© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 – 021/18 Regelungssystematik der §§ 41-43 BImSchG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 4 1. Einleitung Die Belastung von Bürgern mit Bahnlärm stellt ein kontrovers diskutiertes Problemfeld dar.1 Über mehrere Jahrzehnte hinweg wurden Lärmemissionen von Schienenfahrzeugen jedoch gegenüber anderen Lärmemissionen mit dem sog. Schienenbonus privilegiert. Diese Ausarbeitung gibt einen Überblick über die Einführung des Schienenbonus im Jahre 1974 und seine Abschaffung etwa vierzig Jahre später. Dafür wird zunächst – ausgehend von Regelungssystematik der einschlägigen Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes2 (BIm- SchG) – die Einführung des Schienenbonus dargestellt. Im Anschluss wird die Abschaffung des Schienenbonus einschließlich der einschlägigen Übergangsbestimmungen erläutert. Im Rahmen dieser Ausführungen wird besonderes Gewicht auf das Verhältnis des Schienenbonus zu sekundärem Luftschall, den Ansprüchen aus § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG3 und technischen Normen gelegt. 2. Regelungssystematik der §§ 41-43 BImSchG Die §§ 41 bis 43 und § 50 des BImSchG gewährleisten ein umfangreiches System des Lärmschutzes an öffentlichen Straßen und Schienenwegen. Nach § 41 BImSchG ist der Staat verpflichtet, bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung von öffentlichen Straßen, Eisenbahnen oder Straßenbahnen schädliche Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche zu vermeiden, soweit dies nach dem Stand der Technik möglich ist. Weiterhin ergibt sich aus § 42 BImSchG ein Entschädigungsanspruch für vom Lärm unzumutbar betroffene Anlieger gegenüber dem Träger der Verkehrswegebaulast . § 43 Abs. 1 S. 1 BImSchG ermächtigt die Bundesregierung in diesem Rahmen die zur Durchführung der §§ 41, 42 BImSchG erforderlichen Vorschriften in Form von Rechtsverordnungen zu erlassen . Dabei können ausweislich des Gesetzeswortlauts insbesondere zu folgenden Themenkomplexen Rechtsverordnungen erlassen werden: Bestimmte Grenzwerte, die zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche nicht überschritten werden dürfen, sowie über das 1 Vgl. jüngst Fuldaer Zeitung v. 23. Januar 2018, Gegen Schienenlärm: Zweite Phase der Bürgerbeteiligung startet, abrufbar unter: http://www.fuldaerzeitung.de/regional/huenfeld/gegen-schienenlarm-zweite-phase-der-burgerbeteiligung -startet-FY7405070 [letzter Abruf: 17. Februar 2018]; Westdeutsche Zeitung v. 22. Januar 2018, Krefelder fühlen sich vom Zugverkehr gestört, abrufbar unter: http://www.wz.de/lokales/krefeld/krefelder-fuehlensich -vom-zugverkehr-gestoert-1.2602270 [letzter Abruf: 17. Februar 2018]; Bonner Rundschau v. 15. Januar 2018, Vibration und Kahlschlag: Anwohner des Sechtemer Bahnhofs beschweren sich über Weiche, abrufbar unter: https://www.rundschau-online.de/region/bonn/bornheim/vibration-und-kahlschlag-anwohner-dessechtemer -bahnhofs-beschweren-sich-ueber-weiche-29488514 [letzter Abruf: 17. Februar 2018]. 2 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2771) geändert worden ist 3 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 11 Absatz 2 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 5 Verfahren zur Ermittlung der Emissionen oder Immissionen (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG), bestimmte technische Anforderungen an den Bau von Straßen, Eisenbahnen, Magnetschwebebahnen und Straßenbahnen zur Vermeidung von schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG), Art und Umfang der zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche notwendigen Schallschutzmaßnahmen an baulichen Anlagen (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BImSchG). 3. Einführung des Schienenbonus Auf der Grundlage entsprechender Lärmwirkungsstudien4 ging der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des BImSchG im Jahre 1974 davon aus, dass die von dem Schienenverkehr ausgehenden Geräusche gegenüber Immissionen des Straßenverkehrs grundsätzlich als weniger lästig empfunden werden.5 Infolgedessen nahm er folgenden Passus in § 43 Abs. 1 S. 2 BImSchG auf: „In den Rechtsverordnungen nach Satz 1 ist den Besonderheiten des Schienenverkehrs Rechnung zu tragen.“ Dieser ausdrücklich geregelten Pflicht kam die Bundesregierung durch die 16. Bundesimmissionsschutzverordnung 6 (16. BImSchV) nach. Diese wurde von der Bundesregierung im Juni 1990 erlassen und gilt für den Bau und die wesentliche Änderung von öffentlichen Straßen und Schienenwegen . Sie legt Immissionsgrenzwerte für bestimmte Gebiete fest und regelt die Vorgaben für die Berechnung des entsprechenden Lärm-Beurteilungspegels. Daneben werden die Grenzwerte der 16.BImSchV jedoch auch als Anhaltspunkte in anderen Zusammenhängen eingesetzt, in denen es um die Beurteilung von Verkehrslärm geht, etwa bei nicht wesentlichen Änderungen von Straßen und Schienenwegen.7 4 Eine Auflistung dieser Studien findet sich bei Sparwasser/Rombach, Reformbedarf beim „Schienenbonus” - Überlegungen zur Änderung der 16. BImSchV, NVwZ 2007, 1135 (Fn. 5). 5 Bracher, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 84. Ergänzungslieferung (Juli 2017), § 43 Rn. 20 weist zwar daraufhin , dass sich aus den Gesetzesmaterialien nicht zweifelsfrei herleiten lasse, was der Gesetzgeber als „Besonderheiten des Schienenverkehrs“ angesehen hat, das Bundesverwaltungsgericht – etwa BVerwG, Urt. v. 5. März 1997 - 11 A 25/95, NVwZ 1998, 513 (516) – gehe aber mit dem Verweis auf die entsprechenden Studien von einem solchen Verständnis aus. Andere Autoren sehen außerdem die „höhere soziale Akzeptanz des Schienenverkehrs “ als eine vom Gesetzgeber erwogene Besonderheit, vgl. etwa Sparwasser/Rombach, Reformbedarf beim „Schienenbonus” - Überlegungen zur Änderung der 16. BImSchV, NVwZ 2007, 1135 (1136). 6 Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBl. I S. 1036), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 18. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2269) geändert worden ist. 7 BVerwG, Beschl. v. 23. Oktober 2014 – 9 B 29/14, NVwZ 2015, 79 (Rn. 12); Jarass, BImSchG, 12. Auflage 2017, § 43 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 6 Den Besonderheiten des Schienenverkehrs trug die 16. BImSchV dadurch Rechnung, dass nach ihrer Anlage 2 zu § 3 bei der Berechnung des Lärm-Beurteilungspegels für Schienenwege ein Abschlag von 5 Dezibel (A) vorgesehen wurde. Das bedeutet, dass dem Anwohner trotz gleicher Immissionsgrenzwerte eine um 5 Dezibel (A) höhere Lärmbelastung durch den Schienenverkehr zugemutet wurde.8 Wegen der logarithmischen Dezibel-Skala entspricht eine solche Privilegierung um 5 Dezibel (A) unter der Annahme gleich starker Einzelgeräusche ungefähr einer Verdreifachung der zulässigen Zugbewegungen.9 Mittelbar wurde dieser Schienenbonus auch in die 24. Bundesimmissionsschutzverordnung10 (24. BImSchG) aufgenommen. Diese regelt Art und Umfang der notwendigen Schallschutzmaßnahmen von schutzbedürftigen Räumen, soweit die in der 16. BImSchV festgelegten Immissionsgrenzwerte überschritten werden. Damit entfaltete der in der 16. BImSchV geregelte Schienenbonus auch Wirkungen für die nach der 24. BImSchV erforderlichen passiven Schallschutzmaßnahmen . Daneben enthält die 24. BImSchV keine eigenständige Regelung des Schienenbonus. Zwar enthält § 3 Abs. 2 der 24. BImSchV einen statischen Verweis auf Beiblatt 1 zu DIN 4109, Ausgabe November 1989, wonach die Schalldämm-Maße der einzelnen Umfassungsbauteile nach eben diesem Beiblatt bestimmt werden. Jedoch sieht das Beiblatt 1 zu DIN 4109, Ausgabe November 1989, selbst keinen Schienenbonus vor. Ein Abzug von 5 Dezibel (A) bei Schienenwegen ist allein in DIN 4109, Ausgabe November 1989, vorgesehen11, nicht aber in dem zugehörigen Beiblatt 1. Lediglich das Beiblatt 1 ist jedoch im Wege der statischen Verweisung Bestandteil des Gesetzes geworden. 8 Czajka, in: Feldhaus (Hrsg.), BImSchG, 199. Aktualisierung (August 2017), § 43 Rn. 40. 9 Czajka, in: Feldhaus (Hrsg.), BImSchG, 199. Aktualisierung (August 2017), § 43 Rn. 40. 10 Vierundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrswege- Schallschutzmaßnahmenverordnung - 24. BImSchV) vom 4. Februar 1997 (BGBl. I S. 172, 1253), die durch Artikel 3 der Verordnung vom 23. September 1997 (BGBl. I S. 2329) geändert worden ist. 11 Anhang B.2. zu DIN 4109, Ausgabe November 1989, S. 26, lautet auszugsweise: „Hierbei muss von der, bei der Messung vorliegen den Verkehrsbelastung auf die durchschnittliche stündliche Verkehrsstärke und -zusammensetzung (Jahresmittelwert) unter Berücksichtigung der künftigen Verkehrsentwicklung (5 bis 10 Jahre) umgerechnet werden und gegebenenfalls der Lästigkeitsabschlag von 5 dB(A) nach DIN 18 005 Teil 1 abgezogen werden “. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 7 4. Abschaffung des Schienenbonus Obwohl die Ausgestaltung des Schienenbonus durch die Bundesregierung vom BVerwG mit Verweis auf eine Beobachtungspflicht des Verordnungsgebers im Laufe der Jahre immer wieder gebilligt wurde12, gelangte der Bundesgesetzgeber im Jahr 2012 zu der Auffassung, dass der Schienenbonus auf veralteten sozialwissenschaftlichen Studien aus den 70er/80er-Jahren beruhe und der damaligen Annahme folge, dass Schienenlärm im Vergleich zu Straßenlärm als weniger belastend wahrgenommen werde.13 Diese Annahme sei jedoch „angesichts der hohen Zuwächse beim Schienengüterverkehr weder sachgerecht noch zeitgemäß“, denn vielmehr habe sich „der Schienenverkehr unterdessen zu einem zentralen Umweltproblem entwickelt“.14 4.1. Bundesgesetzliche Abschaffung Diesen Erwägungen folgend, wurde durch das 11. Gesetz zur Änderung des BImSchG vom 2. Juli 201315 der Satz 2 des § 43 Abs. 1 BImSchG durch die nunmehr geltenden Sätze 2 und 3 ersetzt. Der Wortlaut dieser neu eingeführten Sätze lautet: „2Der in den Rechtsverordnungen auf Grund des Satzes 1 zur Berücksichtigung der Besonderheiten des Schienenverkehrs vorgesehene Abschlag von 5 Dezibel (A) ist ab dem 1. Januar 2015 und für Schienenbahnen, die ausschließlich der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen vom 11. Dezember 1987 (BGBl. I S. 2648) unterliegen, ab dem 1. Januar 2019 nicht mehr anzuwenden, soweit zu diesem Zeitpunkt für den jeweiligen Abschnitt eines Vorhabens das Planfeststellungsverfahren noch nicht eröffnet ist und die Auslegung des Plans noch nicht öffentlich bekannt gemacht wurde. 3Von der Anwendung des in Satz 2 genannten Abschlags kann bereits vor dem 1. Januar 2015 abgesehen werden, wenn die damit verbundenen Mehrkosten vom Vorhabenträger oder dem Bund getragen werden.“ Der neu eingeführte § 43 Abs. 1 S. 2 BImSchG sieht demnach vor, dass der Schienenbonus – also der in den Rechtsverordnungen verankerte Abschlag von 5 Dezibel (A) bei der Berechnung des 12 Zahlreiche Entscheidungen, in denen das BVerwG thematisch auf die Zulässigkeit des Schienenbonus in seiner damaligen Form eingegangen ist, finden sich bei Czajka, in: Feldhaus (Hrsg.), BImSchG, 199. Aktualisierung (August 2017), § 43 Fn. 26. 13 BT-Drs. 17/10771, 1. 14 BT-Drs. 17/10771, 1. 15 11. Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 2. Juli 2013 (BGBl. I S. 1943) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 8 Beurteilungspegels von Schienenwegen – ab dem 1. Januar 2015 grundsätzlich nicht mehr angewendet werden soll. Für Schienenbahnen, die ausschließlich der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen16 unterliegen, gilt dies erst ab dem 1. Januar 2019.17 Der Schienenbonus ist daher bei Planfeststellungen, die vor dem 1. Januar 2015 bzw. dem 1. Januar 2019 ergangen sind, weiterhin zu berücksichtigen. Maßgeblich kommt es dabei gem. § 43 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BImSchG darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt das Planfeststellungsverfahren18 bereits eröffnet war und die Auslegung des Plans öffentlich bekannt gegeben wurde.19 Für Plangenehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung wird in der Literatur davon ausgegangen, dass die Plangenehmigung vor dem jeweiligen Stichtag erfolgen muss, um noch von dem Schienenbonus Gebrauch machen zu können.20 Der außerdem eingefügte § 43 Abs. 1 S. 3 BImSchG eröffnet daneben die Möglichkeit, von der Anwendung des Schienenbonus bereits vor dem Stichtag abzusehen, wenn die damit verbundenen Mehrkosten für Schallschutzmaßnahmen vom Vorhabenträger oder dem Bund getragen werden . Zusammenfassend bedeutet dies, dass der Schienenbonus in Form des Abschlags von 5 Dezibel (A) bei der Berechnung des Lärm-Beurteilungspegels bei Schienenwegen ab dem 1.Januar 2015 und bei Straßenbahnen ab dem 1. Januar 2019 keine Anwendung mehr findet. 4.2. Anpassung der 16. BImSchV Im Anschluss an die bundesgesetzliche Änderung hat auch die Bundesregierung entsprechende Änderungen an der 16. BImSchV vorgenommen. Zwar bezieht die Verordnung in Anlage 2 zu § 4, Nr. 2.2.18 den Abschlag in Höhe von 5 Dezibel (A) weiterhin in die pauschale Berechnung ein, weist jedoch in Anmerkung 1 zu Nr. 2.2.18 ausdrücklich darauf hin, dass die Pegelkorrektur zum 1. Januar 2015 für Eisenbahnen und zum 1. Januar 2019 für Straßenbahnen abgeschafft wurde. Die zusätzlich in § 4 Abs. 3 eingeführte Übergangsregelung ist im Wesentlichen inhaltsgleich mit der bundesgesetzlichen Übergangsregelung in § 43 Abs. 1 S. 2 BImSchG. 16 Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 11. Dezember 1987 (BGBl. I S. 2648), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 16. Dezember 2016 (BGBl. I S. 2938) geändert worden ist. 17 Gem. § 1 der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen handelt es sich dabei um Straßenbahnen im Sinne des § 4 Personenbeförderungsgesetz. 18 Je nachdem, ob die Planfeststellung im konkreten Fall für eine Eisenbahn oder eine Straßenbahn stattfindet, richtet sich diese entweder nach §§ 18 ff. AEG oder § 28 ff. PBefG, die aber in Teilen wiederum auf die allgemeinen Regeln in den §§ 72 ff. VwVfG verweisen. 19 Jarass, BImSchG, 12. Auflage 2017, § 43 Rn. 6, 6a m.w.N.; etwas unpräziser insofern BVerwG, Urt. v. 8. September 2016 – 3 A 5.15, NJOZ 2017, 1199 Rn. 49; Reese, in: BeckOK-UmwR, 44. Edition (Stand: 1. August 2017), § 43 Rn. 4a, die auf den „Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses“ abstellen wollen. 20 Jarass, BImSchG, 12. Auflage 2017, § 43 Rn. 6, 6a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 9 Im Einklang mit der bundesgesetzlichen Regelung findet der Schienenbonus für die Berechnung des Lärm-Beurteilungspegels daher auch nach der 16. BImSchV ab den jeweiligen Stichtagen keine Anwendung mehr. 4.3. Abweichungen in technischen Normen Die Abschaffung des Schienenbonus in § 43 Abs. 1 S. 2 BImSchG hat jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Inhalt von technischen Normen, wie etwa solche des Vereins Deutscher Ingenieure e.V. (VDI) oder des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN), wenn diese einen entsprechenden Abschlag von 5 Dezibel (A) für Schienenwege weiterhin vorsehen. Technische Normen sind lediglich private Regelwerke, die weder den Rang eines Rechtssatzes haben noch zwangsläufig die anerkannten Regeln der Technik wiederspiegeln müssen.21 Erst wenn die Bundesregierung eine technische Norm in einer Verordnung nach §§ 43 Abs. 2, 7 Abs. 5 BImSchG als „jedermann zugängliche22 Bekanntmachungen sachverständiger Stellen“ in Bezug nimmt, wird diese selbst Bestandteil der Verordnung und damit geltendes Recht.23 In einem solchen Fall wäre die entsprechende Verordnung jedoch von § 43 Abs. 1 S. 2 BImSchG erfasst und ein in der technischen Norm vorgesehener Schienenbonus mithin unbeachtlich. Mit Blick auf die vom Gesetzgeber angestrebte Abkehr vom Schienenbonus ist es allerdings bedenklich , wenn das DIN, wie mit der jüngst aktualisierten Fassung der DIN 4109-2, Januar 2018, einen Schienenbonus weiterhin ausdrücklich vorsieht.24 Dies gilt gerade wegen der rechtlichen Verpflichtung des DIN aus § 4 Abs. 4 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN, im Falle des Erlasses einer Regelung durch die Bundesregierung, „eine dieser Regelung widersprechende Norm anzupassen, zurückzuziehen oder nicht herauszugeben“.25 4.4. Auswirkungen auf Ansprüche aus § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG In Zuge der Abschaffung des Schienenbonus könnte schließlich die Frage aufgeworfen werden, ob sich diese auf Ansprüche aus § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG auswirkt. Nach § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG kann ein (Lärm-)Betroffener die Anordnung von Schutzmaßnahmen verlangen, wenn nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens auftreten, die bei Voraussehbarkeit zum Zeitpunkt der Planungsentscheidung Ansprüche 21 Bayerlein, Zur rechtlichen Bedeutung von technischen Normen, DS 2008, 49 m.w.N. 22 Vgl. jüngst zu der Diskussion, ob die derzeitige Veröffentlichungspraxis von in Bezug genommenen Bekanntmachungen des DIN und VDI den rechtsstaatlichen Grundvoraussetzungen genügt: Meurers/Beye, Rechtsstaatliche Anforderungen an die Öffentlichkeit von Normen, DÖV 2018, 59. 23 Jarass, BImSchG, 12. Auflage 2017, § 48 Rn. 60; Schwierz, Die Privatisierung des Staates am Beispiel der Verweisungen auf die Regelwerke privater Regelgeber im Technischen Sicherheitsrecht, S. 55 m.w.N. 24 Vgl. DIN 4109-2, Januar 2018, Nr. 4.4.5.3 (S. 47): „Aufgrund der Frequenzzusammensetzung von Schienenverkehrsgeräuschen in Verbindung mit dem Frequenzspektrum der Schalldämm-Maße von Außenbauteilen ist der Beurteilungspegel für Schienenverkehr pauschal um 5 dB zu mindern.“ 25 Dieser sog. DIN-Vertrag ist nebst Erläuterungen einsehbar bei Fuchs, Materialien zum Rechtsverhältnis zwischen Deutschland und DIN, abrufbar unter: https://delegibus.com/2004,7.pdf (zuletzt abgerufen: 1. Februar 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 10 nach § 74 Abs.2 S. 2 VwVfG begründet hätten.26 Nicht voraussehbar im Sinne der Vorschrift sind etwa die Auswirkungen eines Vorhabens, die bei der Abschätzung der Folgen zwar prognostiziert wurden, sich aber tatsächlich anders entwickelt haben.27 Der Zweck der Regelung liegt darin, dass ein Betroffener nicht schlechter stehen soll, als er stünde, wenn im Zeitpunkt der Planfeststellung die aufgetretenen nachteiligen Wirkungen bereits vorhergesehen worden wären.28 In diesem Rahmen ist jedoch umstritten, welches Berechnungsverfahren für die Ermittlung der Lärmemissionen anzuwenden ist.29 Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und Teile der Literatur gehen davon aus, dass es vorbehaltlich eines gewissen tatrichterlichen Beurteilungsspielraums auf die planerische Situation – und damit auch die entsprechende Berechnungsmethode – im Zeitpunkt der Planfeststellung ankommt.30 Teilweise wird dem in der Literatur entgegengehalten , dass es für die Beurteilung der Lärmemissionen und deren Berechnung immer auf den Zeitpunkt des Planergänzungsbeschlusses nach § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG ankomme.31 Wird jedoch die Rechtsprechung des BVerwG zugrunde gelegt, ist davon auszugehen, dass die veränderte Rechtslage hinsichtlich des Schienenbonus nicht zu der Entstehung von Ansprüchen aus § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG führen dürfte. Danach ist auf den Zeitpunkt der Planfeststellung abzustellen und soweit dieser vor dem entsprechenden Stichtag aus § 43 Abs. 1 S. 2 BImSchG liegt, ist der Schienenbonus für die korrespondierende Berechnung weiterhin heranzuziehen. 5. Anwendung auf sekundären Luftschall In Rahmen des Schienenbonus könnte sich außerdem die Frage stellen, ob der Schienenbonus in seiner ursprünglichen Fassung auch mit Blick auf sog. sekundären Luftschall Anwendung fand. Unter sekundärem Luftschall wird der Luftschall verstanden, den feste Körper (z.B. Wand- oder Deckenflächen eines Wohngebäudes) abgeben, die nicht durch eigene Schwingungsquellen, sondern durch Körperschallausbreitung zum Schwingen gebracht werden.32 Nach Auffassung des BVerwG ist der aus dem Schienenbonus resultierende Abschlag von 5 Dezibel (A) auch bei sekundärem Luftschall zu berücksichtigen, soweit dieser auf Schienenverkehr zurückzuführen ist. Als Begründung dafür führt das Gericht an, dass auch der sekundäre Luft- 26 Paetow, Lärmschutz in der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, NVwZ 2010, 1184 (1188 f.). 27 Kämper, in: BeckOK-VwVfG, 38. Edition (Stand: 1. Januar 2018), § 75 Rn. 38. 28 BVerwG, Urt. v. 7. März 2007 - 9 C 2/06, NVwZ 2007, 827. 29 Ausführlich zu diesem Streit: Wengenroth, Ansprüche auf Lärmsanierung an Straßen und Eisenbahnen, S. 117. 30 BVerwG, Urt. v. 7. März 2007 - 9 C 2/06, NVwZ 2007, 827; BVerwG, Urt. v. 1. Juli 1988 - 4 C 49/86, NVwZ 1989, 253 (254 f.); Alexander, Aktuelle Fragen des Verkehrslärmschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), NVwZ 1991, 318 (322 f.); in diese Richtung auch VG Berlin, Urt. v. 6. Februar 2014 – 13 K 126.10, BeckRS 2014, 50033. 31 Schulze-Fielitz, Rechtsfragen der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchVO), UPR 1994, 1 (7). 32 Koch, Umweltschutz, in: Fendrich/Fengler (Hrsg.), Handbuch Eisenbahninfrastruktur, 2. Aufl. (2013), S. 935 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 021/18 Seite 11 schall von den Besonderheiten des Schienenverkehrs – wie etwa der Regelhaftigkeit der Lärmereignisse – geprägt ist, die gerade zur gesetzlichen Verankerung des Schienenbonus für den primären Verkehrslärm geführt haben.33 Hinsichtlich der zeitlichen Anwendbarkeit des Schienenbonus ergeben sich danach keine Besonderheiten für den sekundären Luftschall. Auch diesbezüglich gelten die Übergangsbestimmungen aus § 43 Abs. 1 S. 2 BImSchG. 6. Fazit Die Ausführungen haben gezeigt, dass der mit dem BImSchG im Jahre 1974 eingeführte Schienenbonus – der auch auf sekundären Luftschall Anwendung fand – durch die Änderung des § 43 BImSchG vollständig abgeschafft wurde, wobei entsprechende Übergangsfristen zu beachten sind. Dies wurde durch die Bundesregierung auch auf Verordnungsebene durch die Änderung der 16. BImSchV klargestellt. Technische Normen werden durch die Abschaffung des Schienenbonus jedoch nicht berührt, solange sie nicht von der Bundesregierung in einer Verordnung aufgegriffen werden. Die Abschaffung des Schienenbonus dürfte außerdem nicht zu einer Entstehung von Ansprüchen aus § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG führen. *** 33 BVerwG, Urt. v. 19. März 2014 – 7 A 24/12, NVwZ 2014, 1454 (1460); BVerwG, Urt. v. 21. Dezember 2010 – 7 A 14.09, NVwZ 2011, 676 (679).