© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 – 012/21 Die Ausfuhr von SARS-CoV-2-Impfstoff aus der Europäischen Union Strafrechtliche Aspekte des Verhaltens der Exekutive Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Unvereinbarkeit mit dem gebotenen Prüfungsmaßstab der Garantenpflicht 12 2.4. Versuchsstrafbarkeit 13 3. Fazit 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 4 1. Einleitung Die Bemühungen der Bundesregierung und der Europäischen Union (EU) im Rahmen der Beschaffung von Impfstoffen gegen das SARS-CoV-2-Virus („Coronavirus“) werden politisch diskutiert und zum Teil als unzureichend kritisiert.1 Teils wird etwa bemängelt, dass in Deutschland hergestellte Impfstoffdosen in Nicht-EU-Staaten (Drittstaaten) exportiert würden, obwohl innerhalb der EU und nicht zuletzt in Deutschland eine Knappheit hieran herrsche.2 Die EU-Kommission hat in diesem Zusammenhang am 29. Januar 2021 mittels einer Durchführungsverordnung eine bis zum 31. März 2021 befristete Ausfuhrgenehmigungspflicht im Sinne eines „Transparenz- und Genehmigungsmechanismus“3 für in der EU hergestellte Impfstoffdosen in die meisten Drittstaaten eingeführt.4 Hiernach erteilt die zuständige nationale Behörde, an die auch der Ausfuhrantrag zu richten ist,5 die Ausfuhrgenehmigung nur, wenn das Ausfuhrvolumen keine Gefahr für die Erfüllung der von der Union mit Impfstoffherstellern geschlossenen Vereinbarungen über Abnahmegarantien darstellt.6 Der Mitgliedstaat entscheidet über den Genehmigungsantrag „im Einklang“ mit einer der EU-Kommission vorbehaltenen Stellungnahme.7 1 Vergleiche etwa DER SPIEGEL (Internetausgabe), „Fragenkatalog der SPD-geführten Länder – Spahn rechtfertigt Impfstoffbeschaffung der Bundesregierung“, Artikel vom 19. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.spiegel .de/politik/deutschland/corona-jens-spahn-rechtfertigt-impfstoff-beschaffung-der-bundesregierung-a- 69c8fc52-ac2c-4f13-b7a9-b8245795b249 (letzter Abruf dieser und aller weiteren Internetquellen: 18. Februar 2021). 2 Erb, Strafbarkeit des Unterlassens einer maximalen Beschleunigung der COVID-19-Impfungen in Deutschland durch die Bundesregierung, „Gutachterliche Stellungnahme“ vom 26. Januar 2021, S. 1 f., abrufbar unter: https://erb.jura.uni-mainz.de/files/2021/02/Gutachten-Coronaimpfstoff.pdf 3 EU-Kommission, „Kommission führt Transparenz- und Genehmigungsmechanismus für Ausfuhren von COVID- 19-Impfstoffen ein“, Pressemitteilung vom 29. Januar 2021, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission /presscorner/detail/de/IP_21_307. 4 Durchführungsverordnung (EU) 2021/111 der Kommission vom 29. Januar 2021 über die Einführung der Verpflichtung zur Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung bei der Ausfuhr bestimmter Produkte (Abl. L 31I S. 1), abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32021R0111. Die Liste der ausgenommenen Drittstaaten (u.a. die Schweiz, Norwegen und Israel) ergibt sich aus Art. 1 Abs. 5 der Durchführungsverordnung „entsprechend dem Grundsatz der Solidarität“. Die zeitliche Befristung ist nicht im eigentlichen Verordnungstext, sondern in deren Erwägungsgrund 17 festgehalten. Die EU-Kommission geht hiernach davon aus, dass bis dahin „die volle Produktionskapazität für COVID-19-Impfstoffe in der EU erreicht ist und sich das Risiko von Versorgungsengpässen und Umlenkungen von Lieferungen verringert hat.“ 5 Art. 2 Abs. 1 Durchführungsverordnung. 6 Art. 1 Abs. 4 Durchführungsverordnung. 7 Art. 2 Abs. 5 Satz 2 Durchführungsverordnung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 5 Im Zeitraum vom 30. Januar bis 10. Februar 2021 wurden im Anschluss in der EU insgesamt 37 Exportanfragen für 21 Drittstaaten gestellt, von denen alle genehmigt wurden.8 Generelle Exportverbote – wie teils politisch gefordert9 – hat die EU-Kommission in diesem Zusammenhang allerdings nicht in Erwägung gezogen.10 Einzelne Stimmen in der öffentlichen Debatte haben vor Erlass der Durchführungsverordnung darauf gedrungen, dass die Bundesregierung ein weitgehendes Exportverbot von in Deutschland produzierten SARS-CoV-2-Impfstoffdosen an Drittstaaten entweder selbst im Wege einer Verordnung anordnen, eine entsprechende Gesetzesinitiative in den Bundestag einbringen oder sich bei der EU um Schaffung eines solchen Exportverbotes bemühen solle.11 Demgegenüber werden auch Forderungen nach einer möglichst schnellen, weltweit egalitären Verteilung des vorhandenen Impfstoffes – ungeachtet des Produktionsortes oder finanzieller Ressourcen einzelner Staaten oder Staatenverbünde – erhoben.12 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden mit der Prüfung der Frage beauftragt, inwiefern ein fehlendes Hinwirken auf ein generelles Impfstoffausfuhrverbot durch Mitglieder der Bundesregierung strafrechtliche Konsequenzen in Bezug auf Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte für diese haben könnte. Die Wissenschaftlichen Dienste weisen darauf hin, dass sie nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine Rechtsauskünfte im Einzelfall erteilen. Demzufolge kann lediglich eine abstrakte strafrechtliche Bewertung allgemeiner Sachverhalte erfolgen, die nicht pauschal auf Einzelfälle übertragen werden kann. 2. Einzelaspekte der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Bezugnehmend auf die einleitenden Ausführungen wird nachfolgend geprüft, ob hypothetisch ein fehlendes Hinwirken auf ein Ausfuhrverbot von in Deutschland hergestellten SARS-CoV-2- Impfstoffdosen aus der EU durch hochrangige Amtsträger der Exekutive, insbesondere Mitglieder 8 Tagesschau.de, „EU genehmigt Vakzin-Exporte in 21 Länder“, Artikel vom 15. Februar 2021, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/eu-impfstoffe-exporte-101.html. 9 Vergleiche etwa Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), „Weltärztepräsident Montgomery fordert Exportverbot für Astrazeneca“, Artikel vom 29. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.rnd.de/politik/astrazeneca-impfstoff -welt-arzteprasident-montgomery-fordert-export-verbot-LFM5RTA3O5BXZNS75AKY3TOMSU.html; Süddeutsche Zeitung (Internetausgabe), „Söder: Kein Export von Impfstoffen außerhalb von Europa“, Artikel vom 26. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/bayern/kabinett-berlin-soeder-kein-export-vonimpfstoffen -ausserhalb-von-europa-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210126-99-175538. 10 DER SPIEGEL (Internetausgabe), „Corona-Impfstoff – EU-Kommission schließt generelle Exportbeschränkungen aus“, Artikel vom 29. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/corona-impfstoff-eu-kommission -schliesst-generelle-exportbeschraenkungen-aus-a-eabf67c6-ccc5-44c7-b74d-4df7cf197cbb. 11 Erb (Fußnote 2), S. 2 f. 12 Vergleiche etwa DER STANDARD (Internetausgabe), „"Impfstoffnationalismus" bremst Kampf gegen Pandemie“, Artikel vom 25. Januar 2021, abrufbar unter: https://www.derstandard.de/story/2000123485902/impfstoffnationalismus -bremst-kampf-gegen-pandemie. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 6 der Bundesregierung, strafrechtlich relevant in Bezug auf Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte werden könnte. Anders als teilweise in anderen Staaten unterstehen grundsätzlich auch Mitglieder der Bundesregierung gleich allen anderen natürlichen Personen der deutschen Strafgewalt.13 Durch ihre Stellung in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis, § 1 Bundesministergesetz (BMinG),14 fallen sie beispielsweise nach dem Strafgesetzbuch (StGB)15 unter den Amtsträgerbegriff,16 für den einige innerstrafrechtliche Besonderheiten gelten.17 Verfassungsrechtlich können zudem Immunitätsrechte zu beachten sein, sofern Mitglieder der Bundesregierung gleichzeitig Mitglieder des Bundestages sind.18 2.1. Taterfolg Die Tötungsdelikte sind originär im sechzehnten Abschnitt (§§ 211 ff.), die Körperverletzungsdelikte im siebzehnten Abschnitt (§§ 223 ff.) des StGB geregelt. Amtsträger können sich zudem der Körperverletzung im Amt während der Ausübung oder in Beziehung auf ihren Dienst strafbar machen, § 340 StGB. Beide Deliktsgruppen bestehen aus sogenannten Erfolgsdelikten, das heißt sie sind nur vollendet, soweit ein durch den Gesetzeswortlaut bestimmter, von der Tathandlung abgrenzbarer Taterfolg eintritt.19 Bei Tötungsdelikten ist dies der Tod eines anderen Menschen, bei Körperverletzungsdelikten die körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen.20 13 In Frankreich können etwa mögliche Straftaten des Präsidenten und der Regierungsmitglieder von vornherein nur vor besonderen Spruchkörpern unter einer spezifischen Verfahrensordnung exklusiv verhandelt werden (nähere Informationen bei Steinbarth, Das Institut der Präsidenten- und Ministeranklage in rechtshistorischer und rechtsvergleichender Perspektive, Dissertation, 2011, S. 226 ff., 279 ff.). 14 Bundesministergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 1971 (BGBl. I S. 1166), das zuletzt durch Artikel 7 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bming/. 15 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 47 des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3096) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/. 16 § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Vergleiche auch Heintschel-Heinegg, in: Beck’scher Online-Kommentar zum StGB, 48. Edition (Stand: 1. November 2020), § 11 StGB, Randnummer 15. 17 Nähere Informationen bei Radtke, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, Band 1, § 11 StGB, Randnummer 16. 18 Storr, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 46 GG, Randnummer 33. 19 Werner, in: Creifelds, Rechtswärterbuch, 25. Auflage 2020, Stichwort „Erfolgsdelikt“. 20 Siehe Wortlaut von § 212 Abs. 1 beziehungsweise § 223 Abs. 1 StGB. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 7 Notwendige Taterfolge könnten vorliegend eine erlittene SARS-CoV-2-Infektion beziehungsweise ein hierdurch bedingter Todeseintritt sein.21 Hierbei geht die wohl vorherrschende Ansicht in der Rechtswissenschaft – analog zur Rechtsprechung zum HI-Virus22 – bereits von einer Gesundheitsschädigung und somit von einer objektiven Körperverletzung aus, soweit nur eine Übertragung von SARS-CoV-2-Viren erfolgt, auch wenn sich in der Folge keine Symptome einstellen.23 Auch eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) mit höherer Strafdrohung als eine einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) wird von mehreren Literaturstimmen alleine durch die Übertragung von SARS-CoV-2-Viren bejaht und zwar in den in der Norm aufgeführten Fallgruppen der Körperverletzung durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB)24 beziehungsweise mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.25 Soweit ersichtlich, haben Strafgerichte über derartige Fallgestaltungen in Bezug auf Körperverletzungs-, oder Tötungsdelikte allerdings noch nicht entschieden. 2.2. Tatbegehung Ein Taterfolg kann von vornherein nur eine Strafbarkeit begründen, sofern eine vorwerfbare Tatbegehung hinzutritt. Eine Tat kann bei einfachen Erfolgsdelikten grundsätzlich entweder durch positives Tun oder Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung begangen werden.26 § 13 Abs. 1 StGB, der das Unterlassen allgemein regelt, stellt dieses dem aktiven Tun nur gleich, wenn der Betroffene „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt“. Aus dieser zusätzlichen Voraussetzung der sogenannten Garantenstellung beim Unterlassen (hierzu noch unter 2.3.) ergibt sich die Notwendigkeit einer Abgrenzung vom aktiven Tun. Die Rechtsprechung fasst die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden sei, sondern eine wertende (normative) Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlange.27 Maßgeblich sei insofern , wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liege.28 21 So auch Erb (Fußnote 2), S. 3, 5. 22 Grundlegend Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88. 23 Fahl, Das Strafrecht in Zeiten von Corona, Juristische Ausbildung (JURA) 2020, S. 1058, 1059; Rau, in: Schmidt, COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Auflage 2020, § 19, Randnummer 46; Pörner, Die Infektion mit Krankheitserregern in der strafrechtlichen Fallbearbeitung, Juristische Schulung (JuS) 2020, S. 498, 499. Insoweit kritisch allerdings Hotz, Die Strafbarkeit des Verbreitens von Krankheitserregern am Beispiel der Corona- Krise, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2020, S. 320, 321 f. 24 Fahl (Fußnote 23); Rau (Fußnote 23), Randnummer 47; Pörner (Fußnote 23), S. 499 f.; Hotz (Fußnote 23), S. 324 f. 25 Erb (Fußnote 2), S. 5; Fahl (Fußnote 23); Pörner (Fußnote 23), S. 500; Hotz (Fußnote 23), S. 325. Insoweit kritisch aber Rau (Fußnote 23), Randnummer 47. 26 § 8 Satz 1 StGB. 27 Etwa BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13 –, Randnummer 59 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen (zitiert nach juris). 28 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 8 In der gegebenen Konstellation nahm eine Literaturstimme ein potenzielles Unterlassen von Mitgliedern der Bundesregierung an.29 Insbesondere seit der inzwischen erlassenen Durchführungsverordnung könnte eine Abgrenzung im Einzelfall jedoch schwerfallen. Denn nach der Verordnung hängt jede Ausfuhr formal von der Genehmigung der national zuständigen Behörde ab (siehe bereits unter 1.). Insofern könnte auch vertretbar sein, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit hier nicht in einem Unterlassen des Hinwirkens auf ein Exportverbot, sondern in der aktiven Genehmigung der einzelnen Ausfuhren läge. Eine belastbare Beantwortung einer solchen Wertungsfrage könnte letztlich nur im Einzelfall anhand einer genauen Prüfung der außenwirtschaftsrechtlichen Behandlung des Impfstoffexports und Analyse der diesbezüglichen Entscheidungszuständigkeiten als Voraussetzung für strafrechtliche Verantwortlichkeiten erfolgen. In der Folge wird von einem schwerpunktmäßigen Unterlassen ausgegangen. 2.3. Garantenstellung Wie bereits angedeutet, muss bei einem Unterlassen vor allem eine Garantenstellung bestehen. Die Rechtsstellung, die die bereits erwähnte rechtliche Einstandspflicht (§ 13 Abs. 1 StGB) begründet , wird gemeinhin als Garantenstellung bezeichnet.30 Grundsätzlich wird zwischen dem Beschützergaranten und Überwachungsgaranten unterschieden.31 Der Beschützergarant hat ein Rechtsgut gegen Gefahren aus allen Richtungen zu schützen, der Überwachungsgarant alle Rechtsgüter gegenüber Gefährdungen, die aus einer Gefahrenquelle stammen, für die er verantwortlich ist.32 Anerkannte Beispiele für den Beschützergaranten sind alle familienrechtlichen Beziehungen (natürliche Verbundenheit), Gefahrengemeinschaften und Fälle der tatsächlichen Übernahme, etwa der Lehrer gegenüber seinen Schülern, der Bergführer gegenüber seinen Kunden etc.33 Die Garantenstellung kann sich aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben.34 Im Zusammenhang mit der vorliegenden Thematik argumentierte zuletzt eine Literaturstimme, dass Mitglieder der Bundesregierung zugunsten der Menschen in Deutschland Beschützergaranten seien.35 Eine solche Garantenstellung wurde in Wissenschaft und Praxis bislang allerdings 29 Erb (Fußnote 2), S. 3. 30 Bosch, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch – Kommentar, 30. Auflage 2019, § 13 StGB, Randnummer 2. 31 Ebenda, Randnummer 9. 32 Ebenda. 33 Heuchemer, in: Beck’scher Online-Kommentar zum StGB, 48. Edition (Stand: 1. November 2020), § 13 StGB, Randnummer 36. 34 Gercke/Hembach in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, „AnwaltKommentar“ StGB, 3. Auflage 2020, § 13 StGB, Randnummer 9. 35 Erb (Fußnote 2), S. 3 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 9 weder anerkannt noch explizit diskutiert.36 Sie kann auch unter Berücksichtigung allgemeiner strafrechtlicher und verfassungsrechtlicher Prinzipien nicht bestehen: 2.3.1. Keine Herleitung aus verfassungsmäßigem Amtseid So dürfte sich eine entsprechende Garantenstellung zunächst nicht aus dem verfassungsmäßigen Amtseid der Mitglieder der Bundesregierung herleiten lassen.37 Zwar haben die Regierungsmitglieder gemäß Art. 64 Abs. 2, 56 Grundgesetz (GG)38 bei Amtsübernahme einen Amtseid unter anderem zum „Wohle des deutschen Volkes“ zu leisten. Der Amtseid begründet jedoch keine eigenen Rechtspflichten, die über die gesondert geregelten Amtspflichten hinausgingen.39 Er bringt stattdessen allein eine ethisch-moralische Verpflichtung zum Ausdruck.40 Eine lediglich sittliche Pflicht kann jedoch keine Garantenstellung begründen.41 2.3.2. Keine Herleitung aus grundrechtlicher Schutzpflicht Gleiches dürfte für die allgemeine staatliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit gelten. So ist zwar für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anerkannt, dass es nicht nur ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat darstellt, sondern gleichfalls eine Schutzpflicht aller staatlichen Organe hierfür existiert.42 Das Gericht betont in diesem Zusammenhang jedoch stets, dass insbesondere dem Gesetzgeber auch dann, wenn er dem Grunde nach verpflichtet sei, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen, ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukomme.43 Daher sei dem BVerfG zufolge auch die (verfassungs-)gerichtliche Entscheidungskompetenz begrenzt auf die Feststellung der Verletzung einer Schutzpflicht, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen seien, offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich für das gebotene Schutzziel seien oder wenn sie erheblich hinter dem 36 Ebenda, S. 3. 37 Ebenda. 38 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/. 39 Vergleiche bereits Wissenschaftliche Dienste, Justiziabilität des Amtseids der Mitglieder der Bundesregierung, WD 3 – 3000 – 088/18 (Sachstand vom 20. März 2018), abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/556790/e5376e768c028f5829e29468e6159383/WD-3-088-18-pdf-data.pdf. 40 Ebenda. 41 BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997 – 2 BvR 1516/96 –, Randnummer 85 (zitiert nach juris). 42 Überblick bei Kunig/Kämmerer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Auflage 2021, Art. 2 GG, Randnummern 101 ff. 43 Vergleiche zuletzt BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. Mai 2020 – 1 BvR 1027/20 –, Randnummer 6 mit weiteren Nachweisen zur stetigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (zitiert nach juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 10 Schutzziel zurückblieben.44 Die Kontrolle eines solchen Mindestniveaus beschreibt das BVerfG auch mit dem Schlagwort Untermaßverbot.45 Gleichzeitig kann eine hiernach eigentlich geeignete Gesundheits- oder Lebensschutzmaßnahme zur unverhältnismäßigen Beeinträchtigung von grundrechtlich garantierten Freiheiten Dritter führen. Dementsprechend sei neben dem Untermaßverbot auch eine (verfassungs-)gerichtliche Prüfung eines entsprechenden Übermaßverbotes statthaft.46 Somit wird der staatlichen Gewalt im Grundsatz lediglich die Beachtung eines Pflichtenkorridors zwischen Untermaß- und Übermaßverbot auferlegt, innerhalb dessen ein Staatsorgan nach seinem (politischem) Ermessen grundsätzlich Entscheidungen treffen kann, die einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen sind.47 Es handelt sich demnach um eine unbestimmte Pflicht.48 Eine solche Selbstbegrenzung der Judikative dient insbesondere auch der Beachtung des Gewaltenteilungsgrundsatzes, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG.49 Als aktuelles Beispiel im Rahmen der COVID-19-Pandemie hat das BVerfG die staatliche Einschätzungsprärogative bei der Verhängung von Schutzmaßnahmen gegen das SARS-CoV-2-Virus in Abwägung allgemeiner staatlicher Schutzpflichten zu unter Umständen hierdurch eingeschränkten Freiheitsgrundrechten (Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit) betont.50 Aufgrund dieses unbestimmten Charakters der staatlichen Schutzpflicht kann hieraus keine strafbegründende Garantenstellung gefolgert werden:51 2.3.2.1. Unvereinbarkeit mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot Dies gilt zunächst mit Blick auf das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot, Art. 103 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 1 StGB.52 Hiernach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit 44 Ebenda, Randnummer 7 mit weiteren Nachweisen zur stetigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. 45 BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 –, Leitsatz 6 (zitiert nach juris). 46 Zuletzt BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 –, Randnummer 265 (zitiert nach juris). 47 Bild des „Korridors“ übernommen von Lang, in: Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz, 45. Edition (Stand: 15. November 2020), Art. 2 GG, Randnummer 76. 48 BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 1 BvL 8/15 –, Randnummer 70 (zitiert nach juris). 49 Klein, Das Untermaßverbot – Über die Justiziabilität grundrechtlicher Schutzpflichterfüllung, Juristische Schulung (JuS) 2006, S. 960, 961 f. 50 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. Mai 2020 – 1 BvR 1027/20 –, Randnummern 5 ff. (zitiert nach juris). 51 Vergleiche auch entsprechende Ansicht des Professors für Öffentliches Recht an der Universität zu Köln, Ogorek , in: „Kanzlerin und Minister keine Totschläger“, Artikel des Wiesbadener Kuriers vom 10. Februar 2021, abrufbar über die Pressedokumentation des Deutschen Bundestages. Im Ergebnis zur grundsätzlichen Fragestellung der strafrechtlichen Garantenstellung aus staatlichen Schutzpflichten auch Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen – Kommentar, 66. Auflage 2019, § 13 StGB, Randnummer 29. 52 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 11 gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Hierdurch soll unter anderem jedermann vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.53 Dies schließt etwa eine richterrechtliche Rechtsfortbildung mit strafbegründender Wirkung aus.54 Eine Garantenstellung muss deswegen auf Fallgestaltungen begrenzt sein, in denen die sich daraus ergebende rechtliche Verpflichtung zum Handeln, die Garantenpflicht, eindeutig gegeben ist.55 Sie kann in der Rechtsanwendung nicht beliebig erweitert werden. Die Annahme der allgemeinen staatlichen Schutzpflicht als Garantenstellung für alle staatlichen Organe würde allerdings eine solche Gefahr begründen, indem sie zu einer potenziell uferlosen strafrechtlichen Haftung führte.56 Denn nach dieser Logik könnten sich auch Mitglieder des Bundestages strafbar machen, denn sie hätten etwa ein Gesetz für ein Exportverbot beschließen oder jedenfalls einbringen können .57 Wollte man eine Garantenstellung im Hinblick auf die allgemeine staatliche Schutzpflicht bejahen, dann stünden zum Beispiel auch bei jedem Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang auf einem Autobahnabschnitt ohne Geschwindigkeitsbegrenzung, der auf hohe Geschwindigkeit zurückgeführt werden kann, eine potenzielle lebenslange Freiheitsstrafe für staatliche Organe im Raum, die keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung erlassen haben. Eine Garantenstellung für Amtsträger ist stattdessen nur im Einzelfall aus rechtlicher Pflichtzuweisung anerkannt.58 Beispiele aus der Rechtsprechung sind etwa Polizeibeamte innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches für den Schutz wichtiger Individualrechtsgüter (z.B. Leben, Eigentum) oder Bedienstete des Jugendamtes für Leben und Gesundheit der Kinder, deren Betreuung sie übernommen haben.59 Im Unterschied zu allgemeinen staatlichen Schutzpflichten sind die dortigen Gefahrenabwehrpflichten für Polizeibeamte etwa in den Polizeigesetzen der Länder, für Jugendamtsmitarbeiter im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII)60 klar geregelt. Ließe man im Übrigen die allgemeine staatliche Schutzpflicht zur Begründung einer Garantenstellung ausreichen , bedürfte es gar keiner Herleitung aus Sonderpflichten, wie sie die strafgerichtliche Rechtsprechung hier vornimmt. Denn die genannten Personengruppen sind als Mitglieder der Exekutive und somit als staatliche Organe gleichsam an die grundrechtliche Schutzpflicht für Leben 53 BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 –, Randnummer 70 (zitiert nach juris). 54 BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12 –, Randnummer 21 (zitiert nach juris). 55 Gaede, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch – Kommentar, 5. Auflage 2017, § 13 StGB, Randnummer 29. 56 Ogorek (Fußnote 51). 57 Ebenda. 58 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen – Kommentar, 66. Auflage 2019, § 13 StGB, Randnummer 29 mit weiteren Nachweisen. 59 Diese und weitere Beispiele mit jeweiligen Rechtsprechungsnachweisen bei Weigend, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 13. Auflage 2020, § 13 StGB, Randnummer 31. 60 Siehe vor allem § 8a Das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 3 Absatz 5 des Gesetzes vom 9. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2075) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 12 und körperliche Unversehrtheit gebunden und wären auf Basis einer solchen Argumentation bereits Garanten im Sinne von § 13 StGB. Auch die von der Rechtsordnung vorgenommene Erhebung dieser Ämter in eine besondere Pflichtenstellung wäre dann obsolet. 2.3.2.2. Unvereinbarkeit mit dem gebotenen Prüfungsmaßstab der Garantenpflicht Die Annahme einer Garantenstellung für solchen Fälle ist nicht nur in Ansehung der potenziellen Rechtsfolge, einer uferlosen strafrechtlichen Haftung, kaum begründbar (siehe bereits unter 2.3.2.1.). Bereits die vorherige Durchführung eines Strafverfahrens zwecks Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz des politischen Verhaltens der Regierungsmitglieder würde zu erheblichen Verwerfungen in Bezug auf den Gewaltenteilungsgrundsatz führen. Denn durch den gebotenen strafrechtlichen Prüfungsmaßstab wären die Strafverfolgungsorgane gezwungen, politische Erwägungen ohne Gewährung eines politischen Ermessenspielraums vollständig inhaltlich zu bewerten . Hierbei müssten sie nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht bezüglich des Gewaltenteilungsgrundsatzes gesetzten Grenzen der Kontrolldichte sprengen, sondern dies unter Umständen gar zum unmittelbaren Anknüpfungspunkt eines Strafausspruches nehmen. Denn soweit ein Strafverfolgungsorgan eine Garantenstellung annähme, müsste es im nächsten Schritt die sich hieraus ergebende Handlungspflicht (Garantenpflicht) bestimmen, die den eingetretenen Erfolg abgewendet hätte. Die Rechtsprechung hat – gerade im Sinne des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes – im Laufe der Zeit einen allgemein anerkannten Prüfungsmaßstab einer solchen Handlungspflicht erarbeitet: Hiernach ist der Garant verpflichtet, das zu tun, was zur Abwendung des Erfolges (hier: Erkrankungs- oder Todesfälle infolge einer SARS-CoV-2-Infektion) geeignet und erforderlich ist.61 Unter mehreren geeigneten Handlungsmöglichkeiten muss er diejenige auswählen, die unter den gegebenen Umständen den Erfolg am sichersten abzuwenden vermag.62 Weiter ist in diesem Zusammenhang relevant, ob für ihn die Erfolgsabwendung auch zumutbar war.63 Die Entscheidung, ob ein bestimmtes, den strafrechtlich missbilligten Erfolg abwendendes Verhalten zumutbar ist, muss dabei grundsätzlich von dem dazu berufenen Tatrichter im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung des Einzelfalles getroffen werden, in die einerseits die widerstreitenden Interessen der Beteiligten und andererseits die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut einzubeziehen sind.64 Soweit hier ein Unterlassen von Mitgliedern der Bundesregierung in Rede stände, ließe die somit notwendige Anschlussprüfung von vornherein keinen Raum für die Annahme eines politischen Ermessenspielraums, den das BVerfG für die richterliche Kontrolle politischen (Nicht-)Handelns 61 Weigend, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 13. Auflage 2020, § 13 StGB, Randnummer 63. 62 Ebenda. 63 Nach der Rechtsprechung handelt es sich hierbei nicht – wie die zuvor genannten Voraussetzungen – um ein Tatbestandsmerkmal, sondern um einen ungeschriebenen Schuldausschließungsgrund (BGH, Beschluss vom 17. Februar 1954 – GSSt 3/53 –, Randnummern 23 ff.). 64 Stetige Rechtsprechung. Vergleiche nur BGH, Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16 –, Randnummer 36 (zitiert nach juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 012/21 Seite 13 allerdings gerade fordert.65 Stattdessen müsste ein Strafverfolgungsorgan bei einer solchen Prüfung notwendigerweise politische Interessen bestimmen, die sich hieraus ergebenden Handlungsoptionen eigenhändig werten und miteinander in Ausgleich bringen. Verdeutlicht wird dies insbesondere an der Notwendigkeit der Untersuchung der Effizienz verschiedener Handlungsalternativen (Erforderlichkeit, s.o.) oder der Abwägung widerstreitender Interessen im Rahmen der Zumutbarkeit des Tätigwerdens (s.o.). 2.4. Versuchsstrafbarkeit Da eine Garantenstellung von Mitgliedern der Bundesregierung bereits aus prinzipiellen Gründen ausscheidet (siehe bereits unter 2.3.), bestehen auch für eine Strafbarkeit des Versuchs der Tötung oder Körperverletzung durch Unterlassen keine Anknüpfungspunkte.66 Zwar kann auch bei Nichtbestehen der objektiven Voraussetzungen eines Totschlages oder Körperverletzung durch Unterlassen – wie hier mangels Garantenstellung – eine Strafbarkeit wegen Versuchs der genannten Delikte dem Grunde nach bestehen.67 Dies setzt jedoch voraus, dass ein entsprechender Vorsatz zur Begehung dieser Straftaten gefasst wird und hierzu unmittelbar angesetzt wird.68 Vorsatz bedeutet vereinfacht ausgedrückt das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.69 Ein entsprechender Wille kann hinsichtlich des objektiven Merkmals der Garantenstellung logischerweise nur bestehen, sofern der betroffene Personenkreis irrigerweise von einer Pflichtenstellung im strafrechtlichen Sinne ausginge. Dies ist in der vorliegenden Konstellation nicht anzunehmen. 3. Fazit Für eine Strafbarkeit von Mitgliedern der Bundesregierung bezüglich Tötungs- und Körperverletzungsdelikten wäre in der gegebenen Konstellation aller Voraussicht nach bereits aus prinzipiellen Erwägungen keinerlei Raum. Die Annahme einer strafbewehrten Garantenstellung der Mitglieder der Bundesregierung für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen in Deutschland ist vor allem mit dem verfassungsrechtlich begründeten Bestimmtheitsgebot im Strafrecht nicht zu vereinbaren. * * * 65 Andere Ansicht wohl Erb (Fußnote 2), S. 3 f, der eine gleichartige Prüfung eines Strafverfolgungsorgans zum Prüfungsmaßstab des BVerfG möglich zu halten scheint. 66 Eine Versuchsstrafbarkeit (unter Annahme einer Garantenstellung) für möglich hält jedoch Erb (Fußnote 2), S. 5. 67 Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt, § 23 Abs. 1 StGB. Aufgrund seiner Mindeststrafandrohung von über einem Jahr Freiheitsstrafe , §§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB, zählt der Totschlag zu den Verbrechen. Die (gefährliche) Körperverletzung (im Amt) mit einer Mindeststrafandrohung von unter einem Jahr Freiheitsstrafe ist demgegenüber ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB), wobei die Versuchsstrafbarkeit dieser Straftatbestände im StGB explizit angeordnet ist, §§ 223 Abs. 2, 224 Abs. 2, 340 Abs. 2 StGB. 68 Vergleiche § 22 StGB. 69 Schmidt/Werner, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 25. Auflage 2020, Stichwort „Vorsatz“.