WD 7 - 3000 - 031/21 (19.03.2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Im Falle von öffentlichen Aufträgen, die bestimmte Auftragswertgrenzen erreichen, sind unter anderem die Normen des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Vergabeverordnung (VgV) anwendbar. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge liegt der Schwellenwert derzeit bei 214.000 Euro bzw. bei 139.000 Euro im Falle von Aufträgen der oberen und obersten Bundesbehörden, vgl. §§ 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB, Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU. Die nachfolgenden Ausführungen beinhalten lediglich eine summarische Darstellung von Einzelaspekten des Vergabeverfahrens im Falle des Erreichens dieser Grenzwerte. Das GWB kennt verschiedene Vergabeverfahrensarten, insbesondere das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren und den wettbewerblichen Dialog (vgl. § 119 Abs. 1 GWB). Öffentlichen Auftraggebern stehen gemäß § 119 Abs. 2 GWB das offene Verfahren und das nicht offene Verfahren, das stets einen Teilnahmewettbewerb erfordert, nach ihrer Wahl zur Verfügung. Die anderen Verfahrensarten stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund des GWB gestattet ist. Nach § 119 Abs. 5 GWB ist das Verhandlungsverfahren ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln . Der öffentliche Auftraggeber kann gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind; die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein. Bei einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb erfolgt gemäß § 17 Abs. 5 VgV keine öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen, sondern unmittelbar eine Aufforderung zur Abgabe von Erstangeboten an die vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählten Unternehmen. Im Einzelfall kann sogar eine Verhandlung und Auftragsvergabe in Bezug auf lediglich einen Anbieter sowie gegebenenfalls „eine stark verkürzte Angebotsfrist bis hin zu null Tagen“ in Betracht kommen (Butzert/Krätsch). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat in einem Rundschreiben vom 19. März 2020 erklärt, dass der „in seiner Dynamik nicht erwartbare Anstieg“ der COVID-19-Infektionen „zu einer sich täglich verstärkenden Belastung der Gesundheitssysteme“ und in der Folge zu einem „äußerst kurzfristigen Beschaffungsbedarf“ führe (Rundschreiben, S. 2, 3). Dies im Zusammenspiel unter anderem mit einem Mangel an medizinischem Material habe zu Folge, dass die Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Öffentliche Beschaffung medizinischer Ausrüstung in der COVID-19- Pandemie Kurzinformation Öffentliche Beschaffung medizinischer Ausrüstung in der COVID-19-Pandemie Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV in Bezug auf Leistungen vorlägen, welche einer Eindämmung und kurzfristigen Bewältigung der Corona-Epidemie dienten (Rundschreiben, S. 3) Das gelte beispielsweise für die Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln wie Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe , Masken, Schutzkittel, Beatmungsgeräte usw. (Rundschreiben, S. 3). Allerdings wurde in der Literatur darauf hingewiesen, dass § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV eng auszulegen sei und eine Einzelfallprüfung erfolgen müsse sowie dass solche Verfahren die Ausnahme darstellen und lediglich der Überbrückung dienen sollen, bis langfristigere Lösungen verfügbar seien (Butzert /Krätsch, S. 467; vgl. auch Leitlinien der Europäischen Kommission, 2.3., 2.3.4.). Den Auftraggeber treffen auch im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb Dokumentationspflichten , vgl. § 8 VgV. Weiterhin hat der öffentliche Auftraggeber gemäß 39 Abs. 1 VgV spätestens 30 Tage nach der Vergabe des Auftrags eine Vergabebekanntmachung mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens an das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union zu übermitteln (Völlink Rn. 2). Bekanntmachungen werden gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 VgV durch das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union veröffentlicht. Die Beschaffung von Schutzausrüstung in der COVID-19-Pandemie, das Rundschreiben des BMWi und die Möglichkeit einer „Dringlichkeitsvergabe“ waren im Deutschen Bundestag insbesondere Gegenstand des parlamentarischen Fragerechts (z.B. Bundestags-Drucksache 19/19844; Plenarprotokoll 19/157, S. 19444 ff.). Quellen: – GWB: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 3 des Gesetzes vom 9. März 2021 (BGBl. I S. 327) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/BJNR252110998.html, letzter Abruf – auch für alle weiteren Internetlinks – 19.03.2021; englische Übersetzung, Stand: Die vorliegende Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 10 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gwb/englisch_gwb.html#p1288. – Leitlinien der Europäischen Kommission: Mitteilung der Kommission, Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation (2020/C 108 I/01), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=uriserv %3AOJ.CI.2020.108.01.0001.01.DEU. – Richtlinie 2014/24/EU: Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 094 vom 28.3.2014, S. 65), zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2019/1828 der Kommission vom 30. Oktober 2019, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:02014L0024-20200101&from=EN; in englischer Sprache abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A02014L0024- 20200101. – VgV: Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624), die zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 12. November 2020 (BGBl. I S. 2392) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/vgv_2016/BJNR062410016.html. – Bundestags-Drucksache 19/19844: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP, Bundestags-Drucksache 19/19844, abrufbar unter https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/198/1919844.pdf. – Butzert/Krätsch: Möglichkeiten zur Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für dringende Beschaffungen aufgrund der COVID-19-Pandemie, ZfBR 2020, 465. – Plenarprotokoll 19/157: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 157. Sitzung, 6. Mai 2020, Plenarprotokoll 19/157, abrufbar unter https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19157.pdf. – Rundschreiben: Rundschreiben des BMWi zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 vom 19. März 2020, abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/P-R/rundschreiben-anwendung-vergaberecht .html. – Völlink: Ziekow/Völlink (Hrsg.), Vergaberecht, 4. Auflage 2020, Kommentierung zu § 39 VgV. ***