© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 020/18 Der Straftatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB) Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Strafrechtsänderungsgesetz1 wurde 2013 in das Strafgesetzbuch2 mit § 226a StGB der Straftatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien eingefügt.3 Demnach wird mit Freiheitsstrafe grundsätzlich nicht unter einem Jahr bestraft, wer „die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt“.4 2. Die Beschränkung auf „äußere Genitalien“ Die Beschränkung der Tathandlung auf die „äußeren“ Genitalien beruht ausweislich der Gesetzesbegründung auf folgenden Erwägungen: „Die Bestimmung beschränkt sich auf Eingriffe an den äußeren Genitalien. Dadurch sollen vor allem medizinische Eingriffe an den inneren Genitalien, insbesondere an den Eierstöcken, Eileitern und der Gebärmutter, von dem Anwendungsbereich ausgenommen werden. Derartige Eingriffe sind nicht Gegenstand religiös oder traditionell bedingter Beschneidungen von Frauen und Mädchen. Im Übrigen unterfallen diese Handlungen, sofern sie nicht medizinisch gerechtfertigt sind, häufig § 226 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 StGB, weil sie zum Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit der Frau bzw. des Mädchens führen.“5 3. Die Beschränkung auf „Verstümmeln“ Eine Abgrenzung zu gegebenenfalls aus ästhetischen Gründen im äußeren Genitalbereich vorgenommenen medizinischen Eingriffen („Schönheitsoperationen“) wollte der Gesetzgeber durch den Begriff „Verstümmeln“ erreichen: „Durch das Abstellen auf eine Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien soll klargestellt werden, dass es sich um negative Veränderungen an den äußeren Genitalien von einigem Gewicht handeln muss. Der Begriff „verstümmeln“ bedeutet „gewaltsam (um einen Teil, Teile) kürzen, schwer verletzen, entstellen, schlimm/übel zurichten, durch Abtrennung eines /mehrer Glieder schwer verletzen“, vgl. u. a. Duden, Das Synonymwörterbuch, 4. Auflage; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 8. Auflage; Paul, Deutsches Wörterbuch, 10. Auflage. Rein kosmetisch motivierte Eingriffe, wie Intimpiercing oder die in jüngerer Zeit auftretende Erscheinung der „Schönheitsoperationen“ im Genitalbereich sollen vom Anwendungsbereich 1 Siebenundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien vom 24.09.2013 (47. Strafrechtsänderungsgesetz - 47. StrÄndG), BGBl. I, 3671. 2 Aktuell geltende Fassung: Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 3 In Kraft getreten am 28.09.2013. 4 In minder schweren Fällen ist gemäß § 226a Absatz 2 StGB auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Die Höchststrafe beträgt gemäß § 38 Absatz 2 StGB 15 Jahre Freiheitsstrafe. 5 BT-Drs. 17/13707, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 020/18 Seite 5 der Strafnorm ausgenommen werden. Diese haben regelmäßig auch nicht die mit der Verstümmelung der weiblichen Genitalien schweren unmittelbaren und mittelbaren körperlichen und psychischen Schäden der betroffenen Mädchen und Frauen zur Folge.“6 4. Kritik an § 226a StGB An § 226a StGB wird im Schrifttum nicht nur vereinzelt grundsätzliche Kritik geäußert. So wird etwa der Vorwurf erhoben, dass es sich im Wesentlichen um lediglich „symbolische Gesetzgebung “ handele, da entsprechende Fälle zumeist nicht im Geltungsbereich des Strafgesetzbuches begangen würden oder weil einschlägige Handlungen im Falle der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auch schon vor Einführung von § 226a StGB nach den allgemeinen Körperverletzungstatbeständen strafbar waren.7 Darüber hinausgehend wird § 226a StGB mitunter wegen der Beschränkung auf weibliche Genitalien und der darin liegenden Differenzierung nach dem Geschlecht des Tatopfers auch als verfassungswidrig angesehen: „Tatbestandlich geschützt sind nur weibliche Personen und keine männlichen. Vergleichbare Verstümmelungen äußerer männlicher Genitalien unterfallen nicht der Strafbarkeit aus § 226a. Im Hinblick auf den strafrechtlichen Schutz der äußeren Genitalien vor Körperverletzungen werden also Männer gegenüber Frauen benachteiligt. Damit muss die Vorschrift sich an Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG („Geschlecht“) messen lassen. Zu dieser Verfassungsnorm hat sich seit Jahren, insbes. seit einer Entscheidung aus dem Jahr 1992 (Nachtarbeitsverbot ), eine vom BVerfG selbst so bezeichnete „neuere Rechtsprechung“ herausgebildet, die mittlerweile in (mindestens) zwei Fällen (Feuerwehrabgabe, Bleiberecht für Ausländerkinder ) zur Feststellung einer verfassungswidrigen Benachteiligung von Männern geführt hat.“8 Dem wird von anderer Seite entgegengetreten mit dem Hinweis, dass es dem Gesetzgeber aufgrund der vorliegend unterschiedlichen tatsächlichen Gefährdungslage freigestanden habe, eine explizite Norm für die weibliche Genitalverstümmelung zu schaffen: 6 BT-Drs. 17/13707, S. 6. Kritisch hierzu Rittig, Der neue § 226a StGB, JuS 2014, 499, 500. 7 Vgl. etwa Zöller/Thörnich, Die Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB), JA 2014, 167; Rittig (a.a.O.), 499 ff. Auch im Gesetzgebungsverfahren wurde durch verschiedene Strafrechtsexperten Kritik vorgetragen , vgl. „Experten lehnen Einführung eines besonderen Straftatbestands "Genitalverstümmelung bei Frauen" mehrheitlich ab“, hib 227/2013 vom 24.04.2013 (abrufbar unter https://www.bundestag .de/presse/hib/2013_04/06/254490). Die einzelnen Stellungnahmen der Sachverständigen sowie das Wortprotokoll der Anhörung des Rechtsausschusses sind abrufbar unter http://webarchiv.bundestag .de/cgi/show.php?fileToLoad=4780&id=1210. 8 Hardtung, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, Rn. 24. Ebenso Rittig (a.a.O.), 499, 504 f.; Ladiges , Der Geschlechtsbegriff im Strafrecht – Zum neuen Tatbestand ‚Verstümmelung weiblicher Genitalien‘ in § 226a StGB, RuP 2013, 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 020/18 Seite 6 „Umgekehrt werden gegen § 226 a unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes Einwände vorgebracht, weil dadurch nur Mädchen und Frauen und nicht auch Männer vor Verstümmelungen ihrer äußeren Genitalien geschützt werden. Das ist zwar formal richtig und kann wegen Art 103 III GG auch nicht durch eine Analogie geschlossen werden; allerdings sind männliche Genitalverstümmelungen gerade nicht in einigen Kulturen als rituelle Handlungen verbreitet, so dass ein Bedürfnis für eine Spezialregelung – anders als bei der weltweit verbreiteten Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen – nicht erkennbar ist. In theoretisch denkbaren Fällen (Fischer 5 nennt zB Folterungen) bleiben §§ 223, 224 und uU auch § 226 I, der den gleichen Mindeststrafrahmen wie § 226 a ermöglicht.“9 5. Rechtsprechung Eine Recherche in unterschiedlichen juristischen Datenbanken10 nach einschlägiger Rechtsprechung zum geltenden § 226a StGB lieferte keinen Treffer.11 * * * 9 Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, Rn. 1. 10 Gesucht wurde in juris, beck-online sowie Jurion Recht. 11 Stand: 25.01.2018. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass es bis zum 31.03.1998 schon einmal einen § 226a StGB (alter Form) gab, der im Wesentlichen dem heutigen § 228 StGB entsprach. Er lautete: „§ 226a Einwilligung des Verletzten: Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.“ Rechtsprechungs-Treffer zu diesem § 226a StGB a.F. sind deshalb vorliegend nicht von Belang.