Deutscher Bundestag Nachtflugverbote an bestehenden Flughäfen II Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 7 – 3000 – 024/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 2 Nachtflugverbote an bestehenden Flughäfen II Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 024/13 Abschluss der Arbeit: 26. Februar 2013 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Verschärfung von Nachtflugbeschränkungen 5 2.1. Beschränkungen der Nachtflugerlaubnis 5 2.2. Bedingungen für die Aufhebung der Nachtflugerlaubnis 7 2.2.1. Aufhebung der Genehmigung 7 2.2.1.1. Widerruf nach § 6 Abs. 2 Satz 3 und 4 LuftVG 7 2.2.1.2. Widerruf nach § 48 Abs. 1 Satz 3 LuftVZO 7 2.2.1.3. Widerruf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO 8 2.2.1.4. Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO 8 2.2.1.5. Umfang des Widerrufs bzw. der Rücknahme 8 2.2.2. Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses 9 3. Bestandskraft der Genehmigung bzw. Planfeststellungsbeschluss 10 3.1. Definition 10 3.2. Auswirkungen auf die Bestandskraft, wenn der Flughafen noch nicht in Betrieb ist 10 3.3. Durchbrechung der Bestandskraft durch einen Auflagenvorbehalt 11 3.3.1. Definition und Wirkung 11 3.3.2. Zulässigkeit des Auflagenvorbehalts 12 4. Einzelfragen zur wesentlichen Änderung 13 4.1. Vorliegen einer Änderung 13 4.2. Wesentlichkeit der Änderung 14 4.3. Einzelmaßnahmen 15 5. Zwang zur Verankerung von Nachtflugbeschränkungen 16 5.1. Flughafenbetreiber 16 5.2. Dritte 16 5.3. BMVBS als Aufsichtsbehörde 17 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 4 1. Einleitung Die Thematik um Nachtflugverbote ist Gegenstand der juristischen Literatur und aktueller Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG).1 Nachtflugverbote waren darüberhinaus Gegenstand eines Sachstandes des Fachbereichs.2 In Ergänzung hierzu sollen zunächst die sich aus diesem Sachstand ergebenden Nachfragen behandelt werden. Hierbei soll eine Konkretisierung der Aussagen bezüglich der Bedingung einer von der Genehmigungsbehörde initiierten Verschärfung nächtlicher Betriebsbeschränkungen erfolgen und der Frage nachgegangen werden, inwieweit ein Auflagenvorbehalt es der Behörde erleichtert, die „Bestandskraft der Genehmigung bzw. des Planfeststellungsbeschlusses“ zu „durchbrechen“. Zudem stellen sich zum Flughafen Berlin Brandenburg (BER) die folgenden Rechtsfragen: a) Wann wird die Zulassung von nächtlichem Flugverkehr bestandskräftig? Welche Auswirkungen auf die Bestandskraft hat es, wenn der Flughafen noch nicht in Betrieb genommen wurde? b) Erstreckt sich der konkrete Auflagenvorbehalt im Planfeststellungsbeschluss des BER auch auf die Ausweitung des Nachtflugverbots und wenn nein, auf welche Maßnahmen ist der Geltungsbereich dieses Auflagenvorbehalts beschränkt? c) Unter welchen Bedingungen könnte die Planfeststellungsbehörde eine Ausweitung des Nachtflugverbots durch einen (Teil-)Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses oder der Betriebsgenehmigung erwirken? d) Ist die – im Vergleich zu der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Luftverkehrsprognose – starke Steigerung des Flugverkehrs an den Standorten Tegel und Schönefeld eine „wesentliche Änderung“ im Sinne des § 6 Abs. 4 LuftVG? e) Sind die angestrebten kapazitätserweiternden Maßnahmen am Flughafen BER, die die Abfertigungskapazität um 10 Mio. Passagiere erhöhen sollen, eine „wesentliche Änderung“? f) Wer kann die zuständige Genehmigungsbehörde auf welche Weise rechtlich verbindlich zwingen, die Ausweitung des Nachtflugverbots im Planfeststellungsbeschluss und der Betriebsgenehmigung zu verankern und auch gegenüber dem Betreiber durchzusetzen? In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages gemäß Ziffer 1.8 ihres Leitfadens keine Rechtsauskünfte im Einzelfall erteilen. Bei den Fragen zu den Flughäfen Tegel, Schönefeld und BER3 handelt es sich um derartige Einzelfälle . Zudem muss bedacht werden, dass zur Beantwortung der konkreten Fragen ausführliche Sachverhaltsermittlungen notwendig wären, die hier nicht durchgeführt werden können. Unab- 1 Vgl. BVerwG, Urteil vom 04. April 2012, NVwZ 2012, S. 1314 ff. (Flughafen Frankfurt/Main); BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4001/10, NVwZ 2012, S. 432 ff. (Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld); OVG Berlin -Brandenburg, Beschluss vom 15. Juni 2012 – 12 S 27.12 (Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld), NVwZ-RR 2012, S. 679; Norbert Kämper, Kein Nachtflugverkehr mehr in Deutschland?, NVwZ 2013, S. 8 ff. 2 Vgl. Sachstand „Nachtflugverbote an bestehenden Flughäfen“ - WD 7 – 3000 – 330/12. 3 Insbesondere zu den konkreten Fragen zum Flughafen BER muss bedacht werden, dass der am 13. August 2004 erlassene Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld neben dem eigentlichen Text mit drei erläuternden Anlagen, 530 Pläne und Verzeichnisse, die Gegenstand der Planfeststellung sind, insgesamt 27 Aktenordner, umfasst. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 5 hängig von den erwähnten Einzelfällen wird deshalb versucht, zu den oben aufgeführten Fragen die allgemeine Rechtslage darzustellen. Es werden deshalb zunächst die Bedingungen zur Verschärfung der nächtlichen Betriebsbeschränkungen erläutert (2.). Sodann wird zur Bestandskraft der Genehmigung und des Planfeststellungsbeschlusses Stellung genommen (3.). Des Weiteren wird erörtert, wie die Bestandskraft , insbesondere durch einen Auflagenvorbehalt, durchbrochen werden kann. Anschließend sollen dann die Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung eines Flughafens beleuchtet werden (4.), um schließlich auf die Frage einzugehen, wer die Genehmigungsbehörde zur Ausweitung des Nachtflugverbotes zwingen kann (5.). 2. Verschärfung von Nachtflugbeschränkungen Die Nachtflugerlaubnis kann einerseits in der Genehmigung nach § 6 LuftVG4 und/oder gemäß § 10 LuftVG im Planfeststellungsbeschluss erteilt werden. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit den aufgeworfenen Fragen, wie Nachtflugbeschränkungen verschärft werden können . Zunächst wird jedoch kurz erläutert, wie Nachtflugbeschränkungen eingeführt werden können (2.1), bevor auf die einzelnen Bedingungen hierfür eingegangen wird (2.2). 2.1. Beschränkungen der Nachtflugerlaubnis Die Nachtflugerlaubnis kann auf zwei unterschiedlichen Wegen beschränkt werden – einerseits durch Änderungsgenehmigung und andererseits durch Widerruf der Genehmigung oder des Planfeststellungsbeschlusses . Beide Wege müssen strikt unterschieden werden. Entweder es erfolgt ein Antrag auf Änderungsgenehmigung des Flughafenbetreibers5 oder ein Widerruf der Nachtflugerlaubnis durch die jeweilige Behörde. Ein „Widerruf durch Erlass einer Änderungsgenehmigung “ ist nicht möglich und macht auch keinen Sinn. Denn eine Genehmigung ergeht nur, wenn etwas beantragt wurde. Währenddessen der Widerruf einer Begünstigung ohne einen Antrag und gegen den Willen des Betroffenen erfolgt. 4 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Durchführung der VO (EU) Nr. 1177/2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr sowie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 05. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2454). 5 Bspw. die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Gesellschafter des Flughafen BER ist zu 26 % die Bundesrepublik Deutschland und zu je 37% die Länder Berlin und Brandenburg. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 6 Bei der ersten Möglichkeit erfolgt der Entzug der Nachtflugerlaubnis auf Antrag des Flughafenbetreibers .6 Dieser kann gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG eine Änderungsgenehmigung7 mit dem Inhalt beantragen, dass die Genehmigung des Nachtflugbetriebes nicht weiter aufrecht erhalten wird. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 LuftVG gilt dies unabhängig davon, ob sich die Gestattung von Nachtflügen im konkreten Fall ursprünglich aus der Genehmigung oder dem Planfeststellungsbeschluss ergibt. Ein neues Planfeststellungsverfahren kann und muss der Betreiber nicht einleiten .8 Hintergrund der Beantragung einer Änderungsgenehmigung ist, dass in der Regel ein öffentliches Interesse am Betrieb eines Flughafens besteht. Ist einer Gesellschaft der Betrieb eines Flughafens gestattet worden, korrespondiert mit dem Recht zum Betrieb gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO9 immer auch eine inhaltsgleiche Betriebspflicht. Ein Flughafenbetreiber darf deswegen den (Nachtflug)-Betrieb nicht nach seinem Belieben einstellen, sondern muss Einschränkungen des (Nacht-)Flugbetriebes beantragen.10 Bei der zweiten Möglichkeit zur Einschränkung des Nachtflugbetriebs erfolgt der Entzug der Nachtflugerlaubnis durch einen Widerruf der Nachtflugerlaubnis aufgrund behördlichen Einschreitens .11 Der Widerruf einer bestandskräftigen Nachtfluggenehmigung ist wegen des Vertrauensschutzes auf den Bestand einer bestandskräftigen Genehmigung jedoch nur in engen Grenzen möglich.12 6 Vgl. Ausführungen zu Ziffer 2.1 im Sachstand WD 7 – 3000 – 330/12, (oben Fn. 2). 7 Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG ist eine Änderungsgenehmigung erforderlich, wenn der Betrieb des Flughafens wesentlich geändert werden soll. Eine Änderung ist wesentlich, wenn durch sie die in § 6 Abs. 2 und 3 LuftVG genannten Belange, beispielsweise also der Schutz vor Fluglärm, in rechtserheblicher Weise berührt wird oder berührt werden kann. Dies ist bei Nachtflugverboten regelmäßig der Fall. Der Charakter eines Flugplatzes wird durch Flugbeschränkungen berührt. 8 Giemulla, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, 59. Aktualisierung, München/Unterschleißheim 2010, § 6 Rn. 9. 9 Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Juli 2008 (BGBl. I S. 1229), zuletzt geändert durch Art. 2 des Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 08. Mai 2012 (BGBl. I S. 1032). 10 OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2007, Az. OVG 12 A 2.05, Rn. 48. 11 Vgl. Ausführungen zu 2.2 in Sachstand WD 7 – 3000 – 330/12. Im Falle des BER sind dies brandenburgische Landesbehörden. 12 Zur Vervollständigung werden im Folgenden alle Aufhebungsgründe, also Widerruf und Rücknahme, erläutert. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 7 2.2. Bedingungen für die Aufhebung der Nachtflugerlaubnis Die einleitend aufgeführte Frage lit. c) zu den Bedingungen zur Aufhebung der Nachtflugerlaubnis beantwortet sich unterschiedlich, je nach dem ob die Genehmigung oder der Planfeststellungsbeschluss (teilweise) aufgehoben werden soll.13 2.2.1. Aufhebung der Genehmigung Die Aufhebung der Genehmigung nach § 6 LuftVG kann bei einer rechtmäßigen Genehmigung durch einen Widerruf (§ 6 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 LuftVG und § 48 Abs. 1 Satz 2 und § 48 Abs. 1 Satz 3 LuftVZO) und bei einer rechtswidrigen Genehmigung durch Rücknahme der Genehmigung (§ 48 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO) erfolgen. 2.2.1.1. Widerruf nach § 6 Abs. 2 Satz 3 und 4 LuftVG Der Widerruf kann erfolgen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet wird (§ 6 Abs. 2 Satz 3 LuftVG). Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst zunächst die Schutzgüter der Allgemeinheit. Darunter fallen der Staat in seinem Bestand sowie die Funktionsfähigkeit aller staatlichen Einrichtungen. Die öffentliche Sicherheit erstreckt sich jedoch auch auf die Individualrechtsgüter, wie Leben, körperliche Unversehrtheit , Freiheit, persönliche Ehre, Eigentum und Vermögen. Die öffentliche Ordnung umfasst diejenigen ungeschriebenen Verhaltensmaßregeln für den einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit liegt vor, wenn Tatsachen für sich oder im Zusammenhang mit anderen Tatsachen und/oder Umständen bei objektiver Betrachtung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die durch die öffentliche Sicherheit geschützten Rechtsgüter verletzt werden können.14 Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn der genehmigte Nachtflugbetrieb Gesundheitsbeeinträchtigungen der Anwohner befürchten lässt. 2.2.1.2. Widerruf nach § 48 Abs. 1 Satz 3 LuftVZO Der Widerruf kann des Weiteren erfolgen, wenn erteilte Auflagen, beispielsweise hinsichtlich des Umfangs des Nachtflugbetriebes, nicht eingehalten werden (§ 48 Abs. 1 Satz 3 LuftVZO). Zu beachten ist hierbei jedoch, dass nicht nur der Flughafenbetreiber von einem Widerruf betroffen ist, sondern auch die Nutzer des Flughafens. Da es sich bei § 48 Abs. 1 Satz 3 LuftVZO um eine Er- 13 Zum BER siehe: Rolfdieter Bohm, Themenkomplex Nachtflugverbot/BBI, Teil I: Möglichkeiten des Landes Brandenburg, durch Änderung des Planfeststellungsbeschlusses oder durch gesetzgeberische Maßnahmen ein umfassendes Nachtflugverbot einzuführen, 06. April 2011, abrufbar unter http://www.parldok.brandenburg.de/parladoku//w5/gu/42.pdf [Stand: 26.02.2013]. 14 Giemulla in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsverordnungen, 39. Aktualisierung, München/Unterschleißheim 2010, § 48 LuftVZO Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 8 messensentscheidung handelt, sind bei der vorzunehmenden Abwägung auch deren Interessen zu berücksichtigen.15 2.2.1.3. Widerruf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO Der Widerruf muss ergehen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung nachträglich nicht nur vorübergehend entfallen sind (§ 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO). Ein Entfallen der Genehmigungsvoraussetzungen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO liegt insbesondere dann vor, wenn der Flugbetrieb derart zugenommen hat, dass er Grundrechtsrelevanz (z.B. durch Gesundheitsverletzungen ) erlangt hat. 2.2.1.4. Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO Eine rechtswidrige Genehmigung muss zurückgenommen werden, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen bereits bei der Erteilung der Genehmigung nicht vorgelegen haben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO). Sollte nachträglich festgestellt werden, dass die Genehmigungsvoraussetzungen bei der Erteilung der Genehmigung von Anfang an nicht vorgelegen haben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO), sind die Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG16 zu beachten. Hiernach ist ein Ausgleich des durch das Vertrauen auf den Bestand der Genehmigung erlittenen Vermögensnachteils zu beachten. Entsprechendes gilt für die Rücknahmefrist von einem Jahr nach Kenntnis der Umstände, die eine Rücknahme der Genehmigung rechtfertigen.17 2.2.1.5. Umfang des Widerrufs bzw. der Rücknahme Ein (Teil-)Widerruf stellt sich als eine Konkretisierung der ursprünglichen Genehmigung dar und führt den Betrieb des Flughafens auf einen genehmigungsfähigen Zustand zurück. Bei dem Widerruf der Genehmigung ist jedoch zu beachten, dass aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein (Teil-)Widerruf nur gestattet ist, wenn andere Maßnahmen des passiven Schallschutzes nicht geeignet sind, das Ziel des Gesundheitsschutzes durch eine Lärmminimierung zu erreichen . Der (Teil-)Widerruf darf im Übrigen nur soweit gehen, dass die Lärmbeeinträchtigungen unter die Schwelle der Gesundheitsbeschädigung herunter geführt werden. Nachtflugbeschränkungen dürften angesichts dessen durch einen Widerruf der Genehmigung möglich sein, nicht jedoch die generelle Einführung eines Nachtflugverbots.18 15 Giemulla (Fn. 14), § 48 LuftVZO Rn. 13. 16 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im patentanwaltlichen Berufsrecht vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2827). 17 Giemulla (Fn. 8), § 6 Rn. 90. 18 Giemulla (Fn. 8), § 6 Rn. 90. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 9 Eine rechtswidrige Genehmigung ist in vollem Umfang zurückzunehmen.19 Der Rücknahmegrund ist zwingend ausgestaltet. Deshalb bleibt in einem solchen Fall für eine Abwägung mit den Interessen des Flugplatzbetreibers oder der Fluggesellschaften, die sich an dem betroffenen Flugplatz eingerichtet haben, kein Raum. Es findet jedoch die Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG Anwendung , der einen Ersatz des Vertrauensschadens vorsieht. 2.2.2. Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses Ein Planfeststellungsbeschluss kann gemäß § 77 VwVfG aufgehoben werden. Hiernach kommt eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den Fall in Betracht, dass der Vorhabenträger das Vorhaben aufgibt, nachdem er mit dessen Durchführung begonnen hatte, es aber noch nicht vollendet und in Betrieb genommen wurde. Die Vorschrift ist analog anzuwenden, wenn mit dem planfestgestellten Vorhaben noch nicht begonnen wurde. Nicht von § 77 VwVfG erfasst wird jedoch die Aufgabe von fertig gestellten und bereits in Betrieb genommenen planfeststellungsbedürftigen Vorhaben. Daneben können jedoch auch die Regelungen des §§ 48, 49 VwVfG Anwendung finden.20 Die von den Auswirkungen der planfestgestellten Anlage Betroffenen haben demnach einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Widerruf bzw. die Rücknahme eines Verwaltungsaktes . Ein Widerruf kann unter Berücksichtigung - des Verhältnismäßigkeitsgebots und - der erhöhten Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen aufgrund der Duldungswirkung des § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG allerdings nur verlangt werden, wenn Grundrechtseingriffe zu befürchten sind und Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht als Abhilfe ausreichen, etwa um gesundheitsgefährdende Lärmauswirkungen zu verhindern.21 Der Widerruf ist damit ultima ratio und dürfte nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen sein.22 19 Anders als im § 48 VwVfG ist in § 48 Abs. 1 Satz 1 LuftVZO keine teilweise Rücknahme vorgesehen. 20 BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1997 – Az. 11 C 1.96, Rn. 26 (juris). 21 BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 2004 – Az. 4 B 95/03. 22 Kämper, in: Johlen/Oerder (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Verwaltungsrecht, 3. Auflage 2012, § 19 Rn. 192. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 10 3. Bestandskraft der Genehmigung bzw. Planfeststellungsbeschluss In den oben aufgeführten Fragestellungen zu lit. a) und lit. b) geht es um die Bestandskraft der Genehmigung bzw. des Planfeststellungsbeschlusses und wie diese durchbrochen werden kann. Bei der Zulassung des Nachtflugverkehrs durch eine Genehmigung und einen Planfeststellungsbeschluss handelt es sich um begünstigende Verwaltungsakte. Um die Verbindlichkeit von Verwaltungsakte zu verfestigen, ist deren Bestandskraft notwendig. 3.1. Definition Bei der Bestandskraft von Verwaltungsakten ist zwischen der formellen und der materiellen Bestandskraft zu unterscheiden. Unter der formellen Bestandskraft ist die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes zu verstehen. Dies bedeutet, dass der Verwaltungsakt nicht mehr mit den zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln angegriffen werden kann. Diese Unanfechtbarkeit kann durch Fristablauf , Rechtsbehelfsverzicht und in Ausnahmefällen auch durch Verwirkung eintreten.23 Mit Eintritt der materiellen Bestandskraft tritt das im Verwaltungsakt Entschiedene in Kraft. Bereits mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes ergibt sich dessen Verbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit verfestigt sich jedoch erst, wenn der Verwaltungsakt formell bestandskräftig ist, da der Verwaltungsakt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anfechtbar ist. Bestandskräftige Planfeststellungsbeschlüsse sind gem. § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG mit einer besonderen Ausschlusswirkung ausgestattet. Sobald ein Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden ist, sind nach dieser Vorschrift Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Nutzung ausgeschlossen. Diese Ausschlusswirkung richtet sich gegen nachträgliche Unterlassungs- oder Änderungswünsche von durch das Vorhaben nachteilig Betroffenen. Die Planbetroffenen haben das Vorhaben nach Eintritt der Bestandskraft zu dulden, und zwar auch bei später eintretenden veränderten Umständen .24 3.2. Auswirkungen auf die Bestandskraft, wenn der Flughafen noch nicht in Betrieb ist Im Folgenden werden die Auswirkungen auf die Bestandskraft einer Genehmigung und des Planfeststellungsbeschlusses erläutert, wenn der Flughafen noch nicht in Betrieb genommen wurde. Gemäß § 44 LuftVZO darf ein Flughafen erst in Betrieb genommen werden, wenn eine Abnahmeprüfung von der Genehmigungsbehörde durchgeführt worden ist. Die Genehmigung nach § 6 23 Detlef Merten, Bestandskraft von Verwaltungsakten, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1983, S. 1993 (1995). 24 BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2007 - 9 A 22/06. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 11 LuftVG und der Planfeststellungsbeschluss nach § 10 LuftVG berechtigen insoweit noch nicht zur Inbetriebnahme des Flughafens. Vielmehr bedarf es nach der baulichen Fertigstellung der genehmigten Flughafenanlage noch einer Abnahmeprüfung durch die Genehmigungsbehörde.25 Für die Abnahme wird ein Abnahmezeugnis erstellt, mit der tatsächlichen Erklärung und Feststellung der Behörde, ob und ggf. in welchem Umfang das verwirklichte Flughafenprojekt der Genehmigung und ggf. auch dem festgestellten Plan entspricht. Bei dem Abnahmezeugnis handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG. Aus dem nur deklaratorischen Charakter des Abnahmezeugnisses folgt, dass eine Abnahme, die objektiv zu Unrecht ausgesprochen wurde, keine rechtlichen Auswirkungen auf die Genehmigung haben kann. Sie ändert die Genehmigung nicht ab und entlässt den Flughafenbetreiber nicht aus den sich aus der Genehmigung und/oder Planfeststellung für ihn ergebenden Pflichten.26 Zu der oben unter lit. a) gestellten Frage lässt sich demnach feststellen, dass es keine Auswirkungen auf die Bestandskraft der Genehmigung nach § 6 LuftVG und den Planfeststellungsbeschluss nach § 10 LuftVG hat, dass der Flughafen noch nicht in Betrieb genommen wurde. 3.3. Durchbrechung der Bestandskraft durch einen Auflagenvorbehalt Grundsätzlich hat der Eintritt der Bestandskraft zur Folge, dass die Zulassung durch die Behörde nicht mehr entzogen werden kann. Hierdurch soll der Begünstigte (Flughafenbetreiber) geschützt werden. Eine risikoarme und ökonomische Planung ist für ihn nur möglich, wenn er sich auf die Zulassung verlassen kann. Ein bestandskräftiger Verwaltungsakt kann daher nur in engen Grenzen durchbrochen werden. So ist etwa ein Widerruf, eine Rücknahme oder die Anwendung von im Genehmigungsbescheid erlassenen Nebenbestimmungen möglich. Der Widerruf und die Rücknahme wurden bereits ausführlich oben unter Ziffer 2.2.1. und Ziffer 2.2.2. erläutert. Die folgenden Ausführungen befassen sich daher ausschließlich mit dem Auflagenvorbehalt. 3.3.1. Definition und Wirkung Der Auflagenvorbehalt durchbricht die Bestandskraft des begünstigenden Verwaltungsaktes dadurch , dass er der Behörde die Befugnis einräumt, den Verwaltungsakt nachträglich noch mit Auflagen zu versehen, so dass der Adressat sich nicht endgültig darauf einrichten kann, im Falle der Inanspruchnahme des begünstigenden Verwaltungsaktes keinen anderen Verpflichtungen zu unterliegen als jenen, die mit dem Bescheid selbst schon verbunden worden sind.27 25 Giemulla in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsverordnungen, 39. Aktualisierung, München/Unterschleißheim 2010, § 44 LuftVZO Rn. 26 Giemulla (Fn. 25), § 44 LuftVZO Rn. 2. 27 Tiedemann, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, Edition 17, 2012, § 36 Rn. 72; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 36 Rn. 89. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 12 3.3.2. Zulässigkeit des Auflagenvorbehalts Bei der Genehmigung nach § 6 LuftVG ist der Auflagenvorbehalt als Nebenbestimmung zulässig. Dies jedoch nur, wenn die Voraussetzungen benannt werden, unter denen der Auflagenvorbehalt angeordnet werden kann.28 So darf der Auflagenvorbehalt nicht abstrakt formuliert sein, sondern muss mit ausreichender Bestimmtheit das Ziel und den Inhalt möglicher künftiger Auflagen erkennen lassen.29 Eine Konkretisierung zu den Voraussetzungen ist hier nicht möglich, da es sich bei dem Auflagenvorbehalt um eine von der zuständigen Behörde getroffene Einzelfallentscheidung handelt. Insofern kann die Ausgestaltung des Auflagenvorbehalts sehr unterschiedlich ausfallen , abhängig davon, wie die tatsächlichen Gegebenheiten am jeweiligen Flughafen sind. Problematischer erscheint die Frage bei der Anordnung eines Auflagenvorbehalts im Planfeststellungsbeschluss nach § 10 LuftVG. Das BVerwG führt dazu aus:30 „Ein solcher Auflagenvorbehalt ist im Planfeststellungsrecht wegen des dort geltenden Grundsatzes umfassender Problembewältigung (vgl. BVerwGE61, 307 [311] = NJW 1982, 950 = NVwZ 1982, 249 L) nur zulässig, wenn er den Voraussetzungen des § 74 Abs. 3 VwVfG genügt. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die von der Kl. aufgeworfene Frage , ob der Planfeststellungsbeschluss eine abschließende verbindliche Entscheidung über das Vorhaben und die erforderlichen Schutzvorkehrungen treffen muss, dahingehend beantwortet , dass Einzelfragen einer nachträglichen Regelung nur vorbehalten bleiben dürfen, soweit eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich ist.“ § 74 Abs. 3 VwVfG ermöglicht für den Fall, dass eine abschließende Entscheidung noch nicht getroffen werden kann, die noch offenen Punkte im Planfeststellungsbeschluss einer abschließenden Entscheidung vorzubehalten. Voraussetzung hierfür ist, dass sich auf Grund besonderer Anhaltspunkte die konkrete Möglichkeit abzeichnet, dass in überschaubarer Zeit in ihrem Ausmaß nicht abschätzbare Auswirkungen des Vorhabens eintreten werden. Wegen der Durchbrechung des im Planfeststellungsrecht geltenden Grundsatzes der umfassenden Problembewältigung ist diese Vorschrift eng auszulegen. Die danach zu erlassende Entscheidung steht in engem zeitlichen Zusammenhang zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses und darf das Vorhaben, wie es durch den Antrag des Vorhabenträgers zur Entscheidung gestellt wurde, nicht inhaltlich modifizieren. Auch dürfen die mit dem Vorbehalt ausgeklammerten Belange nicht so gewichtig sein, dass die Planungsentscheidung nachträglich als unabgewogen erscheinen kann. Demgegenüber ist § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes im Planfeststellungsrecht nicht anwendbar.31 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Auflagenvorbehalt nur in den Planfeststellungsbeschluss aufgenommen werden kann, wenn die Planfeststellungsbehörde darin die Inbetriebnahme der planfestgestellten Anlage so lange untersagt, bis die vorbehaltene Entscheidung getrof- 28 Tiedemann (Fn. 27), § 36 Rn. 69. 29 Giemulla (Fn. 8), § 6 Rn. 89. 30 BVerwG, Urteil vom 22. November 2000 – Az. 11 C 2/00. 31 Kämper (Fn. 22), § 19 Rn. 186. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 13 fen und gegebenenfalls dabei für notwendig erachtete und deshalb festgesetzte Schutzanlagen geschaffen sind. Anderenfalls hätten Anlage und Betrieb eines planfeststellungsbedürftigen Flugplatzes keine vollständige und deshalb rechtswidrige Grundlage (in Form der Planfeststellung ).32 Bei der Frage in lit. b), wie der Auflagenvorbehalt im Planfeststellungsbeschluss des Flughafens BER (C II 10.1.8.8)33 zu verstehen ist, handelt es sich um einen konkreten Einzelfall, der nach Ziffer 1.8 des Leitfadens für die Wissenschaftlichen Dienste einer rechtlichen Bewertung nur eingeschränkt zugänglich ist. 4. Einzelfragen zur wesentlichen Änderung Unter lit. d) und lit. e) wird in erster Linie die Frage gestellt, ob es sich bei einer starken Steigerung des Flugverkehrs und bei der Erhöhung der Abfertigungskapazität um 10 Mio. Passagiere um „wesentliche Änderungen“ im Sinne des § 6 Abs. 4 LuftVG handelt. Die wesentliche Änderung oder Erweiterung einer Anlage oder des Betriebs eines Flugplatzes bedarf gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG einer selbständigen Genehmigung (Änderungsgenehmigung ), die zur bisherigen Genehmigung hinzutritt und diese ergänzt.34 4.1. Vorliegen einer Änderung Eine Änderung liegt vor, wenn etwas durch ein Geschehen bzw. Verhalten in einen Zustand gebracht wird (status quo), der mit dem zuvor bestehenden (status quo ante) nicht identisch ist. Für die Beurteilung, ob eine Änderung vorliegt, ist allein der Inhalt der bestehenden Zulassungsentscheidung für das Vorhaben maßgeblich.35 Denn soweit die bisherige Genehmigung reicht, gibt es kein Bedürfnis, hiervon umfasste Maßnahmen (erneut) einer Zulassungspflicht zu unterstellen.36 Die Beurteilung erfolgt unabhängig davon, welche Auswirkungen von der jeweiligen Maßnahme ausgehen.37 32 Giemulla/Rathgeb, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, 59. Aktualisierung 2010, § 9 Rn. 10. 33 Planfeststellungsbeschluss Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld, 44/1-6441/1/101, S. 668, 669, im Internet abrufbar unter http://www.mil.brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb1.c.155609.de [Stand: 20.02.2013]. 34 Giemulla (Fn. 8), § 6 Rn. 9. 35 BVerwG, Urteil vom 15. September 1999 – Az. 11 A 22/98, Rn. 21 (juris). 36 Steinberg/Müller, Zum Vorliegen einer zulassungspflichtigen Änderung von Betrieb oder Anlage eines Flughafens , Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2001, 3293. 37 Steinberg/Müller (Fn. 36), S. 3295. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 14 So ist beispielsweise eine Erhöhung der Flugbewegungen keine Betriebsänderung, wenn der Planfeststellungsbeschluss und die Betriebsgenehmigung keine administrativen Kapazitätsbeschränkungen enthalten. In diesem Fall dürfen die Flugbewegungen so weit gesteigert werden, wie es die zugelassenen technischen Einrichtungen des Flughafens38 tatsächlich ermöglichen.39 Für den Ausbau von beispielsweise Abfertigungsgebäuden oder die Schaffung weiterer Vorfeldflächen und Rollbahnen gelten ebenfalls die Maßgaben der bereits bestehenden Genehmigung. So sind nur solche Maßnahmen zulassungspflichtig, die nicht schon von den bereits bestehenden Zulassungsentscheidungen erfasst sind.40 4.2. Wesentlichkeit der Änderung Liegt eine Änderung vor, muss diese auch wesentlich sein, um die Genehmigungspflicht des § 6 Abs. 4 LuftVG nach sich zu ziehen. Eine Erweiterung oder Änderung ist immer dann wesentlich, wenn durch die Veränderung die in § 6 Abs. 2 und 3 LuftVG genannten Belange, etwa der Schutz vor Fluglärm, in rechtserheblicher Weise berührt werden oder auch nur berührt werden könnten .41 Mit der Frage, wann eine Änderung oder Erweiterung wesentlich ist, hat sich das Bundesverwaltungsgericht umfassend befasst. Es führt hierzu aus:42 „Ob die Erweiterung oder die Änderung der Anlage oder des Betriebs eines Flugplatzes “wesentlich” i. S. des § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG ist, kann nicht generell beurteilt werden, sondern setzt die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls voraus. Zu vergleichen ist der bisherige mit dem geplanten Zustand hinsichtlich quantitativer und qualitativer Veränderungen erstens des Unternehmens selbst und zweitens seiner künftigen Auswirkungen auf die in seiner Nachbarschaft vorhandenen rechtlich geschützten Interessen (vgl. insbesondere § 6 Abs. 2 LuftVG). Dazu ist zu sagen: Wesentliche Änderungen des Flugplatzes rangieren hinsichtlich ihrer sachlichen Bedeutung für das Unternehmen zwischen der (Neu-) Anlegung einerseits und schlichten Einzelmaßnahmen des laufenden Flugbetriebs einschließlich dessen sachlicher Ausstattung andererseits. Voraussetzung ist, dass die bisherige Konzeption des Unternehmens zwar im Kern beibehalten, jedoch in einem nicht nur peripheren, sondern den Charakter des Unter- 38 Rathgeb, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, 59. Aktualisierung 2010, § 8 Rn. 19: Die technische Kapazität ist eine Bezeichnung dafür, was im Rahmen eines gegebenen Bestandes an relevanten Anlagen und Einrichtungen in einer bestimmten Zeiteinheit unter idealisierten Betriebsbedingungen maximal an Flugbewegungen abgewickelt werden kann. 39 Steinberg/Müller (Fn. 36), S. 3295. 40 Steinberg/Müller (Fn. 36), S. 3295. 41 Giemulla (Fn. 8), § 6 Rn. 9. 42 BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1988 – Az. 4 C 40/86, Rn. 36-38 (juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 15 nehmens kennzeichnenden Bereich zumindest teilweise erheblich anders ausgestaltet wird. Die zusätzliche Stationierung einer Anzahl weiterer Fluggeräte kann ein wichtiger Anhaltspunkt für die wesentliche Änderung oder Erweiterung des Betriebs des Flugplatzes sein. Die rein zahlenmäßigen Unterschiede sind jedoch nicht ausschlaggebend. Es kommt vielmehr insofern darauf an, welche Kapazität der Flugplatz sowohl hinsichtlich seines Betriebes als auch hinsichtlich seiner Anlagen bisher hatte und ob er mit der weiteren Stationierung “sein Gesicht ändert”. Die etwa aus Übungsgründen, taktischen Erwägungen wechselnder Art oder wegen der erforderlichen Flexibilität der Truppe (zeitweise) verstärkte Nutzung der Anlage macht aus einem Landeplatz oder Flugplatz kleinerer Größenordnung keinen insgesamt “wesentlich geänderten” größeren Flugplatz. Ebenso wenig kann allein die Stationierung oder gar nur vorsorgliche Lagerung von Material und Fluggeräten ausschlaggebend sein, wenn der Umfang des Flugbetriebs trotzdem nahezu gleichbleibend ist. Voraussetzung ist vielmehr, dass die quantitative Steigerung des Flugbetriebs in eine geänderte Qualität des Unternehmens umschlägt. Ein Indiz dafür ist die nicht nur unbedeutende bauliche Umgestaltung des Flugplatzes und seiner Anlagen. Werden z. B. ein (neuer) Kontrollraum oder größere Wartungshallen nicht nur wegen der laufenden Modernisierung des Flugbetriebs und der Gerätschaften, sondern dazu eingerichtet, die Kapazität des Flugplatzes deutlich zu erweitern oder einen anders gearteten Flugbetrieb zu ermöglichen, ist anzunehmen , dass die Konzeption des Flugplatzes in einem zentralen Bereich anders ausgestaltet werden soll. Die “Wesentlichkeit” der Änderung oder Erweiterung eines Flugplatzes ist ferner auch danach zu bemessen, ob und wie weit das Vorhaben verstärkt rechtlich geschützte nachbarliche Interessen beeinträchtigt. § 6 Abs. 2 LuftVG macht - wie bereits ausgeführt - deutlich, dass der Gesetzgeber bei der Anlage und dem Betrieb von Flugplätzen auch gewisse nachbarliche Interessen berücksichtigt wissen will. Dem ist nur im Genehmigungsverfahren, sondern auch dadurch Rechnung zu tragen, dass schon das gesetzliche Genehmigungserfordernis “Wesentlichkeit der Änderung” im Lichte dieser gesetzlichen Regelung beurteilt wird. Dazu gehören insbesondere die Belange des Städtebaus. Ferner ist auch in diesem Zusammenhang “wesentlich”, was für den verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutz (Art. 2 Abs. 2 GG43, Art. 14 GG) von erheblicher Bedeutung ist, zumal wenn dieser Schutz unter den gegebenen Umständen schwerpunktmäßig in das Genehmigungsverfahren verlagert ist. Bei der umfassenden Würdigung aller für und gegen die “Wesentlichkeit” der Änderung sprechenden Umstände sind daher auch die Auswirkungen des Vorhabens auf seine Umgebung mit zu berücksichtigen.“ 4.3. Einzelmaßnahmen Insoweit lässt sich zu den unter lit. d) und lit. e) gestellten Einzelmaßnahmen feststellen, dass es für die Beurteilung einer Änderung auf den Inhalt der bereits bestehenden Genehmigungen ankommt . Mangels Informationen über die bereits bestehenden Inhalte der Genehmigungen, lassen sich die konkret gestellten Fragen in Bezug auf die Flughäfen Tegel, Schönefeld und BER nicht 43 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 des Änderungsgesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 16 beantworten. Sollte eine Änderung vorliegen, so ist dem Urteil des BVerwG zu entnehmen, dass auch die Beurteilung, ob eine Änderung wesentlich ist, eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls voraussetzt. 5. Zwang zur Verankerung von Nachtflugbeschränkungen Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die oben unter in lit. f) aufgeführte Frage, wer die Genehmigungsbehörde zur Ausweitung des Nachtflugverbotes zwingen kann. Vorliegend wird davon ausgegangen, dass die Nachtflugerlaubnis bereits bestandskräftig ist und nachträglich eingeschränkt werden soll. Grundsätzlich kommen sowohl der Flughafenbetreiber, welcher nicht länger Nachtflüge durchführen möchte, Dritte (Bürger), welche aufgrund von Nachtfluglärm Einschränkungen der Nachtflugerlaubnis begehren, und das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) als Aufsichtsbehörde der Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsbehörde in Betracht. Da die Nachtflugerlaubnis sowohl in der Genehmigung als auch im Planfeststellungsbeschluss erteilt werden kann, stellt sich die Frage, wer wie nachträglich auf diese einwirken kann. 5.1. Flughafenbetreiber Der Flughafenbetreiber könnte zunächst mittels einer Änderungsgenehmigung ein Nachtflugverbot bzw. Nachtflugbeschränkungen beantragen. Ob die Behörde dem Begehren des Flughafenbetreibers stattgibt, liegt in deren pflichtgemäßem Ermessen. Der Flughafenbetreiber könnte bei einer Ablehnung der Behörde ein gerichtliches Verfahren durch eine Verpflichtungsklage erheben, mit dem Ziel, dass die Behörde verpflichtet wird, das Nachtflugverbot bzw. die Nachtflugbeschränkung zu verankern. Hierfür wäre jedoch erforderlich, dass die Behörde ihr pflichtgemäßes Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. 5.2. Dritte Zunächst fragt sich, ob Dritte sowohl die Genehmigung als auch den Planfeststellungsbeschluss nachträglich angreifen können. Hierbei ist zu beachten, dass die luftverkehrsrechtliche Genehmigung noch keine inhaltlichen Rechtswirkungen gegenüber Dritten besitzt, sondern lediglich eine Planungsentscheidung und eine Unternehmergenehmigung darstellt.44 Insofern kann die Genehmigung grundsätzlich nicht von Dritten angegriffen werden. 44 Giemulla (Fn. 8), § 6 Rn. 110. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 17 Da die Rechte und Interessen von Dritten nicht in der Genehmigung, sondern im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt werden,45 kommt nur eine nachträgliche Änderung des Planfeststellungsbeschlusses in Betracht. Insoweit könnte vorliegend nur eine Verpflichtungsklage durchzuführen sein, mit dem Ziel der Einführung eines Nachtflugverbotes. Aufgrund der sich aus § 9 Abs. 3 LuftVG ergebenden Duldungspflicht kommt als Grundlage für Nachtflugbeschränkungen nur § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG in Betracht. Danach können Fluglärmbetroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, die nach Bestandskraft eines Planfeststellungsbeschlusses nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens ausschließen. Zu diesen Schutzvorkehrungen zählen aber nur solche Maßnahmen, die der Vorhabenträger selbst in rechtlich zulässiger Weise umsetzen kann. Nicht erfasst sind jedoch Genehmigungsinhaltsbestimmungen wie etwa Nachtflugverbote, die einen Teilwiderruf der unbeschränkt bestehenden Betriebszulassung darstellen würden.46 Zwar kommt als „ultima ratio“ auch ein Teilwiderruf eines Planfeststellungsbeschlusses etwa mit dem Inhalt eines Nachtflugverbots in Betracht, allerdings nur, wenn durch nächtlichen Fluglärm verursachte Gesundheitsgefahren nicht mit Mitteln des passiven Schallschutzes im Rahmen des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG abgewendet werden können. Jedenfalls in der Umgebung von Flughäfen, die dem novellierten Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm unterfallen, gewährleistet der danach angeordnete passive Schallschutz einen ausreichenden Gesundheitsschutz, so dass ein Teilwiderruf nach § 49 Abs. 2 VwVfG praktisch auszuschließen ist.47 Bei der Frage der Grundrechtsrelevanz von Fluglärm handelt es sich jedoch um Einzelfallbetrachtungen . 5.3. BMVBS als Aufsichtsbehörde Zwar handelt es sich bei der Luftverkehrsverwaltung um Bundesverwaltung (Art. 87d Abs. 1 Satz 1 GG), jedoch ist gemäß Art. 87d Abs. 2 GG die Möglichkeit eingeräumt, den Ländern die Luftverkehrsverwaltung als Auftragsverwaltung zu übertragen. Die Auftragsverwaltung ist unter Anderem ausdrücklich nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG für die Genehmigung von Flugplätzen (vgl. § 6 LuftVG) vorgesehen. Eine ausdrückliche Regelung, dass auch die Aufstellung des Planfeststellungsbeschlusses Auftragsverwaltung darstellt, ist nicht gegeben . Nach Giemulla48 ist die Übertragung der Zuständigkeit zur Durchführung des Planfeststellungsverfahrens auf die Länder in § 31 Abs. 2 LuftVG offenbar „versehentlich“ unterblieben. Von einer Auftragsverwaltung für den Planfeststellungsbeschluss ist jedoch in § 10 Abs. 1 Satz 1 und 45 Giemulla (Fn. 8), § 6 Rn. 100. 46 Kämper (Fn. 1), NVwZ 2013, 8 (12). 47 Kämper (Fn. 1), NVwZ 2013, 8 (13). 48 Giemulla/Rathgeb, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, 59. Aktualisierung, München/Unterschleißheim 2010, § 10 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 024/13 Seite 18 Abs. 2 Nr. 1 LuftVG auszugehen. Demnach handelt es sich sowohl bei der Genehmigung als auch bei dem Planfeststellungsbeschluss um Auftragsverwaltung. Gemäß Art. 85 Abs. 3 GG unterstehen die Landesregierungen im Rahmen der Auftragsverwaltung den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde, hier des Bundesministeriums für Verkehr , Bau und Stadtentwicklung. Die Weisungen sind grundsätzlich an die oberste Landesbehörde zu richten, die den Vollzug der Weisung sicherzustellen hat.49 Bei der Sicherstellung des Weisungsvollzugs sind die obersten Landesbehörden auf das (Beobachtungs- und Zwangs-) Instrumentarium des Landesrechts angewiesen. Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG reichert dieses Instrumentarium nicht an.50 Im Ergebnis ist festzustellen, dass das BMVBS durchaus als Aufsichtsbehörde im Rahmen seiner Fach- und Rechtsaufsicht in der Lage ist, auf eine Änderung bestands- oder rechtskräftiger Nachflugverbote im Planfeststellungsbeschluss oder der Genehmigung hinzuwirken. Derartige Nachtflugverbote können allerdings nicht vom BMVBS selbst, sondern nur durch die Genehmigungsbehörde des jeweiligen Landes aufgehoben werden.51 49 Da die Sachkompetenz, das heißt die Kompetenz zur inhaltlichen Entscheidung in der Sache, im Bereich der Auftragsverwaltung beim Bund liegt, muss das Land jede formell ordnungsgemäße Weisung ausführen. Auf die Rechtmäßigkeit des geforderten Verhaltens kommt es nicht an. Es darf jedoch nicht gegen den Grundsatz der Bundes- bzw. Landestreue verstoßen werden (Art. 20 GG). Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesund Landesbehörde kommt ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i.V.m. § 13 Nr. 7 BVerfGG (Bund- Länder-Streit) oder die Anwendung von Bundeszwang (Art. 37 GG) in Betracht. 50 Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 66. Ergänzungslieferung, 2012, Art. 85 Rn. 64. 51 Im Falle des BER kann der Bundesverkehrsminister eine Weisung an das für die Erteilung der Genehmigung und die Erstellung des Planfeststellungsbeschlusses zuständige brandenburgische Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (vormals Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg ) erteilen, Nachtflugbeschränkungen in die Genehmigung oder den Planfeststellungsbeschluss aufzunehmen .