AUSARBEITUNG Thema: Zu den Möglichkeiten der kollektiven Rechtsverfolgung im Rahmen von Verbandsklagen und Musterverfahren Fachbereich VII Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 30. Januar 2006 Reg.-Nr.: 3000 - 2. WF VII G - 009/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einführung 3 2. Verbandsklage 3 2.1. Allgemeines 3 2.2. Gesetzlich geregelte Verbandsklagen 4 2.2.1. Bundesnaturschutzgesetz 4 2.2.2. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen 4 2.2.3. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 5 2.2.4. Unterlassungsklagengesetz 5 2.2.5. Behindertengleichstellungsgesetz 6 2.2.6. Sozialgesetzbuch IX 7 2.2.7. Krankenhausentgeltgesetz; Bundespflegesatzverordnung 7 2.2.8. Handwerksordnung 7 2.3. Überlegungen zur Ausweitung der Verbandsklage 7 2.3.1. EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 7 2.3.2. Tierschutzverbände 9 2.3.3. Verbraucherschutzrecht 9 2.3.4. Antidiskriminierungsrecht 9 2.3.5. Verbandsklage im Arbeitsrecht 10 3. Weitere Formen kollektiver Rechtsverfolgung 10 3.1. Musterverfahren nach dem Kapitalanleger- Musterverfahrensgesetz 10 3.2. Musterverfahren nach § 93a Verwaltungsgerichtsordnung 11 3.3. Verfahren nach der Insolvenzordnung 11 3.4. Allgemeine zivilprozessuale Möglichkeiten für gemeinschaftliches Vorgehen nach deutschem Recht 12 4. US-Sammelklage class action 12 4.1. Voraussetzungen der class action in den USA 12 4.2. Übertragbarkeit auf Deutschland 13 5. Zusammenfassung 14 - 3 - 1. Einführung Im geltenden Recht ist bei der Typisierung der Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes insbesondere zwischen Formen der Verbandsklage und Musterverfahren zu unterscheiden. Die Rechtsentwicklung tendiert in den letzten Jahren zunehmend dazu, derartige Formen kollektiver Rechtsverfolgung einzuführen oder zuzulassen. In der nachfolgenden Darstellung werden verschiedene Verfahrensarten im Rahmen einer Bestandsaufnahme dargestellt. In einem weiteren Abschnitt wird auf die Sammelklage (class action) nach US-amerikanischen Vorbild eingegangen und zur möglichen Übertragbarkeit auf Deutschland kurz Stellung genommen. 2. Verbandsklage 2.1. Allgemeines Unter einer Verbandsklage wird gemeinhin die Klage einer juristischen Person (Verband oder Verein) zur Geltendmachung von Rechten der Verbandsangehörigen und nicht nur des Verbandes selbst verstanden. Darüber hinaus dient die Verbandsklage vor allem auch zur Geltendmachung und Durchsetzung von Interessen, deren Wahrnehmung der Verband sich selbst zur Aufgabe gestellt hat.1 Die Zulassung von Möglichkeiten der Verbandsklage wird vielfach gefordert, um Belange der Allgemeinheit - wie beispielsweise den Umweltschutz - nachdrücklicher durchsetzen zu können, besonders wenn mit Klagen von individuell in ihren Rechten betroffenen Personen nicht zu rechnen ist. Verbandsklagen kommen im verwaltungsrechtlichen Bereich (Naturschutzrecht), im zivilrechtlichen Bereich (Wettbewerbsrecht; Unterlassungsklagengesetz) oder im sozialrechtlichen Bereich (Behindertengleichstellungsgesetz) vor. Sie stellen grundsätzlich eine Ausweitung des Rechtsschutzsystems dar, das im Grundprinzip auf dem individual - bzw. subjektiv-rechtlichen Rechtsschutz basiert. Grundsätzlich kann im Verwaltungsprozess wegen des Erfordernisses der Klagebefugnis grundsätzlich nur klagen, wer die Verletzung eigener Rechte geltend macht (§ 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).2 Allerdings lässt diese Regelung eine Abweichung von diesem Grundsatz zu, wenn durch einfachgesetzliche Regelungen et- 1 Vgl. dazu etwa die Darstellung in Deutsches Rechtslexikon, Band 3, 3. Aufl., 2001, Stichwort: Verbandsklage , S. 4399. 2 In der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991, BGBl. I S. 686, geändert durch Gesetz vom 22. August 2005, BGBl. I S. 2482. - 4 - was anderes bestimmt ist. Insoweit kann gesetzlich zugelassen werden, dass Verbände bzw. Vereine verwaltungsgerichtliche Klagen im Allgemeininteresse erheben können. Auch im Zivilrecht sind verschiedene Formen der Verbandsklage – etwa im Bereich des Wettbewerbsrechts – gesetzlich verankert. Nachfolgend findet sich eine Übersicht über gesetzlich geregelte Klagemöglichkeiten, die unter den Begriff der Verbandsklage eingeordnet werden können. 2.2. Gesetzlich geregelte Verbandsklagen 2.2.1. Bundesnaturschutzgesetz Nach § 61 Abs. 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG)3 kann ein nach § 59 BNatSchG oder auf Grund landesrechtlicher Vorschriften im Rahmen des § 60 BNatSchG anerkannter Verein, ohne in seinen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung einlegen gegen - Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparken und sonstigen Schutzgebieten im Rahmen des § 33 Abs. 2 BNatSchG sowie - Planfeststellungsbeschlüsse über Vorhaben, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind, sowie Plangenehmigungen, soweit eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist. In § 61 Abs. 2 bis 4 BNatSchG werden weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen zur Erhebung der Rechtsbehelfe geregelt. § 61 Abs. 5 BNatSchG gestattet den Ländern Rechtsbehelfe von Vereinen auch in anderen Fällen zu erlassen.4 2.2.2. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Nach § 33 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)5 ist derjenige , der gegen eine Vorschrift des GWB, gegen Art. 81 oder Art. 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung oder bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 GWB können die Ansprüche aus § 33 Abs. 1 auch von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen geltend gemacht werden. 3 Vom 25. März 2002, BGBl. I S. 1193, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2005, BGBl. I S. 1818. 4 Naturschutzrechtliche Möglichkeiten der Verbandsklage sind auch in mehreren Bundesländern in den jeweiligen Landesnaturschutzgesetzes eröffnet; Nachweise der einschlägigen landesrechtlichen Regelungen siehe bei Schoch, Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Ergänzungslieferung , 2005, zu § 42 Rdnr. 236. 5 In der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005, BGBl. I S. 2114, geändert durch Gesetz vom 1. September 2005, BGBl. I S. 2676. - 5 - 2.2.3. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Grundsätzlich sind unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, unzulässig (§ 3 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG).6 Wer dem zuwiderhandelt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (§ 8 UWG). Diese Ansprüche stehen nicht nur jedem einzelnen Mitbewerber, sondern unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nrn. 2 bis 4 UWG auch rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, qualifizierten Einrichtungen , die nachweisen, dass sie in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder in dem Verzeichnis der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 4 der Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen eingetragen sind sowie den Industrie- und Handelskammern oder den Handwerkskammern zur Verfügung. 2.2.4. Unterlassungsklagengesetz Nach dem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagegesetz – UKlaG)7 kann sich unter bestimmten Voraussetzungen Unterlassungs- oder Widerrufsansprüchen aussetzen, wer - nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksame Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet oder für den rechtsgeschäftlichen Verkehr empfiehlt (§ 1 UKlaG), - in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze) (§ 2 UKlaG) oder - gegen § 95 b Abs. 1 des Urheberrechtsgesetzes verstößt (§ 2a UKlaG). Anspruchsberechtigte Stellen für die in den §§ 1 und 2 UKlaG bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung und auf Widerruf sind unter den im einzelnen in § 3 UKlaG genannten Voraussetzungen: - qualifizierte Einrichtungen, die nachweisen, dass sie in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG oder in dem Verzeichnis der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach Artikel 4 der Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen in der jeweils geltenden Fassung eingetragen sind, 6 Vom 3. Juli 2004, BGBl. I S. 1414. 7 In der Fassung der Bekanntmachung vom 27. August 2002, BGBl. I S. 3422, geändert durch Gesetz vom 22. Mai 2005, BGBl. I S. 1373. - 6 - - rechtsfähige Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, - Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern. Der in § 2a Abs. 1 UKlaG bezeichnete Anspruch auf Unterlassung wegen Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz steht rechtsfähigen Verbänden zur nicht gewerbsmäßigen und nicht nur vorübergehenden Förderung der Interessen derjenigen zu, die durch § 95b Abs. 1 Satz 1 Urheberrechtsgesetz begünstigt werden. 2.2.5. Behindertengleichstellungsgesetz Aufgrund von § 13 Abs. 1 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG)8 kann ein anerkannter Verband, ohne in seinem Recht verletzt zu sein, Klage erheben nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung oder des Sozialgerichtsgesetzes auf Feststellung eines Verstoßes gegen - das Benachteiligungsverbot für Träger der öffentlichen Gewalt nach § 7 Abs. 2 BGG und die Verpflichtung des Bundes zur Herstellung der Barrierefreiheit in § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 2, § 11 Abs. 2 Satz 2, § 11 Abs. 1 BGG, - die Vorschriften des Bundesrechts zur Herstellung der Barrierefreiheit in den in § 13 Abs. 1 Nr. 2 BGG im einzelnen genannten Regelungen in der Bundeswahlordnung , der Europawahlordnung, der Wahlordnung für die Sozialversicherung , des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, des Gaststättengesetzes, des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, des Bundesfernstraßengesetzes, des Personenbeförderungsgesetzes, der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung, der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung, des Luftverkehrsgesetzes oder - die Vorschriften des Bundesrechts zur Verwendung von Gebärdensprache oder anderer geeigneter Kommunikationshilfen in § 17 Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, § 57 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und § 19 Abs.1 Satz 2 dem Zehnten Buches Sozialgesetzbuch. Eine Klage des Verbandes ist nur zulässig, wenn der Verband durch die Maßnahme in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt wird. Soweit ein behinderter Mensch selbst seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können, kann die Klage des Verbandes nur erhoben werden, wenn der Verband geltend macht, dass es sich bei der Maßnahme um einen Fall von allgemeiner Bedeutung handelt; dies ist insbesondere der Fall, wenn es sich um eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle handelt (§ 13 Abs. 2 BGG). 8 Vom 27. April 2002, BGBl. I S. 1467, 1468, geändert durch Gesetz vom 21. März 2005, BGBl. I S. 818, 830. - 7 - 2.2.6. Sozialgesetzbuch IX Auch aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) IX9 - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -– ergibt sich ein Klagerecht für Verbände. Werden behinderte Menschen in ihren Rechten nach dem SGB IX verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung behinderte Menschen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den behinderten Menschen selbst vorliegen (§ 63 SGB IX). 2.2.7. Krankenhausentgeltgesetz; Bundespflegesatzverordnung Nach § 17 Abs. 1 Satz 5 des Gesetzes über Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntgG)10 kann der Verband der privaten Krankenversicherung, sofern ein Krankenhaus ein unangemessen hohes Entgelt für nichtärztliche Wahlleistungen verlangt, die Herabsetzung auf eine angemessene Höhe verlangen. Gegen die Ablehnung einer Herabsetzung ist der Zivilrechtsweg gegeben. Durch einen Verweis des § 22 Abs. 1 der Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Bundespflegesatzverordnung – BPflV)11 auf § 17 KHEntgG gilt entsprechendes auch bei Leistungen im Bereich der Bundespflegesatzverordnung. 2.2.8. Handwerksordnung In § 8 Abs. 4 der Handwerksordnung12 steht im Zusammenhang mit der Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle gegen die Entscheidung neben dem Antragsteller auch der Handwerkskammer der Verwaltungsrechtsweg offen. 2.3. Überlegungen zur Ausweitung der Verbandsklage Ungeachtet der dargestellten Arten der Verbandsklage finden sich weitere Überlegungen und Forderungen, die Möglichkeit der Verbandsklage noch in weiteren Bereichen einzuführen bzw. auszubauen. 2.3.1. EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie Im Zusammenhang mit der Darstellung der Verbandsklage ist die Umsetzung der EU- Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 2003/35/EG13 vom 26. Mai 2003 anzusprechen. 9 Vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046, geändert durch Gesetz vom 27. April 2005, BGBl. I S. 1138. 10 Vom 23. April 2002, BGBl. I S. 1412, geändert durch Gesetz vom 29. August 2005, BGBl. I S. 2570. 11 Vom 26. September 1994, BGBl. I S. 2750, geändert durch Gesetz vom 29. August 2005, BGBl. I S. 2570. 12 In der Fassung der Bekanntmachung vom 24. September 1998, BGBl. I S. 3074, geändert durch Gesetz vom 6. September 2005, BGBl. I S. 2725. - 8 - Die EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie setzt die Aarhus-Konvention14 beim umweltrechtlichen Zulassungsverfahren und beim Erlass bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme um. Ebenso ist die Einführung eines erweiterten Gerichtszugangs , insbesondere für Nichtregierungsorganisationen (z.B. Umweltverbände) vorgesehen .15 Die EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie war bis zum 25. Juni 2005 in deutsches Recht umzusetzen (Art. 6 Abs. 1 EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie). Soweit hier bekannt ist, sind zur Umsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 2003/35/EG in nationales Recht noch in der 15. Wahlperiode vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Entwürfe eines Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz ) und eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt- Rechtsbehelfsgesetz) vorgelegt worden, die – soweit ersichtlich - bisher nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden sind.16 Insbesondere § 2 des Entwurfs des Umweltrechtsbehelfsgesetzes sieht vor, dass Vereine ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe einlegen können. Ungeachtet der Reichweite der in diesen Entwürfen vorgeschlagenen Verbandsklage für Umweltverbände werden insbesondere von Umweltverbänden nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie Direktwirkungen der Richtlinie angenommen und hieraus erweiterte Klagebefugnisse für Umweltorganisationen zur Einhaltung der Umweltgesetze bejaht.17 13 Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten; abrufbar im Internet unter www.bmu.de, Stichworte: Themen A-Z / Bürgerbeteiligungsrechte / Die Aarhus-Konvention. 14 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention) vom 25. Juni 1998, abrufbar im Internet unter www.bmu.de, Stichworte: Themen A-Z / Bürgerbeteiligungsrechte / Die Aarhus-Konvention. 15 Vgl. Artikel 2 Abs. 3 und Artikel 4 Nr. 4 EU-Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie. 16 Siehe dazu im einzelnen die Darstellung auf der Internet-Seite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit unter www.bmu.de, Stichworte: Themen A-Z / Bürgerbeteiligungsrechte / Die Aarhus-Konvention. Auf dieser Internetseite können auch die vom BMU in der 15. Wahlperiode erstellten Entwürfe zur Umsetzung der EU-Öffentlichkeitsrichtlinie eingesehen werden. 17 Siehe Rosenbaum, Marion/Zschiesche, Michael, Hintergrundpapier zur Direktwirkung der EU- Öffentlichkeitsrichtlinie ab 25. Juni 2005 in der Bundesrepublik Deutschland – Schwerpunkt Klagerechte für Nichtregierungsorganisationen – Stand: 30. 7. 2005, Unabhängiges Institut für Umweltfragen e.V., abgerufen im Internet unter www.ufu.de; siehe dazu auch die Empfehlungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 28. Juli 2005 für Vollzugshinweise der Länder zur unmittelbaren Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/35/EG zur Öffentlichkeitsbeteiligung, im Internet abrufbar unter www.bmu.de - 9 - 2.3.2. Tierschutzverbände Die Einführung der Verbandsklage im Bereich des Tierschutzes wird vor allen Dingen von Tierschutzvereinen gefordert, um unter Berücksichtigung des Art. 20a GG einen Impuls zur Stärkung des Tierschutzrechts zu setzen.18 2.3.3. Verbraucherschutzrecht Neben den bereits vorhandenen Möglichkeiten der Verbandsklage zum Verbraucherschutz (im Unterlassungsklagengesetz) wird teilweise eine allgemeine Verbandsklage für Verbraucherschutzverbände gefordert. So wird etwa in einem im Auftrag des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft erstellten Gutachten von Micklitz/Stadler ein „Gesetz zur Regelung von Verbands-, Muster und Gruppenklagen“ konzipiert.19 2.3.4. Antidiskriminierungsrecht Im Zusammenhang mit dem angedachten Antidiskriminierungsgesetz zur Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien wird verschiedentlich die Forderung erhoben, eine Verbandsklage für die entsprechenden Verbände zuzulassen.20 Der in der 15. Wahlperiode in den Deutschen Bundestag eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien21 sah ein eigenes Verbandsklagerecht der Antidiskriminierungsvereine nicht vor. Es waren lediglich in § 24 des Gesetzentwurfs 18 Vgl. dazu etwa Deutscher Tierschutzbund e.V., Warum brauchen wir die Tierschutz-Klage?, abgerufen im Internet unter http://www.tierschutzbund.de/00708.html; siehe im einzelnen auch Näckel, Antje/Wasielewski, Andreas, Verbandsklagerecht im Tierschutz – ein Plädoyer, in: Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland (NordÖR), 2004, S. 379 ff. Gesetzgeberische Initiativen zur Einführung einer Verbandsklage im Tierschutzrecht finden sich in einem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 27. November 1997, BT-Drs. 13/9323, sowie in einem Gesetzantrag des Landes Schleswig-Holstein zur Einführung des Verbandsklagerechts für Tierschutzvereine, der am 19. Februar 2004 in den Bundesrat eingebracht wurde, BR-Drs. 157/04 vom 19. Februar 2004. Der Bundesrat hat die Einbringung den Gesetzesantrag am 5. November 2004 abgelehnt, vgl. BR-Drs. 157/04 (Beschluss). 19 Das Gutachten wurde laut den BMVEL-Informationen Nr. 2 vom 4. Februar 2005 am 17. Januar 2005 an die damalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast übergeben. Vgl. dazu auch die Mitteilung zu dem Gutachten von Micklitz/Stadler auf der Internet-Seite des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft „Das Verbandsklagerecht in der Informations - und Dienstleistungsgesellschaft“; hier kann auch der angesprochene Gesetzesvorschlag von Micklitz/Stadler eingesehen werden; abgerufen im Internet unter www.verbraucherministerium.de, Stichworte: Verbraucherschutz / Wirtschaftsverkehr. Siehe dazu auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 15/4859 – Erfordernis eines Gutachtens „Verbandsklagrecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft“ sowie eines Gesetzes zur Regelung von Verbands-, Muster- und Gruppenklagen, BT-Drs. 15/5082 vom 11. März 2005. 20 Vgl. z.B. Erklärung der Bundeskonferenz der Integrations- und Ausländerbeauftragten des Bundes, der Länder und der Gemeinden am 18./19. Mai 2004 in Berlin zum Antidiskriminierungsgesetz, abgerufen im Internet unter www.integrationsbeauftragte.de; Pressemitteilung des Netzwerks für ein Antidiskriminierungsgesetz vom 22. März 2005, abgerufen im Internet unter www.djb.de. 21 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 15/4538 vom 16. Dezember 2004. - 10 - bestimmte Mitwirkungsbefugnisse in gerichtlichen Verfahren vorgesehen, nach denen die Verbände benachteiligte Personen bei der Rechtsverfolgung unterstützen können.22 2.3.5. Verbandsklage im Arbeitsrecht Aus dem Bereich der Gewerkschaften wurde eine Verbandsklage im Bereich des Arbeitsrechts durch entsprechende Änderungen des Arbeitsgerichtsgesetzes angeregt. So wurde beispielsweise in einem für die Hans-Böckler-Stiftung erstellten Gutachten vorgeschlagen , durch eine Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes eine arbeitsrechtliche Verbandsklage einzuführen.23 3. Weitere Formen kollektiver Rechtsverfolgung 3.1. Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Am 1. November 2005 ist das Gesetz zur Einführung eines Kapitalanleger- Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) in Kraft getreten.24 Mit diesem Gesetz wurde im Bereich des Kapitalanlagewesens ein gerichtliches Verfahren zur Durchführung von Musterprozessen zur Klärung von Sach- und Rechtsfragen mit präjudizieller Bedeutung für eine Vielzahl von Prozessen geschaffen. Das Gesetz führt erstmals in den deutschen Zivilprozess einen kollektiven Rechtsbehelf zur Bewältigung von Massenschäden ein. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz findet seinen Anwendungsbereich in Zivilklagen auf der Grundlage öffentlicher Kapitalmarktinformationen (vgl. § 1 KapMuG). Das Gesetz sieht vor, dass jede Prozesspartei einen Antrag auf Musterfeststellung vor dem Oberlandesgericht stellen kann. Der zulässige Antrag auf Musterfeststellung wird im Klageregister des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemacht. Das Oberlandesgericht führt einen Musterentscheid herbei, wenn innerhalb von vier Monaten nach der Bekanntmachung in mindestens neun weiteren Verfahren gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge in das Klageregister eingetragen werden. Während der Dauer des Musterverfahrens setzen die erstinstanzlichen Gerichte Verfahren aus, deren Entscheidung durch das Musterverfahren berührt wird. Der Musterentscheid des Oberlandesgerichts bindet die Prozessgerichte bezüglich der Verfahren, deren Entscheidung von der im Musterverfahren getroffenen Feststellung oder der im Musterverfahren zu klärenden 22 Siehe dazu auch das Infopapier des Bundesministeriums der Justiz zum Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz vom 18. März 2005, abgerufen im Internet unter www.bmj.bund.de. 23 Siehe im einzelnen Kocher, Eva, Gesetzentwurf für eine Verbandsklage im Arbeitsrecht, Gutachten – erstellt im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, 2002. 24 Vom 16. August 2005, BGBl. I S. 2437. Siehe dazu auch Zypries, Brigitte, Ein neuer Weg zur Bewältigung von Massenprozessen – Entwurf eines Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP), 2004, S. 177 ff.; Möllers, Thomas/Weichert, Tilman, Das Kapitalanleger -Musterverfahrensgesetz, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2005, S. 2737 ff. - 11 - Rechtsfrage abhängt. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ist zunächst auf fünf Jahre befristet. 3.2. Musterverfahren nach § 93a Verwaltungsgerichtsordnung Ein Beispiel für Kollektivierungstendenzen im deutschen Verwaltungsprozessrecht findet sich in § 93a VwGO.25 Nach dieser Regelung, die durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung26 mit Wirkung zum 1. Januar 1991 in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügt wurde, kann das Gericht, soweit die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme Gegenstand von mehr als zwanzig Verfahren ist, eines oder mehrere geeignete Verfahren vorab durchführen (Musterverfahren) und die übrigen Verfahren aussetzen. Ist über die durchgeführten Verfahren rechtskräftig entschieden worden, kann das Gericht nach Anhörung der Beteiligten über die ausgesetzten Verfahren durch Beschluss entscheiden, wenn es der Auffassung ist, dass die Sachen gegenüber rechtskräftig entschiedenen Musterverfahren keine wesentlichen Besonderheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen und der Sachverhalt geklärt ist (§ 93a Abs. 2 VwGO). Wie sich aus dem Wortlaut des § 93a Abs. 1 VwGO ergibt („kann“), handelt es sich bei der Durchführung des Musterverfahrens um eine grundsätzlich in das Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung.27 3.3. Verfahren nach der Insolvenzordnung Ein Weg zur im weitesten Sinne kollektiven Rechtsverfolgung findet sich auch in § 92 Satz 1 Insolvenzordnung (InsO).28 Hiernach können die Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Hiernach werden die Insolvenzgläubiger von Gesetzes wegen zu einer Form von rechtlicher Zwangsgemeinschaft zusammengeführt.29 25 Weitere Verfahrensregelungen in der Verwaltungsgerichtsordnung mit Bezug auf Massenverfahren sind § 56a (Öffentliche Bekanntmachung in Massenverfahren); § 65 Abs. 3 (Beiladung); § 67a (Gemeinsamer Bevollmächtigter); 26 BGBl. I 1990 S. 2809, 2812. 27 Von Bar, Christian, hat in seinem Gutachten A für den 62. Deutschen Juristentag, Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen zur Bewältigung der Haftung für Massenschäden?, in: Verhandlungen des 62. Deutschen Juristentages, Band I (Gutachten), Teil A, 1998, S. A 101 vorgeschlagen, die ZPO um eine den § 93a VwGO entsprechende Vorschrift zu ergänzen. 28 Vom 5. Oktober 1994, BGBl. I S. 2866, geändert durch Gesetz vom 22. März 2005, BGBl. I S. 837. 29 Siehe dazu Scholz, Rupert, Individualer oder kollektiver Rechtsschutz?, in: Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2003, S. 248, 251. - 12 - 3.4. Allgemeine zivilprozessuale Möglichkeiten für gemeinschaftliches Vorgehen nach deutschem Recht Neben Verbandsklagen und Musterverfahren sind nach den allgemeinen Grundsätzen des deutsche Zivilprozesses weitere Möglichkeiten der kollektiven Rechtsverfolgung denkbar und können nutzbar gemacht werden. Hier sind u.a. die sogenannte Prozessstandschaft zu nennen, die die Prozessführung im eigenen Namen über fremde Rechte aufgrund einer Ermächtigung durch den oder die Rechtsinhaber erlaubt. Als zivilprozessuale weitere Möglichkeit zur Bündelung von Individualinteressen kommt die treuhänderische Abtretung der Einzelansprüche in Frage. So könnte hiernach etwa ein Verband oder Verein aus abgetretenem Recht die Ansprüche seiner Mitglieder geltend machen . Im deutschen Zivilprozess können zudem unter den Voraussetzungen der Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. Zivilprozessordnung - ZPO)30 mehrere Prozesse in einem Verfahren gebündelt werden. Weiterhin erscheint eine Musterprozessführung aufgrund einer Abrede unter den Mitgliedern einer geschädigten Gruppe möglich, nach der zunächst ein Musterprozess geführt wird, während die übrigen Anspruchssteller ihre Ansprüche bis zum Abschluss des Musterprozesses zurückstellen.31 4. US-Sammelklage class action 4.1. Voraussetzungen der class action in den USA Das class action-Verfahren ist eine Gruppen- oder Sammelklage.32 In diesem Verfahren handeln der oder die Kläger im eigenen Namen und zugleich als Repräsentanten für eine größere Gruppe von Personen, die ebenfalls von dem streitgegenständlichen Ereignis betroffen sind. Diese Gruppenmitglieder sind den Beteiligten weder bekannt, noch müssen sie vor Gericht erscheinen. Die class action dient dazu, seperate Klagen einer Vielzahl von Personen mit gleichen Interessen zu vereinigen, ohne dass diese namentlich genannt zu werden brauchen und selbst vor Gericht erscheinen müssen. Dennoch ist eine Entscheidung in dem Rechtsstreit oder ein Vergleich auch für sie bindend. Die Gruppe wird durch objektive Merkmale, d.h. durch gleiche Rechts- und Sachverhaltsfragen bestimmt. Sie setzt sich aus Personen zusammen, die die gleichen rechtlichen Interessen haben und wie ein einzelner Kläger behandelt werden. Als Ziele und Funktion der class action lassen sich insbesondere die Gesichtspunkte der Prozessökonomie 30 In der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005, BGBl. I S. 3202. 31 Siehe dazu näher die Darstellung von Greiner, Christoph, Die Class Action im amerikanischen Recht und deutscher Ordre Public, Diss. iur. München, 1997, S. 124 ff. 32 Rule 23 der Federal Rules of Civil Procedure, Title 28 United States Code Appendix Rule 23, zitiert nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2 BvR 1198/03 vom 25. Juli 2003, abgerufen im Internet unter www.bverfg.de. - 13 - und Rechtssicherheit, des effektiven Rechtsschutzes, der Rechtsdurchsetzung sowie der Abschreckungseffekt vor unlauteren Geschäftsgebaren nennen.33 Die class action kann nur geführt werden, wenn vier kumulative Voraussetzungen, die sich in Rule 23 finden, erfüllt sind. Grundvoraussetzung der class action ist zunächst, dass die Gruppe durch einige nachprüfbare Kriterien definiert wird, so dass das Gericht nachprüfen kann, wer dazugehört. Weiterhin müssen zahlreiche gleiche Sachverhalte vorliegen, so dass es unpraktisch wäre, sie alle vor Gericht zu bringen. Es müssen zumindest einige für alle class-Mitglieder zu beantwortende Rechts- oder Tatfragen vorliegen . Die von den Repräsentanten eingeklagten Ansprüche müssen typisch für die aller class-Mitglieder sein. Schließlich muss eine angemessene Vertretung der abwesenden Gruppenmitglieder durch die Kläger und ihre Anwälte gewährleistet sein. Hinsichtlich der Anwendungsbereiche der class action ergeben sich im wesentlichen vier große Bereiche. Ein großer Anwendungsbereich der class action liegt im Bereich der Bürgerrechte. Da hier überindividuelle Merkmale wie Rasse, Geschlecht und Religion betroffen sind, führen Verstöße naturgemäß häufig zur Verletzung der Rechte großer Gruppen. Ein weiterer Anwendungsbereich liegt bei Verstößen gegen Regeln des Antitrust Rechts. Das amerikanische Antitrust Recht verbietet Marktaufteilungen, Preisdiskriminierungen sowie andere wettbewerbsbeeinträchtigende Maßnahmen. Durch Verstöße in diesem Bereich werden regelmäßig ein größerer Personenkreis geschädigt . Die class action findet zudem häufig Anwendung bei der Verletzung von Verhaltensnormen zum Schutz von Kapitalanlegern sowie im Verbraucherschutz.34 4.2. Übertragbarkeit auf Deutschland Das deutsche Recht ist grundsätzlich auf den individualen bzw. subjektiv-rechtlichen Rechtsschutz ausgerichtet. Sammelklagen – wie die amerikanische class action – stehen nicht in der Tradition der deutschen Rechtsordnung. Dennoch finden zunehmend kollektive Rechtsschutzformen Eingang in das Rechtssystem Deutschlands. Wie oben dargestellt , finden sich inzwischen auch im deutschen Zivilrecht mit der Einführung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes Ansätze für eine Sammelklage im Bereich des Anlegerschutzes. Im Verwaltungsprozess ist unter bestimmten Voraussetzungen ein 33 Siehe eingehend Greiner, Christoph, Die Class Action im amerikanischen Recht und deutscher Ordre Public, Diss. iur. München, 1997, S. 40 ff.; Heß, Burkhard, Die Anerkennung eines Class Action Settlement in Deutschland, in: Juristenzeitung (JZ) 2000, S. 373 ff.; von Bar, Christian, Gutachten A für den 62. Deutschen Juristentag, Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen zur Bewältigung der Haftung für Massenschäden?, in: Verhandlungen des 62. Deutschen Juristentages, Band I (Gutachten ), Teil A, 1998, S. A 97 ff. 34 Siehe näher Greiner, Christoph, Die Class Action im amerikanischen Recht und deutscher Ordre Public, Diss. iur. München, 1997, S. 33 ff. - 14 - Musterverfahren zulässig. Darüber hinaus bestehen inzwischen vielfältige Formen der Verbandsklage im deutschen Rechtssystem. Auch wenn das deutsche Recht zunehmend bereichsspezifische Verbandsklagen oder mit dem Kapitalanleger-Musterverfahren nunmehr eine Form des zivilrechtlichen Musterverfahrens im Bereich des Anlegerschutzes kennt, erscheint eine vollständige Übertragung des class action nach Deutschland problematisch. Insbesondere ist das deutsche Rechtssystem anders als das US-amerikanische nur begrenzt auf präjudizielle Entscheidungen von Gerichten ausgerichtet. Gegen eine Übertragung der class action in das deutsche Recht wird weiter eingewandt, dass die Rechtskrafterstreckung gegenüber unbeteiligten Individuen als mit dem deutschen Prozessrecht und seiner Systematik unvereinbar ist. Darüber hinaus wird auf die Missbrauchsgefahren der allgemeinen Sammelklage im Sinne der amerikanischen class action durch Aufbau eines hohen außergerichtlichen Druckpotentials hingewiesen und auch im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren für Anwälte hingewiesen. Eingewandt wird außerdem, dass die Möglichkeiten des einzelnen Gruppenmitglieds, auf die Führung und Gestaltung eines solchen Prozesses Einfluss zu nehmen, außerordentlich beschränkt sind. Die Parteien werden ohne eigenen Rechtsakt Mitglieder einer class oder Gemeinschaft und werden unter Umständen von einem für sie nachteiligen Urteil gebunden, zu dem sie zuvor nicht angehört worden sind. Zudem dürfte das Modell der class action mit der im deutschen Zivilprozess herrschenden Parteimaxime nicht im Einklang stehen, wonach jeder Geschädigte selbst über das „Ob“ der Klageerhebung entscheiden kann. Auch dieses dürfte dem im deutschen Recht enthaltenen Grundtypus des Individualrechtsschutzes widersprechen.35 5. Zusammenfassung In Deutschland bestehen im weitesten Sinne kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten in Form von Verbandsklagen sowie Musterverfahren. Mit dem Kapitalanleger- Musterverfahren wurde ein Musterverfahren – nachdem im Verwaltungsprozess mit § 93a VwGO ein solches Verfahren schon längere Zeit besteht - auch im Zivilprozess etabliert, wobei das entsprechende Gesetz zunächst eine Befristung auf fünf Jahre vor- 35 Siehe dazu näher den Beitrag von Scholz, Rupert, Individualer oder kollektiver Rechtsschutz?, in: Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2003, S. 248, 254 ff.; von Bar, Christian, Gutachten A für den 62. Deutschen Juristentag, Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen zur Bewältigung der Haftung für Massenschäden?, in: Verhandlungen des 62. Deutschen Juristentages, Band I (Gutachten), Teil A, 1998, S. A 100 ff. - 15 - sieht. Einer Übertragung der US-amerikanischen class action in das deutsche Recht stehen zunächst Bedenken entgegen. Dennoch dürfte nicht zu verkennen sein, dass mit der Einführung des Kapitalanleger-Musterverfahrens im deutschen Recht ein Instrument geschaffen wurde, das bei einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle die Herbeiführung eines gerichtlichen Musterentscheids ermöglicht. Es dürfte allerdings zweckmäßig sein, vor der Einführung weiterer Muster- oder Sammelklageverfahren in anderen Bereichen des deutschen Rechts die Erprobungsphase dieses Instruments abzuwarten.