© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 031/18 Denkmalschutz und Barrierefreiheit bei öffentlichen Gebäuden Gesetzgebungskompetenz und Ausnahmeregelungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/18 Seite 2 Denkmalschutz und Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden Gesetzgebungskompetenz und Ausnahmeregelungen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 031/18 Abschluss der Arbeit: 13. Februar 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Denkmalschutz 4 3. Barrierefreiheit 4 4. Ausnahmen vom Grundsatz der Barrierefreiheit 5 5. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/18 Seite 4 1. Einführung In diesem Sachstand wird untersucht, ob von der grundsätzlich zu schaffenden Barrierefreiheit Ausnahmen unter Gesichtspunkten des Denkmalschutzes gemacht werden können und wo die Gesetzgebungskompetenz für die entsprechenden Regelungen liegt. 2. Denkmalschutz Im Katalog der Art. 73, 74 GG1 wird der Denkmalschutz nicht erwähnt, sodass die Gesetzgebungskompetenz dafür gemäß Art. 70 Abs. 1 GG bei den Ländern liegt. So bestimmt etwa Art. 3c Abs. 2 LV BW2, dass die Denkmale der Kunst, der Geschichte und der Natur öffentlichen Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden genießen. Dementsprechend haben die Länder Denkmalschutzgesetze erlassen3. Gemein ist den Landesdenkmalschutzgesetzen, dass sie Änderungen an geschützten Denkmälern nur mit Genehmigung der Denkmalschutzbehörde zulassen (z.B. §§ 8, 15 DSchG BW). 3. Barrierefreiheit Zur Beseitigung und Verhinderung der Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen wurden Behindertengleichstellungsgesetze erlassen. Für Träger öffentlicher Gewalt auf Bundesebene gilt dabei das BGG4. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 BGG sollen zivile Neu-, Um- und Erweiterungsbauten im Eigentum des Bundes entsprechend den anerkannten Regeln der Technik barrierefrei gestaltet werden. Barrierefrei sind nach § 4 BGG bauliche und sonstige Anlagen, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Als behindert gelten Men- 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist; abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. 2 Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953, die zuletzt durch Gesetz vom 1. Dezember 2015 (GBl. 1953, 173) geändert worden ist; abrufbar unter http://www.landesrecht-bw.de/jportal/portal /t/5ae/page/bsbawueprod.psml/action/portlets.jw.MainAction?p1=0&eventSubmit_doNavigate=searchInSubtree TOC&showdoccase=1&doc.hl=0&doc.id=jlr-VerfBWrahmen&doc.part=R&toc.poskey=#focuspoint, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. 3 Z.B. Gesetz zum Schutz der Kulturdenkmale (Denkmalschutzgesetz – DSchG) des Landes Baden-Württemberg in der Fassung vom 6. Dezember 1983, das zuletzt durch Artikel 37 der Verordnung vom 23. Februar 2017 (GBl. S. 99, 104) geändert worden ist; abrufbar unter http://www.landesrecht-bw.de/jportal /?quelle=jlink&query=DSchG+BW&psml=bsbawueprod.psml&max=true&aiz=true, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. 4 Behindertengleichstellungsgesetz vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467, 1468), das zuletzt durch Artikel 19 Absatz 2 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist; abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/BJNR146800002.html, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/18 Seite 5 schen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können (§ 3 BGG). Als Soll-Vorschrift verlangt § 8 Abs. 1 S. 1 BGG barrierefreies Bauen im Regelfall, lässt aber in besonderen Fällen Abweichungen zu, etwa wenn exorbitante Kosten aufzuwenden wären oder wenn Art und Zweck des Gebäudes und die aufzuwendenden Kosten ist keinem vernünftigen Verhältnis zu den tatsächlichen Nutzungsvorteilen für Menschen mit Behinderungen stehen.5 Auch auf Landesebene wurden entsprechende Behindertengleichstellungsgesetze erlassen. Eine § 8 BGG vergleichbare Regelung findet sich etwa in § 7 BGG BW6. Die Einhaltung dieser Bestimmungen ist bei der Erteilung der Baugenehmigung zu beachten. Ihre Rechte können Menschen mit Behinderungen selbst oder nach §§ 14, 15 BGG durch die Behindertenverbände geltend machen.7 4. Ausnahmen vom Grundsatz der Barrierefreiheit Damit sind die Maßgaben der Behindertengleichstellungsgesetze grundsätzlich auch beim Umbau denkmalgeschützter Gebäude zu beachten. So bestimmt § 11 Abs. 6 BGG BE8 in Ausfüllung von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ausdrücklich, dass die Denkmalbehörden bei ihren Entscheidungen die Belange mobilitätsbehinderter Personen zu berücksichtigen haben. Auch Art. 9 BRK9 gewährleistet, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten erhalten. Ein wichtiges Ziel der Denkmalschutzgesetze ist die sinnvolle Nutzung eines Denkmals. Sie ist häufig Überlebensbedingung und kann von der Barrierefreiheit abhängen. § 8 Abs. 1 BGG und 5 Dau in Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 4. Auflage 2014, § 8 BGG, Rn. 4. 6 Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen des Landes Baden-Württemberg vom 17. Dezember 2014 (GBl. 2014, 819); abrufbar unter http://www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&query=Beh- GleichStG+BW&psml=bsbawueprod.psml&max=true&aiz=true#jlr-BehGleichStGBW2014pELS, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. 7 BVerwG, Urt. v. 04 April 2006 – 9 C 1/05 – BVerwGE 125, 370, juris-Rn. 19; VG Köln, Urt. v. 26.08.2008 – 14 K 4484/06, juris-Rn. 29. 8 Gesetz zum Schutz von Denkmalen in Berlin vom 24. April 1995 (GBl. 1995, 274), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 04 Februar 2016 (GVBl. S. 26, 55) geändert worden ist; abrufbar unter http://gesetze.berlin .de/jportal/;jsessionid =24D64B6637EBB475B43D1B68E0861427.jp15?quelle=jlink&query=DSchG+BE&psml=bsbeprod .psml&max=true&aiz=true#jlr-DSchGBE1995V6P11, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. 9 Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention ), dem der Bundestag durch Gesetz vom 21. Dezember 2008 (BGBl. S. 1419) zugestimmt hat; abrufbar unter http://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar61106-dbgbl.pdf, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/18 Seite 6 die entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen bilden daher eine Schnittstelle zwischen Barrierefreiheit und Denkmalschutz. 10 Sowohl bei der Erteilung der Baugenehmigung als auch für die Erteilung der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung wird den Behörden ein solches Ermessen eingeräumt. Ausnahmen von der Pflicht zur Herstellung der Barrierefreiheit werden nicht ausdrücklich formuliert. Konflikte zwischen Denkmalschutz und Barrierefreiheit sind durch eine Abwägung der gegenläufigen Positionen und eine angemessenes Eingehen auf den Einzelfall zu lösen. Auch wo § 11 Abs. 6 BGG BE vergleichbare Regelungen fehlen, sind die Belange von Menschen mit Behinderungen aufgrund der Generalklauseln der Erlaubnistatbestände (öffentliche/private Belange, vgl. bspw. § 15 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 DSchG BW) oder über die Ausübung des eingeräumten Ermessens in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.11 Bei der Ausübung des Ermessens gelten die allgemeinen Grundsätze, insb. § 40 VwVfG12. Diese Entscheidung ist von den Gerichten vollumfänglich überprüfbar (§ 114 S. 1 VwGO13). Bei der Ausübung des Ermessens ist zu beachten, dass die maßgeblichen Normen nicht vollständig auf einander abgestimmt sind. Denkmalrechtlich problematisch sind etwa Maßnahmen zur Beseitigung von Barrieren, wenn die Aussage eines Denkmals durch den Verlust an Originalsubstanz oder optischer Wirkungsmöglichkeit wesentlich geschmälert wird. Eine generelle Priorisierung der Belange der Denkmalpflege scheidet vor dem Hintergrund der im Einzelfall gegenläufigen Grundrechte der Menschen mit Behinderungen aus. Aber auch eine stets vorrangige Berücksichtigung ihrer Belange wäre angesichts der Staatszielbestimmungen zugunsten des Denkmalschutzes unzulässig.14 Diese Konflikte sind in einem einzelfallbezogenen denkmalrechtlichen Erlaubnis- oder dem Baugenehmigungsverfahren zu lösen. So sind etwa Maßnahmen, die mit wenigen oder reversiblen Eingriffen in die Denkmalsubstanz verbunden sind eher genehmigungsfähig als solche, die mit dem endgültigen Verlust von Denkmalsubstanz verbunden sind.15 Spiegelbildlich sind Barrieren 10 Spennemann in Martin/Krauzberger, Denkmalschutz und Denkmalpflege, 4. Auflage 2017, H. IV. 6. Bauordnung und Denkmal, Rn. 210, Rn. 220. 11 Spennemann in Martin/Krauzberger, Denkmalschutz und Denkmalpflege, 4. Auflage 2017, H. IV. 6. Bauordnung und Denkmal, Rn. 222. 12 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 11 Absatz 2 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist; abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/BJNR012530976.html, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. 13 Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 5 Absatz 2 des Gesetzes vom 8. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3546) geändert worden ist; abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/vwgo/BJNR000170960.html, zuletzt abgerufen am 13. Februar 2018. 14 Spennemann in Martin/Krauzberger, Denkmalschutz und Denkmalpflege, 4. Auflage 2017, H. IV. 6. Bauordnung und Denkmal, Rn. 236, Rn. 238. 15 Spennemann in Martin/Krauzberger, Denkmalschutz und Denkmalpflege, 4. Auflage 2017, H. IV. 6. Bauordnung und Denkmal, Rn. 240. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/18 Seite 7 beseitigende Maßnahmen dort stets zu ergreifen, wo dies ohne größere Eingriffe in die Substanz des geschützten Denkmals möglich ist. Während es – soweit ersichtlich – keine Entscheidungen gibt, in denen das Fehlen barrierefreier Einrichtungen gerügt wird, zeigt sich umgekehrt eine großzügige denkmalschutzrechtliche Genehmigungspraxis . Der Einbau Barrieren beseitigender Einrichtungen in denkmalgeschützten Gebäuden wird in der Regel genehmigt.16 5. Fazit Barrierefreiheit und Denkmalschutz stehen in der Rechtsordnung als gleichberechtigte Belange nebeneinander und müssen im Sinne praktischer Konkordanz zu einem sinnvollen und schonenden Ausgleich gebracht werden. Bei Maßnahmen, die Auswirkungen auf die Denkmalsubstanz haben, ist eine Prüfung, auf welche Weise die Belange der Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden können, und eine nachvollziehbare Darlegung der entgegenstehenden denkmalpflegerischen Belange unabdingbar.17 16 Eine Auflistung von Fällen, in denen die denkmalschutzrechtliche Genehmigung verweigert wurde findet sich bei Spennemann in Martin/Krauzberger, Denkmalschutz und Denkmalpflege, 4. Auflage 2017, H. IV. 6. Bauordnung und Denkmal, Rn. 241. 17 Spennemann in Martin/Krauzberger, Denkmalschutz und Denkmalpflege, 4. Auflage 2017, H. IV. 6. Bauordnung und Denkmal, Rn. 244.