© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 019/16 Zur Anerkennung von religiös geschlossenen Ehen und Ehen mit minderjährigen Ehepartnern in der Bundesrepublik Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 019/16 Seite 2 Zur Anerkennung von religiös geschlossenen Ehen und Ehen mit minderjährigen Ehepartnern in der Bundesrepublik Deutschland Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 019/16 Abschluss der Arbeit: 15. Februar 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 019/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anerkennung religiös geschlossener Ehen 4 2.1. Im Inland geschlossene Ehen 4 2.2. Im Ausland geschlossene Ehen 6 3. Minderjährige Ehegatten 6 4. Ergebnis 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 019/16 Seite 4 1. Einleitung Mit folgenden Ausführungen soll die derzeit geltende Rechtslage bezüglich der Anerkennung von religiös geschlossenen Ehen sowie Ehen mit minderjährigen Ehepartnern in der Bundesrepublik Deutschland dargestellt werden. Da zahlreiche Vorschriften aus unterschiedlichen Rechtsgebieten das Vorliegen einer wirksamen Ehe voraussetzen, stellt sich die Frage nach einer möglichen Anerkennung gerade nicht nur im Rahmen von familienrechtlichen Sachverhalten sondern beispielsweise auch bei der Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug1 und ist mithin von großer Aktualität . 2. Anerkennung religiös geschlossener Ehen Für die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Anerkennung erfolgt, ist zwischen im Inland und im Ausland geschlossenen Ehen zu unterscheiden. 2.1. Im Inland geschlossene Ehen Seit 1875 gilt in Deutschland der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe. Danach bedarf es für die Eingehung einer Ehe im Rechtssinne der staatlichen Mitwirkung. In den §§ 1310 ff. BGB2 hat dieses Formprinzip seinen Ausdruck gefunden. 3 So wird eine Ehe gemäß § 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Die Mitwirkung des Staates durch den Standesbeamten soll der Rechtsklarheit und Publizität dienen und die Prüfung von Ehevoraussetzungen und Ehehindernissen sicherstellen. Sie ist überdies ein konstitutives Merkmal für den verfassungsrechtlichen Ehebegriff und den damit verbundenen grundrechtlichen Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG4.5 1 Siehe hierzu exemplarisch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg), Beschluss vom 20.5.2014, Aktenzeichen (Az.) 3 M 7/14, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2014, S. 2665-2666. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.1.2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20.11.2015 (BGBl. I S. 2018). Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/ (letzter Aufruf: 10.2.2016). 3 Hahn in: Beck’scher Online-Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch (BeckOK BGB), Hrsg.: Bamberger/Roth, München , Stand: 1.11.2015, Edition: 37, § 1310 Rn. 3. 4 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23.5.1949 (BGBl. S.1), zuletzt geändert durch Art. 1 des Änderungsgesetzes vom 23.12.2014 (BGBl. I S. 2438). Abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/gg/ (letzter Abruf: 10.2.2016). Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. 5 Darüber hinaus die Ausnahme der sogenannten „hinkenden Ehe“ aufzeigend, Uhle in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (BeckOK GG), Hrsg.: Epping/Hillgruber, München, Stand: 1.9.2015, Edition: 26, Art. 6 Rn. 10 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 019/16 Seite 5 Daraus folgt zunächst, dass eine Ehe, die in Deutschland ausschließlich nach religiösem Ritus geschlossen wurde, grundsätzlich nicht als rechtsgültig anerkannt wird. Eine gesonderte Prüfung für im Inland geschlossene Ehen muss jedoch dann vorgenommen werden , wenn keiner der Verlobten die deutsche Staatsangehörigkeit hat. In diesem Fall liegt ein Sachverhalt mit Auslandsbezug vor, so dass die Regelungen des Internationalen Privatrechts zu berücksichtigen sind (Art. 3 EGBGB6).7 Eigene Regelungen zu der Wirksamkeit von Eheschließungen finden sich in Art. 13 EGBGB. Gemäß Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB kann eine Ehe zwischen Personen, die nicht deutsche Staatsangehörige sind, auch ohne die Mitwirkung eines Standesbeamten ausnahmsweise wirksam sein. Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB lautet: „Eine Ehe zwischen Verlobten, von denen keiner Deutscher ist, kann jedoch vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden ; eine beglaubigte Abschrift der Eintragung der so geschlossenen Ehe in das Standesregister , das von der dazu ordnungsgemäß ermächtigten Person geführt wird, erbringt vollen Beweis der Eheschließung.“ Als ordnungsgemäß ermächtigte Personen kommen zum Beispiel diplomatische Vertreter, Truppenoffiziere oder Geistliche in Betracht. Für die ordnungsgemäße Ermächtigung eines Geistlichen genügt die gesetzliche Anerkennung der kirchlichen Trauung für katholische und orthodoxe Geistliche jedoch nicht. Zur Begründung wird angeführt, dass der ausländische Heimatstaat durch die Anerkennung der kirchlichen Trauung allein keine ausreichende Gewähr für eine seinen Gesetzen entsprechende ordnungsgemäße Trauung übernimmt. Das jeweilige Land muss Geistliche daher persönlich benennen oder entsprechend gesetzlich ermächtigen.8 Erst dann ist die „Verbürgung der staatlichen Trauungsfunktion“ gegeben und damit die Anforderung an eine Ermächtigung im Sinne von Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB erfüllt.9 6 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.9.1994 (BGBl. I S. 2494, ber. BGBl. 1997 I S. 1061), zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20.11.2015 (BGBl. I S. 2010). Abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/bgbeg/ (letzter Aufruf: 10.2.2016). 7 Mangels vorrangiger Regelungen durch die Europäische Union oder durch unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Vereinbarungen sind die Vorschriften des EGBGB anwendbar (Art. 3 EGBGB), Markus Ebner, Martin Müller , Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO bei in der Bundesrepublik Deutschland geschlossener „Imam- Ehe“?, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2010, S. 657-662, 658. 8 Die Ermächtigung ist der Bundesrepublik Deutschland durch Verbalnote bekannt zu geben, Schulte in: BeckOK BGB, Art. 13 Rn. 68. 9 So Schulte in: BeckOK BGB, Art. 13 Rn. 68. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 019/16 Seite 6 2.2. Im Ausland geschlossene Ehen Haben die Ehegatten nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, kann die in ihrem Heimatstaat vorgenommene Trauung nach religiösem Ritus (zum Beispiel die religiöse „Imam-Ehe“) in Deutschland nur anerkannt werden, wenn die Ehe nach dem Recht des Heimatstaates rechtsgültig ist. Davon ist auszugehen, wenn die Formerfordernisse des Rechts des Heimatstaates gewahrt wurden (Art. 11 Abs. 1 Var. 2 EGBGB) und die sonstigen materiellen Voraussetzungen (zum Beispiel Mindestalter ) erfüllt sind (Art. 13 Abs. 1 EGBGB).10 3. Minderjährige Ehegatten Das Vorliegen der Ehemündigkeit ist im deutschen Recht eine Voraussetzung, um die Ehe wirksam eingehen zu können. Die Ehemündigkeit ist in § 1303 BGB geregelt. Nach § 1303 Abs. 1 BGB kann eine Person die Ehe eingehen, sobald sie das 18. Lebensjahr vollendet hat und damit volljährig ist (§ 2 BGB). Ist ein Ehegatte noch nicht 18 Jahre alt, kann das Familiengericht auf dessen Antrag eine Befreiung von dem Erfordernis der Volljährigkeit erteilen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller das 16. Lebensjahr vollendet hat und sein künftiger Ehegatte volljährig ist (§ 1303 Abs. 2 BGB). Wurde eine Ehe im Ausland wirksam geschlossen und ist ein Ehepartner minderjährig, kann die Anerkennung der Ehe und die damit einhergehende Anwendung der jeweiligen ausländischen Rechtsnorm gegen Art. 6 EGBGB und die darin geregelte „öffentliche Ordnung“ („ordre public“) verstoßen. Die Figur des „ordre public“ fungiert als Korrektiv und dient der Durchsetzung inländischer Gerechtigkeitsvorstellungen.11 Die Vorschrift lautet: „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“ Hinsichtlich der in § 1303 Abs. 2 BGB gezogenen Altersgrenze von 16 Jahren soll nicht jede Unterschreitung einen Verstoß gegen den (deutschen) „ordre public“ darstellen. Aus Gründen des Kindeswohls und zum Schutz der verfassungsrechtlich garantierten sexuellen Selbstbestimmung 10 Kammergericht Berlin (KG Berlin), Beschluss vom 21.11.2011, Az. 1 W 79/11, Neue Juristische Online-Zeitschrift (NJOZ) 2012, S. 165-166, 165 mit weiteren Nachweisen; OVG Berlin-Brandenburg, NJW 2014, 2666; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 22.2.2005, Az. 1 C 17/03, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005, S. 1191-1192. Eine Darstellung der einzelnen Voraussetzungen für die wirksame Eingehung einer Ehe findet sich für ausgewählte Länder bei Rieck, Ausländisches Familienrecht, München 2015. 11 Heinrich/Dörner in: Bürgerliches Gesetzbuch Handkommentar, Schriftleitung: Schulze, 8. Auflage 2014, Art. 6 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 019/16 Seite 7 wird die im deutschen Sexualstrafrecht gezogene Grenze von 14 Jahren (vgl. § 176 Abs. 1 StGB12) als unverzichtbarer Mindeststandard herangezogen. In der Rechtsprechung ist eine Ehemündigkeit mit neun oder zehn Jahren daher für eindeutig ordre public-widrig befunden worden. Gegenteilige Entscheidungen sind für Sachverhalte ergangen, in denen ein Ehepartner das 14. Lebensjahr vollendet hat. Mit Vollendung des 15. Lebensjahres soll eine unter Würdigung aller Umstände stattfindende Einzelfallabwägung für die Vereinbarkeit mit Art. 6 EGBGB maßgebend sein.13 Wird eine ausländische Vorschrift zur Vermeidung eines „ordre-public“-Verstoßes nicht angewendet , ist hinsichtlich der daraus resultierenden Folgen grundsätzlich eine Lösung im fremden Recht zu suchen. Grund hierfür ist, dass das ausländische Recht so wenig wie möglich ausgeschaltet werden soll.14 Maßgebend ist somit, welche Rechtsfolgen die jeweilige ausländische Rechtsordnung für das Fehlen der Ehemündigkeit vorsieht. Diese Wertungen müssen erst recht dann gelten, wenn beide Ehepartner minderjährig sind.15 4. Ergebnis Mangels Wahrung der Formvorschriften in § 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB werden religiös geschlossene Ehen im Inland grundsätzlich nicht als Ehen im Sinne des bürgerlichen Rechts anerkannt. Handelt es sich bei den Ehegatten nicht um deutsche Staatsangehörige, kann der Ausnahmetatbestand in Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB eingreifen. Eine im Ausland geschlossene religiöse Ehe wird anerkannt, wenn sowohl die Formerfordernisse, als auch die materiellen Voraussetzungen des Heimatrechts der Ehegatten erfüllt sind. Zahlen zur Anerkennungspraxis finden sich bislang nicht (Frage 1). Die Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe mit oder zwischen Minderjährigen kann im Einzelfall gegen den in Art. 6 EGBGB enthaltenen „ordre public“ verstoßen (Frage 2). Ende der Bearbeitung 12 Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10.12.2015 (BGBl. I S. 2218). Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/stgb/ (letzter Aufruf: 10.2.2016). Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, § 176 Abs. 1 StGB. 13 v. Hein in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (MüKo BGB), Band 10, Hrsg.: Säcker /Rixecker/Oetker/Limperg, 6. Auflage, München 2015, Art. 6 Rn. 259 mit Nachweisen zur Rechtsprechung. 14 KG Berlin, NJOZ 2012, S. 165-166, 166 mit weiteren Nachweisen. 15 So v. Hein in: MüKo BGB, Art. 6 Rn. 206.