGB). Im Fall der längerdauernden Betreuung einer urteilsunfähigen Person in einer Wohn- oder Pflegeeinrichtung , muss ein schriftlicher Betreuungsvertrag abgeschlossen werden. Darin sind die Leistungen, so vor allem Wohnraum, Verpflegung und Pflege, und der Preis für die Leistungen transparent aufzuführen. Der Vertrag wird von der Vertreterin oder vom Vertreter der urteilsunfähigen Person abgeschlossen. Dabei kommt das Vertretungsrecht derselben Person zu wie bei medizinischen Maßnahmen allgemein. 17.2. Vertretung der ehelichen Gemeinschaft für die laufenden Bedürfnisse der Familie Im Rahmen der ordentlichen Vertretung verpflichten sich die Ehegatten für die laufenden Bedürfnisse der Familie während des Zusammenlebens solidarisch (Art. 166 Abs. 1 ZGB). Darüber hinaus können sich die Ehegatten außerordentlich für größere Gelegenheitsgeschäfte vertreten , wenn der vertretende Ehegatte dazu vom anderen Ehegatten ermächtigt wird, das Gericht es ihm gestattet oder eine Notlage vorliegt (Art. 166 Abs. 2 ZGB). Die gesetzliche Befugnis zur ordentlichen Vertretung kann vom Gericht entzogen werden, wenn sie offenkundig unvernünftig ausgeübt wurde und voraussichtlich auch weiterhin missbraucht würde (Art. 174 Abs. 1 ZGB). Der Entzug muss Dritten durch persönliche Benachrichtigung mitgeteilt (Art. 174 Abs. 2 ZGB) oder falls erforderlich öffentlich publiziert werden (Art. 174 Abs. 3 ZGB). Überschreitet ein Ehegatte seine Vertretungsbefugnis oder übt er eine fehlende aus, ist der gute Glaube des Dritten zu schützen, wenn die Überschreitung weder bekannt (Art. 174 Abs. 2 oder 3)noch erkennbar gewesen ist (Art. 166 Abs. 3).Im Außenverhältnis wird folglich der vertretene Ehegatte für all jene Geschäfte solidarisch mitverpflichtet, von denen der Dritte annehmen durfte, sie seien noch zum Alltagsbedarf zu rechnen. Im Innenverhältnis muss jeder Ehegatte seinen Anteil nach Maßgabe der vereinbarten Unterhaltsregelung (Art. 163) übernehmen, sofern das Geschäft für die Gemeinschaft nützlich und nicht unnötig war. Fehlt es an einem Familienbedürfnis oder wurde dieses schon befriedigt, so hat der handelnde Ehegatte die Verpflichtung allein zu tragen. 18. Slowakei Das slowakische Familiengesetz sieht vor, dass die Gerichte bestimmen, wer der Vertreter einer geschäftsunfähigen Person ist. Nach Act No. 36/2005 Coll. Family, Section Art. 28 üben die Eltern die Personen- und Vermögenssorge für ihr minderjähriges Kind aus. Diese umfasst die Vertretung des Kindes in allen rechtlichen Angelegenheiten. In Fällen, in denen die Interessen des Kindes und die seiner Eltern kollidieren, bestimmt das Gericht einen Vertreter. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 14 19. Slowenien Nach slowenischem Recht müssen Ärzte vor der Behandlung eines vorrübergehend oder dauerhaft nicht einwilligungsfähigen Patienten, der für diese Fälle keinen Vertreter benannt hat, die Genehmigung des jeweils nächsten Angehörigen einholen. Die Rangfolge der Angehörigen ist wie folg festgelegt: 1. Ehegatte, gleichgeschlechtlicher Lebenspartner oder nichtehelicher Lebenspartner 2. Kinder oder Adoptivkinder 3. Eltern 4. Geschwister 5. Großeltern 6. Enkel Sonstige gesetzliche Vertretungsbefugnisse bestehen nicht. 20. Spanien Abgesehen von dem elterlichen Recht auf Vertretung minderjähriger Kinder, bestehen in Spanien keine gesetzlichen Vertretungsbefugnisse zwischen Ehegatten oder nahen Verwandten. 21. Tschechien Die Vertretung von Geschäftsunfähigen durch nahestehende Personen ist in Tschechien im Zivilgesetzbuch geregelt. Familiäre Angelegenheiten werden entweder von beiden Ehegatten gemeinsam oder einzeln entschieden . Bei gewöhnlichen Familienangelegenheiten berechtigt und verpflichtet das Rechtsgeschäft eines Ehegatten beide Ehegatten gemeinsam und einzeln; dies gilt jedoch nicht, wenn einer der Ehegatten den Vertragspartner vorab darüber informiert hat, dass er mit dem Rechtsgeschäft nicht einverstanden ist. Ferner kann ein Gericht auf Antrag eines Ehegatten entscheiden, dass er von den Wirkungen aller zukünftig von dem anderen Ehegatten getätigten Rechtsgeschäften befreit wird. Diese Befreiung gilt jedoch nicht für solche Verpflichtungen, die der Ehegatte eingeht, um den Lebensbedarf der Familie zu decken, insbesondere jenen minderjähriger Kinder. Die gemeinsame Verpflichtung beider Ehegatten durch einen der Ehegatten erfolgt jedoch nicht, sofern die Gatten nicht in ehelicher Gemeinschaft leben. 22. Ungarn Nach ungarischem Recht besteht eine gesetzliche Vertretungsbefugnis allein zugunsten von Eltern für ihre minderjährigen Kinder. 23. Zypern Auch in Zypern besteht eine gesetzliche Vertretungsbefugnis nur zugunsten von Eltern für ihre minderjährigen Kinder. Entscheidungen über medizinische Belange einer Person, dürfen nur von einem Dritten getroffen werden, wenn dieser hierzu rechtsgeschäftlich ermächtigt wurde. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 038/16 Seite 15 - Ende der Bearbeitung -