Volksverhetzungsdelikte in Deutschland, Spanien, Österreich, Frankreich und der Schweiz - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 030/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser: Volksverhetzungsdelikte in Deutschland, Spanien, Österreich, Frankreich und der Schweiz Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 030/09 Abschluss der Arbeit: 4. März 2009 Fachbereich WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt 1. Zusammenfassung 3 2. Rechtslage in Deutschland 3 3. Rechtslage in Frankreich 5 4. Rechtslage in Spanien 6 5. Rechtslage in Österreich 6 6. Rechtslage in der Schweiz 7 - 3 - 1. Zusammenfassung Sowohl in Frankreich und Spanien als auch in Österreich und der Schweiz finden sich Strafnormen, die mit dem deutschen Straftatbestand der Volksverhetzung in § 130 StGB vergleichbar sind. In allen Ländern besteht jedenfalls eine Strafbarkeit für die öffentliche Aufforderung oder das öffentliche Aufrufen zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen. Der Schutz ist in keinem dieser Staaten auf eine Bevölkerungsminderheit beschränkt, sondern umfasst auch den Schutz der Mehrheitsbevölkerung . Ob ein solcher Angriff auf die Mehrheitsbevölkerung die jeweiligen Straftatbestände erfüllen kann, ist in jedem Staat letztlich Tatfrage. 2. Rechtslage in Deutschland Im deutschen Strafgesetzbuch (StGB)1 befindet sich der Tatbestand der Volksverhetzung in § 130 im Abschnitt der Straftaten gegen die öffentliche Ordnung. Welches Rechtsgut durch ihn geschützt wird, ist dennoch umstritten; überwiegend sollen es der öffentliche Frieden und die Menschenwürde sein.2 Erfasst sind von § 130 StGB Angriffe gegen Teile der Bevölkerung, die in einer Weise erfolgen, die zur Störung des öffentlichen Friedens3 geeignet ist4. Tathandlungen sind das Aufstacheln zum Hass oder das Aufrufen zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung sowie das Beschimpfen, böswillige Verächtlichmachen oder die Verleumdung von Bevölkerungsteilen . Zudem ist Darbietung solcher Inhalte durch Schriften, Rundfunk, Medienund Teledienste unter Strafe gestellt.5 Teile der Bevölkerung im Sinne des § 130 StGB werden als im Inland lebende Personenmehrheiten nicht ganz geringfügiger Größe und Bedeutung definiert, die von der Gesamtheit der Bevölkerung auf Grund äußerer oder innerer Merkmale als unterscheid- 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S.3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I S.2149). 2 Miebach, Klaus / Schäfer, Jürgen in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (MüKo), Band 2/2, Erste Auflage, München 2005, § 130, Rn. 2 f. 3 Der öffentliche Friede umfasst den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben, vgl. Miebach / Schäfer, MüKo (Fn. 2), § 130, Rn. 16. 4 Erforderlich ist eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; diese darf nicht nur abstrakt bestehen. Einer konkreten Gefahr für den öffentlichen Frieden bedarf es aber nicht, vgl. Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (BGHSt) 46, S. 218. 5 Schließlich erfasst § 130 StGB in auch die Leugnung, Verharmlosung, Billigung oder Rechtfertigung der Verbrechen des Nationalsozialismus, sofern dadurch der öffentliche Frieden gestört oder die Würde der Opfer verletzt wird. - 4 - bare Teile abgegrenzt werden können.6 Irrelevant ist es also, ob es sich um Deutsche oder Ausländer handelt.7 Es können Juden8, Ausländer9 und Behinderte betroffen sein, aber ebenso um Arbeitgeber und Arbeitnehmer10, Besitzende und Besitzlose, politische Gruppen und bestimmte Berufsgruppen11. Auf die Größe der Bevölkerungsteile oder auf die Frage ob sie eine Mehrheit oder eine Minderheit darstellen, kommt es demnach grundsätzlich nicht an. Bereits die Qualifizierung einer Bevölkerungsgruppe als Minderheit oder Mehrheit ist eine Fallfrage, denn eine bundesweite Bevölkerungsmehrheit kann beispielsweise eine regionale Minderheit sein oder umgekehrt. Die Frage, ob es sich um eine Minderheit oder Mehrheit handelt, kann daher allenfalls im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eine Rolle spielen. Dieser kann nämlich durch eine Erschütterung des Vertrauens in die allgemeine Rechtssicherheit, aber auch und vor allem durch die Verminderung des Sicherheitsgefühls des jeweils angegriffenen Teils der Bevölkerung beeinträchtigt werden12. Ob das Vertrauen des Bevölkerungsteils in die allgemeine Rechtssicherheit erschüttert ist oder dessen Sicherheitsgefühl vermindert ist, kann bei einer Bevölkerungsmehrheit grundsätzlich anders zu beurteilen sein, als bei einer Bevölkerungsminderheit . Im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände ist die Breitenwirkung des Angriffs ebenso zu berücksichtigen wie die Empfänglichkeit der Öffentlichkeit für die betreffenden Angriffe und ob der betroffene Bevölkerungsteil in der Gesellschaft eine starke oder mehr oder minder gefährdete Position innehat.13 Auch in dieser Hinsicht kann die Frage nach einer Bevölkerungsmehrheit oder -minderheit relevant werden. 6 Kühl, Kristian, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. neu bearbeitete Auflage, München 2007, § 130, Rn. 2. 7 Lenckner, Theodor / Sternberg-Lieben, Detlef in: Schönke, Adolf, Schröder, Horst, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Auflage, München 2006, § 130, Rn. 3. 8 BGHSt 16, S. 56; 29, S.26. 9 Oberlandesgericht (OLG) Hamburg in: Monatsschrift des Deutschen Rechts (MDR) 1981, S. 71, OLG Hamm Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 1995, 136. 10 Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen (RGSt) 50, S. 324; Lenckner / Sternberg -Lieben (Fn. 7), § 130, Rn. 4. 11 Z.B: Richter und Staatsanwälte, vgl. Landgericht (LG) Göttingen NJW 1979, S. 173; Miebach / Schäfer (Fn. 2), § 130, Rn. 25. 12 BGHSt 29, S. 27 f. 13 Miebach / Schäfer, MüKo (Fn. 2), § 130, Rn. 18. - 5 - 3. Rechtslage in Frankreich In Frankreich ist die Normierung von Volksverhetzungsdelikten auf zwei Gesetze danach verteilt, ob die Straftaten öffentlich oder nicht öffentlich begangen werden. Art. R. 625-7 des französischen Strafgesetzbuches14 stellt die nichtöffentliche Anstiftung zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund ihrer Herkunft, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe, Nation, Rasse oder Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Behinderung unter Strafe.15 Die öffentlich begangenen Delikte sind dagegen im Pressegesetz16 normiert. Dort legt Art. 24 Abs. 6 fest, dass mit Gefängnis oder Geldstrafe bestraft wird, wer zu Gewalt, Hass oder Diskriminierung gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund ihrer Herkunft, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe, Nation, Rasse oder Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Behinderung anstiftet.17 Art. 24 Abs. 6 legt dabei fest, dass eine solche Anstiftung durch die in Art. 2318 genannten Handlungsformen verwirklicht werden kann. Dazu gehören das öffentlich gesprochene Wort, jegliche Medien , die in die Öffentlichkeit gelangen und die Verbreitung auf elektronischem Wege19 Auch diese Gesetze unterscheiden den Schutz von Personengruppen nicht danach, ob diese zu einer Bevölkerungsmehrheit oder -minderheit zählen. Die französische Regelung ist sogar umfassender als die deutsche, da sie auch Einzelpersonen unter den Schutz vor den genannten Angriffen stellt.20 14 Code pénal, Version consolidée au 10 janvier 2009. 15 Art. R. 624-3 und R. 624-4 des französischen Strafgesetzbuches stellen die nichtöffentliche Verleumdung oder Beleidigung einer Person oder Personengruppe aufgrund ihrer Herkunft, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe , Nation, Rasse oder Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Behinderung unter Strafe. 16 Loi du 29 juillet 1881 sur la liberté de la presse, Version consolidée au 19 novembre 2008. 17 Art. 32 und 33 stellen die Beleidigung oder Verleumdung einer Person oder Personengruppe aus solchen Gründen unter Strafe. 18 Art. 23 legt grundsätzlich bestimmte Handlungsformen einer Anstiftung zu einem Verbrechen oder Vergehen fest, bei deren Vorliegen man als Mittäter des jeweiligen Deliktes bestraft wird. 19 Vgl. Art 23 (freie Übersetzung): „Bestraft wird als Mittäter einer Handlung, die als Verbrechen oder Vergehen qualifiziert ist, wer, sei es durch Reden, Protestkundgebungen oder Drohungen an öffentlichen Plätzen oder in öffentlichen Versammlungen, sei es durch Schriftstücke, Druckwerke, Zeichnungen , Gravuren (Holzschnitt, Radierung etc.), Bilder, Abzeichen, Abbildungen oder jegliche anderen Träger von Wort, Schrift oder Bild, die an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen verkauft oder abgegeben werden, sei es durch Plakate oder Aushänge, die dem Blick der Öffentlichkeit ausgesetzt werden oder sei es durch jegliche Verbreitung an die Öffentlichkeit auf elektronischem Wege, den oder die Urheber der betreffenden Handlung unmittelbar angestiftet hat.“ 20 In Deutschland können solche Angriffe auf Einzelpersonen nur eine Beleidigung oder Verleumdung gem. §§ 185 ff. StGB darstellen. - 6 - 4. Rechtslage in Spanien Auch das spanische Strafrecht stellt Volksverhetzungsdelikte unter Strafe. Sie befinden sich in Art. 510 des spanischen Strafgesetzbuches21 im Abschnitt der „Straftaten, die in Zusammenhang mit der Ausübung der durch die Verfassung garantierten Grund- und Freiheitsrechte begangen werden“. Diese Norm stellt das Aufrufen zu Hass, Gewalt oder Diskriminierungen gegen „Gruppen oder Vereinigungen“ unter Strafe, sofern dies aus rassistischen, antisemitischen oder anderen Gründen geschieht, die sich auf die Weltanschauung, Religion, Überzeugung, familiäre Situation, ethnischer Zugehörigkeit oder Rasse, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Einstellung, Krankheit oder Behinderung beziehen. Zudem ist die Verbreitung beleidigender und unwahrer Informationen über solche Gruppen oder Vereinigungen strafbar. Auch hier unterscheidet das Gesetz nicht, ob sich die Angriffe gegen eine Bevölkerungsminderheit oder eine Bevölkerungsmehrheit richten. Auch die Strafbarkeit eines Angriffs einer Bevölkerungsminderheit auf die Bevölkerungsmehrheit ist danach grundsätzlich möglich. Die konkrete Handhabung dieses Tatbestandes bei Angriffen gegen eine Bevölkerungsmehrheit hängt auch hier vom Einzelfall ab. Eine Antwort auf die Frage, ob und wie solche Fälle bereits entschieden worden sind, bedürfte einer Auswertung der spanischen Rechtsprechung. 5. Rechtslage in Österreich Im österreichischen Strafgesetzbuch22 befindet sich in § 283 der Straftatbestand der „Verhetzung“ im Abschnitt der „Strafbaren Handlungen gegen den öffentlichen Frieden “. Dieser stellt das öffentliche Auffordern oder Aufreizen zu feindseligen Handlungen gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, zu einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe sowie gegen eine inländische Kirche oder Religionsgemeinschaft selbst unter Strafe, sofern dieses Verhalten die öffentliche Ordnung gefährdet. Außerdem enthält § 283 den Tatbestand des öffentlichen „Hetzens“ oder des die Menschenwürde verletzenden Beschimpfens oder Verächtlichmachens solcher Gruppen. Auch hier ist die Frage, ob diese Gruppe eine Mehrheit oder eine Minderheit in der Bevölkerung darstellt, irrelevant.23 21 Código Penal, Ley Orgánica 10/1995 de 23 de Noviembre de 1995, ultima modificación: Ley-20273 de 28.06.2008. 22 Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch - StGB) StF: BGBl. Nr. 60/1974, zuletzt geändert durch Bundesgesetz BGBl. Nr. 109/2007. 23 Plöchl, Franz in: Höpfel Frank; Ratz Eckart (Hrsg.) Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Loseblattsammlung , 2. Auflage, Wien, Stand: 2009, § 283, Rn. 9. - 7 - Vorraussetzung ist lediglich, dass es sich um eine im Inland lebende Gruppe handelt, da ansonsten die Gefährdung der öffentlichen Ordnung nicht bestünde. 6. Rechtslage in der Schweiz Den Begriff „Volksverhetzung“ gibt es im Schweizerischen Strafgesetzbuch24 nicht. Der deutschen Regelung ähnliche Delikte stellt jedoch Art. 261bis im Abschnitt „Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden“ unter Strafe. Er enthält die Tatbestände des Aufrufs zum Hass oder zur Diskriminierung gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion und der öffentlichen Verbreitung von Ideologien, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung von Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind. Zudem stellt er die Teilnahme an Propagandaaktionen mit dem gleichen Ziel sowie die öffentliche Herabsetzung oder Diskriminierung solcher Personen oder Personengruppen in gegen die Menschenwürde verstoßender Weise unter Strafe. Damit ist die auch schweizerische Normierung sogar umfassender als die deutsche Regelung, da sie auch Einzelpersonen unter den Schutz vor den genannten Angriffen stellt.25 Auch Art. 261bis schützt Bevölkerungsgruppen unabhängig davon, ob sie eine Bevölkerungsminderheit oder eine Bevölkerungsmehrheit darstellen. Die angegriffene Gruppe muss nur einigermaßen bestimmbar sein.26 Ob ein Angriff auf die Mehrheitsbevölkerung die Voraussetzungen des Art, 261bis erfüllt, ist wie bei den Normierungen der anderen Staaten eine Tatfrage.27 Das Schweizerische Bundesgericht28 sprach mit Urteil vom 26. Dezember 2008 den „Deutschschweizern“ den Schutz des Art. 261bis zu. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den „Deutschschweizern“ um die Mehrheitsbevölkerung der Schweiz handelt. 24 Vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. Februar 2009). 25 Vgl. Fn. 20. 26 Vest, Hans in: Trechsel, Stefan, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Zürich 2008, Art. 261bis, Rn. 16. 27 Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus ist bei einer Auswertung der schweizerischen Rechtsprechung zu Art. 261bis der Jahre 1995 bis 2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass in 1,3 % der Fälle die Mehrheitsbevölkerung Opfer war, vgl. http://www.ekr.admin.ch/dienstleistungen/ 00169/00172/00179/index.html?lang=de [Stand: 26. Februar 2009]. 28 Oberste schweizerische Gerichtsinstanz.