© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 013/21 Rechtliche Einzelfragen zur näheren Ausgestaltung gemeindlicher Vorkaufsrechte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 2 Rechtliche Einzelfragen zur näheren Ausgestaltung gemeindlicher Vorkaufsrechte Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 013/21 Abschluss der Arbeit: 19. Februar 2021 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Überblick über das gemeindliche Vorkaufsrecht nach geltendem Recht 5 3. Erwägungen eines sogenannten „sozialverträglichen Marktpreises“ 6 4. Implikationen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 4 1. Einleitung Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018 sieht vor, dass die Kommunen bei der Aktivierung von Bauland und der Sicherung bezahlbaren Wohnens unterstützt werden sollen.1 Hierzu hat die Bundesregierung am 30. November 2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz)2 eingebracht. Aufbauend auf den Empfehlungen der Kommission für „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ (Baulandkommission)3 ist demnach vorgesehen, das Bauplanungsrecht zu reformieren und auf diesem Gebiet insbesondere die Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden zu stärken.4 Zu den wesentlichen Regelungsinhalten zählt dabei unter anderem auch die Erweiterung des Anwendungsbereichs der gemeindlichen Vorkaufsrechte (vgl. insb. §§ 24 ff. Baugesetzbuch (BauGB)5) für die leichtere Mobilisierung von Flächen für den Wohnungsbau.6 In diesem Zusammenhang wird abseits der im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen vereinzelt gefordert, auch eine dahingehende Anpassung des BauGB vorzunehmen, dass die Ausübung gemeindlicher Vorkaufrechte generell auch preislimitiert, zum sogenannten „sozialverträglichen Ertragswert“, erfolgen kann.7 1 Vgl. Ziffer 5114 des Koalitionsvertrags der 19. Legislaturperiode zwischen CDU, CSU und SPD, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/543200/9f9f21a92a618c77aa330f00ed21e308/kw49_koalition_koalitionsvertrag -data.pdf (letzter Abruf dieses Links und aller weiteren am 19. Februar 2021); Pressemitteilung des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) vom 4. November 2020, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/11/baulandmobilisierungsgesetz-beschlossen .html. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz ), BT-Drs. 19/24838 vom 30. November 2020, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/dip21/btd/19/248/1924838.pdf. 3 Empfehlungen auf Grundlage der Beratungen in der Kommission für „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ (Baulandkommission) vom 2. Juli 2019, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/Shared- Docs/downloads/DE/veroeffentlichungen/nachrichten/Handlungsempfehlungen-Baulandkommission .pdf?__blob=publicationFile&v=1. 4 Vgl. hierzu im Einzelnen etwa den zusammenfassenden Aufsatz von Kment, Auf dem Weg zum Baulandmobilisierungsgesetz , ZRP 2020, S. 179 ff. 5 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/. 6 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz ), BT-Drs. 19/24838 vom 30. November 2020 , S. 1. 7 Vgl. etwa den Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Gesine Lötzsch u.a. und der Fraktion DIE LINKE., Ausverkauf der Städte stoppen – Vorkaufsrecht stärken, Umwandlungen verbieten, BT-Drs. 19/22594 vom 16. September 2020, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/225/1922594.pdf sowie die von den Bürgerinitiativen „23 Häuser sagen NEIN“ und „Bizim Kiez“ initiierte „Petition Für ein preislimitiertes und durchsetzungsfähiges kommunales Vorkaufsrecht! Das Baugesetzbuch jetzt sinnvoll reformieren“, abrufbar unter: https://www.bizim-kiez.de/blog/2020/09/17/zur-petition-das-baugesetzbuch-sinnvoll-reformieren-forderungenfuer -ein-preislimitiertes-und-durchsetzungsfaehiges-kommunales-vorkaufsrecht/?cn-reloaded=1, https://weact.campact.de/petitions/fur-faire-mieten-das-kommunale-vorkaufsrecht-jetzt-starken?just_launched =true; Burgi, Eigentumsordnung und Wohnungsnot: Spielräume für eine wohnraumbezogene Bodenpolitik, NVwZ 2020, S. 257 (260). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 5 Nur durch eine solche, über die bestehende Kaufpreisanpassungsregelung des § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB hinausgehende, Regelung könne erreicht werden, „das gemeindliche Vorkaufrecht endlich überall zu einem wirksamen Mittel für die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum weiterzuentwickeln “8. Die Vereinbarkeit eines solchen Vorschlags mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)9 soll nachfolgend überblicksartig und kursorisch dargestellt werden. Bereits an dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine politischen Konzeptionen prüfen. Eine rechtliche Detailprüfung etwaiger zukünftiger Regelungsansätze, insbesondere im Hinblick auf die Ausweitung beziehungsweise Beschränkung bestehender gesetzlicher Vorschriften, kann mithin nicht erfolgen. Die enthaltenen Ausführungen beinhalten daher insoweit vielmehr eine summarische Darstellung von Einzelaspekten der in Literatur und Rechtsprechung diskutierten Ansätze . 2. Überblick über das gemeindliche Vorkaufsrecht nach geltendem Recht Nach § 24 BauGB steht einer Gemeinde unter den in § 24 Abs. 1 BauGB aufgezählten Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht beim Verkauf von Grundstücken zu. Wenn eine Gemeinde ihr Vorkaufsrecht ausübt, kommt der Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Verkäufer nach § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB i. V. m. § 464 Abs. 2 BGB grundsätzlich zu den Bedingungen zustande, welche zwischen dem Käufer und dem Verkäufer vereinbart wurden. Allerdings kann die Gemeinde nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB abweichend von dieser Grundregel den zu zahlenden Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstückes bestimmen, wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet. Wann dies der Fall ist, wird im Gesetz nicht genannt. In Rechtsprechung und Literatur besteht jedoch Einigkeit darüber, dass eine Abweichung von 10 Prozent für die Annahme einer solchen deutlichen Überschreitung noch nicht genügt. Daneben werden verschiedene Ansätze vertreten, die von einer notwendigen Überschreitung von 20 bis 30 Prozent ausgehen.10 Das LG Berlin hat die Grenze zuletzt bei 25 Prozent angesetzt.11 Demgegenüber vertritt das OLG Frankfurt am Main die Auffassung, dass es insoweit nicht auf prozentuale Schwellen ankommt, sondern auf den absoluten Differenzbetrag im Einzelfall.12 8 Vgl. die von den Bürgerinitiativen „23 Häuser sagen NEIN“ und „Bizim Kiez“ initiierte „Petition Für ein preislimitiertes und durchsetzungsfähiges kommunales Vorkaufsrecht! Das Baugesetzbuch jetzt sinnvoll reformieren“. 9 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/. 10 Vgl. hierzu etwa Grziwotz, in: BeckOK BauGB, 51. Edition, Stand 1. November 2020, § 28 BauGB, Rn. 29, 30 m.w.N. 11 Vgl. LG Berlin (Kammer für Baulandsachen), Urteil vom 26. April 2017, Az.: O 2/15 Baul, BeckRS 2017, 134282. 12 Vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 25. September 1997, Az.: 1 U (Baul) 8/96, BeckRS 2016, 16253. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 6 Erklärt die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht zum Verkehrswert ausüben zu wollen, ergeben sich zudem Besonderheiten hinsichtlich der Rechtsposition des Verkäufers. Zur Wahrung der Eigentumsgrundrechte des Verkäufers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, steht diesem nach § 28 Abs. 3 Satz 2 BauGB nämlich ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu.13 3. Erwägungen eines sogenannten „sozialverträglichen Marktpreises“ Nähere Einzelheiten zu den konkreten rechtlichen Erwägungen der vereinzelt befürworteten Einführung eines sogenannten „sozialverträglichen Marktpreises“ sind nicht öffentlich bekannt. Allgemein heißt es jedoch, dass die Eingriffsmöglichkeiten der Kommunen bei Verkäufen von Grundstücken und Immobilien gestärkt werden müssten, „(…) indem das kommunale Vorkaufsrecht auf alle Grundstücke im gesamten Gemeindegebiet ausgeweitet und so reformiert wird, dass es innerhalb einer Frist von sechs Monaten preislimitiert zu einem sozialverträglichen Ertragswert angewandt werden kann (…).“14 „Angesichts der im gesamten Bundesgebiet zu beobachtenden Bodenpreissteigerungen ist das so erweiterte kommunale Vorkaufsrecht nur anwendbar und für öffentliche und soziale Zielsetzungen auch nutzbar, wenn das bereits in § 28 Abs. 3 BauGB angelegte preislimitierte Vorkaufsrecht gesetzlich klarer geregelt und auf einen sozialverträglichen Ertragswert abgestellt wird. Statt in Kaufverträge zu oft überhöhten Preisen einsteigen zu müssen, soll die Preislimitierung den Kommunen eine nachhaltige Bewirtschaftung ermöglichen, ohne dafür auf Mieterhöhungen angewiesen zu sein. Nicht der erzielbare Marktpreis, sondern die real erzielte Jahresnettokaltmiete in Bestandsgebäuden bzw. soziale Mieten für Neubauvorhaben auf brachliegenden Grundstücken dienen somit als Ausgangspunkt. Ausgehend davon wird der sozialverträgliche Ertragswert unter Einbeziehung der Kosten für Bewirtschaftung (Instandhaltungsrücklage , Verwaltungskosten und Mietausfallwagnis) und ggf. nötige Sanierungen bzw. der Baukosten sowie über langfristige Finanzierungszeiträume (40 bis 50 Jahre) zu marktüblichen Konditionen bei Berücksichtigung von Mitteln der öffentlichen Wohnraumförderung berechnet. Dafür müssen § 194 BauGB, die Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Immobilienwertermittlungsverordnung - ImmoWertV) sowie ggf. die nachgeordneten Wertermittlungsrichtlinien entsprechend ergänzt werden.“15 13 Vgl. auch Grziwotz, in: BeckOK BauGB, 51. Edition, Stand 1. November 2020, § 28 BauGB, Rn. 31. 14 Vgl. den Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Gesine Lötzsch u.a. und der Fraktion DIE LINKE., Ausverkauf der Städte stoppen – Vorkaufsrecht stärken, Umwandlungen verbieten, BT-Drs. 19./22594 vom 16. September 2020, S. 2, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/225/1922594.pdf. 15 Vgl. ebenda S. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 7 Zudem wird der Verzicht auf das das gemeindliche Vorkaufsrecht faktisch einschränkende Rücktrittsrecht des Verkäufers bei Ausübung zum Verkehrswert nach § 28 Abs. 3 BauGB gefordert.16 Ob und inwieweit vorstehend genannte Regelungsvorschläge mit dem Verfassungsrecht, insbesondere mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu vereinbaren sind, wird im Zuge der vorstehend beschriebenen Vorschläge nicht erörtert und soll daher nachfolgend überblicksartig dargestellt werden. 4. Implikationen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG Die Vereinbarkeit von den das Eigentum beschränkenden Regelungen mit Art. 14 Abs. 1 GG kann nur anhand der genauen Ausgestaltung der jeweiligen Regelung geprüft werden. Im Folgenden können daher nur allgemeine Überlegungen zur verfassungsrechtlichen Komponente angestellt werden. Das Grundrecht auf Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG unterliegt gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gesetzlichen Einschränkungen. Zudem ist in Art. 14 Abs. 2 GG die sogenannte Sozialpflichtigkeit des Eigentums festgelegt, wonach der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Will der Gesetzgeber Beschränkungen des Eigentums vornehmen, so muss er die verfassungsmäßige Anerkennung des Eigentums und seine Sozialpflichtigkeit abwägen .17 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dazu grundsätzlich ausgeführt: „Der Eigentumsschutz wiegt umso schwerer, je mehr der betroffene Eigentumsgegenstand der Sicherung der persönlichen Freiheit des Eigentümers dient. Wird der Eigentumsgegenstand dagegen Dritten zur entgeltlichen Nutzung überlassen und dient er deren Freiheitssicherung, so verlangt das Gebot einer am Gemeinwohl orientierten Eigentumsnutzung eine verstärkte Rücksichtnahme auf ihre Belange. Je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug steht und eine soziale Funktion erfüllt, desto weiter reicht die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts - und Schrankenbestimmung. Die Grenzen liegen dabei nicht ein für allemal fest. Veränderungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse können vielmehr zu einer Verschiebung der Maßstäbe führen.“18 Nach ganz herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur stehen jedenfalls die gegenwärtig bestehenden vorkaufsrechtlichen Regelungen des BauGB im Einklang mit dem Grundgesetz .19 Dazu führt Stock umfassend aus: 16 Vgl. so etwa Kronisch, Zur Rolle der gemeindlichen Vorkaufsrechte bei der Sicherung bezahlbaren Wohnens, NVwZ 2019, S. 1471 (1475). 17 Vgl. hierzu auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Diente vom 18. Juni 2019 zur Gesetzgebungskompetenz für ein zeitlich begrenztes Verbot von Mieterhöhungen und Vereinbarkeit mit Art. 14 GG, WD 3 - 3000 - 149/19, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/650086/bda1f29871822f23137957df47e2f4bf/WD-3-149-19-pdf-data.pdf. 18 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1996, Az.: 1 BvL 44/92, NJW 1997, S. 722 (723). 19 Vgl. zusammenfassend Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand August 2020, § 24 BauGB, Rn. 82 ff. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 8 „Die gesetzlichen Vorkaufsrechte versetzen die Gemeinden in die Lage, wichtige Gemeinwohlaufgaben der städtebaulichen Planung zu erfüllen. Sie bezwecken die Sicherung bestimmter städtebaulicher Maßnahmen und dienen damit der Planungshoheit als Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG). (…) Dem Verkäufer wird mit der Ausübung des Vorkaufsrechts ein neuer, selbständiger Kaufvertrag mit der Gemeinde „aufgezwungen “ und damit ein anderer Vertragspartner zugewiesen. Mit dieser Besonderheit kann er seine Veräußerungsabsicht verwirklichen. Da er sich durch den Kaufvertrag mit dem Dritten verkaufsbereit gezeigt hat, erweist sich diese Rechtsbindung als ein nur geringfügig belastender Eingriff in seine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Verfügungsbefugnis über das Eigentum . Die Vorschriften über das gesetzliche Vorkaufsrecht der Gemeinde sind eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, durch welche die Sozialbindung des Eigentums näher ausgestaltet wird. (…) Mit der Eigentumsgarantie sind auch die beiden Preisanpassungstatbestände des § 28 Abs. 3 und 4 vereinbar. Verfassungsrechtlich relevant sind dabei nur die Fälle der Herabsetzung des mit dem Dritten vereinbarten Kaufpreises. Zwar wird der Verkäufer daran gehindert, den gewünschten Kaufpreis zu erzielen. Dieser gesetzlich legitimierte Eingriff in die Verfügungsbefugnis ist jedoch in beiden Fällen eine zulässige Eigentumsbindung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, die wegen der strengeren Anforderungen des § 28 Abs. 4 an die Herabsetzung des Preises (insbesondere Möglichkeit der Enteignung) und der Anbindung an den im Falle einer Enteignung zu zahlenden Entschädigungswert vor dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Bestand hat. Die Vereinbarkeit einer Preislimitierung auf den Verkehrswert mit der Eigentumsgarantie ist von der Rechtsprechung bisher ersichtlich nicht problematisiert worden , soweit es um Sachverhalte ohne Nähe zur Enteignung geht. Zu § 28a BBauG 1976, der § 28 Abs. 3 vergleichbar ist, hat der BGH den Zweck einer solchen Regelung damit erklärt, dass die Gemeinde davor bewahrt werden soll, dass ihr überhöhte Preise aufgezwungen werden und bodenpreisdämpfende Wirkungen erzielt werden sollen, ohne dies zum Anlass für verfassungsrechtliche Hinweise zu nehmen (…). Die Preislimitierungsvorschrift des § 3 Abs. 3 BauGB-MaßnahmenG, dem Vorbild für die jetzt geltende Regelung, war als Inhaltsund Schrankenbestimmung in den durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesetzten Grenzen mit Art. 14 GG und auch mit der Vertragsfreiheit vereinbar (…). Diese Einschätzung gilt auch für § 28 Abs. 3, der erst bei erkennbarer und deutlicher Überschreitung des Verkehrswertes eingreift und dem Verkäufer überdies ein Rücktrittsrecht einräumt, damit er nicht gezwungen ist, sein Eigentum zu einem für ihn ungünstigen Preis zu übertragen.“20 Insgesamt ist daher festzustellen, dass schon die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Kaufpreisanpassung in einem sehr eng abgesteckten Rahmen mit der grundrechtlich gewährten Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar sind. Insbesondere dem gesetzlich gewährten Rücktrittsrecht des § 28 Abs. 3 Satz 2 BauGB kommt dabei eine erhebliche Bedeutung zu. Diese Rücktrittsmöglichkeit ist es, die dem Verkäufer eine Abkehr von demjenigen Vertragsabschluss ermöglicht, der ihm durch Verwaltungsakt zu einem niedrigeren als dem mit dem Dritten ausgehandelten Preis durch Verwaltungsakt der Gemeinde „aufgezwungen“21 wurde. Die Einführung 20 Vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand August 2020, § 24 BauGB, Rn. 82 ff. m.w.N., insbesondere mit Verweis auf BGH, Urteil vom 5. Mai 1988, Az.: III ZR 105/87, NJW 1989, S. 37. 21 So Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand August 2020, § 28 BauGB, Rn. 61. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 013/21 Seite 9 einer weitergehenden Kaufpreisreduzierungsmöglichkeit bei gleichzeitigem Verzicht auf die Einräumung des gesetzlichen Rücktrittsrechts des Verkäufers wäre daher verfassungsrechtlich voraussichtlich als zweifelhaft zu bewerten. Gleichwohl ist grundsätzlich jedoch darauf hinzuweisen, dass dem Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber, ob er bestimmte gesetzliche Regelungen schafft und wie er diese ausgestaltet, regelmäßig ein weiter Spielraum (Einschätzungsprärogative) zukommt. Ob beziehungsweise in welchem Umfang eine entsprechende kaufpreisreduzierende und/oder eine das gesetzliche Rücktrittsrecht einschränkende Regelung daher zulässig wäre, könnte deshalb nur anhand eines konkreten Gesetzentwurfs beurteilt werden. * * *