„Sozialpreise“ in der Energieversorgung Wirtschaftsrechtliche Zulässigkeit von günstigeren Strompreisen für sozial Schwache - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 7 - 018/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: „Sozialpreise“ in der Energieversorgung Wirtschaftsrechtliche Zulässigkeit von günstigeren Strompreisen für sozial Schwache Ausarbeitung WD 7 - 018/08 Abschluss der Arbeit: 08.02.2008 Fachbereich WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Sozialtarife für Energie sind – im Gegensatz zu den allgemeinen Energiepreisen für Industrie- und Haushaltskunden – bisher kartellrechtlich nicht beanstandet worden. Die gegenwärtig von einigen Energieversorgungsunternehmen (EVU) bereits angebotenen Kontingente von Sozialtarifen sind aus Sicht des Bundeskartellamtes nicht unzulässig. Diese Sozialpreise scheinen weniger aus sozialen Gründen, denn mehr aus Marketingerwägungen von den betreffenden EVU zur Verfügung gestellt oder angekündigt worden zu sein. Theoretisch ist es jedoch denkbar, dass Sozialtarife zu einer Erhöhung der Normaltarife für Haushaltskunden führen. Jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle (Gewährung von Sozialpreisen in großem Umfang und mit großen Vergünstigungen gegenüber den Normalpreisen für Haushaltskunden, die deshalb zugleich steigen) kann auch eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung eintreten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die EVU zumeist im Endkundengeschäft zwar kein Monopol, aber eine marktbeherrschende Stellung (§ 19 Abs. 2 und 3 GWB) einnehmen. Maßstab für die Zulässigkeit von Tarifen im Energiesektor sind die §§ 19, 20 und 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Sozialtarife können unter drei Gesichtspunkten relevant werden: - Preisstrukturmissbrauch zur Verdrängung von anderen Wettbewerbern (§ 19 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 20 GWB), - unzulässige Preisspaltung unter den Kunden, wenn soziale Gründe keine sachliche Rechtfertigung darstellen (§ 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB), - Preishöhenmissbrauch bei den Normalpreisen zur Quersubventionierung der Sozialpreise (§ 19 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 29 GWB). Einer genaueren Untersuchung bedürfte die Frage, ob soziale Gründe prinzipiell wettbewerbsrechtlich einen „sachlichen Grund“ für eine Preisspaltung unter den Kunden darstellen können. Geht man davon aus, dass ökonomische Gründe (Marketing) ausschlaggebend für Sozialpreise sind, liegt keinesfalls eine straf- oder aktienrechtlich relevante Pflichtwidrigkeit der Vorstände der EVU vor. Anhaltspunkte für eine Verletzung der Vermögensinteressen der EVU bzw. deren Anteilseigner ergeben sich konkret nicht. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Fragestellung 4 3. Vorüberlegungen 4 3.1. Entwicklung des Energiemarktes 4 3.2. Wettbewerbsrelevanz von Sozialpreisen 5 4. Rechtliche Grundlagen 6 4.1. Kartellrecht 6 4.2. Wirtschaftsrecht 8 5. Subsumtion 9 5.1. Kartellrechtliche Beurteilung 9 5.1.1. § 29 GWB 9 5.1.2. §§ 19, 20 GWB 10 5.2. Wirtschaftsrechtliche Beurteilung 11 5.2.1. Aktienrecht 11 5.2.2. Strafrecht 12 - 4 - 1. Einleitung Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat im Januar 2008 aufgrund erneut steigender Energiepreise „Sozialtarife“ bzw. „Sozialpreise“ für Arme beim Bezug von Energie gefordert. Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) zeigten sich für diesen Vorschlag teils aufgeschlossen, teils ablehnend. Einige EVU bieten bereits seit einiger Zeit Kontingente mit Tarifen für sozial Schwache an, andere denken über eine Einführung nach, während dritte EVU derartige Preisgestaltungen ablehnen. Außerhalb der Energiebranche wird der Vorschlag ebenfalls kontrovers beurteilt. Das Bundeskartellamt hat erklärt, für soziale Transfers sei der Staat zuständig und nicht die Stromwirtschaft .1 Dies ist aber nur als wirtschafts- und sozialpolitisches Statement zu verstehen, eine rechtliche Beurteilung ist damit laut Bundeskartellamt nicht verbunden.2 2. Fragestellung In diesem Zusammenhang wird die Frage aufgeworfen, ob niedrigere Energiepreise für sozial Schwache kartellrechtlich möglich sind. Würden derart verbilligte Tarife erhoben , müssten für andere Kunden die Preise erhöht werden. Dies könnte in preislicher Hinsicht gegen einen Anspruch auf gleiche Bezugsbedingungen bei Monopolen verstoßen . Wirtschaftsrechtlich stelle sich zudem die Frage, ob es nicht dem Vorstand eines EVU verwehrt sei, allein aus sozialen Gründen solche Preise zu gewähren. Denn der Vorstand sei zur Wahrung der Vermögensinteressen des EVU bzw. dessen Anteilseigner verpflichtet . 3. Vorüberlegungen 3.1. Entwicklung des Energiemarktes Seit 1998 wird aufgrund von EG-Richtlinien der deutsche Energiemarkt schrittweise liberalisiert. Seitdem gibt es rechtlich keine Monopole in der Energieversorgung mehr. Die Hoffnungen auf mehr Wettbewerb und niedrigere Energiepreise für die Endkunden (insbesondere für Haushaltskunden) haben sich jedoch nicht erfüllt. Im Gegenteil: Zwischen 2000 und 2007 sollen die Strompreise um 50 Prozent gestiegen sein. Diese 1 „Der Tagesspiegel“ vom 19.01.2008, „die tageszeitung“ vom 21.01.2008, Anlage 1. 2 Lt. telefonischer Auskunft des Bundeskartellamtes, Referat G2 [06.02.2008]. - 5 - Steigerungen lassen sich mit höheren Kosten bei der Stromerzeug, insbesondere beim Primärenergiebedarf (Öl, Gas, Kohle, Kernkraft, regenerative Energien), nicht allein erklären. Die Monopolkommission des Bundeswirtschaftsministeriums und das Bundeskartellamt stellen fest, dass es kaum Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmärkten in Deutschland gibt.3 Stattdessen hat sich nach der Marktöffnung und einer kurzen Zeit eine horizontale und vertikale Konzentration auf dem Markt aufgrund einer intensiven Fusionsaktivität der EVU herausgebildet. Es sind vier große Unternehmen entstanden (E.ON, EnBW, RWE, Vattenfall) die sich den Markt unter Beschränkung auf ihr jeweiliges historisches Liefergebiet aufgeteilt haben. Wettbewerbsvorstöße in das Absatzgebiet eines anderen Verbundunternehmens unterbleiben.4 Aus Sicht des Endkunden besteht kein Monopol (da es mehr als einen Anbieter gibt und kein Anschluss- und Benutzungszwang existiert), sondern um ein Oligopol dieser vier Anbieter, die auch den kleineren EVU (Stadtwerke usw.) die Preise diktieren können . Das Bundeskartellamt spricht von einem Duopol, da die Anbieter E.ON und RWE auf dem Strommarkt einen „überragenden Anteil der erzeugten Nettostrommenge“ halten .5 Allerdings existiert nach wie vor ein natürliches Monopol, was die Strom- bzw. Gasleitungen anbelangt. Kartellrechtlich besonders problematisch ist daher der Netzzugang für andere Wettbewerber. Überhöhte Netzzugangs- und Netzdurchleitungsentgelte diskriminieren Mitbewerber und dienen zugleich den großen EVU zur Quersubventionierung anderer Aktivitäten. Sie sind ähnlich schwer durch das allgemeine Kartellrecht zu bewältigen, wie Preisabsprachen auf den Stromgroßhandels- und Regelenergiemärkten .6 3.2. Wettbewerbsrelevanz von Sozialpreisen Die derzeit von EVU angebotenen „Sozialtarife“ beschränken sich auf bestimmte Kontingente für eine Maximalzahl von Abnehmern und werden zum Teil über karikative Organisationen vermittelt. Sie sind bisher weder von Wettbewerber- noch von Kundenseite kartellrechtlich problematisiert worden. Ihr Anteil am Gesamtstromverbrauch dürfte so gering sein, dass sie auf die Preiskalkulation für Haushaltskunden keinen Einfluss haben dürften. Es spricht viel dafür, dass es sich hier angesichts der in der Öffent- 3 16. Hauptgutachten der Monopolkommission für 2004/05 (BT-Drs. 16/2460), S. 58 ff; Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes vom 15.06.2007, BT-Drs. 16/5710, S. III f., 27 ff., 121 ff. So auch die Analyse der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Preismissbrauchs in der Energieversorgung, BT-Drs. 16/5847, S. 9. 4 16. Hauptgutachten der Monopolkommission für 2004/05 (BT-Drs. 16/2460), S. 58 ff.; Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes vom 15.06.2007, BT-Drs. 16/5710, S. 29, 126. 5 Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes vom 15.06.2007, BT-Drs. 16/5710, S. 29. 6 16. Hauptgutachten der Monopolkommission für 2004/05 (BT-Drs. 16/2460), S. 60 ff. - 6 - lichkeit kritisierten Energiepreise um Marketing-Maßnahmen der EVU handelt.7 Die großen Energieversorger werben auch bereits jetzt mit günstigeren Zweitmarken um Kunden, insbesondere im Internet.8 Dennoch erscheinen Fälle denkbar, bei denen umfangreich angebotene freiwillige Sozialpreise für Energie wettbewerbsverzerrende, wenn nicht gar wettbewerbsverhindernde Wirkung haben: Wenn angesichts steigender Energiepreise die Motivation der Verbraucher zunimmt, zu einem günstigeren Energieanbieter zu wechseln, könnten umfangreiche Sozialpreise die marktbeherrschende Stellung der jeweiligen Grundversorger sichern helfen. So soll Vattenfall in Folge von Strompreiserhöhungen zum 1. Juli 2007 über 250.000 Kunden verloren haben.9 Angenommen, es würden beispielsweise Sozialpreise von bis zu 50% unterhalb des günstigsten Tarifs für breite Bevölkerungsschichten (z.B. alle ALG-II-Empfänger in einem Ballungsraum) angeboten,10 könnten sich in dieser Region die Wettbewerbsbedingungen für Mitbewerber, die bis dahin günstigere Tarife angeboten hatten, erheblich verschlechtern. Die großen EVU könnten auf diese Weise viele der Kunden halten, die sie ansonsten bei Beibehaltung ihrer Preisstruktur eventuell verlieren würden. Andererseits ist zu bedenken: Auch andere ehemalige Monopolisten wie die deutsche Telekom bieten Sozialtarife an. Auch Schülern und Studenten werden im gewerblichen Bereich Sondertarife angeboten (z.B. in kulturellen Einrichtungen, im Mobilfunk oder bei der Deutschen Bahn AG), auch wenn es sich in diesen Fällen im Gegensatz zu den EVU zumeist nicht um marktbeherrschende Unternehmen handelt. 4. Rechtliche Grundlagen 4.1. Kartellrecht Bis zum 30. Juni 2007 galt für Strompreise die Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt),11 in deren § 12 eine Genehmigungspflicht für Tarife durch die zuständigen Behörden (zumeist die Wirtschaftsministerien der Länder) vorgesehen war. Diese staatliche Aufsicht der Strom- und Gastarife wurde mit der Neuregelung des Energiewirt- 7 Lt. telefonischer Auskunft des Bundeskartellamtes, Referat G2 [04.02.2008]. 8 „Kölnische Rundschau“ vom 02.01.2008, Anlage 1. Diese günstigeren Preise sind wettbewerbsrechtlich durch geringere (Verwaltungs-)Kosten und unterschiedliche Bedingungen (z.B. im Abnahmeverhalten ) gerechtfertigt, gleiches gilt für die Differenzierung in Industrie- und Haushaltskunden oder die Unterscheidung bei den Tarifen zwischen Tag- und Nachstrom (vgl. § 9 BTOElt). 9 „Kölnische Rundschau“ vom 02.01.2008, Anlage 1. 10 So die Forderung in einem Antrag der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 7745. 11 Vom 18.12.1989, zul. geändert durch Art. 5 Abs. 3 Zweites G zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970), siehe Anlage 2. - 7 - schaftsgesetzes (EnWG) im Jahr 2007 abgeschafft.12 Kurz darauf wurde das Kartellrecht verschärft. § 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)13 bezieht sich ausdrücklich auf EVU und legt fest: § 29 Energiewirtschaft 1Einem Unternehmen ist es verboten, als Anbieter von Elektrizität oder leitungsgebundenem Gas (Versorgungsunternehmen) auf einem Markt, auf dem es allein oder zusammen mit anderen Versorgungsunternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat, diese Stellung missbräuchlich auszunutzen, indem es 1. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die ungünstiger sind als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen (…), es sei denn, das Versorgungsunternehmen weist nach, dass die Abweichung sachlich gerechtfertigt ist (…) oder 2. Entgelte fordert, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten. 2Kosten, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht einstellen würden, dürfen bei der Feststellung eines Missbrauchs im Sinne des Satzes 1 nicht berücksichtigt werden. 3Die §§ 19 und 20 bleiben unberührt. Daneben sind also die in der Praxis bedeutsamen allgemeinen Vorschriften zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB) und dem Verbot der Diskriminierung und unbilligen Behinderung (§ 20 GWB) zu beachten. Hier von Interesse sind insbesondere § 19 Abs. 1 und Abs. 4 sowie § 20 Abs. 4 GWB.14 Auf europäischer Ebene ist zudem Art. 82 EG-Vertrag zu beachten, der materiellrechtlich nicht von den Regelungen des GWB abweicht.15 Auch sind Strom- und Gaspreise höchstrichterlich unter dem Gesichtspunkt des § 315 BGB beurteilt worden. Allerdings handelte es sich hier um Rückforderungsansprüche von Kunden, die Zahlungen aufgrund genehmigter Tarife (nach BTOElt) geleistet hatten .16 12 Zivilrechtlich hatte eine Genehmigung nur die Indizwirkung, dass die Tarife auch zivilrechtlich der Billigkeit entsprachen, vgl. BGH vom 18.10.2005, KZR 37/04 sowie BGH, NJW 2003, 1449 ff. 13 In d. Fassung d. Bekanntm. v. 15.07.2005, zul. geändert d. G vom 18.12.2007 (BGBl. I S. 2966). Zu § 29 GWB siehe BT-Drs. 16/5847, S. 9 ff. 14 Vgl. zum Zusammenhang von § 29 und den §§ 19, 20 GWB: BT-Drs. 16/5847, S. 9. Der Gesetzestext der §§ 19, 20 GWB ist in Anlage 3 zu finden. 15 Lettl, Kartellrecht (2. Aufl., 2007), S. 231. 16 BGH, NJW 2003, 1449 ff.; Bechtold, Die Entwicklung des deutschen Kartellrechts seit der 7. GWB- Novelle (Juli 2005 bis Oktober 2007), NJW 2007, 3761 (3763). - 8 - Zuletzt stellt sich auch die Frage nach der Ausstrahlungswirkung der Regelungen des Energiewirtschaftsgesetzes auf die allgemeine kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht. Laut § 1 EnWG ist Zweck des Gesetzes: „eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas“. Die Regulierung der Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze dient u.a. den Zielen der „Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas“. Gem. § 2 EnWG sind die EVU im Sinne der Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes zu einer Versorgung im Sinne des § 1 EnWG verpflichtet. Fraglich ist jedoch, ob und inwieweit sich diese Erwägungen auf die kartellrechtliche Preiskontrolle nach §§ 19, 20 GWB auswirken. Die Gesetzgebungsmaterialien sind insoweit widersprüchlich.17 § 111 EnWG bestimmt zwar einen Vorrang des Dritten Teils des Energiewirtschaftsgesetzes (§§ 11 bis 35 EnWG) gegenüber den §§ 19, 20 und 29 GWB, allerdings nicht hinsichtlich der §§ 1, 2 EnWG. Da nach den §§ 19, 20, 29 GWB preisliche Differenzen sachlich gerechtfertigt sein können, könnten Aufwendungen zur Umsetzung der im Energiewirtschaftsgesetz genannten Ziele einen sachlichen Grund darstellen.18 Zu bedenken ist jedoch in diesem Zusammenhang: Einerseits wird in § 1 EnWG als Ziel die „Preisgünstigkeit“ der (gesamten) Energieversorgung erwähnt, nicht jedoch genannt sind soziale Gründe. Andererseits hat der Gesetzgeber günstige Energiepreise auch wegen sozial schwacher Bürger im Blick gehabt. 4.2. Wirtschaftsrecht Ob der Vorstand eines EVU durch Sozialtarife die Vermögensinteressen des Unternehmens gefährdet, richtet sich – je nach Gesellschaftsform – nach Handels-, Aktienoder GmbH-Recht. Angesichts der Gesellschaftsform der vier großen EVU, die allesamt Aktiengesellschaften sind, wird vorliegend lediglich Aktienrecht geprüft, wobei sich in materieller Hinsicht keine Unterschiede zu anderen Gesellschaftsformen (insb. GmbH) ergeben. Die Pflichten eines Vorstands zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft 17 Braband, Strompreise zwischen Privatautonomie und staatlicher Kontrolle (2003), S. 129 ff. Siehe hierzu die BT-Drs. 13/7274, S. 10 ff. und 31 ff. sowie 13/9720, S. 80. 18 Vgl. Braband, Strompreise zwischen Privatautonomie und staatlicher Kontrolle (2003), S. 132 f. - 9 - sind in § 93 Aktiengesetz (AktG) normiert. Daneben sind auch noch die Strafnormen im Strafgesetzbuch (StGB) zu beachten. Da eine Vermögensbetreuungspflicht des Vorstandes gegenüber einer Aktiengesellschaft besteht, kommt hierbei § 266 StGB in Betracht , wenn derartige Pflichten missbräuchlich oder treuwidrig verletzt wurden.19 5. Subsumtion 5.1. Kartellrechtliche Beurteilung 5.1.1. § 29 GWB § 29 GWB schützt vor einem „Preishöhenmissbrauch“. Die Vorschrift weist nach neuer Rechtslage nun den EVU die Beweislast für eine sachliche Rechtfertigung zu, wenn die Preise gegenüber dem Vergleichsmarkt ungünstiger sind. Hierzu muss das EVU seine Kalkulation offenlegen. Bei Sozialtarifen ist § 29 GWB jedenfalls primär nicht berührt, da von sozial Schwachen gerade keine ungünstigeren oder unangemessenen Entgelte gefordert werden. Ein Preishöhenmissbrauch ist damit nicht verbunden. Zudem müssen die Verluste aus den Sozialtarifen noch nicht automatisch auf Kunden mit „Normaltarifen“ umgelegt werden, da sonst für das EVU die Gefahr besteht, dass diese auf einen günstigeren Anbieter wechseln. Erst sekundär könnte § 29 GWB relevant werden, wenn nämlich Sozialpreise zur Folge haben, dass die „Normaltarife“ aufgrund einer „Quersubventionierung“ auf ein missbräuchliches Niveau steigen. Es stellt sich dann die Frage, ob der Sozialtarif einen „sachlichen Grund“ i.S.v. § 29 Satz 1 Nr. 1 GWB für solche Abweichungen darstellt. Ein derartiger Sondertarif könnte vom EVU als „Kosten“ geltend gemacht werden, die die höheren Preise für Normalkunden rechtfertigen könnten. Ob dies zulässig wäre, bestimmt sich jedoch im Grundsatz nach den allgemeinen Regeln des § 19 GWB. Hierbei ist dann prinzipiell entscheidend, ob soziale Erwägungen einen „sachlichen Grund“ für Preisdifferenzen darstellen können. Derzeit prüfen die Kartellbehörden, ob die Preissteigerungen für Haushalts- und Kleingewerbekunden missbräuchlich im Sinne von § 29 GWB sind. Hierbei spielen jedoch Sozialtarife keine Rolle. 19 M.w.N.: Tröndle/Fischer, StGB (54. Aufl. 2007), § 266, Rn. 36; zur Vermögensbetreuungspflicht Tröndle/Fischer a.a.O., Rn. 18. - 10 - 5.1.2. §§ 19, 20 GWB Bei der Kontrolle nach §§ 19, 20 GWB sind die Prinzipien über die Bedingungen und die Funktionsweise einer hinreichend freien und fairen Wettbewerbsordnung und der Aufgabe der Missbrauchsaufsicht zu entwickeln. Das heißt für das Preisverhalten marktstarker Unternehmen, dass ein Missbrauch generell erst dann vorliegt, wenn es in einem solchen Maße gefährlich, weil wettbewerbsbeschränkend ist, dass ein Reagieren der Rechtsordnung unausweichlich ist.20 Ein Preismissbrauch kann dabei in zwei Formen auftreten: In Gestalt des Preisniveaumissbrauchs (insbesondere als Preishöhenmissbrauch, s.o.) und als Preisstrukturmissbrauch . Der Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass das EVU beim Preishöhenmissbrauch insgesamt missbräuchlich hohe Erlöse erzielt, während es beim Preisstrukturmissbrauch ein Missverhältnis zwischen den Strombezugspreisen der einzelnen Kundengruppen (z.B. Tarifkunden und Sondervertragskunden) zueinander gibt. Bei der Preisstrukturkontrolle geht es also nicht um die Höhe des Strompreises, sondern um die Kontrolle der Preisverteilung auf Grundlage der Kosten- und Erlöslage des EVU.21 Man spricht hierbei auch vom Verbot der unzulässigen „Preisspaltung“. Ein Preishöhenmissbrauch bei Industriestrompreisen war 2005/06 Gegenstand Abmahnung des Bundeskartellamtes, weil E.ON und RWE emissionshandelsbedingte Opportunitätskosten in die Strompreise eingerechnet hatten.22 Entscheidend ist dagegen bei der Preisspaltung, ob eine unterschiedliche Kostenstruktur zwischen den Kundengruppen besteht. Eine kostenverursachungsgerechte Preisdifferenzierung setzt voraus, dass die Strompreise für die verschiedenen Kundengruppen nach Maßgabe der Kosten, die sie in unterschiedlicher Weise verursacht haben, voneinander abweichen. Einzelne Kunden dürfen nicht auf Kosten anderer begünstigt werden.23 So legte auch die bis 30. Juni 2007 geltende BTOElt fest (§ 1 Abs. 1 Satz 2): „Die Tarife [müssen sich] an den Kosten der Elektrizitätsversorgung orientieren.“ § 3 Abs. 1 Satz 1 BTOElt bestimmte [Hervorh. d. Verf.]: „Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen können unterschiedliche Preise für Haushaltsbedarf, landwirtschaftlichen Bedarf oder gewerblichen, beruflichen und sonstigen Bedarf festlegen, wenn das Abnahmeverhalten unterschiedliche Kosten verursacht.“ 20 Vgl. Lettl, Kartellrecht (2. Aufl. 2007), S. 242, Rn. 29. 21 Braband, Strompreise zwischen Privatautonomie und staatlicher Kontrolle (2003), S. 135. 22 Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes vom 15.06.2007, BT-Drs. 16/5710, S. 128 f. 23 Braband, Strompreise zwischen Privatautonomie und staatlicher Kontrolle (2003), S. 136 f. - 11 - Eine der aufgefundenen Literaturstellen meint daher, Sozialtarife seien bei kommunalen Energieunternehmen ausgeschlossen. Nach herrschender Lehre folge dies aus § 6 Abs. 1 und 5 EnWG alter Fassung. Eine nähere Begründung erfolgt nicht.24 Legt man die BTOElt zu Grunde, wären jedenfalls unter formalen Gesichtpunkten Sozialtarife ausgeschlossen . Nachdem die BTOElt nun nicht mehr angewendet wird, bleibt materiell das Problem, ob Sozialpreise auf der Kostenseite berücksichtigt werden dürfen, mithin eine Preisgestaltung , die sich an sozialen Erwägungen ausrichtet, kartellrechtlich ein sachlicher Grund i.S.d. §§ 19, 20, 29 GWB ist. Ausgehend von der geltenden Rechtslage wird die Frage, ob soziale Kosten prinzipiell berücksichtigungsfähig sind, nur in zwei Fällen relevant: 1. Sozialtarife könnten zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen für andere Unternehmen führen und damit zu einem Verstoß gegen § 19 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 4 GWB führen. 2. Es könnte ein Preishöhenmissbrauch nach § 29 i.V.m. § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB gegeben sein, weil Sozialtarife zu höheren Entgelten für Normalkunden führen, die zugleich ungünstiger sind als auf entsprechenden Vergleichsmärkten. Beide Varianten sind unter den derzeitigen Bedingungen nicht gegeben, da die praktizierten oder angedachten Sozialtarife keine Wirkungen im Sinne der Nrn. 1. oder 2. entfalten. 5.2. Wirtschaftsrechtliche Beurteilung 5.2.1. Aktienrecht Die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Hierbei kommt dem Begriff des „unternehmerischen Ermessens “ erhebliche Bedeutung zu. Der Geschäftsleiter soll innerhalb eines vom Einzelfall abhängigen Rahmens seine (notwendige) Initiative frei und gefahrlos entfalten können. Ohne eine solche Initiative ist eine wirtschaftliche Unternehmensleitung nicht möglich. 24 So Püttner, Kommunale Energiepolitik?, NVwZ 1988, 121 (124). Da das EnWG mittlerweile grundlegend umgestaltet wurde, kann sich ein solcher Schluss heute nicht mehr auf den geltenden § 6 EnWG stützen, der nun die „Entflechtung“ zum Gegenstand hat. - 12 - § 93 AktG entspricht insoweit der im Handelsrecht üblichen Sorgfaltsform des „ordentlichen Kaufmanns“ (§ 347 Abs. 1 Handelsgesetzbuch – HGB).25 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bestimmt: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ Bereits eine aktienrechtliche Pflichtwidrigkeit erscheint vorliegend unwahrscheinlich. Eine unternehmerische Entscheidung, bei der für sozial Schwache niedrigere Preise angesetzt werden, verstößt nicht gegen § 93 Abs. 1 AktG, sofern mit ihr auf objektiver Grundlage das unternehmerische Wohl bezweckt ist oder sein kann. Aber selbst bei rein sozialer Motivation kann der Aspekt eines unternehmerischen Vorteils mit eingeschlossen sein, wenn eine bewusste Schädigungsabsicht nicht vorliegt. Sollten Sozialpreise eine wettbewerbsverzerrende Wirkung zugunsten des marktbeherrschenden EVU haben (s.o.) und der Absicherung von Marktmacht dienen, wird weder ein Vermögensnachteil noch eine Unvertretbarkeit der Entscheidung feststellbar sein. Zudem ist z.B. Sponsoring, Fundraising, Marketing und Imaging durch Unternehmen im Sport oder in der Kultur gang und gäbe. Sozialpreise verschaffen einem EVU ein positiveres Image in der Öffentlichkeit und können insgesamt dem Wohle des Unternehmens dienen, auch wenn keine unmittelbaren ökonomischen Erwartungen (in Form von Gegenleistungen wie beim klassischen Sponsoring) damit verbunden sind. So kann das EVU nach außen eine soziale Verantwortung kommunizieren, die ihm letztlich Wettbewerbsvorteile verschafft. 5.2.2. Strafrecht Entscheidend für die strafrechtliche Beurteilung des Tatbestands der Untreue (§ 266 StGB) ist, ob ein Missbrauchs- oder ein Treubruchtatbestand gegeben ist. Beide Tatbestände setzen eine Pflichtwidrigkeit des Täters voraus.26 Unabhängig davon, ob eine solche im vorliegenden Fall gegeben ist (s.o. zu den Pflichten des Vorstands im Aktienrecht ), müsste weiter als objektives Tatbestandsmerkmal ein Nachteil für das betreute Vermögen eingetreten sein. Das ist Tatfrage, wobei die Kausalität im Falle von etwaigen Verlusten eines EVU durch die Einführung von Sozialpreisen schwer nachzuweisen sein wird. Selbst bei Risikogeschäften, auch wenn sie zum Nachteil des Treugebers 25 Henn, Handbuch des Aktienrechts (7. Aufl. 2002), Rn. 593. 26 Tröndle/Fischer, StGB (54. Aufl., 2007), § 266, Rn. 39. - 13 - ausgehen, kann nicht automatisch von Untreue ausgegangen werden. Diese soll nur in Frage kommen, wenn die Eingehung von Risiken „offenkundig unvertretbar“ erscheint .27 Angesichts der Tatsache, dass Preisgestaltungen und Investitionen im Wirtschaftsleben immer ein gewisses Maß an normalem unternehmerischem Risiko enthalten , erscheinen Sozialpreise nicht als unternehmerisch unverantwortlich. Insgesamt ergeben sich kaum Anhaltpunkte für ein strafrechtliches Verhalten, zumeist dürfte § 266 StGB schon im objektiven Tatbestand nicht erfüllt sein. Extremfälle, die zu einem anderen Ergebnis führen würden, sind zwar denkbar, bei den gegenwärtig existierenden EVU, den praktizierten oder angekündigten Sozialtarifen und unter den derzeitigen ökonomischen Bedingungen aber höchst unwahrscheinlich. In der Gesamtbetrachtung ergeben sich keine Anhaltspunkte für strafbare Handlungen. 27 Tröndle/Fischer, StGB (54. Aufl. 2007), § 266, Rn. 45.