Deutscher Bundestag Einsatz und Rechtfertigung der „stillen SMS“ im Strafprozess- und Polizeirecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 7- 3000 -008/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 2 Polizeirecht Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 7- 3000 -008/12 Abschluss der Arbeit: 20.1.2012 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung; Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die sog. „stille SMS“ – tatsächliche und technische Grundlagen 4 3. Rechtsgrundlagen für den Einsatz der „stillen SMS“ nach der Strafprozessordnung 6 3.1. Die Rechtslage bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜNReglG) am 01.01.2008 6 3.2 Die gegenwärtige Rechtslage nach Änderung des § 100g StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜNReglG) ab 01.01.2008 10 4. Rechtsgrundlagen für den Einsatz der „stillen SMS“ nach Polizeirecht 13 5. Rechtsgrundlagen für den Einsatz der „stillen SMS“ nach dem Gesetz über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter 14 6. Rechtsschutz 15 7. Ausgewählte Literatur 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 4 1. Einleitung Die Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahme durch eine sog. „stille“ SMS ist gegenwärtig wieder in den Focus der politischen und medialen Diskussion geraten.1 In diesem Zusammenhang wurde verschiedene Anfragen an die Landesregierungen2 und Bundesregierung3 gerichtet, die u.a. zutage gefördert haben, wie häufig die Polizeien und Ermittlungsbehörden von dieser Maßnahme Gebrauch machen. Im juristischen Schrifttum dagegen ist diese wenig bekannte Ermittlungsmethode bisher nicht intensiv beleuchtet worden. Nur vereinzelt finden sich Stellungnahmen sowohl im strafprozessualen wie polizeirechtlichen Schrifttum. Einschlägige Rechtsprechung ist – soweit erkennbar – bisher nicht zu verzeichnen.4 Neben den verschiedenen Landespolizeien benutzen auch das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei (BPOL), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Zollkriminalamt und die Zollfahnungsämter diese Methode.5 2. Die sog. „stille SMS“ – tatsächliche und technische Grundlagen „Stille SMS“ (auch: „silent“, „heimliche“, „verdeckte“, „Fang-SMS“, „Stealth-SMS“, „Stealth- Ping-Verfahren“, „Spitzel-SMS“6) sind spezielle Ortungsimpulse, die die angesprochenen Mobiltelefone nicht als normale Textnachricht registrieren und deren Empfang dem Nutzer auch nicht wie üblich im Display angezeigt wird.7 Vielmehr wird der Empfang der „Kurzmitteilung“ nur gegenüber dem Mobilfunknetz bestätigt. Mittels einer „stillen SMS“ ist es jedoch technisch nicht möglich, aktuelle Gespräche des Betroffenen mitzuhören oder das Mobiltelefon in eine Art „Wanze“ umzufunktionieren.8 1 Siehe etwa die tageszeitung (taz) vom 02.01.2012, „Feind in deiner Tasche – Überwachung - Polizei, Zoll und Verfassungsschutz lokalisieren Verdächtige per »stille SMS«. Die Methode ist rechtlich umstritten.“; spiegelonline vom 23.11.2001, „Beobachtung Verdächtiger - Polizei in NRW verschickte 250.000 Ortungs-SMS“, http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,799404,00.html; spiegel-online vom 23.12.2011, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-83328870.html 2 Siehe etwa Antwort der Landesregierung Sachsen-Anhalt auf eine kleine Anfrage LT-Drs. 6/707; Antwort der Landesregierung Niedersachsen auf eine kleine Anfrage LT-Drs. 16/3876; Antwort der Landesregierung Nordrhein -Westfalen auf eine kleine Anfrage LT-Drs. 15/2905, abrufbar unter http://europolice .noblogs.org/files/2011/11/2011-11-11-Antwort-Kleine-Anfrage-Stille-SMS.pdf; Antwort des Senats der Hansestadt Hamburg auf eine kleine Anfrage Bürgerschafts-Drs. 20/2751. 3 Siehe die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BT-Drs. 17/8102 S. 12. 4 Eine diesbezügliche Recherche bei den Datenbanken beck-online sowie juris ergab keine Treffer bzgl. Rechtsprechungsnachweisen . 5 Vgl. BT-Drs. 17/8102 S. 12. 6 Vgl. zu den im Schrifttum verwendeten Begriffen etwa Tiedemann, Die „stille SMS“ – Überwachung im Mobilfunk , Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (64); Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 23 mit Fn. 6; Wolter, Potential für eine Totalüberwachung im Strafprozess- und Polizeirecht (auch: Handy-Standort und Stand-by, Fang-SMS und IMSI-catching), in: Rogall/Puppe/Stein (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag, S. 733; derselbe, in: Degener/Deiters/u.a. (Hrsg.), Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung (SK-StPO), 4. Auflage 2010, § 100a Rn. 21. 7 Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (64). 8 Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (64). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 5 Die „stille SMS“ wird eingesetzt, um die Bestimmung des Standortes von Mobiltelefonen zu ermöglichen , auch wenn diese gerade nicht zu Kommunikationszwecken genutzt werden.9 Damit die „stille SMS“ überhaupt empfangen und deren Empfang gegenüber dem Netz bestätigt werden kann, muss das Mobiltelefon zur nächsten Basisstation eine Verbindung aufbauen und sich über eine Funkzelle in das Mobilfunknetz einbuchen.10 Funkzellen werden durch einen Funkmast generiert und viele verschiedene Funkzellen ergeben in ihrer Gesamtheit das Funknetz des Betreibers.11 Ein Einbuchen in eine Funkzelle geschieht, sobald der Nutzer sein Handy einschaltet . Jede Funkzelle ist durch ihre individuelle Kennung bestimmbar.12 Nach Schätzungen kann so die Entfernung eines Mobiltelefons zur Basisstation grundsätzlich bis auf ca. 500 m genau ermittelt werden, innerstädtisch kann die Unschärfe der Aufenhaltsermittlung nach Angaben im Schrifttum tlw. bis auf 50 m reduziert werden.13 In ländlicher Umgebung ist die Schätzung des Standortes eine Größenordnung schlechter. Sie liegt dort bei ca. 5000 m. Die durch die Einbuchung in eine Funkzelle entstehenden Standortdaten sind für die Ermittlungsbehörden jedoch regelmäßig nicht mehr verfügbar, da § 96 Abs. 2 i.Vm. Abs. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG14) anordnet, dass diese unverzüglich zu löschen sind, soweit diese für die Entgeltermittlung und Entgeltabrechnung sowie andere durch gesetzliche Vorschriften begründeten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.15 Im Übrigen werden die Standortdaten lediglich in nicht vorhersehbaren, unregelmäßigen Abständen gesendet. Deswegen wird mit dem Absenden der „stillen SMS“ beim Mobilfunkbetreiber ein Datensatz erzeugt , der anzeigt, in welcher Mobilfunkzelle das Empfangsgerät momentan eingebucht ist, wo es sich also in etwa befindet. Diesen Daten werden den Ermittlern sodann von dem betreffenden Mobilfunkbetreiber übermittelt.16 Um eine Ortung zu ermöglichen, werden regelmäßig viele „stille SMS“ an das betroffene Mobiltelefon gesandt. Im Schrifttum ist davon die Rede, dass maximal alle 15 min eine „stille SMS“ versandt werde.17 9 Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 23. 10 Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (64). 11 Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 23 f. 12 Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 24. 13 Siehe Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (64) m.w.N. 14 Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert durch Art. 2 G zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen vom 22. 12. 2011 (BGBl. I S. 2958). 15 Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 24. 16 Eisenberg/Singelnstein, Zur Unzulässigkeit der heimlichen Ortung per „stiller SMS“, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2005, 62. 17 Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 6 3. Rechtsgrundlagen für den Einsatz der „stillen SMS“ nach der Strafprozessordnung Als grundrechtsrelevante Maßnahme bedarf die Ortung per „stiller SMS“ grundsätzlich einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in der Strafprozessordnung (StPO).18 Zwar gilt das besonders strenge Bestimmtheitsgebot für materielle Straftatbestände des Art. 103 Abs. 2 GG für das Strafverfahrensrecht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht.19 Jedoch sind Gesetzesbestimmtheit und Gesetzesklarheit rechtsstaatliche Forderungen an jede Art der Gesetzgebung .20 Je intensiver der Grundrechtseingriff ist, desto inhaltlich detaillierter muss die parlamentsgesetzliche Regelung ausfallen.21 Dabei ist bis heute nicht hinreichend geklärt, ob für die StPO ein strikter Gesetzesvorbehalt dahingehend besteht, dass eine analoge oder extensive Auslegung einer Befugnisnorm kategorisch ausgeschlossen ist.22 Die h.M. verneint dies, lässt also im Einzelfall eine Analogie zu.23 So gibt es klassische Ermittlungsmaßnahmen wie der Einsatz von V-Leuten, der bis heute nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist und trotzdem bisher richterlich nicht beanstandet worden ist.24 Der Gesetzesvorbehalt reicht auch nur so weit, wie ein Sachbereich staatlicher Normierung zugänglich ist.25 3.1. Die Rechtslage bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜNReglG) am 01.01.2008 Bereits vor Änderung der möglichen Ermächtigungsgrundlagen in der Strafprozessordnung durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Er- 18 Strafprozeßordnung (StPO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 30 G zur Änd. von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der ZPO, des EGZPO und der AO vom 22. 12. 2011 (BGBl. I S. 3044). 19 BVerfG, Urteil vom 12. 4. 2005 - 2 BvR 581/01; Vgl. aber Christian Jäger: Grund und Grenzen des Gesetzlichkeitsprinzips im Strafprozessrecht, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (GA) 2006, 615; Weiler, in Graul/Wolf (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Dieter Meurer, S. 395 (400). 20 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 62. Ergänzungslieferung 2011, Art. 103 Abs.2 Rn. 167. 21 Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 62. Ergänzungslieferung 2011, Art. 20 Rn. 111. 22 Vgl. Weiler, in Graul/Wolf (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Dieter Meurer, S. 395 (400). 23 Vgl. Christian Jäger: Grund und Grenzen des Gesetzlichkeitsprinzips im Strafprozessrecht, GA 2006, 615 (617 f.) m.w.N. 24 Vgl. Hegmann, in Graf (Hrsg.): Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozeßordnung § 110a Rn. 7. 25 Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 62. Ergänzungslieferung 2011, Art. 20 Rn. 114. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 7 mittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (TKÜNReglG)26 war die einschlägige Rechtsgrundlage für die Ermittlungsmaßnahme der „stillen SMS“ umstritten. 3.1.1 Die §§ 161, 163 i.V.m. §§ 100a, 100 b a.F. StPO als Ermächtigungsgrundlage Auf eine kleine Anfrage u.a. zur gesetzlichen Ermächtigung hin antwortete die damalige Bundesregierung im Jahre 2003, die Behörden des Bundes ermittelten „auf der Grundlage der §§ 161, 163 StPO unter den Voraussetzungen der §§ 100a, 100b StPO.“27 Die Bundesregierung vertrat also offenbar die Rechtsauffassung, die Ermächtigungsgrundlage sei in einer Kombination aus den Ermittlungsgeneralklauseln der §§ 161, 163 StPO28 zusammen mit den §§ 100a, 100 b StPO, also insbesondere dem Katalog der schweren Straftaten des § 100a StPO,29 verbunden mit dem Richtervorbehalt des § 100 b StPO zu finden.30 Insbesondere, soweit über den Beschuldigen ein Bewegungsprofil erstellt werde, indem über genügend kurzen Abständen über einen bestimmten Zeitraum hinweg mittels „stiller SMS“ eine Vielzahl von Telekommunikationsverbindungen hergestellt würden und anschließend über die dabei anfallenden Standortkennungen des „angerufenen“ Mobiltelefons durch die Mobilfunkbetreiber auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden Auskunft erteilt werde, müssten nicht die Voraussetzungen der §§ 100g, h StPO, sondern die (höheren) der §§ 100a, 100 b StPO erfüllt sein.31 26 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (TKÜNReglG) vom 21. November 2007, BGBl I 2007, 3198. 27 BT-Drs. 15/1448 S. 2. 28 § 163 Abs. 1 lautet: „1Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. 2Zu diesem Zweck sind sie befugt, alle Behörden um Auskunft zu ersuchen, bei Gefahr im Verzug auch, die Auskunft zu verlangen, sowie Ermittlungen jeder Art vorzunehmen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regelt.“ 29 Dieser ist gegenwärtig in § 100a Abs.2 geregelt, zum Zeitpunkt der Antwort der Bundesregierung besaß § 100a StPO noch eine andere Fassung ohne Absätze (Fassung vom 20.06.2002 30 So die Interpretation von Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005, 62 (64 in Fn. 21). - Die Antwort der Bundesregierung ist insofern mehrdeutig und changierend, als dass in einer weiteren Antwort (Antwort auf Frage 8, BT-Drs. 15/1448 S. 3) davon die Rede ist, die „eindeutige“ Rechtsgrundlage für die „stille SMS“ „im Zusammenhang mit einer Telekommunikationsüberwachung“ seien die §§ 100a, 100b, ohne dass auf §§ 161, 163 StPO erneut Bezug genommen wird. Danach heißt es, solange kein Bewegungsprofil des Beschuldigten erstellt werde, erscheine die in der Regel richterliche, einzelfallbezogene Anordnung der Auskunftserteilung über mittels „stiller SMS“ generierte Standortkennungen vom Wortlaut des § 100g Abs. 3 Nr. 1 StPO gedeckt. Die Bundesregierung prüfe aber eine klarstellende gesetzliche Regelung im Rahmen der §§ 100g, 100 h. – Die Niedersächsische Landesregierung interpretierte in einer Antwort auf eine kleine Anfrage im Jahre 2003 (LT-Drs. 15/352, S. 4) die Rechtsauffassung der Bundesregierung dahingehend, diese halte bei Erstellung eines Bewegungsprofils per „stiller SMS“ die §§ 100a, b StPO als Ermächtigungsnormen, während der einzelfallbezogene Einsatz der „stillen SMS“ auf der Grundlager der §§ 100g, h StPO möglich sei. 31 BT-Drs. 15/1448 S. 2 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 8 Diese Rechtsauffassung ist im Schrifttum auf Ablehnung gestoßen.32 Insbesondere systematische Gründe sprächen dagegen, durch eine Kombination von §§ 100a, 100 b StPO i.V.m. § 163 StPO die „stille SMS“ zu legitimieren. Durch die Aufteilung der Maßnahme auf verschiedene Rechtsgrundlagen würde ein Grundrechtseingriff ermöglicht, der von der speziellen Ermächtigung allein nicht erfasst wäre. Dies widerspräche der Systematik der StPO, wonach spezielle Maßnahmen einer speziellen Rechtsgrundlage bedürfen.33 Insofern sei eine Aufteilung der Maßnahme in einen nicht grundrechtssensiblen Teil – das Senden der „stillen SMS“, der durch § 163 Abs.1 StPO gedeckt sei – einerseits, und einen grundrechtssensiblen Teil, die Abfrage der so erzeugten Daten nach §§ 100 a, 100 b StPO anderseits, nicht statthaft. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Entscheidung zur Ermittlungsmaßnahme der sog. „Online-Durchsuchung“ festgestellt: „Es ist unzulässig, einzelne Elemente von Eingriffsermächtigungen zu kombinieren, um eine Grundlage für eine neue technisch mögliche Ermittlungsmaßnahme zu schaffen. Dies würde dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes für Eingriffe in Grundrechte (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Grundsatz der Normenklarheit und Tatbestandsbestimmtheit von strafprozessualen Eingriffsnormen widersprechen (vgl. BVerfG NJW 2006, 976, 979; 2005, 1338, 1339 f.; Sieber aaO Rdn. 703 f.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt im Einzelfall gesetzliche Befugnisse, eine fehlende Ermächtigungsgrundlage kann er nicht ersetzen.“34 3.1.2. Die §§ 100 a, 100 b a.F. StPO als Ermächtigungsgrundlage § 100 a StPO ermöglicht, dass ohne Wissen der Betroffenen die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden darf.35 Nach alter Rechtslage36 wurde § 100 a i.V.m. § 100 b StPO, der einen diesbezüglichen Richtervorbehalt statuiert, tlw. von den Strafverfolgungsbehörden als Ermächtigungsgrundlage angesehen.37 Demgegenüber wurde im Schrifttum § 100 a StPO nach alter Rechtslage als Basis einer Maßnahme einer Ortung per „stiller SMS“ abgelehnt.38 32 Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005, 62 (64 f.); i.E. ähnlich Tiedemann Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (65); Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 250 (Kombination von Eingriffsgrundlagen sei Verstoß gegen Bestimmtheitsgebot und Lehre vom Gesetzesvorbehalt). 33 Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005, 62 (64 f.). 34 BGH, Beschl. vom 31.01.2007, Az. StB 18/06 bei Rn. 22 = BGHSt 51, 211. 35 Dies galt auch für den Wortlaut früherer Versionen der Norm. Eine Anpassung an die neuen technischen Gegebenheiten wurde mit Gesetz v 17.12.1997 (BGBl I 1997, 3108) vorgenommen, durch welches der Begriff „Fernmeldeverkehr “ durch „Telekommunikation“ ersetzt wurde (siehe Graf, in: in derselbe [Hrsg.]: Beck’scher Online -Kommentar zur Strafprozeßordnung § 100a Rn. 4). 36 Also bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜN- ReglG) am 01.01.2008. 37 So Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 130 in Fn. 381 (Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt). 38 Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005, 62 (63); Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (65); Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 172, 180; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 9 Zwar erfasse die Überwachung der Telekommunikation auch die sog. Standortdaten, so dass deren Abfrage über § 100 a StPO zulässig sei. Die „stille SMS” beinhalte indes auch die Erzeugung dieser Daten, die also ebenfalls von § 100 a StPO abgedeckt sein müsste. Bei der Überwachung der Telekommunikation handele es sich aber um eine grundsätzlich passive Tätigkeit; ein aktives Vorgehen ist nur insoweit zulässig, als es den für diese Kenntnisnahme notwendigen Zugang zu den betreffenden Daten schafft. Das im Rahmen der Ermittlungsmethode der „stillen SMS” praktizierte „pingen”, also das Senden der „stillen SMS“ stelle sich jedoch als aktive Maßnahme dar, die nicht erst den Zugang zu, sondern die Schaffung von Daten betrifft. Es ließe sich daher nicht unter das Tatbestandsmerkmal „Überwachung der Telekommunikation” fassen und sei somit nicht vom Wortlaut gedeckt.39 3.1.3. Die §§ 100g, 100h a.F. StPO als Ermächtigungsgrundlage § 100g a.F. StPO regelte die Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten durch die Mobilfunkbetreiber. Nach alter Rechtslage40 wurde § 100 g i.V.m. § 100 h StPO, der (i.V.m. § 100 b StPO) einen diesbezüglichen Richtervorbehalt statuierte, tlw. von den Strafverfolgungsbehörden als Ermächtigungsgrundlage angesehen.41 Auch diese Normen wurden als Befugnisgrundlagen für die „stille SMS“ im Schrifttum abgelehnt .42 Nach der alten Fassung des § 100g StPO umfassten die Telekommunikationsverbindungsdaten zwar auch die „Standortkennung“ nach § 100g Abs. 3 Nr. 1. Auskunft über die Standortdaten darf aber nur „im Falle einer Verbindung“ (§ 100g Abs. 3 Nr. 1 a.F. StPO) erteilt werden. Somit sei es nicht ausreichend, wenn sich das Mobiltelefon nur in Stand-by-Betrieb befindet. Auf Grund der beschriebenen Funktionsweise der »stillen SMS« liege aber im Zeitpunkt der Datenabfrage durch die Strafverfolgungsbehörden keine aktive Verbindung vor, d.h., der Betroffene telefoniere nicht oder sende keine SMS. Die Strafverfolgungsbehörden erzeugten durch die „stille SMS“ vielmehr erst die tatbestandlich geforderte Verbindung, um die gesetzlichen Voraussetzungen für die Telekommunikationsauskunft zu erfüllen.43 Nach Wortlaut und auch historischer Auslegung des § 100g a.F. StPO sei dieser somit ebenfalls nicht einschlägig . 39 Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005, 62 (63); so i.E. auch Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 172, 180; auf fehlenden Sinn und Zweck bzgl. § 100a StPO stellt Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (65) ab. 40 Also bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜN- ReglG) am 01.01.2008. 41 So Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 130 in Fn. 382 (Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Celle); vgl. auch die Antwort der Niedersächsischen Landesregierung auf eine kleine Anfrage im Jahre 2003 (LT-Drs. 15/352, S. 4). 42 Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005, 62 (63); Wolter, in: Rogall/Puppe/Stein (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag, S. 733 (744); Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (65 f.); Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 188 f.; 43 Übereinstimmend Eisenberg/Singelnstein NStZ 2005, 62 (63); Tiedemann, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63 (66); Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 188 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 10 3.2 Die gegenwärtige Rechtslage nach Änderung des § 100g StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜNReglG) ab 01.01.2008 Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜNReglG) und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG wurden u.a. die §§ 100a, b sowie die 100 g, h neu gefasst. § 100g StPO Absatz 1 n.F. StPO wurde als allgemeine Befugnis zur Erhebung von Verkehrsdaten ausgestaltet und schafft damit die Möglichkeit einer Echtzeiterhebung von Verkehrsdaten.44 Der bisher in § 100g StPO verwendete Begriff der in § 100g Abs. 3 StPO a.F. abschließend aufgezählten Telekommunikationsverbindungen wurde durch den umfassenderen Begriff der Verkehrsdaten ersetzt. Die Legaldefinition der Verkehrsdaten findet sich in § 3 Nr. 30 TKG45 und wird in § 96 Abs. 1 TKG46, auf den § 100g Abs. 1 S 1 StPO verweist, konkretisiert.47 Die früher in § 100g Abs. 3 StPO enthaltene Voraussetzung „im Falle einer Verbindung“ (s.o.) ist entfallen.48 Damit können nun gemäß § 100g Abs. 1 StPO i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 TKG die Standortdaten in Vergangenheit und Gegenwart erhoben werden. Gemäß § 100g Abs. 1 Satz 3 StPO ist die Erhebung von Standortdaten in Echtzeit jedoch nur im Falle des Satzes 1 Nr. 1 zulässig, also wenn ein substantiierter Tatverdacht bzgl. einer Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Abs. 2 bezeichnete Straftat, vorliegt. 44 BT/Drs. 16/5846 S. 50. 45 § 3 Nr. 30 TKG (Begriffsbestimmungen) lautet: „»Verkehrsdaten« Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden“ 46 § 96 Abs.1 Satz 1 TKG lauter: „(1) 1Der Diensteanbieter darf folgende Verkehrsdaten erheben, soweit dies für die in diesem Abschnitt genannten Zwecke erforderlich ist: 1.die Nummer oder Kennung der beteiligten Anschlüsse oder der Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen , bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten, 2.den Beginn und das Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen, 3.den vom Nutzer in Anspruch genommenen Telekommunikationsdienst, 4.die Endpunkte von festgeschalteten Verbindungen, ihren Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen, 5.sonstige zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation sowie zur Entgeltabrechnung notwenige Verkehrsdaten.“ 47 Hegmann, in Graf (Hrsg.): Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozessordnung § 100g Rn. 1. 48 Bär, Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen - Gesetzliche Neuregelungen zum 1.1.2008, Multimedia und Recht (MMR) 2008, 215 (220); Hegmann, in Graf (Hrsg.): Beck’scher Online -Kommentar zur Strafprozessordnung § 100g Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 11 Ausweislich der Gesetzesbegründung charakterisierte die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung § 100g StPO dahingehend: „§ 100g StPO wird daher nicht mehr allein als Regelung eines Auskunftsanspruchs gegenüber Telekommunikationsdiensteanbietern sondern als umfassende Erhebungsbefugnis für Verkehrsdaten ausgestaltet."49 Eine explizite Regelung der „stillen SMS“ erfolgte aber nicht. In der Gesetzesbegründung heißt es weiterhin, die Neuregelung des § 100g StPO könne im Falle der Erhebung von Standortdaten „die – rechtlich umstrittene – Übersendung einer »stillen SMS« (»Stealth-Ping-Verfahren«) entbehrlich machen, so dass – z. B. zur Ermöglichung oder Erleichterung von Observationsmaßnahmen – die Standortdaten eines eingeschalteten Mobiltelefons auch dann in Echtzeit erhoben werden können, wenn dieses aktuell nicht genutzt wird.“50 Im Schrifttum ist diese Passage der Gesetzesbegründung oftmals aufgegriffen worden, und zwar im Sinne der Annahme einer tatsächlichen Entbehrlichkeit der Ermittlungsmethode „stille SMS“ aufgrund der Möglichkeit der Standortdatenerhebung auch dann, wenn mit dem Mobiltelefon gerade nicht telefoniert wird.51 Dies ist allerdings ausweislich der Antwort der Bundesregierung und der Landesregierungen bzgl. der gegenwärtigen Bedeutung der „stillen SMS“ nicht der Fall (s.o.), d.h. diese Ermittlungsmethode wird weiterhin häufig angewendet. Ein Grund dürfte darin liegen, dass die durch die Einbuchung in eine Funkzelle entstehenden Standortdaten für die Ermittlungsbehörden regelmäßig nicht mehr verfügbar sind, da § 96 Abs. 2 i.Vm. Abs. 1 TKG anordnet, dass diese unverzüglich zu löschen sind, soweit diese für die Entgeltermittlung und Entgeltabrechnung sowie andere durch gesetzliche Vorschriften begründeten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.52 Mithin ist fraglich, ob nach Änderung der Gesetzeslage nunmehr eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage vorliegt. 49 BT-Drs. 16-5846 S. 50. 50 BT-Drs. 16/5846 S. 51. 51 Vgl. Bär, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger (Hrsg.), Kommentar zur Strafprozessordnung, § 100g Rn. 14 (58. EL August 2010); derselbe, MMR 2008, 215 (220 f.); Hegmann, in Graf (Hrsg.): Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozessordnung § 100g Rn. 8; Meyer/Goßner, Strafprozessordnung Kommentar, 54. Auflage 2011 § 100g Rn. 6. 52 Vgl. auch schon zur alten Rechtslage Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008, S. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 12 3.2.1 Die §§ 100 a, 100 b n.F. StPO als Ermächtigungsgrundlage Die §§ 100 a, 100 b StPO wurden hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Telekommunikationsüberwachung nicht geändert, sodass die oben referierten Bedenken im Schrifttum weiterbestehen (siehe 3.1.2.). Gegenwärtig lehnt Burhoff mit Verweis der Argumente von Eisenberg /Singelstein § 100a StPO als Rechtsgrundlage ab.53 Die Landesregierung NRW begründet dagegen in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage vom 28.09.201154 die Ermittlungsmethode des Versenden von Ortungsimpulsen, also der „stillen SMS“, mit § 100a StPO; ebenso der Hamburgische Senat in seiner Antwort auf eine kleine Anfrage vom 04.01.2012.55 3.2.2 § 100g n.F. StPO als Ermächtigungsgrundlage In kleinen Anfragen beziehen sich sowohl die niedersächsische wie die sachsen-anhaltinische Landesregierungen auf § 100g StPO als Befugnisnorm für die Ortung per „stiller SMS“.56 Zwar ist tlw. von den „§§ 100a, 100g StPO“ die Rede,57 aber im Kontext ergibt sich, dass damit wohl nicht § 100a StPO als unmittelbare Ermächtigungsgrundlage gemeint ist, sondern lediglich der Bezug in § 100g StPO auf den Straftatenkatalog des § 100a StPO. Nach einer Auffassung im Schrifttum sind jedenfalls die oben dargelegten Bedenken (3.1.3) hinsichtlich des Wortlauts der Norm entfallen, so Wolter:„Und mit § 100g Abs. 1 S. 3 ist auch die Unzulässigkeit der in der Praxis erprobten sog. Stillen SMS (»Stealth-Ping-Verfahren«) entfallen (…) § 100g Abs. 1 S. 3 hat das Problem (vermeintlich) durch Verzicht auf das Vorliegen einer Telekommunikationsverbindung »beseitigt«. Jedoch bleibt der Einwand der Unverhältnismäßigkeit , weil die Maßnahme u.a. dem Zwecke der Ermöglichung von Observationsmaßnahmen mit der Gefahr der Schaffung eines Bewegungs- und Persönlichkeitsprofils von der Eingriffstiefe (nicht von der Sache) her § 100a näher steht.“58 Demzufolge hält Wolter den Einsatz der „stillen SMS“ vom Wortlaut des § 100g StPO gedeckt, die Maßnahme aus grundrechtlicher Perspektive aber für unverhältnismäßig. 53 Burhoff, Handbuch des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, 5. Auflage Münster 2010, Rn. 1586a; ebenso derselbe, Stellungnahme Heymanns Strafrecht Online Blog, http://blog.strafrecht-online.de/2012/01/handyund -gendarm-oder-es-gibt-sie-doch-die-stille-sms/ (abgerufen am 18.01.2012). 54 S. 2 sowie 4 der Antwort der Landesregierung Nordrhein-Westfalen auf eine kleine Anfrage LT-Drs. 15/2905, abrufbar unter http://euro-police.noblogs.org/files/2011/11/2011-11-11-Antwort-Kleine-Anfrage-Stille-SMS.pdf 55 Antwort des Senats der Freien Hansestadt Hamburg auf eine kleine Anfrage vom 04.01.2012, Bürgerschafts- Drucksache 20/2751 S. 1. 56 Vgl. Antwort der Landesregierung Sachsen-Anhalt auf eine kleine Anfrage, LT-Drs. 6/707 S. 2 ; Antwort des niedersächsischen Innenministers Schünemann in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 16.09.2011, Fragestunde Nr. 33. 57 Antwort des niedersächsischen Innenministers Schünemann in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 16.09.2011, Fragestunde Nr. 33. 58 Wolter, in: Degener/Deiters/u.a. (Hrsg.), Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung (SK-StPO), 4. Auflage 2010, § 100a Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 13 Nach anderer Auffassung bestehen aber die Bedenken hinsichtlich des Wortlauts fort, zwar nicht in dem Maße, wie zur alten Rechtslage (siehe oben 3.1.3.), aber aufgrund des Tatbestandsmerkmals der Daten-Erhebung in § 100g Abs.1 Satz 1, so etwa Burhoff mit Verweis auf Eisenberg /Singelnstein: „Die [Hinweis: gemeint wohl „Da von“] § 100g, nur die Auskunft über die Daten erfasst wird, nicht hingegen deren Erzeugung dient er nicht als Rechtsgrundlage für die Überwachung mit »stiller SMS«“59 4. Rechtsgrundlagen für den Einsatz der „stillen SMS“ nach Polizeirecht In einzelnen Bundesländern gibt es Spezialbefugnisse in den Polizeigesetzen für die Ortung per SMS für gefahrenabwehrrechtliche Zwecke bzw. zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. So sieht § 33 b Abs. 3 Nr. 2 Brandenburgisches Polizeigesetz eine entsprechende, ausdrücklich auf Ortung per „stiller SMS“ zugeschnitte Befugnisnorm vor.60 Eine ähnliche Regelung findet sich etwa § 34a Abs. 2 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes.61 Demgegenüber besteht eine entsprechende Befugnisnorm im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Berlin62 nur im Falle einer vermissten, suizidgefährdeten oder einen Not- 59 Burhoff, Handbuch des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, 5. Auflage Münster 2010, Rn. 237 c; derselbe, Stellungnahme Heymanns Strafrecht Online Blog, http://blog.strafrecht-online.de/2012/01/handy-und-gendarmoder -es-gibt-sie-doch-die-stille-sms/ (abgerufen am 18.01.2012); ebenso: Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht im Polizeidienst Band II, 9. Auflage Witten 2010, S. 271 im Kontext der strafprozessualen Befugnisnormen mit Verweis auf Eisenberg/Singelnstein; so auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO Spezialkommentar , 7. Auflage 2011 Rn. 2485: „„Durch die Neufassung von § 100 g Abs 1 S 1 haben sich diesbezügliche Umgehungspraktiken , wie die so genannte »stille SMS« (»stealth SMS«, »verdeckte SMS«) zum großen Teil erübrigt (vgl 2475), also die heimliche Ortung bzw Bewegungsprofilerstellung mittels Abfrage von Verkehrsdaten, die zuvor erst von den Ermittlern selbst durch das verdeckte Senden eines Signals (»ping«) an das betreffende Mobilfunkendgerät erzeugt worden sind. Deren Unzulässigkeit ergibt sich daraus, dass speziell eine solche Erzeugung von sodann abfragbaren Verkehrsdaten weder von den Überwachungsregelungen noch einer Annexkompetenz oder den Generalklauseln der §§ 161, 163 gedeckt ist. Eine künstliche Aufteilung von Ermittlungsmaßnahmen auf verschiedene, kumulativ heranzuziehende Rechtsgrundlagen verbietet sich ohnehin“ 60 § 33 b Abs.3 Nr.2 BbgPolG lautet: „Die Polizei kann unter den Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 auch technische Mittel einsetzen, um (…) den Standort eines Mobilfunkendgerätes zu ermitteln.“ 61 Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990, letzte berücksichtigte Änderung: Art. 33 Abs. 5 Satz 2 geänd. (§ 14 G v. 20.12.2011, 689). 62 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheitsund Ordnungsgesetz - ASOG Bln) in der Fassung vom 11. Oktober 2006, letzte berücksichtigte Änderung: Anlage geändert durch Gesetz vom 18.09.2011 (GVBl. S. 482). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 14 ruf auslösenden, gefährdeten hilflosen Person, nicht in anderen Störerfällen oder Fällen der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten.63 Im Übrigen ist im Schrifttum umstritten, ob in denjenigen Ländern, in denen eine ausdrückliche Befugnisnorm nicht besteht, ein Rückgriff auf die polizeirechtliche General(erhebungs-)klausel möglich ist. Der Streit ähnelt dem oben dargestellten bzgl. des Rückgriffs auf §§ 161, 163 StPO (3.1.1.). Allerdings erlaubt nach allgemeiner Meinung die polizeirechtliche Generalklausel mehr als die recht junge strafprozessuale Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161, 163 StPO.64 Petri etwa vertritt mit ausdrücklichem Verweis auf Eisenberg/Singelnstein die Auffassung, die Generalerhebungsklausel stünde in einem Subsidiaritätsverhältnis zu den Spezialbefugnissen der Telekommunikationsüberwachung; existierten Spezialbefugnisregelungen in den Polizeigesetzen, sei ein Rückgriff gesperrt.65 Nach anderer Auffassung ist eine Aufspaltung der Maßnahme mit Rückgriff auf die Generalerhebungsklausel bzgl. des Versendens der „stillen SMS“ möglich.66 5. Rechtsgrundlagen für den Einsatz der „stillen SMS“ nach dem Gesetz über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter Gemäß § 23g Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter (ZFdG) ist die Erhebung von Standortdaten (mit einem entsprechenden Verweis auf § 96 TKG wie bei § 100g StPO) ohne Wissen des Betroffenen bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, möglich, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen Straftaten i.S.d. Katalogs des § 23a Abs. 1 ZFdG vorbereitet oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 23 a Abs.3 ZFdG erheblich gefährdet. Nach Satz 2 des Absatzes 1 der Vorschrift ist auch die Erhebung von Standortdaten in Echtzeit zulässig. Abs.3 statuiert einen entsprechenden Richtervorbehalt, bei Gefahr in Verzug darf die Maßnahme durch das Bundesministerium für Finanzen angeordnet werden, muss aber binnen drei Tagen gerichtlich bestätigt werden. 63 § 25a Abs. 2 ASOG Bln lautet: „Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 können Polizei und Feuerwehr technische Mittel einsetzen, um den Standort eines von der vermissten, suizidgefährdeten oder einen Notruf auslösenden gefährdeten hilflosen Person mitgeführten Telekommunikationsendgerätes zu ermitteln.“ 64 Eingefügt durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts - Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 (StVÄG 1999) vom 02.08.2000, BGBl 2000 I, 1253. 65 Petri, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage 2007, Kapitel H. Rn. 319, S. 927. 66 Etwa Ebert/Honnacker/Seel, Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei – Polizeiaufgabengesetz (PAG), 4. Auflage 2005, § 34a Rn. 16: Polizeirechtlich könne das Versenden auf § 32 Abs.1 ThürPAG – die Generalklausel für das Erheben personenbezogener Daten – gestützt werden, die Einholung der Auskunft beruhe hingegen auf § 34a ThürPAG, sodass hier ggfls. ein Richtervorbehalt zu beachten sei. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 15 Entsprechende Literatur oder Rechtsprechung konnte nicht ermittelt werden. Die Problematik hinsichtlich des Datenerhebungsbegriffs und der Subsumtion der „Datenerzeugung“ darunter stellt sich genauso wie bei § 100g StPO. Der Wortlaut des § 23 g ZFdG ist indes noch problematischer , da er als Adressaten der Datenerhebung ausdrücklich nur den Telekommunikationsdienstleister nennt. 6. Rechtsschutz § 101 StPO enthält detaillierte Kennzeichnungs-, Benachrichtigungs- und Löschungsregeln. Nach § 101 Abs. 4 Nr. 6 StPO sind die Beteiligten der betroffenen Telekommunikation zu benachrichtigen . Die Benachrichtigung erfolgt allerdings gemäß Abs. 5 erst, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten möglich ist. § 101 Abs. 7 S 2 StPO gibt allen dort genannten Personen, in deren Rechte durch eine verdeckte Maßnahme eingegriffen wurde, die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Anordnung auch nach ihrer Beendigung und die Art und Weise ihres Vollzugs gerichtlich überprüfen zu lassen, ohne dass damit – von den Fällen des § 100c Abs. 7 S 2 StPO abgesehen - eine Aussage über die Verwertbarkeit der aus der Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse verbunden ist.67 § 101 Abs. 7 StPO enthält eine abschließende Spezialregelung für alle in § 101 Abs. 1 StPO genannten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen und verdrängt insoweit die allgemeinen Rechtsbehelfe.68 67 Hegmann, in Graf (Hrsg.): Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozessordnung § 101 Rn. 42 mit Verweis auf BT-Drs 16/5846, S. 62. 68 BGH NStZ 2009, 104; Hegmann, in Graf (Hrsg.): Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozessordnung § 101 Rn. 42; a.A. Singelnstein NStZ 2009, 481. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7- 3000 -008/12 Seite 16 7 Ausgewählte Literatur Eisenberg/Singelnstein, Zur Unzulässigkeit der heimlichen Ortung per „stiller SMS“, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2005, 62. Christian Jäger: Grund und Grenzen des Gesetzlichkeitsprinzips im Strafprozessrecht, Goltdammer ’s Archiv für Strafrecht (GA) 2006, 615 ff. Tiedemann, Die „stille SMS“ – Überwachung im Mobilfunk, Kommunikation & Recht (K&R) 2004, 63. Tölpe, Die strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme „stille SMS“, Berlin 2008. Wolter, Potential für eine Totalüberwachung im Strafprozess- und Polizeirecht (auch: Handy- Standort und Stand-by, Fang-SMS und IMSI-catching), in: Rogall/Puppe/Stein (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag, S. 733 ff.