© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 029/21 Einzelfragen zur Haftung von Wirtschaftsprüfern in ausgewählten europäischen Staaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 029/21 Seite 2 Einzelfragen zur Haftung von Wirtschaftsprüfern in ausgewählten europäischen Staaten Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 029/21 Abschluss der Arbeit: 7. April 2021 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 029/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtslage in Deutschland 4 3. Rechtslage in ausgewählten europäischen Staaten 5 3.1. Frankreich 5 3.2. Großbritannien 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 029/21 Seite 4 1. Einleitung Anlässlich des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz1) sind die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages um Auskunft zu einzelnen Haftungsfragen von Wirtschaftsprüfern in ausgewählten europäischen Ländern gebeten worden. Nachfolgend soll - nach einer überblickshaften Darstellung der rechtlichen Situation in Deutschland - insbesondere beleuchtet werden, wie (zivilrechtliche) Haftungsregelungen für Wirtschaftsprüfer in Großbritannien und Frankreich ausgestaltet sind, wenn diese dort als Abschlussprüfer tätig werden, ob und inwieweit dort im Einzelfall Haftungsobergrenzen bestehen und ob die Größe der jeweiligen Prüfungsgesellschaft bei den entsprechenden Haftungsregeln berücksichtigt wird. 2. Rechtslage in Deutschland In Deutschland sind der Abschlussprüfer, seine Gehilfen und die bei der Prüfung mitwirkenden gesetzlichen Vertreter einer Prüfungsgesellschaft zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung verpflichtet (§ 323 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Handelsgesetzbuch (HGB2). Wer vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflichten verletzt, ist daher der Kapitalgesellschaft und, wenn ein verbundenes Unternehmen geschädigt worden ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 323 Abs. 1 Satz 3 HGB). Eine Prüfung erfolgt im Sinne des § 323 Abs. 1 Satz 1 HGB gewissenhaft, wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen so durchgeführt wird, dass ihr Ziel, die Abgabe eines Prüfungsurteils, erreicht wird. Unabhängig von der Größe der Prüfungsgesellschaft ist die Haftung des Abschlussprüfers in jedem Einzelfall nach § 323 Abs. 2 HGB bei Fahrlässigkeit auf einen Höchstbetrag von 1 Million Euro, bei einer Aktiengesellschaft, deren Aktien zum Handel an einem regulierten Markt zugelassen sind, auf 4 Millionen Euro pro Prüfung begrenzt. Dies gilt nach § 323 Abs. 2 Satz HGB auch, wenn an der Prüfung mehrere Personen beteiligt gewesen oder mehrere zum Ersatz verpflichtende Handlungen begangen worden sind, und ohne Rücksicht darauf, ob andere Beteiligte vorsätzlich gehandelt haben. 1 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – FISG), BT-Drs. 19/26966 vom 24. Februar 2021, abrufbar unter: https://dserver.bundestag .de/btd/19/269/1926966.pdf (letzter Abruf dieses Links und aller weiteren am 7. April 2021). 2 Handelsgesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 14 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/hgb/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 029/21 Seite 5 3. Rechtslage in ausgewählten europäischen Staaten3 3.1. Frankreich In Frankreich üben gegenwärtig ca. 15.000 natürliche Personen und 5.000 juristische Personen die Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers aus. Der Wirtschaftsprüfer hat in Frankreich die Funktion eines gesetzlichen Abschlussprüfers. Er überprüft, ob die Buchführung eines Unternehmens wahrheitsgetreu erfolgt ist und den geltenden Normen entspricht. Die Aufgabe des Wirtschaftsprüfers ist von öffentlichem Interesse, da er die finanziellen Angaben des Unternehmens gegenüber der Steuerbehörde und dem Staat bestätigt. Artikel L.823-9 des französischen Handelsgesetzbuches 4 legt fest: „Wirtschaftsprüfer bestätigen, dass der Jahresabschluss ordnungsgemäß und wahrheitsgetreu erstellt wurde und ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Geschäftsergebnisses des vergangenen Geschäftsjahres sowie der Finanz- und Vermögenslage der Person oder Organisation am Ende des Geschäftsjahres vermittelt, und liefern Nachweise für ihre Einschätzung.“ Wirtschaftsprüfer haben demnach drei Prüfpflichten: – Ordnungsmäßigkeit: Einhaltung der Bewertungs- und Darstellungsvorschriften bei Erstellung des Jahresabschlusses, – Wahrhaftigkeit: Erstellung des Abschlusses nach dem Grundsatz der Redlichkeit und nach Treu und Glauben, – ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild: Die Finanzbuchführung vermittelt ein möglichst objektives Bild der Unternehmensrealität und ermöglicht einer außenstehenden Person somit ein genaues Verständnis. Die Bestellung eines Wirtschaftsprüfers kann verpflichtend oder fakultativ sein und hängt etwa von Faktoren wie der Bilanzsumme5, dem Umsatz vor Steuern, der Zahl der Angestellten im Laufe des Geschäftsjahres sowie der gewählten Gesellschaftsform ab. 3 Die Angaben unter diesem Gliederungspunkt basieren auf einer Abfrage bei den Parlamentsverwaltungen der entsprechenden Mitgliedsstaaten. Die erhaltenen Antworten in englischer und französischer Sprache wurden im Rahmen einer Arbeitsübersetzung ins Deutsche übersetzt. Bei der deutschen Wiedergabe von Rechtsvorschriften im nachfolgenden Gliederungspunkt handelt es sich folglich nicht um amtliche Übersetzungen. 4 Abrufbar in französischer Sprache unter: https://www.legifrance.gouv.fr/codes/section_lc/LE- GITEXT000005634379/LEGISCTA000006133216/#LEGISCTA000006133216. 5 Eine Übersicht der jeweiligen Grenzwerte ist in französischer Sprache abrufbar unter: https://www.servicepublic .fr/professionnels-entreprises/vosdroits/F31440. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 029/21 Seite 6 Der Wirtschaftsprüfer ist zivilrechtlich haftbar, wenn die folgenden drei Punkte zutreffen: Dem Wirtschaftsprüfer ist ein Fehler anzulasten. Dem angeblich Geschädigten ist ein Schaden entstanden . Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Fehler, der dem Wirtschaftsprüfer anzulasten ist, und dem Schaden, der dem angeblich Geschädigten entstanden ist. Dies steht unter dem Vorbehalt , dass sich der Wirtschaftsprüfer nicht von seiner Haftung befreien kann. Es handelt sich um eine verschuldensabhängige Haftung gemäß Artikel L.822-17 des französischen Handelsgesetzbuches, als Erweiterung der Haftung gemäß Artikel 1240 des französischen Zivilgesetzbuches6. Die Haftung ist persönlicher Natur, da der Wirtschaftsprüfer nicht für Fehler anderer zur Verantwortung gezogen werden kann. Bei dieser persönlichen Haftung sind jedoch verschiedene Ebenen zu unterscheiden. So haftet der Wirtschaftsprüfer etwa auch für solche Personen , die ihm zuarbeiten. Darüber hinaus ist eine gesamtschuldnerische Haftung zwischen dem Wirtschaftsprüfer und einer weiteren Person möglich. Kann der Anteil jeder einzelnen Person am entstandenen Schaden nicht ermittelt werden, können sie gesamtschuldnerisch haftbar sein. Dies ist der Fall, wenn der Fehler des Wirtschaftsprüfers untrennbar mit dem Fehler eines Geschäftsführers , eines Gesellschafters, eines Angestellten oder eines Dritten verbunden ist. Diesbezüglich ist in Artikel L. 210-8 Absatz 2 des Handelsgesetzbuches geregelt: „Die Gründer der Gesellschaft sowie die führenden Mitglieder der Leitungs-, Verwaltungs-, Führungs- und Aufsichtsgremien sind solidarisch haftbar für einen Schaden, der durch eine fehlende obligatorische Angabe in der Satzung bzw. durch Versäumnis oder nicht ordnungsgemäße Ausführung einer laut Gesetz oder Rechtsvorschrift für die Gründung der Gesellschaft vorgeschriebenen Formalität verursacht wurde. Die Bestimmungen des vorstehenden Absatzes finden bei Satzungsänderung entsprechend der jeweiligen Änderung Anwendung auf die Mitglieder der Leitungs-, Verwaltungs-, Führungs -, Aufsichts- und Kontrollgremien. Es gilt eine Verjährungsfrist von zehn Jahren ab Durchführung einer der beiden gem. Absatz 4 Artikel L. 210-7 erforderlichen Formalitäten.“ Grundsätzlich ist der Wirtschaftsprüfer mithin haftbar, wenn: – er keine ausreichenden Kontrollen und Prüfungen durchgeführt hat, – ihm bei der Bestätigung der Buchführung ein Fehler unterlaufen ist, – er seiner Verpflichtung zur korrekten Unterrichtung über Beobachtungen und Anmerkungen zur Rechnungslegung des Unternehmens nicht nachgekommen ist, – er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, Ungenauigkeiten und Unregelmäßigkeiten mit Auswirkung auf die Rechnungsführung des Unternehmens sowie grundsätzlich jegliche Verstöße, über die er Kenntnis besitzt, zu melden, 6 Abrufbar in französischer Sprache unter: https://www.legifrance.gouv.fr/codes/id/LEGITEXT000006070721/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 029/21 Seite 7 – er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, einen Sonderbericht über nicht zu marktüblichen Bedingungen abgeschlossene Geschäfte mit nahestehenden Personen, von denen er Kenntnis besaß, vorzulegen, – er seiner Verpflichtung zur Einleitung eines Warnverfahrens nicht nachgekommen ist, – er seiner Verpflichtung zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung im Falle von Versäumnissen der Leitungsgremien nicht nachgekommen ist. Ergänzend zur Fragestellung führt die französische Antwort Folgendes aus: Wirtschaftsprüfer können darüber hinaus auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. In Betracht kommen insoweit zunächst allgemeine Tatbestände wie Diebstahl, Betrug, Untreue, Urkundenfälschung , Insidergeschäft oder die Offenlegung finanzieller Angaben. Darüber hinaus existieren spezifische Straftatbestände, wie die Verletzung von Berufsgeheimnissen , die Verbreitung irreführender Angaben, die Nicht-Veröffentlichung strafbarer Handlungen, die Nicht-Veröffentlichung von Informationen zu möglicher Geldwäsche, mangelnde Unterrichtung über die Identität von Inhabern maßgeblicher Beteiligungen, die Verbreitung unrichtiger Angaben über den Ausschluss des Bezugsrechts sowie die Gläubigervertretung. Die etwaiges berufsrechtliches Fehlverhalten verfolgenden Disziplinarinstanzen sind unabhängig von den gerichtlichen Instanzen. Im Falle einer strafrechtlichen Verfolgung setzen die Disziplinarinstanzen ihr Verfahren nicht aus. Der Ausgang des Disziplinarverfahrens hat keine Auswirkungen auf das Strafverfahren. Umgekehrt hat der Ausgang des Strafverfahrens keine Auswirkung auf das Disziplinarverfahren. Ein Freispruch im Strafverfahren steht somit der Durchsetzung der disziplinarischen Haftung des betreffenden Wirtschaftsprüfers nicht im Wege. Gemäß Artikel L. 822-8 des Handelsgesetzbuches sind die möglichen Disziplinarstrafen: Verwarnung , Rüge, zeitlich begrenztes Berufsverbot von maximal fünf Jahren, Entzug der Zulassung und ggf. Entzug von Ehrentiteln. Die Verjährungsfrist für Disziplinarvergehen beträgt zehn Jahre. Letztlich kann die französische Finanzaufsicht (AMF) gemäß Artikel L. 621-14 und L. 621-15-II des Währungs- und Finanzgesetzbuches und gemäß allgemeiner Verfahrensordnung der AMF auch verwaltungsrechtliche Sanktionen gegen Wirtschaftsprüfer, die ihre Tätigkeit in öffentlich gehandelten Unternehmen ausüben, verhängen. 3.2. Großbritannien7 In Bezug auf bestehende Haftungsregelungen für als Abschlussprüfer tätig werdende Wirtschaftsprüfer gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Haftung eines Abschlussprüfers hängt daher im Einzelfall maßgeblich davon ab, was in dem zwischen dem Prüfer und dem zu prüfenden Unternehmen abgeschlossenen Prüfungsvertrag vereinbart ist. 7 Es bestehen in Bezug auf die Haftung von Wirtschaftsprüfern innerhalb des Vereinigten Königreichs unterschiedliche Rechtssysteme für (i) England und Wales; (ii) Schottland; und (iii) Nordirland. Die nachfolgende Darstellung konzentriert sich ausschließlich auf England und Wales. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 029/21 Seite 8 Außerhalb der jeweiligen vertraglichen Vereinbarung wird anerkannt, dass Wirtschaftsprüfer eine allgemeine Sorgfaltspflicht gegenüber den zu prüfenden Unternehmen haben, sodass sie in Anspruch genommen werden können, wenn sie diese Pflicht verletzen und dem Unternehmen dadurch ein Schaden entsteht. Diese Sorgfaltspflicht erstreckt sich jedoch in der Regel nicht auf Dritte, die sich auf die Prüfung verlassen, es sei denn, es werden bestimmte, enge Voraussetzungen erfüllt. In Bezug auf Haftungsobergrenzen gilt unabhängig von der Größe des Prüfungsunternehmens, dass diese grundsätzlich unbegrenzt haften. Der jeweilige Wirtschaftsprüfer kann jedoch individualvertraglich mit dem zu prüfenden Unternehmen vereinbaren, seine Haftung auf einen Betrag zu begrenzen, der unter Berücksichtigung der Verantwortlichkeiten und Pflichten des Prüfers und der von ihm erwarteten beruflichen Standards „unter allen Umständen angemessen und vernünftig “ ist. Im Zuge gerichtlicher Auseinandersetzungen können die Gerichte den jeweiligen Betrag anpassen, sofern und soweit diese zu der Auffassung gelangen, dass dieser nicht fair oder angemessen ist. Jede individualvertragliche Vereinbarung zur Haftungsbeschränkung muss von den Mitgliedern des Unternehmens (company’s members), also etwa den Aktionären, genehmigt werden .8 * * * 8 Vgl. Companies Act 2006, part 16, Chapter 6 („Auditors' liability“), abrufbar in englischer Sprache unter: https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2006/46/part/16/chapter/6.