© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 034/20 Zeugnisverweigerungsrecht im Bereich der sozialen Arbeit? Geltende Rechtslage und Spielraum des Gesetzgebers Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 2 Zeugnisverweigerungsrecht im Bereich der sozialen Arbeit? Geltende Rechtslage und Spielraum des Gesetzgebers Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 034/20 Abschluss der Arbeit: 6. April 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zeugnisverweigerungsrecht von Berufsgeheimnisträgern im geltenden Recht 4 3. Spielraum des Gesetzgebers bei der Einführung neuer Zeugnisverweigerungsrechte für Berufsgeheimnisträger 6 3.1. Grundsatz 6 3.2. Begrenzung auf das unbedingt erforderliche Maß 6 3.3. Verbot willkürlicher Auswahl der einbezogenen Berufe 7 4. Zeugnisverweigerungsrecht im Bereich soziale Arbeit? 7 5. Fazit 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 4 1. Einleitung Die §§ 53, 53a der Strafprozessordnung (StPO)1 können Berufsgeheimnisträgern, wie beispielsweise Rechtsanwälten, und an deren beruflicher Tätigkeit mitwirkenden Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht eröffnen. Im Bereich der sozialen Arbeit2 Tätige werden in diesen Vorschriften nur mittelbar berücksichtigt, insofern sie „Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ oder „Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in einer Beratungsstelle“ sind (§ 53 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3a und 3b StPO). Jenseits dieser Fälle, also außerhalb von Beratungsstellen sieht § 53 StPO für in der sozialen Arbeit Tätige mithin kein Zeugnisverweigerungsrecht vor. Dies wird bisweilen kritisiert und die Einführung eines entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechts gefordert.3 Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend der einschlägige rechtliche Rahmen summarisch dargestellt werden. 2. Zeugnisverweigerungsrecht von Berufsgeheimnisträgern im geltenden Recht Das Zeugnisverweigerungsrecht umfasst jegliche Informationen, die der Berufsgeheimnisträger im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung erhalten hat. Dadurch soll auch die Funktionsfähigkeit dieser privilegierten Berufe gewahrt und ein Interessenkonflikt der Berufsgeheimnisträger vermieden werden.4 Die Berufsgruppen, die von § 53 StPO erfasst sind, kennzeichnet dabei jeweils die Ausübung einer besonders vertrauensbedürftigen Tätigkeit. Regelmäßig ist der private oder geschäftliche Lebensbereich derjenigen betroffen, die eine solche Tätigkeit in Anspruch nehmen.5 Neben Geistlichen und Rechtsanwälten gehören auch medizinische Berufsgeheimnisträger und Apotheker sowie Hebammen (§ 53 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) zu den privilegierten Berufsgruppen. 1 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 3. März 2020 (BGBl. I S. 431) geändert worden ist. 2 Soziale Arbeit ist der Oberbegriff für die Termini Sozialarbeit und Sozialpädagogik, vgl. Brockhaus Enzyklopädie Online, Stichwort „soziale Arbeit“, Versionsdatum 02.04.2020. 3 Vgl. etwa Petition 103797 – Änderung des § 53 der Strafprozessordnung (Zeugnisverweigungsrecht der Berufsgeheimnisträger ) – vom 10.12.2019 (https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2019/_12/_10/Petition _103797.html); Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/4085 – Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vom 31.08.2018; Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend, Zur Notwendigkeit eines Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit, Pressemitteilung 28.01.2020 (https://www.kos-fanprojekte.de/index.php?id=298). 4 Percic, in: Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Auflage 2014, § 53 Rn. 1. Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 15.01.1975 - Az. 2 BvR 65/74, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1975, 588 (589). 5 Vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.06.1982 - Az. 2 Ws 204/82, NJW 1982, 2615. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 5 Eine erweiternde Auslegung auf andere als die in § 53 StPO genannten Berufsgruppen wird in der Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil der Literatur abgelehnt.6 Hauptargument gegen eine solche Auslegung ist das Erfordernis der Gewährleistung einer funktionsfähigen Rechtspflege .7 Auch spricht der Wille des Gesetzgebers gegen eine erweiterte Auslegung dieser Vorschrift .8 Eine solche wäre nur bei einem unabsichtlich engen Wortlaut im Hinblick auf den verfolgten Gesetzeszweck möglich.9 § 53 Absatz 1 Satz 1 StPO nennt abschließend und ausdrücklich die Berufe, bei denen ein Zeugnisverweigerungsrecht existieren soll.10 Bei allen anderen Berufsgruppen bleibt – vorbehaltlich eines in Härtefällen gegebenenfalls unmittelbar aus der Verfassung abzuleitenden Zeugnisverweigerungsrechts11 – die uneingeschränkte Zeugnispflicht bestehen.12 Aus dem Rechtsgedanken des § 203 StGB lässt sich kein Zeugnisverweigerungsrecht herleiten. Der durch § 53 Absatz 1 StPO zum Schweigen berechtigte Personenkreis ist nach dem gesetzgeberischen Willen enger als der durch § 203 StGB zum Schweigen verpflichtete.13 Aus der strafbewehrten Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 203 StGB lässt sich regelmäßig nicht das Recht herleiten , eine Aussage zu verweigern.14 Der Schutz von Daten und Informationen (Geheimnisse) im Sinne des § 203 StGB wird vielmehr durch die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit vom Verfahren nach § 172 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)15 gewährleistet. 6 BVerfG, Beschl. v. 31.05.1988 - Az. 2 BvR 367/88, NJW 1988, 2945; Percic, in: Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung , § 53 Rn. 3. 7 BVerfGE 33, 367; Rogall, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, mit GVG und EMRK - Band 1, §§ 1-93, 5. Auflage 2018, § 53 Rn. 50 f. 8 BT-Drucks. 12/870, S. 5. 9 Weidenkaff, in: Creifelds Rechtswörterbuch, 22. Auflage 2017, S. 122. 10 Huber, in: Beck´scher Onlinekommentar zur StPO, 33. Edition, Stand: 01.04.2019, § 53 Rn. 2; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 60. Auflage 2017, § 53 Rn. 2. 11 Vgl. Rogall, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, mit GVG und EMRK - Band 1, §§ 1-93, 5. Auflage 2018, § 53 Rn. 57. 12 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.01.1975 - Az. 2 BvR 65/74, NJW 1975, 588; Beschl. v. 31.05.1988 - Az. 2 BvR 367/88, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 1988, 418. 13 Vgl. schon Erster Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) — Drucksachen 7/550, 7/1232 — BT-Drs. 7/1261, S. 16. 14 Percic, in: Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Auflage 2014, § 53 Rn. 6 (m. w. N.); so auch BT- Drs. 12/870, S. 5; anderer Ansicht Foth, Juristische Rundschau (JR) 1976, 7. 15 Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2633) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 6 3. Spielraum des Gesetzgebers bei der Einführung neuer Zeugnisverweigerungsrechte für Berufsgeheimnisträger 3.1. Grundsatz Grundsätzlich hat der Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber, wie er die gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrechte ausgestaltet und welche Berufsgruppen er in § 53 StPO einbezieht, einen erheblichen Entscheidungsspielraum. Grenzen werden diesem Spielraum nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor allem in zweierlei Hinsicht gezogen: Zum einen darf der Gesetzgeber nicht nach Belieben neue Zeugnisverweigerungsrechte schaffen, weil durch jedes Zeugnisverweigerungsrecht das Ziel der möglichst uneingeschränkten Wahrheitsermittlung im Strafprozess eingeschränkt bzw. gefährdet wird. Zum anderen darf der Gesetzgeber nicht willkürlich bestimmten Berufsgruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht zugestehen und dieses anderen verweigern. 3.2. Begrenzung auf das unbedingt erforderliche Maß Aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben obliegt es dem Gesetzgeber, bei der Ausgestaltung der Zeugnisverweigerungsrechte das Interesse an einer möglichst umfassenden Wahrheitsermittlung im Strafverfahren zu berücksichtigen und die Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts auf das unabdingbar erforderliche Maß zu beschränken: „... ist es dem Gesetzgeber nicht freigestellt, den Kreis der aus Berufsgründen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen nach Belieben zu erweitern. Vielmehr zieht ihm das Rechtsstaatsprinzip Grenzen. Soweit der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält (BVerfGE 7, 89 [92]; 7, 194 [196]; 20, 323 [3311; 21, 378 [388]), verlangt er auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt (BVerfGE 19, 342 [347]; 20, 45 [49]; 20, 144 [147]), das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß betont (BVerfGE 32, 373 [381]) und die Aufklärung schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (BVerfGE 29,183 [194]). Jede Ausdehnung des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts auf neue Personengruppen schränkt aber die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen ein und beeinträchtigt deshalb möglicherweise die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung. Angesichts des rechtsstaatlichen Postulats der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege bedarf die Einräumung von Aussageverweigerungsbefugnissen aus beruflichen Gründen stets einer besonderen Legitimation, um vor der Verfassung Bestand zu haben.“16 Dies folgt zudem auch aus dem Anspruch des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren : 16 BVerfGE 33, 367, 383. Vgl. auch BVerfgE 77, 65, 76. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 7 „Gleiches gilt für den ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip begründeten Anspruch des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren. Gegenstände, auf die sich Zeugnisverweigerungsrechte oder Beschlagnahmeverbote beziehen, sind grundsätzlich nicht nur der Anklage , sondern auch der Verteidigung entzogen. Diese Rechte beschränken die Möglichkeiten des von Strafe bedrohten Bürgers, den gegen ihn bestehenden Verdacht in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren auszuräumen. Auch von daher kann der Gesetzgeber strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote nicht beliebig begründen oder erweitern . Sie stellen Ausnahmen von der Pflicht zur umfassenden Aufklärung der materiellen Wahrheit dar und bergen demzufolge die Gefahr in sich, daß die Gerichte ihre Entscheidungen auf mangelhafter Tatsachengrundlage treffen. Die Begründung und Erweiterung solcher Rechte bedarf daher stets einer Legitimation, die vor dem Rechtsstaatsprinzip Bestand hat (vgl. BVerfGE 33, 367 [383]).“17 3.3. Verbot willkürlicher Auswahl der einbezogenen Berufe Durch den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ist es dem Gesetzgeber andererseits verwehrt, ohne Sachgrund zwischen verschiedenen Berufsgruppen zu differenzieren und für einige Berufsgruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht vorzusehen, für andere nicht: „Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14 [52]; 31, 212 [218 f.], ständige Rechtsprechung).“18 4. Zeugnisverweigerungsrecht im Bereich soziale Arbeit? Innerhalb der unter Gliederungspunkt 3 aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grenzziehungen hat der Gesetzgeber einen Spielraum hinsichtlich der Einführung oder Nichteinführung und gegebenenfalls der Ausgestaltung eines Zeugnisverweigerungsrechts für im Bereich der sozialen Arbeit Beschäftigte. Das Bundesverfassungsgericht ist 1972 in einem Urteil zu dem Schluss gekommen, dass der Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet ist, ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter in die Strafprozessordnung aufzunehmen.19 Es begründete dies unter anderem damit, dass – die Art der Beziehung zwischen „Betreuer und Hilfsbedürftigem“ nicht überall gleich sei und es schon aus diesen Gründen keine berufstypische Vertrauenssituation gebe, die dadurch gekennzeichnet wäre, dass der Klient vom Sozialarbeiter die Geheimhaltung von Tatsachen des privaten Lebensbereichs erwarte; das Vertrauensverhältnis zwischen dem 17 BVerfgE 77, 65, 76. 18 BVerfGE 33, 367, 387. 19 BVerfGE 33, 367, bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 31.05.1988 – 2 BvR 367/88, NJW 1988, 2945. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 8 Sozialarbeiter und seinem Klienten sei wesentlich anders geartet als bei den anderen zum damaligen Zeitpunkt in § 53 StPO genannten Berufsgruppen;20 – die im damaligen § 53 StPO erfassten Berufe feste, von der Gemeinschaft gebilligte Maßstäbe dafür entwickelt hätten, wo ein Berufsgeheimnis bestehe und inwieweit es Schweigen gebiete;21 – es bei Sozialarbeitern an öffentlichrechtlich verfassten Standesvertretungen (Kammern) und Berufs- oder Ehrengerichten fehle;22 – den Sozialarbeiter keine mit strafrechtlichen Sanktionen bewehrte Geheimhaltungspflicht treffe, wie sich aus § 300 StGB in seiner damaligen Fassung23 ergebe. Es ist fraglich, ob sämtliche dieser Erwägungen angesichts der heutigen Sach- und Rechtslage uneingeschränkt Gültigkeit beanspruchen können.24 So erscheint die pauschale Feststellung, dass der Klient eines Sozialarbeiters von diesem in der Regel gerade keine Vertraulichkeit erwarte, unter anderem aufgrund des zwischenzeitlich sowohl rechtlich als auch faktisch geänderten Stellenwerts des Datenschutzes zweifelhaft.25 Andererseits ist jedoch auch zu beachten, dass aus bestehenden Vorschriften zum Sozialgeheimnis nicht notwendigerweise unmittelbar abgeleitet werden kann, dass sich hierin gerade der Schutz eines persönlichen Vertrauensverhältnisses manifestiere , da die entsprechenden Schutznormen zum Teil gerade nur für den jeweiligen Träger 20 BVerfGE 33, 367, 380, 385. 21 BVerfGE 33, 367, 385. 22 BVerfGE 33, 367, 385 f. 23 § 300 StGB a. F. hatte zum Gegenstand das unbefugte offenbaren fremder Geheimnisse – heute § 203 StGB – und galt für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker oder Angehörige eines anderen Heilberufs, der eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer (vereidigte Bücherrevisoren) und Steuerberater (BGBl. I 1953 S. 1083). 24 Kritisch insbesondere Schruth/Simon, Strafprozessualer Reformbedarf des Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit, Rechtsgutachten im Auftrag der Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), 2018, S. 35 ff. 25 Schruth/Simon, Strafprozessualer Reformbedarf des Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit, Rechtsgutachten im Auftrag der Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), 2018, S. 35 ff., 59. Vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/4085 – Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter , BT-Drs. 19/4371 vom 18.09.2018, S. 2: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Tätigkeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den Arbeitsfeldern mobiler Jugendarbeit, Reintegration gewaltbereiter junger Menschen und bei der Beratung von Gewaltopfern ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Klienten voraussetzt.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 9 bzw. die Institution gelten, für den/die der Sozialarbeiter tätig wird – was deutlich einen Unterschied etwa zum Verhältnis Patient-Arzt oder Mandant-Rechtsanwalt darstellt.26 Nach wie vor im Wesentlichen zutreffend ist, soweit ersichtlich, dass es im Bereich der sozialen Arbeit keine anderen Berufen entsprechende flächendeckende Kammerorganisation und Berufs- oder Ehrengerichtsbarkeit gibt.27 Nicht mehr zutreffend ist der Verweis des Bundesverfassungsgerichts auf den fehlenden strafrechtlichen Schutz privater Geheimnisse bei der Berufsgruppe der Sozialarbeiter, da § 203 Absatz 1 Nr. 6 StGB nunmehr ausdrücklich „staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen“ einbezieht. Durchaus Bestand haben dürfte wiederum die Beobachtung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Berufsausübung des Sozialarbeiters kein geschlossenes Bild bietet, sondern von einer äußerst großen Bandbreite gekennzeichnet ist – so dass sowohl Beziehungen vorstellbar sind, in denen kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Klient und Sozialarbeiter besteht bzw. in denen die Institution, für die der Sozialarbeiter tätig ist, im Vordergrund steht, während andere Konstellationen existieren, in denen regelmäßig ganz besonders enge, persönliche und auf Vertraulichkeit basierende Beziehungen vorliegen dürften.28 Vor diesem Hintergrund dürfte die seit Längerem vorherrschende politische Position29, in der Strafprozessordnung kein typisiertes Zeugnisverweigerungsrecht für den Bereich der sozialen Arbeit einzuführen und stattdessen Härtefälle im Einzelfall über ein verfassungsunmittelbares Zeugnisverweigerungsrecht abzufedern, vom verfassungsrechtlich eröffneten Spielraum des Gesetzgebers umfasst sein. Umgekehrt dürfte auch die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für bestimmte Konstellationen der sozialen Arbeit rechtlich möglich sein. Ein historisches Beispiel für eine solche, einen differenzierten Ansatz hinsichtlich eines Zeugnisverweigerungsrechts für den Bereich der sozialen Arbeit verfolgende Intiative kann etwa dem Ge- 26 So ist bei § 35 Absatz 1 SGB I (Das Erste Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – [Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015], das zuletzt durch Artikel 28 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 [BGBl. I S. 2652] geändert worden ist) Adressat nur der Träger bzw. die Institution, vgl. Mörsberger, in: Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 5. Auflage 2015, Rn. 15. 27 Gewisse Ansätze in dieser Richtung scheinen gleichwohl zu existieren, etwa in Gestalt der Berufskammer Soziale Arbeit des Deutschen Berufsverbands für Soziale Arbeit e.V., vgl. https://www.dbsh.de/profession/berufsethik /berufskammer-soziale-arbeit-bksa.html. 28 Schruth/Simon, Strafprozessualer Reformbedarf des Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit, Rechtsgutachten im Auftrag der Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), 2018, S. 60. 29 Vgl. etwa die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE., Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, BT-Drs. 19/4371 vom 18.09.2018 sowie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – BT-Drs. 19/4123 vom 03.09.2018, in der darauf verwiesen wird, mit der Frage der Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit Blick auf die Opferberatung habe sich die Bundesregierung im Jahr 2012 ausführlich befasst und sämtliche Länder hätten sich in diesem Kontext gegen die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Opferhelfer /Sozialarbeiter ausgesprochen (a.a.O. S. 13). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 10 setzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts aus dem Jahr 1974 entnommen werden.30 Der Gesetzentwurf sah vor, in § 53 StPO eine neue Nummer 3a einzuführen: „3a) staatlich anerkannte Sozialarbeiter, staatlich anerkannte Sozialpädagogen und Psychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung über das, was ihnen bei der Ehe-, Erziehungs- und Jugendberatung sowie bei der Beratung in Suchtfragen in einer Beratungsstelle , die eine Behörde oder eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt oder bei sich eingerichtet hat, anvertraut worden oder bekanntgeworden ist und was nicht auf Grund gesetzlicher Vorschriften der Mitteilung an Gerichte oder Staatsanwaltschaften unterliegt“. Die Begründung führte hierzu unter Bezugnahme auf die o.g. verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen aus: „Auch bei voller Würdigung dieser vorrangigen Interessen der Strafrechtspflege erscheint es jedoch dringend geboten, das Zeugnisverweigerungsrecht auf Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen auszudehnen, wenn auch mit Einschränkungen, die sich aus den Besonderheiten dieser Berufe ergeben. Die Tätigkeit der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen hat erheblich an Bedeutung gewonnen. Staatliche und andere Stellen sehen es zunehmend als ihre Aufgabe an, dem einzelnen, der in soziale Konflikte gerät oder zu geraten droht, bei der Bewältigung seiner Schwierigkeiten schon durch sozialpräventive Maßnahmen zu helfen. Dabei setzen sie in großer Zahl Sozialarbeiter und Sozialpädagogen ein. Der Erfolg dieser Bemühungen hängt aber entscheidend von dem Vertrauen ab, das den Sozialarbeitern und Sozialpädagogen von den Hilfebedürftigen entgegengebracht wird, und damit von der Diskretion, die von dieser Berufsgruppe erwartet werden kann. Dasselbe gilt für die Tätigkeit der Psychologen , die vielfach ebenso wie Sozialarbeiter und Sozialpädagogen in Beratungsstellen tätig sind.“31 Die Schweigepflicht des § 203 StGB solle „im Interesse einer erfolgreichen Sozialpolitik auf wichtigen Gebieten, auf denen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen eingesetzt werden, durch ein Zeugnisverweigerungsrecht ergänzt werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht muß aber enger gefaßt werden als die Strafvorschrift, da es im Gegensatz zur Schweigepflicht die Strafrechtspflege beeinträchtigen kann. Es muß auf den Bereich solcher Funktionen der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen beschränkt werden , für deren wirksame Ausübung im besonderen Maße ein höchstpersönliches und keine Offenbarung duldendes Vertrauensverhältnis zwischen dem Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen und seinem Klienten erforderlich ist. Als solche Bereiche nennt der Entwurf die Ehe-, Erziehungs- und Jugendberatung sowie die Beratung in Suchtfragen. Diese kasuistische Eingrenzung des Zeugnisverweigerungsrechts mag im Einzelfall unbefriedigend sein. Sie ist aber wegen der außerordentlichen Vielfalt der Funktionen, die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen wahrnehmen, unumgänglich. Ein Aussageverweigerungsrecht für alle Sozialarbeiter und 30 BT-Drs. 7/2526. 31 BT-Drs. 7/2526 S. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 11 Sozialpädagogen ohne Rücksicht auf die von ihnen ausgeübte Tätigkeit würde die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeichneten Grenzen überschreiten. Aufgaben der Sozialarbeiter und der Sozialpädagogen, die auch ohne rückhaltlose Offenbarung der Betroffenen wahrgenommen werden können und die es nicht rechtfertigen, eine wirksame Strafverfolgung durch Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts zu beeinträchtigen, müssen ausgeklammert werden. Der Entwurf räumt den Sozialarbeitern und Sozialpädagogen nur für ihre Tätigkeit in Beratungsstellen ein Zeugnisverweigerungsrecht ein. Dort können sie weitgehend eigenverantwortlich handeln. Bei Sozialarbeitern und Sozialpädagogen, die insbesondere im öffentlichen Dienst neben einer beratenden Tätigkeit zugleich staatliche Aufsichtsfunktionen wahrnehmen oder die — wie z. B. bei der Beratung von Straffälligen der Gerichtshelfer und der Bewährungshelfer — an der Vorbereitung gerichtlicher oder behördlicher Entscheidungen mitwirken, ist die Situation anders. In diesen Bereichen liegt der Schwerpunkt der Verantwortung nicht bei dem einzelnen Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen, sondern bei der Institution , für die er tätig wird. Deshalb muß auch grundsätzlich die verantwortliche Dienststelle bestimmen, ob und welcher Gebrauch von dem Wissen gemacht wird, das dem Sozialarbeiter und Sozialpädagogen bei Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben bekannt wird. (…) Eine klare Trennung zwischen der von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen in überwiegend eigener Verantwortung wahrzunehmenden beratenden Tätigkeit und anderen Funktionen erscheint nur in der Weise möglich, daß die durch ein Zeugnisverweigerungsrecht geschützte beratende Tätigkeit auf besondere auch für den Ratsuchenden deutlich erkennbare Institutionen , nämlich auf bestimmte Beratungsstellen übertragen wird. Diese Beratungsstellen können sowohl von Behörden wie auch von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts eingerichtet oder anerkannt sein. Damit ist auch im staatlichen Bereich dort eine unter dem Schutz des besonderen Zeugnisverweigerungsrechts stehende Beratung möglich, wo die Beratung von den übrigen Aufgaben der Behörde getrennt und organisatorisch ausgegliedert werden kann.“32 Im Rahmen der Gesetzesberatung wurde dieses Vorhaben jedoch fallen gelassen und darauf verwiesen , eine Erörterung solle stattdessen im Rahmen der Beratungen zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk33 geschehen .34 Im Rahmen dieses Gesetzes erfolgte jedoch insofern keine Umsetzung des Regierungsentwurfs .35 Allerdings erfolgte durch das Gesetz zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit vom 23. Juli 199236 die Aufnahme von 32 BT-Drs. 7/2526 S. 15 f. 33 BT-Drs. 7/2539. 34 Vgl. Bericht und Antrag des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (2. StVRG) - Drucksache 7/2526 - und zu dem von dem Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (Gesetz zum Schutz der Rechtspflege) - Drucksache 7/2536 -, BT-Drs. 7/ 2989, S. 3. 35 Vgl. Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.07.1975, BGBl. I S. 1973. 36 BGBl. I S. 1366. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 034/20 Seite 12 Drogenberatern in § 53 StPO, die von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit dem Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16. Juni 199837. 5. Fazit Angehörige des Berufsstands der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen gehören als solche nicht zu dem Personenkreis, dem in § 53 StPO ein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die dieser Rechtslage zugrundeliegende Entscheidung des Gesetzgebers nicht im Rahmen seines verfassungsrechtlichen Spielraums bewegen würde, zumal sich für Härtefälle ein Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus der Verfassung ergeben kann. * * * 37 BGBl. I S. 1311.