© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 031/16 Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen Zur Reichweite des Verbots nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 2 Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen Zur Reichweite des Verbots nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 031/16 Abschluss der Arbeit: 16. März 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Verbot von Abschalteinrichtungen 5 2.1. Grundsatz 5 2.2. Einschränkende Auslegung aufgrund des Regelungszusammenhangs? 8 2.3. Zwischenergebnis 12 3. Ausnahmen vom Verbot 12 3.1. Motorschutz und sicherer Betrieb 13 3.1.1. Konkret-individueller oder abstrakt-normativer Bezug des Merkmals „notwendig“? 13 3.1.2. Bestimmung im Einzelfall 14 3.1.3. Sonderfall: Niedrige Umgebungstemperaturen 16 3.2. Anlassen des Motors 17 3.3. Verfahren zur Emissionsprüfung 18 4. Fazit 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 4 1. Einleitung Nachdem der Automobilhersteller Volkswagen 2015 eingeräumt hatte, in bestimmten Diesel- Fahrzeugmodellen bewusst Software verwendet zu haben, um Emissionskontrollsysteme unter Prüfstandbedingungen voll greifen und sie im Realbetrieb nur reduziert arbeiten zu lassen, haben neuere Messungen ergeben, dass auch Diesel-Fahrzeuge anderer Hersteller im Realbetrieb gegenüber den der Typgenehmigung zugrundeliegenden NOx-Emissionen um ein Vielfaches gesteigerte Emissionswerte aufzuweisen scheinen.1 Zu entsprechenden Ergebnissen war neben verschiedenen anderen Studien auch bereits eine 2011 veröffentlichte Untersuchung der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (Joint Research Centre, JRC) in Bezug auf Euro-3- bis Euro-5-Dieselkraftwagen gelangt.2 Die JRC-Studie stellte hierzu fest: „On-road NOx emissions of gasoline vehicles generally stay within Euro 3-5 emission limits whereas NOx emissions of diesel vehicles substantially exceed Euro 3-5 emission limits up to a factor of 2-4 if averaged over entire test routes. (…) In summary, the … results indicate that the increasing stringency of Euro 3 to Euro 5 emission limits did not lead to a substantial decline in the off-cycle on-road NOx emissions of light-duty diesel vehicles. On-road NOx emissions of current Euro 5 light-duty diesel vehicles might exceed emission limits by up to a factor of four, depending on driving conditions. (…) The increasing stringency of European emission limits has, thus, not resulted in an equivalent reduction of on-road NOx emissions of light-duty diesel vehicles.”3 Anders als Volkswagen betonen andere Autohersteller, dass sie keine illegalen Abschalteinrichtungen im Sinne der einschlägigen europäischen Rechtsakte einsetzten.4 Vor allem ausschlaggebend für die starken Diskrepanzen sei, dass nach dem derzeitigen Recht nicht die im Realbetrieb auf der Straße messbaren Emissionen, sondern die Prüfstandswerte nach dem Neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) maßgeblich seien, weshalb eine Vergleichbarkeit von vornherein nicht 1 Vgl. „Deutsche Umwelthilfe stellt mehr als 20-fach erhöhte Stickoxid-Emissionen bei einem getesteten Fiat 500X 2.0 Diesel fest“, Pressemitteilung vom 9.2.2016, abrufbar unter http://www.duh.de/pressemitteilung .html?&tx_ttnews[tt_news]=3729; „Frontal 21: Auffällige Abgaswerte nicht nur bei VW, auch bei Daimler und BMW“, Pressemitteilung vom 15.12.2015, abrufbar unter http://www.presseportal.de/pm/7840/3203771. 2 Weiss et al., Analyzing on-road emissions of light-duty vehicles with Portable Emission Measurement Systems (PEMS), 2011 (abrufbar unter: http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC62639/jrc_62639_final .pdf). Hinweise auf weitere Studien mit entsprechenden Resultaten können dem Sachstand „Abgaswerte bei Pkws – NOx-Ausstoß im Realbetrieb. Auswertung nationaler und internationaler Studien“ vom 3.11.2015 entnommen werden (WD 8 – 3000 – 075/15, S. 11 ff.). 3 Weiss et al. (oben Fußn. 2), S. 23 ff., 47. 4 Vgl. Kreutzfeldt, „Konzerne drohen, Politik schweigt“, in: taz.de vom 22.12.2015 (abrufbar unter http://www.taz.de/!5259948/) sowie die von der DUH veröffentlichten Antwortschreiben der Hersteller unter http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3618). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 5 gegeben sei.5 Dem Vernehmen nach wird auch angeführt, dass eine situativ reduzierte Wirksamkeit der Emissionskontrollsysteme im Straßenbetrieb legal sei, wenn dies – etwa wegen niedriger Außentemperaturen oder extremer Fahrweise – dazu diene, Motorschäden abzuwenden. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung „Emissionsmessungen in der Automobilindustrie “ vom 27. Oktober 2015 u. a. begrüßt, „dass in verschiedenen Mitgliedstaaten und anderen Ländern der Welt Untersuchungen zur Manipulation der Ergebnisse von Fahrzeugemissionstests durchgeführt werden“ und „jedweden Betrug seitens der Automobilhersteller mit aller Schärfe“ verurteilt.6 Am 17. Dezember 2015 hat das Europäische Parlament die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu Emissionsmessungen in der Automobilindustrie beschlossen.7 Nachfolgend wird vor diesem Hintergrund summarisch und ohne Bezug zu Einzelfällen der einschlägige europarechtliche Regelungskontext im Hinblick auf das Verbot von Abschalteinrichtungen und dessen Ausnahmen betrachtet. In Ermangelung einschlägiger Rechtsprechung und weitgehender Absenz von sich mit europarechtlichen Detailfragen von Abschalteinrichtungen befassender Literatur erfolgt die Betrachtung dabei notgedrungen im Wesentlichen in Gestalt einer autonomen Analyse der einschlägigen europäischen Rechtstexte mithilfe anerkannter juristischer Auslegungsmethoden.8 2. Verbot von Abschalteinrichtungen 2.1. Grundsatz Während die allgemeinen europarechtlichen Regelungen zum Typengenehmigungsverfahren für Kraftfahrzeuge als Verwaltungsverfahren in der Richtlinie 2007/46/EG9 (Rahmenrichtlinie) niedergelegt sind, sind die einschlägigen emissionsbezogenen Regelungen für leichte Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge (Euro 5 und Euro 6) der Kodezisions-Verordnung (EG) Nr. 715/2007 5 Vgl. hierzu allgemein etwa Verband der Automobilindustrie (VDA), „Kraftstoffverbrauch im NEFZ“, abrufbar unter https://www.vda.de/de/themen/umwelt-und-klima/abgasemissionen/kraftstoffverbrauch-im-nefz.html. Entsprechend fiel auch das Fazit der Untersuchung von Weiss et al. (oben Fußn. 2, S. iii) aus: „The findings of this report indicate that the current laboratory emissions testing fails to capture the wide range of potential onroad emissions.“ 6 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. Oktober 2015 zu Emissionsmessungen in der Automobilindustrie (2015/2865(RSP)), P8_TA-PROV(2015)0375. 7 BESCHLUSS (EU) 2016/34 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS vom 17. Dezember 2015 über die Einsetzung, die Zuständigkeiten, die zahlenmäßige Zusammensetzung und die Mandats- zeit des Untersuchungsausschusses zu Emissionsmessungen in der Automobilindustrie, ABl. L 10/13 vom 15.1.2016. 8 Vgl. hierzu Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Artikel 19 EUV Rdn. 42 ff.; Gärditz, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 34 Rdn. 58 ff. 9 RICHTLINIE 2007/46/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie), ABl. L 263/1 vom 9.10.2007. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 6 vom 20. Juni 200710 (Emissions-Grundverordnung), der diese Verordnung durchführenden Komitologie 11-Verordnung (EG) Nr. 692/200812 (Durchführungsverordnung) sowie der von dieser teilweise in Bezug genommenen UN/ECE-Regelung Nr. 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa13 zu entnehmen.14 Bezüglich Abschalteinrichtungen bestimmt Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung : „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.“ Der Begriff der Abschalteinrichtung (englisch: defeat device) wird von Artikel 3 Nr. 10 Emissions -Grundverordnung legaldefiniert als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren , zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. 10 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171/1 vom 29.6.2007). 11 BESCHLUSS DES RATES vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (1999/468/EG), vorliegend in Bezug genommen durch Artikel 5 i.V.m. Artikel 15 Emissions-Grundverordnung. Sämtliche vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erlassenen Bestimmungen zur Komitologie gelten weiter; so können grundsätzlich auch das Regelungsverfahren mit Kontrolle und die übrigen Komitologie-Verfahren weiter Anwendung finden, bis der Basisrechtsakt gemäß den Bestimmungen des Vertrags von Lissabon aufgehoben oder abgeändert worden ist (Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 45). 12 VERORDNUNG (EG) Nr. 692/2008 DER KOMMISSION vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 199/1 vom 28.7.2008). 13 Regelung Nr. 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) — Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors [2015/1038], Abl. L 172/1 vom 3.7.2016. 14 Unzutreffenderweise wird dem gegenüber mitunter – etwa, um die Verbindlichkeit des NEFZ zu begründen – auf die Richtlinie 98/69/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. Oktober 1998 über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen und zu Änderung der Richtlinie 70/220/EWG des Rates verwiesen (ABl. L 350 vom 28.12.1998, S. 1), die gemäß Artikel 17 Absatz 1 Emissions-Grundverordnung bereits seit dem 2.1.2013 aufgehoben ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 7 Bei dieser Begriffsbestimmung orientierte sich der Verordnungsgeber offenbar an der entsprechenden Regelung in der damaligen Fassung der Ziffer 2.16 Satz 1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83, derzufolge unter Abschalteinrichtung verstanden wird: „jedes Konstruktionselement, mit dem die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl , das Übersetzungsverhältnis, der Krümmerunterdruck oder eine andere Größe erfasst wird, um die Funktion jedes Teils der Abgasreinigungsanlage, das die Wirksamkeit der Abgasreinigungsanlage unter Bedingungen verringert, mit denen beim normalen Betrieb und bei der normalen Nutzung des Fahrzeugs vernünftigerweise gerechnet werden kann, zu aktivieren , zu modulieren, zu verzögern oder zu deaktivieren.“15 Wendet man die in Artikel 3 Nr. 10 Emissions-Grundverordnung getroffene Definition auf Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung an und ersetzt den Begriff durch sie, ergibt sich grammatikalisch angepasst folgender Wortlaut: Die Verwendung von Konstruktionsteilen, die die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermitteln, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Eine solche Regelung macht hinsichtlich der am Ende vorkommenden Doppelung zum einen sprachlich keinen Sinn, zum anderen ist auch der Bezugspunkt der jeweils benannten Verringerung ein unterschiedlicher: einmal die Verringerung unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, das andere Mal schlicht die Verringerung – ohne jedwede Relativierung.16 Da eine kumulative Verwendung dieser unterschiedlichen Verringerungsbegriffe keinen Sinn macht, muss im Rahmen der Auslegung entschieden werden, welche der beiden genannten Formen der Verringerung in Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung letztlich greifen soll. Eine solche Auslegung ergibt, dass der der allgemeinen Definition des Artikel 3 Nr. 10 Emissions- Grundverordnung zugrundeliegende Verringerungsbegriff – mit Bezug also auf Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind – in Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 der Verordnung kaum gemeint sein kann. Denn wenn insofern die gesamte Definition des Artikel 3 Nr. 10 Emissions-Grundverordnung zugrunde gelegt hätte werden sollen, hätte der Normgeber Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung schlicht wie folgt fassen können: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen ist unzulässig.“ Indem stattdessen die Verringerung der 15 Regelung Nr. 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) — Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors (ABl. L 375 vom 27.12.2006) in der Fassung der Berichtigung vom 9.3.2007 (Abl. L 70/171). 16 Dem entsprechend lautete die Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung entsprechende Regelung in Ziffer 5.1.2.1 UN/ECE-Regelung Nr. 83 alter Fassung schlicht: „Die Verwendung einer Abschalteinrichtung ist verboten.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 8 Wirksamkeit ausdrücklich, und zwar ohne Bezug auf Bedingungen, wie sie beim Normalbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, aufgenommen wurde, hat der Normgeber also offensichtlich die allgemeine, von ihm in Bezug genommene Definition aus Artikel 3 Nr. 10 Emissions-Grundverordnung insofern im konkreten Fall lediglich teilweise übernehmen wollen. Eine solche Lesart entspräche auch dem Auslegungsgrundsatz, wonach die konkrete, spezielle Regelung der allgemeinen vorgeht. Die Regelung in Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung wäre dann zusammen mit der mithin teilweise maßgeblichen Definition aus Artikel 3 Nr. 10 Emissions -Grundverordnung so zu lesen: Die Verwendung von Konstruktionsteilen, die die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermitteln, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren und hierdurch die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. 2.2. Einschränkende Auslegung aufgrund des Regelungszusammenhangs? Fraglich könnte sein, ob dieses – in Satz 1 absolut formulierte – Verbot möglicherweise durch den Regelungskontext immanent zu relativieren ist. So nimmt der Artikel 5 Absatz 2 vorgelagerte Artikel 5 Absatz 1 Emissions-Grundverordnung hinsichtlich der Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, auf „normale Betriebsbedingungen“ Bezug. Weiterhin bestimmt Artikel 3 Nr. 6 der Durchführungsverordnung in Verbindung mit UN/ECE-Regelung Nr. 83, dass der Hersteller gewährleiste, dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte „unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen“ – d.h. also im NEFZ17 – den geltenden Grenzwert nicht überschreiten. Gegen eine hieraus zu folgernde einschränkende bzw. relativierende Auslegung von Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung lässt sich zum einen anführen, dass gerade dadurch, dass in Absatz 2 Satz 1 die in Absatz 1 vorhandene Bezugnahme auf die „normalen Betriebsbedingungen “ fehlt, der Schluss naheliegt, dass dies in Absatz 2 Satz 1 auch nicht hineingelesen werden soll. Hierfür spricht auch, dass wie gesehen die Auslegung ergeben hat, dass der Verordnungsgeber bei Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung ausdrücklich von der allgemeinen Definition der Abschalteinrichtung in Artikel 3 Nr. 10 Emissions-Grundverordnung insofern abgewichen ist, als er deren Bezugnahme auf den Normalbetrieb gestrichen hat. Des Weiteren spricht für diesen Befund, dass Artikel 5 Absatz 2 Emissions-Grundverordnung in Satz 2 in Form einer Aufzählung ja gerade explizite, im einzelnen konkret benannte Ausnahmen von der in Satz 1 getroffenen Regelung trifft. Hierdurch kann zum einen im Umkehrschluss gefolgert werden , dass es nach dem Willen des Normgebers bei diesen Ausnahmen sein Bewenden haben soll; zum anderen erscheint das Abstellen auf einen Normalfall entbehrlich, wenn stattdessen die Ausnahmen explizit geregelt werden. 17 Die Maßgeblichkeit des NEFZ folgt aus Artikel 3 Nr. 1 i.V.m. Anhang III Ziff. 2.1 Durchführungsverordnung i.V.m. Ziff. 5.3.1 UN/ECE-Regelung Nr. 83. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 9 Für eine solche Lesart sprechen maßgeblich aber vor allem auch Sinn und Zweck der Emissions- Grundverordnung und speziell auch der Regelungen zu Abschalteinrichtungen.18 Ein dominierendes Ziel der Emissions-Grundverordnung ist die tatsächliche Reduktion der Abgasemissionen von Kraftfahrzeugen, um eine bessere Luftqualität zu erreichen. So führte die Kommission zu ihrem Vorschlag der Verordnung aus, die Mitgliedstaaten und ihre Bürger seien besorgt über die von der Luftverschmutzung ausgehenden Gefahren für Gesundheit und Umwelt.19 Zwar habe sich die Luftqualität verbessert, doch sei sie an vielen Orten in der Europäischen Union unzureichend , vor allem in städtischen und anderen dicht besiedelten Regionen.20 Daraus leitet die Kommission als Zielsetzung ab: „Mit der vorgeschlagenen Verordnung sollen harmonisierte technische Vorschriften für Kraftfahrzeuge erlassen werden, um das Funktionieren des Binnenmarktes und zugleich einen wirksamen Schutz der Umwelt vor Emissionen von Schadstoffen in die Atmosphäre zu gewährleisten .“21 Die Einführung der Emissions-Grundverordnung wird ausdrücklich damit gerechtfertigt, dass andernfalls „in der Europäischen Union … weiterhin Menschen infolge Luftverschmutzung Schaden an ihrer Gesundheit“ litten.22 Die Euro-5-Norm sei „eine der Maßnahmen zur Verringerung 18 Der teleologischen Auslegung wird im Rahmen der Auslegung des Unionsrechts unter den verschiedenen Auslegungsarten in der Regel die größte Bedeutung beigemessen, vgl. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Artikel 19 EUV Rdn. 44; Gärditz, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 34 Rdn. 58. 19 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, über den Zugang zu Reparaturinformation für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG und ../../EG, 21.12.2005, KOM(2005) 683 endgültig, S. 2. 20 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, über den Zugang zu Reparaturinformation für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG und ../../EG, 21.12.2005, KOM(2005) 683 endgültig, S. 2. 21 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, über den Zugang zu Reparaturinformation für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG und ../../EG, 21.12.2005, KOM(2005) 683 endgültig, S. 2 (Hervorhebungen nicht im Original). 22 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, über den Zugang zu Reparaturinformation für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG und ../../EG, 21.12.2005, KOM(2005) 683 endgültig, S. 2 und 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 10 der Emissionen von Ozonvorläuferstoffen wie NOx und HC und von Partikeln.“23 Dieser Fokus spiegelt sich auch in verschiedenen Erwägungsgründen der Emissions-Grundverordnung wider24: „(4) Im März 2001 startete die Kommission das Programm ‚Saubere Luft für Europa‘ (CAFE), dessen Grundzüge in einer Mitteilung vom 4. Mai 2005 beschrieben sind. Das hat in der Folge zur Festlegung einer thematischen Strategie zur Luftreinhaltung in einer Mitteilung vom 21. September 2005 geführt. Eine der Aussagen in dieser Strategie ist, dass zur Erreichung der Luftqualitätsziele der EU Emissionen des Verkehrssektors (Luftverkehr, Seeverkehr und Landverkehr) (…) weiter gesenkt werden müssen. In diesem Zusammenhang sollte das Senken der Emissionen von Kraftfahrzeugen als Teil einer Gesamtstrategie angegangen werden. Die Euro-5- und Euro-6-Normen sind eine der Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen von Partikeln und Ozonvorläuferstoffen wie Stickstoffoxid und Kohlenwasserstoff. (5) Um die Ziele der EU für die Luftqualität zu erreichen, sind fortwährende Bemühungen zur Senkung von Kraftfahrzeugemissionen erforderlich. (…) (6) Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte ist insbesondere eine erhebliche Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen erforderlich. (…)“ Gerade um diese Zielsetzungen zu erreichen, verwarf der Verordnungsgeber ganz bewusst die Optionen, es bei den alten Richtwerten zu belassen oder gar auf bloße Selbstregulierung seitens der Automobilindustrie zu setzen und entschied sich dafür, mit seinem Regelwerk neue, verbindliche Emissions-Grenzwerte für die betroffenen Fahrzeuge festzusetzen: Diese Option habe „klare Vorteile. Sie … trägt zur Verbesserung der Luftqualität bei. Sie wirkt sich vorteilhaft auf die Gesundheit aus und ermöglicht den Mitgliedstaaten damit Kosteneinsparungen.“25 Da zur Erreichung dieser Zielsetzung nicht das Mittel zur Verfügung steht, die Emissionswerte sämtlicher einzelner im Betrieb befindlicher Kraftfahrzeuge ständig zu kontrollieren, hat der Verordnungsgeber den Ansatz gewählt, bestimmte Grenzwerte unter typisierten Messbedingungen festzustellen und sodann die Hersteller dahingehend zu verpflichten, dass die einschlägigen, für die erzielten Emissionswerte maßgeblich mit ursächlichen Emissionskontrollsysteme auch im Alltagsbetrieb ordnungsgemäß arbeiten. Diese Konstruktion macht bei Berücksichtigung der oben festgestellten Zielsetzung der Emissions -Grundverordnung nur dann Sinn, wenn der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass den mittels typisierter Emissionstests erzielten Messwerten auch eine valide Aussagekraft hinsichtlich 23 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, über den Zugang zu Reparaturinformation für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG und ../../EG, 21.12.2005, KOM(2005) 683 endgültig, S. 3. 24 Nachfolgende Hervorhebungen nicht im Original. 25 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, über den Zugang zu Reparaturinformation für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG und ../../EG, 21.12.2005, KOM(2005) 683 endgültig, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 11 des Emissionsverhaltens des Fahrzeugs im Alltag zukommt; denn wenn der typisierte Emissionstest nur rein theoretische Bedeutung und ebensolche Auswirkungen hätte, bliebe das Erreichen des Regelungszwecks der Verbesserung der Luftqualität und des Gesundheitsschutzes dem Zufall überlassen und rechtfertigte schon insofern nicht den Erlass einer EU-Verordnung. Dass der Verordnungsgeber dem mit der Emissions-Grundverordnung geschaffenen Regelwerk denn auch tatsächlich diese Hypothese zugrundegelegt hat, belegen verschiedene Stellen im Wortlaut der Verordnung. So legt Artikel 5 Absatz 1 Emissions-Grundverordnung ausdrücklich fest, dass der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten hat, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Laut Erwägungsgrund 12 der Emissions-Grundverordnung sollten „weitere Anstrengungen unternommen werden, (…) um sicherzustellen, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen.“ Mit dieser Formulierung wird insbesondere auch deutlich, dass dieses Ziel nicht erst für die Zukunft gelten soll, sondern auch bereits der Emissions-Grundverordnung selbst zugrunde liegt, da zum einen von weiteren Anstrengungen die Rede ist und zum anderen es nicht um das erstmalige Fordern eines entsprechenden Bezuges geht, sondern um das Sicherstellen dieses offenbar bereits dem geltenden Rechtsrahmen zugrundeliegenden Erfordernisses. Besonders deutlich tritt dies auch in Erwägungsgrund 15 hervor: „Die Kommission sollte prüfen, ob der Neue Europäische Fahrzyklus, der den Emissionsmessungen zugrunde liegt, angepasst werden muss. Die Anpassung oder Ersetzung des Prüfzyklus kann erforderlich sein, um Änderungen der Fahrzeugeigenschaften und des Fahrerverhaltens Rechnung zu tragen. Überprüfungen können erforderlich sein, um zu gewährleisten, dass die bei der Typgenehmigungsprüfung gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen. Der Einsatz transportabler Emissionsmesseinrichtungen und die Einführung des „not-to-exceed“-Regulierungskonzepts (der Hersteller muss gewährleisten, dass sein Fahrzeug in allen Betriebszuständen die Grenzwerte nicht überschreitet) sollten ebenfalls erwogen werden.“ Indem der Verordnungsgeber hier zum Ausdruck bringt, eine Überprüfung könne deshalb erforderlich werden, um zu gewährleisten, dass die bei der Typgenehmigungsprüfung gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen, macht er deutlich, dass er bereits mit der vorliegenden Verordnung den Ansatz und die Hypothese verfolgt, dass den ermittelten Werten eine Aussagekraft für den „praktischen Fahrzeugbetrieb“ im Alltag zukommt. Auch im Verordnungstext selbst hat dieser Ansatz in Gestalt von Artikel 14 Absatz 3 Emissions-Grundverordnung ausdrücklich Niederschlag gefunden: „Die Kommission beobachtet … die für die Emissionsmessung verwendeten Fahrzyklen. Erweist sich bei der Überprüfung, dass diese nicht mehr geeignet sind oder der Betriebspraxis nicht mehr hinreichend entsprechen, so werden sie so angepasst, dass sie den in der Betriebspraxis tatsächlich entstehenden Emissionen entsprechen.“26 26 Hervorhebungen nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 12 Bei dieser Ausgangslage aber ist es in Bezug auf Abschalteinrichtungen geradezu elementar, dass der Verordnungsgeber aufgrund dieser Regelungskonstruktion auch ein kaum zu überschätzendes Interesse daran haben muss, alle technischen Maßnahmen zu verhindern, die mutwillig solche technischen Faktoren nachteilig beeinflussen, die Bestandteil seiner Kausalitätshypothese in Bezug auf die Aussagekraft der Prüfstands-Emissionswerte für den Alltagsbetrieb sind. Genau um solche Maßnahmen handelt es sich aber grundsätzlich bzw. potentiell bei Abschalteinrichtungen. Deshalb macht es Sinn und ist unmittelbar aus dem Regelungszweck der Verordnung ableitbar, dass der Verordnungsgeber bzgl. dieser Einrichtungen das Regel-Ausnahmeverhältnis gerade nicht so wählt, dass sie etwa im Normalfall erlaubt sind, wenn sie nicht ungebührend in die Emissionskontrolle eingreifen, sondern dass sie strikt verboten sind, es sei denn, ein konkret benannter Ausnahmetatbestand greift. 2.3. Zwischenergebnis Aufgrund dessen ist vorliegend davon auszugehen, dass Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions- Grundverordnung für sich genommen seinem Wortlaut entsprechend ein striktes Handlungsverbot in Gestalt des Verbots der Verwendung von Abschalteinrichtungen unabhängig von weiteren Umständen normiert, von dem Ausnahmen nur insofern greifen, als sie explizit in Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 Emissions-Grundverordnung genannt sind. 3. Ausnahmen vom Verbot Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 Emissions-Grundverordnung sieht – offenbar in Anlehnung an die entsprechende einschränkende Begriffsbestimmung in Ziffer 2.1.6 Satz 2 der zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Emissions-Grundverordnung geltenden Fassung der UN/ECE-Regelung Nr. 8327 – in den Buchstaben a bis c drei Gruppen von Ausnahmen von dem Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen vor. Wie eine inhaltliche Betrachtung der genannten Varianten sowie eine Betrachtung des englischen und des französischen Wortlautes der Verordnung sowie deren Genese ergibt, stehen diese Gruppen alternativ nebeneinander; sie müssen also zur Bejahung einer Ausnahme nicht sämtlich vorliegen, sondern es ist hinreichend, wenn eine der drei Varianten einschlägig ist.28 27 „Ein solches Konstruktionselement kann nicht als Abschalteinrichtung angesehen werden, wenn 2.16.1 die Notwendigkeit der Nutzung der Einrichtung mit dem Schutz des Motors vor Beschädigungen oder Unfällen und der Betriebssicherheit des Fahrzeugs begründet wird, 2.16.2 die Einrichtung nach dem Anlassen des Motors nicht mehr wirksam ist, 2.16.3 die Bedingungen im Wesentlichen in den Verfahren für die Prüfungen Typ I oder Typ VI aufgeführt sind.“ 28 Sowohl in der englischen als auch in der französischen Fassung wird die dritte Variante von Satz 2 durch ein „oder“ (bzw. „or“ und „ou“) eingeleitet, ohne dass sich dies zwischen der Vorlage des Entwurfs der Verordnung und der verabschiedeten finalen Fassung geändert hätte; der Wegfall des auch in der deutschen Ursprungsfassung des Verordnungsentwurfs [KOM(2005)683 endg vom 21.12.2005] enthaltenen Wortes „oder“ mit der Stellungnahme des Europaparlaments in der 1. Lesung [P6_TA(2006)0561 vom 13.12.2006] scheint deshalb lediglich ein Redaktionsversehen bei der finalen Überarbeitung der deutschen Fassung zugrunde zu liegen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 13 3.1. Motorschutz und sicherer Betrieb Gemäß Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen ausnahmsweise dann zulässig, „wenn … die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. 3.1.1. Konkret-individueller oder abstrakt-normativer Bezug des Merkmals „notwendig“? Bei der Bestimmung der Reichweite dieser Regelung ist von besonderer Bedeutung, dass eine Privilegierung der Abschalteinrichtung unter dem Gesichtspunkt des Motorschutzes oder des sicheren Betriebs bereits dem Wortlaut nach nur insofern eintreten kann, als diese für die genannten technischen Ziele notwendig ist. Damit ist der Verordnungsgeber offenbar bewusst über die entsprechende Regelung in Ziffer 2.1.6 Satz 2 der zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Emissions- Grundverordnung geltenden Fassung der UN/ECE-Regelung Nr. 83 hinausgegangen, in der zum Verneinen einer verbotenen Abschalteinrichtung bereits als ausreichend angesehen wurde, wenn „die Notwendigkeit der Nutzung der Einrichtung mit dem Schutz des Motors vor Beschädigungen oder Unfällen und der Betriebssicherheit des Fahrzeugs begründet wird“29. Im Vergleich zu diesem allein auf eine vorgenommene Begründung abstellenden Wortlaut der Regelung Nr. 83 hat der Verordnungsgeber bei der Emissions-Grundverordnung mit der „Notwendigkeit“ einen strengeren, objektivierbaren Maßstab gewählt. Hinsichtlich dieses Begriffes stellt sich allerdings die Frage, ob der Bezugspunkt der Notwendigkeit konkret-individuell oder aber abstrakt-normativ zu bestimmen ist. Bei Anlegung eines konkret-individuellen Bezuges könnte für das Bejahen der Notwendigkeit bereits ausreichend sein, dass im Rahmen einer rein technischen, konkret-individuell isolierten Betrachtung des Motors im Betrieb eines Fahrzeugs eine Situation auftritt, die in diesem Fall das Eingreifen der Abschalteinrichtung erforderlich macht. Es käme hierbei mithin weder darauf an, worauf vorgelagert die konkrete, technische Erforderlichkeit des Eingreifens der Abschalteinrichtung beruht, noch wie häufig und unter welchen Voraussetzungen die Abschalteinrichtung tatsächlich bei dem entsprechenden Fahrzeugmodell griffe. Bei Zugrundelegen eines abstrakt-normativen Bezugs des Begriffes notwendig wäre dem gegenüber nicht schon ausreichend, dass überhaupt individuell technische Situationen auftreten, in denen die Abschalteinrichtung zum Motorschutz oder zum sicheren Betrieb erforderlich ist, sondern darüber hinaus wäre unter Einbeziehung der zu dieser technischen Situation führenden Gründe erforderlich, dass auch diese notwendigerweise vorliegen, also generell unvermeidbar sind. Für die erstgenannte konkret-individuelle Interpretation scheint vor allem der Wortlaut zu sprechen , der allein auf die Notwendigkeit für das Funktionieren des Motors abstellt, sowie die Tat- 29 Hervorhebung nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 14 sache, dass es bei Zugrundelegen der abstrakt-normativen Auslegung auf den ersten Blick fraglich erscheint, wie genau im Einzelfall dann die Abgrenzung der notwendigen von den nicht notwendigen Gegebenheiten erfolgen können soll. Entscheidend gegen die konkret-individuelle Auslegung des Begriffs „notwendig“ sprechen allerdings – im Rahmen der Auslegung von Unionsrecht vor allem bedeutsam30 – Sinn und Zweck sowohl der Emissions-Grundverordnung als solcher als auch konkret des Verbots von Abschalteinrichtungen in Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 Emissions-Grundverordnung. Wie gesehen, besteht eine Hauptzielrichtung der gesamten Verordnung darin, die Emissionen von Kraftfahrzeugen mit dem Ziel zu senken, Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen bzw. -schäden zu verringern oder zu verhindern . Aufgrund dessen konnte oben festgestellt werden, dass dieser Zielsetzung gerade ein striktes, weitreichendes Verbot von Abschalteinrichtungen entspricht, das ausschließlich durch explizit und abschließend genannte Tatbestände punktuell durchbrochen wird.31 Bereits dies legt nahe, dass in dem Fall, dass der Normtext unterschiedliche Interpretationen mit verschiedener Reichweite eröffnet, derjenigen Variante der Vorzug zu geben ist, die eine möglichst enge Durchbrechung der Regel, wonach der Einsatz von Abschaltsystemen untersagt ist, beinhaltet. Dies spricht dafür, vorliegend der abstrakt-normativen Interpretation des Begriffes notwendig den Vorzug zu geben. Für ein solches Interpretationsergebnis spricht maßgeblich auch die Überlegung, dass es andernfalls letztlich regelungstechnisch in der Macht der Automobilhersteller läge, zwecks Selbstbefreiung von den Hemmnissen der Emissionskontrollsysteme Motoren sehenden Auges so suboptimal zu konstruieren, dass sie bei vollem Greifen des Emissionskontrollsystems drohten Schaden zu nehmen. Diese Überlegung zeigt deutlich, dass eine im Sinne einer konkretindividuellen Auslegung des Begriffes notwendig rein technische, isolierte Betrachtung zu kurz griffe und zu nicht akzeptablen und nicht mit dem Normzweck in Übereinstimmung zu bringenden Ergebnissen führte. 3.1.2. Bestimmung im Einzelfall Wie bereits angedeutet, eröffnen sich bei Zugrundelegung dieser am ehesten mit dem Normzweck zu vereinbarenden Interpretation des Begriffes notwendig weitere Auslegungsfragen. Denn es stellt sich dann die Frage, wie konkret die Reichweite der so verstandenen Privilegierung bestimmt werden soll. Während eine Beantwortung dieser Frage im Detail letztlich der Normanwendung im Einzelfall durch die Rechtsprechung vorbehalten bleiben muss und abstrakt-theoretisch nicht im Vorhinein für alle erdenklichen Fallkonstellationen festgestellt werden kann, erscheint jedenfalls eine grundsätzliche erste Annäherung möglich. Danach wird man unproblematisch als nicht notwendig im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung eine solche Abschalteinrichtung bezeichnen können, die aus Motorschutzgesichtspunkten ununterbrochen arbeitete und damit den Zielsetzungen der Verordnung hinsichtlich einer eindämmenden Kontrolle der Emissionswerte im Straßenbetrieb und einem grundsätzlichen Verbot von Abschalteinrichtungen komplett zuwider liefe. Zur weiteren begrifflichen Präzisierung erscheint zudem aber 30 Vgl. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Artikel 19 EUV Rdn. 44; Gärditz, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 34 Rdn. 58. 31 S. o. Gliederungspunkt 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 15 auch ein Rückgriff auf weitere grundsätzliche Zielsetzungen der Verordnung hinsichtlich der Emissionskontrolle möglich. In diesem Zusammenhang bedient sich die Emissions-Grundverordnung an verschiedenen Stellen Begrifflichkeiten, die auf einen normalen im Sinne eines üblichen Gebrauchs abstellen. Es liegt aufgrund des Regelungszusammenhangs bzw. der Bedeutsamkeit der Regelungen zu Abschalteinrichtungen und deren Ausnahmen für die Emissionskontrolle nahe, die in diesem Rahmen gebrauchte Begrifflichkeit vorliegend über das mit dem Begriff notwendig eröffnete wertende Element einfließen zu lassen bzw. zu berücksichtigen. Dem entspräche zum einen, wenn im Rahmen des Artikels 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions- Grundverordnung von einer Notwendigkeit nur gesprochen würde, wenn die Abschalteinrichtung in zeitlicher Hinsicht lediglich ausnahmsweise eingesetzt würde. Materiell wiederum entspräche dieser Richtschnur, wenn als notwendig nur ein solcher Einsatz bewertet würde, der nicht unter Normalbedingungen des Kraftfahrzeug-Betriebs griffe – wobei als „Normalbedingungen “ hierbei nicht der NEFZ-Zyklus zu verstehen wäre, sondern entsprechend der Zielsetzung des Verordnungsgebers und den obigen Ausführungen der erwartbare, bestimmungsgemäße und übliche Gebrauch eines entsprechenden Kraftfahrzeugs im Nutzungsalltag im Sinne derjenigen Bestimmungen, die neben der Maßgeblichkeit des NEFZ für die Messung der Emissions-Grenzwerte im Rahmen der Typengenehmigung ersichtlich den davon abweichenden Maßstab der alltäglichen Straßennutzung in Bezug nehmen. So bestimmt etwa Artikel 4 Absatz 2 Emissions- Grundverordnung, dass die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen sicherstellen müssen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während „der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden.“ Auch Artikel 3 Nr. 5 Durchführungsverordnung bestimmt, dass der Hersteller technische Maßnahmen zu ergreifen habe, um zu gewährleisten, dass die Auspuff - und Verdunstungsemissionen der Fahrzeuge „während ihrer gesamten normalen Lebensdauer und bei normaler Nutzung entsprechend den Vorschriften dieser Verordnung wirksam begrenzt werden.“ Dafür, dass der im Rahmen der „Notwendigkeit“ von Abschalteinrichtungen zum Motorschutz einzubeziehende „Normalbetrieb“ nicht jener des NEFZ ist, sondern im oben genannten Sinn der Alltagsbetrieb, spricht vor allem auch in systematischer Hinsicht, dass in Gestalt von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. c Emissions-Grundverordnung der Fall des Greifens der Abschalteinrichtung aufgrund entsprechender Prüfzyklen je gerade gesondert und speziell geregelt ist.32 Dem entsprechend sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass das Eingreifen einer Abschalteinrichtung grundsätzlich nicht auf die Privilegierung von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung gestützt werden könnte, wenn sie unter Bedingungen eingreift, die zu den üblichen, alltäglichen Nutzungsbedingungen eines betreffenden Kraftfahrzeugs im Sinne eines Normalgebrauchs zu zählen sind. Eine Privilegierung einer Abschalteinrichtung aufgrund von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung käme zudem dann grundsätzlich nicht in Betracht, wenn aufgrund andersartiger Konstruktion oder durch den Einsatz zusätzlicher Bauteile das Abschalten des Emissionskontrollsystems unter Motorschutzgesichtspunkten entbehrlich würde. Für eine solche technische Entbehrlichkeit einer Abschalteinrichtung ließe sich in praxi etwa anführen, wenn nach dem Stande der Technik Konstruktionen bekannt und möglich sind, die das Abschalten des Emissionskontrollsystems entbehrlich machen, wofür namentlich sprechen kann, dass vergleichbare Motoren anderer Hersteller ohne entsprechend agierende 32 Siehe hierzu unten Gliederungspunkt 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 16 Abschalteinrichtung auskommen, ohne dass der Motor Schaden nimmt. Auch die Möglichkeit des Einsatzes anderer oder weiterer technischer Varianten von Emissionskontrollsystemen spräche dafür, bei Verzicht auf dieselben seitens des Herstellers mangels Notwendigkeit keine Privilegierung aufgrund von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a VO greifen zu lassen. 3.1.3. Sonderfall: Niedrige Umgebungstemperaturen Grundsätzlich würde gemäß den Ausführungen im vorstehenden Gliederungspunkt hinsichtlich des Betriebs von Kraftfahrzeugen bei niedrigen Umgebungstemperaturen gelten, dass allein aus diesen Temperaturen keine Rechtfertigung für das Eingreifen einer Abschalteinrichtung abzuleiten sein kann, soweit es sich nicht um ganz außerordentliche, eben nicht mehr zum üblichen Normalgebrauch zählende Betriebsbedingungen handelt. Allerdings trifft Artikel 3 Nr. 9 Durchführungsverordnung aufgrund von Artikel 5 Absätze 2 und 3 Emissions-Grundverordnung hinsichtlich der Emissionswerte von Diesel-Kraftfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen besondere Regelungen. So werden durch diese Komitologie-Verordnung der Kommission Dieselfahrzeuge vom Erfordernis einer Prüfung nach Typ 6 zur Messung der Emissionen bei niedrigen Temperaturen ausdrücklich freigestellt.33 Dies ist im vorliegenden Zusammenhang insbesondere deshalb relevant, weil die gemäß Ziffer 3.1 des Anhangs VIII der Durchführungsverordnung ohne eine solche Freistellung eigentlich einschlägige Ziffer 6 des Anhangs 8 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 ausdrücklich folgende Regelung enthält: „6. WEITERE ANFORDERUNGEN 6.1. Anormale Emissionsminderungsstrategie 6.1.1. Jede anormale Emissionsminderungsstrategie, die unter normalen Betriebsbedingungen bei einer Fahrt bei niedrigen Temperaturen zu einer Verringerung der Wirksamkeit der emissionsmindernden Einrichtung führt und nicht den standardisierten Emissionsprüfungen unterzogen wird, kann als Abschalteinrichtung angesehen werden.“34 Dass trotz des expliziten Ausschlusses der Anwendbarkeit dieser Regelung jedoch andererseits auch kein völliger Dispens für Diesel-Personenkraftwagen hinsichtlich der Funktionsweise der emissionsmindernden Einrichtungen bei niedrigen Temperaturen vorliegt, machen die weiteren ausdrücklichen Regelungen in Artikel 3 Nr. 9 Durchführungsverordnung deutlich, die folgende konkreten Anforderungen festlegen: 33 Der Inhalt der Prüfung nach Typ 6 ergibt sich laut Anhang VIII der Durchführungsverordnung aus den einschlägigen Bestimmungen der UN/ECE-Regelung Nr. 83. 34 Hervorhebung nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 17 „Bei der Beantragung einer Typgenehmigung belegen die Hersteller der Genehmigungsbehörde jedoch, dass die NOx-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei – 7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht, wie in der Prüfung Typ 6 beschrieben. Darüber hinaus macht der Hersteller der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR), einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen. Diese Angaben umfassen auch eine Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen. Die Genehmigungsbehörde erteilt keine Typgenehmigung, wenn die vorgelegten Angaben nicht hinreichend nachweisen, dass die Nachbehandlungseinrichtung tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums eine für das ordnungsgemäße Funktionieren ausreichend hohe Temperatur erreicht. Auf Verlangen der Kommission legt die Genehmigungsbehörde Angaben zur Leistung der NOx-Nachbehandlungseinrichtungen und des AGR-Systems bei niedrigen Temperaturen vor.“35 Diese Regelungen belegen, dass nach der Durchführungsverordnung die NOx-reduzierenden technischen Elemente auch bei den genannten kalten Umgebungstemperaturen außer in den ersten 400 Sekunden nach einem Kaltstart ordnungsgemäß arbeiten und damit eine wirksame Emissionsreduzierung bewirken sollen. Ohne beurteilen zu müssen, ob die durch die Kommission mit der Komitologie-Durchführungsverordnung vorgenommene Freistellung von Diesel- Fahrzeugen von den Anforderungen der Typ-6-Prüfung mit der einschlägigen Ermächtigung der Emissions-Grundverordnung des Europäischen Parlaments und des Rates im Einklang steht, legen die oben genannten Regelungen zusätzlich zu den unter Gliederungspunkt 3.1.2 genannten Gründen jedenfalls den Schluss nahe, dass trotz der Nichtanwendbarkeit von Ziffer 6 des Anhangs 8 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 auch eine etwaig nur wegen solcher geringen Temperaturen einsetzende Abschalteinrichtung nicht notwendig im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung und damit unzulässig wäre. 3.2. Anlassen des Motors Auch die in Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. b Emissions-Grundverordnung enthaltene Privilegierung des Einsatzes von Abschalteinrichtungen, wenn diese nicht länger arbeiten, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist, ist nach dem im vorhergehenden Gliederungspunkt Ausgeführten eng auszulegen. Insbesondere stellt der Wortlaut eindeutig nur auf das Anlassen selbst ab, nicht etwa auf eine – wie auch immer zeitlich zu bemessende – bestimmte Start- oder gar Warmlaufphase . In dem Moment also, wo der Motor einmal durch den Anlasser in Gang gesetzt wurde, greift die Privilegierung nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. b Emissions-Grundverordnung nicht mehr. 35 Hervorhebungen nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 18 3.3. Verfahren zur Emissionsprüfung Nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. c Emissions-Grundverordnung ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen zulässig, wenn die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind. Hinsichtlich dieses nicht von vornherein eindeutigen Wortlauts verdeutlicht ein Blick in die Entwurfsfassung der Emissions-Grundverordnung, dass mit den in Bezug genommenen Bedingungen offensichtlich jene gemeint sind, „unter denen die Abschalteinrichtung arbeitet“36. Wie auch aufgrund der entsprechenden Passage in Ziffer 2.1.6.3 der UN/ECE-Regelung Nr. 8337 deutlich wird, ist dies so zu verstehen, dass die vorliegende Privilegierung dann einschlägig ist, wenn die Abschalteinrichtung deshalb greift, weil dies durch die Prüfverfahren zur Emissionsmessung vorgegeben wird. 4. Fazit Eine summarische Betrachtung der vorliegenden europäischen Regelungen zu Abschalteinrichtungen hat ergeben, dass der Einsatz solcher Einrichtungen vor allem im Interesse des Umweltund Gesundheitsschutzes grundsätzlich untersagt ist. Lediglich in den ausdrücklich in den Regelungstexten benannten, im Wesentlichen technisch gerechtfertigten Ausnahmefällen bzw. Privilegierungen wird der punktuelle, vorübergehende Einsatz von Abschalteinrichtungen privilegiert . So ist ihre Verwendung zulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung). Die Ausnahmen bzw. Privilegierungen sind entsprechend dem Sinn und Zweck der sie enthaltenen Regelwerke grundsätzlich eng auszulegen. Die auf den Schutz des Motors abzielende Privilegierung nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a Emissions-Grundverordnung dürfte deshalb grundsätzlich keine taugliche Rechtsgrundlage dafür sein, eine Abschalteinrichtung regelmäßig auch bei solchen Betriebsbedingungen, die bei normalem, bestimmungsgemäßem Gebrauch eines Personenkraftwagens typischerweise eintreten, legal greifen zu lassen. Dies gilt insbesondere auch für den Betrieb bei niedrigen Umgebungstemperaturen. So sehen die einschlägigen Regelungen speziell für Dieselfahrzeuge ausdrücklich vor, dass die jeweilige NOx-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei – 7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreichen muss; die Genehmigungsbehörde darf in diesem Zusammenhang keine Typgenehmigung erteilen, wenn die vorgelegten Angaben nicht hinreichend nachweisen, dass die Nachbehandlungseinrichtung tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums eine für das ordnungsgemäße Funktionieren ausreichend hohe Temperatur erreicht. 36 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, über den Zugang zu Reparaturinformation für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG und ../../EG (von der Kommission vorgelegt), 21.12.2005, KOM (2005) 683 endgültig, S. 18. 37 „... die Bedingungen im Wesentlichen in den Verfahren für die Prüfungen Typ I oder Typ VI aufgeführt sind …“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 031/16 Seite 19 - Ende der Bearbeitung -