© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 036/19 Recht auf Zugang zu einem Anwalt im Strafverfahren Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 036/19 Seite 2 Recht auf Zugang zu einem Anwalt im Strafverfahren Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 036/19 Abschluss der Arbeit: 4. März 2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 036/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Anwendungsvoraussetzungen 4 2. Inhalt und Reichweite 5 2.1. Belehrung gemäß § 114b Abs. 1 StPO 5 2.2. Belehrung gem. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO 5 3. Rechtsfolgen bei Verstößen 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 036/19 Seite 4 1. Anwendungsvoraussetzungen Das Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers ist in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO1 sowie in § 114b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StPO statuiert. Demnach darf der Beschuldigte jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, „einen von ihm zu wählenden Verteidiger“ befragen bzw. wird „unverzüglich und schriftlich“ nach seiner Verhaftung darüber belehrt. Voraussetzung für die Anwendung der genannten Rechte ist die Beschuldigteneigenschaft.2 Beschuldigter ist derjenige, gegen den die „Strafverfolgungsbehörde aufgrund eines Anfangsverdachts die Ermittlungen durchführt“3. Entscheidend für die Anwendung ist also – subjektiv – ein Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörde , der sich – objektiv – in einem Willensakt manifestiert.4 Darüber hinaus muss es sich um eine Vernehmung handeln. Eine Vernehmung in der StPO meint „die gezielte Befragung einer Person durch ein staatliches Organ, wobei die amtliche Eigenschaft des Vernehmenden deutlich werden muss“5. Abzugrenzen ist die Vernehmung von der informatorischen Befragung und den Spontanäußerungen. Die informatorische Befragung ist zeitlich im Vorstadium der eigentlichen Ermittlungstätigkeit angesiedelt. Sie bezeichnet „Erkundigungen, mit denen die Ermittlungsperson herauszufinden versucht, ob überhaupt ein Anfangsverdacht besteht und/oder wer als Auskunftsperson in Betracht“6 kommt. Unter einer Spontanäußerung versteht man die „Fälle, in denen eine Person von sich aus an eine Strafverfolgungsbehörde herantritt und Äußerungen tätigt, ohne befragt worden zu sein“7. Sowohl bei der informatorischen Befragung als auch der Spontanäußerung handelt es sich nicht um eine Vernehmung, so dass der Befragte nicht belehrt werden muss.8 1 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2639) geändert worden ist (aktuelle Fassung abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/). 2 Zwar haben auch Zeugen gem. § 68b StPO das Recht, sich eines Anwalts als Zeugenbeistand zu bedienen – insofern besteht jedoch keine Hinweis- und Belehrungspflicht der Behörden, vgl. Maier, Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 68b StPO Rn. 11. 3 Kölbel, in: Knauer/Kudlich/Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163a Rn. 3. 4 BGH, Urteil vom 03.07.2007 – 1 StR 3/07, NJW 2007, 2706 (2707). 5 Kastner, in: Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, 3. Auflage 2018, „Vernehmung“. 6 Kölbel, in: Knauer/Kudlich/Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163a Rn. 9. 7 Frister, in: Bäcker/Denninger/Graulich (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, Gefahrenabwehr – Strafverfolgung – Rechtsschutz, 6. Auflage 2018, Rn. 27. 8 BGH, Beschluss vom 27.02.1992 – 5 StR 190/91, NJW 1992, 1463 (1466). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 036/19 Seite 5 2. Inhalt und Reichweite 2.1. Belehrung gemäß § 114b Abs. 1 StPO Gemäß § 114b Abs. 1 ist der Beschuldigte nach der Verhaftung unverzüglich und schriftlich über seine Rechte zu belehren. Die Belehrung enthält gemäß § 114b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StPO den Hinweis für den Beschuldigten, dass er „jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann“9. Die Belehrungspflicht gilt nicht ausschließlich für Festnahmen aufgrund eines Haftbefehls nach §§ 112, 112a StPO, sondern auch für Haftbefehle nach den §§ 230 Abs. 2, 236, 329 Abs. 4, 412 StPO sowie bei vorläufigen Festnahmen nach §§ 127, 127b StPO und beim Festhalten von Personen zum Zweck der Identitätsfeststellung gem. §§ 163b, 163c StPO.10 Die Belehrung hat unverzüglich, also „ohne schuldhaftes Zögern“11 zu erfolgen . Damit soll sichergestellt werden, dass der Festgenommene sofort über seine Rechtsbehelfe aufgeklärt wird, und nicht erst bei der Vorführung vor dem für ihn zuständigen Gericht. Die Belehrung ist in einer für den Beschuldigten verständlichen Sprache vorzunehmen.12 Die Belehrung ist zur Verdeutlichung auch schriftlich an den Beschuldigten auszuhändigen. Sollte eine „schriftliche Belehrung nicht möglich“13 sein, so ist sie nachzuholen, sofern dies in zumutbarer Weise möglich ist. 2.2. Belehrung gem. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO Der Hinweis auf Hinzuziehung eines Verteidigers ist vor jeder ersten richterlichen Vernehmung zu erteilen und gilt entsprechend § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO auch für Vernehmungen vor der Staatsanwaltschaft.14 Entscheidet sich der Beschuldigte dafür, seinen Verteidiger sprechen zu wollen, so ist die Vernehmung zu unterbrechen und darf nicht gegen seinen Willen fortgesetzt werden.15 Zur Fortsetzung der Vernehmung ohne vorherige Verteidigerkonsultation kommt es erst, wenn sich der Beschuldigte nach erneuter Belehrung ausdrücklich damit einverstanden erklärt hat und ernsthafte Bemühungen des Vernehmenden vorausgegangen sind, dem Beschuldigten bei der Herstellung eines Kontakts zu einem Verteidiger in effektiver Weise zu helfen.16 Dem Beschuldigten ist vor der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich telefonisch mit dem von ihm 9 Wortlaut des § 114 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StPO. 10 Graf, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 7. Auflage 2013, § 114 b Rn. 3. 11 Krauß, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 32. Edition, Stand: 01.01.2019, § 114 b Rn. 3. 12 Krauß, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 32. Edition, Stand: 01.01.2019, § 114 b Rn. 3. 13 Wortlaut des § 114 b Abs. 1 Satz 3 StPO. 14 Monka, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 32. Edition, Stand: 01.01.2019, § 136 Rn. 8. 15 BGH, Urteil vom 29.10.1992 - 4 StR 126/92, NJW 1993, 338 (339). 16 Diemer, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 7. Auflage 2013, § 136 Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 036/19 Seite 6 gewählten Verteidiger in Verbindung zu setzen. Schlägt die Kontaktaufnahme fehl, ist bis zur Erreichbarkeit des gewählten Verteidigers abzuwarten.17 Ferner ist der Beschuldigte durch die Vernehmenden gem. § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO auf anwaltliche Notdienste hinzuweisen. Indes besteht eine Ausnahme von dem Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers, wenn der Beschuldigte für dieses Verfahren bereits einen Pflicht- oder Wahlverteidiger hat.18 In geeigneten Fällen kann es angezeigt sein, den Beschuldigten auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass es erfahrungsgemäß Anwälte gibt, die bereit sind, mittellose Beschuldigte zumindest telefonisch zu beraten.19 3. Rechtsfolgen bei Verstößen Wurde gegen die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen, setzt sich die notwendige Belehrung in einer „qualifizierten Belehrung“ fort. Demnach ist der Beschuldigte darauf hinzuweisen, dass seine bisherigen Aussagen unverwertbar seien.20 Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 114b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StPO ist zu differenzieren. Macht der Beschuldigte nach einer ordnungsgemäßen Belehrung gem. § 136 Abs. 1 StPO erstmals Angaben, wird der vorangegangene Belehrungsverstoß geheilt. Tätigt der Beschuldigte die Aussagen nach der Ergreifung und vor dem Beginn der förmlichen Vernehmung, sind die Aussagen unverwertbar und es bedarf einer qualifizierten Belehrung.21 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung soll allerdings kein Verwertungsverbot vorliegen, wenn der Beschuldigte sein Recht auf Verteidigerkonsultation kannte und dementsprechend weniger schutzwürdig sei.22 * * * 17 Schuhr, in: Knauer/Kudlich/Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 136 Rn. 33. 18 Monka, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 32. Edition, Stand: 01.01.2019, § 136 Rn. 11. 19 Diemer, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 7. Auflage 2013, § 136 Rn. 14. 20 BGH, Beschluss vom 11.09.2007 - 1 StR 273/07, NStZ 2008, 55 (56). 21 Krauß, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 32. Edition, Stand: 01.01.2019, § 114 b Rn. 23. 22 BGH, Beschluss vom 27.02.1992 – 5 StR 190/91, NJW 1992, 1463 (1465 f.).