© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 006/18 Zur Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Auslandstaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 006/18 Seite 2 Zur Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Auslandstaten Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 006/18 Abschluss der Arbeit: 12. Januar 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 006/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grundsatz 4 3. Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 6 Nr. 9 StGB 4 4. Voraussetzungen für einen „systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung“ gemäß § 7 Absatz 1 VStGB 5 5. Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 129b StGB 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 006/18 Seite 4 1. Einleitung Zur strafrechtlichen Einordnung von nicht als Völkermord im Sinne von § 6 VStGB1 zu qualifizierenden individuellen Tötungshandlungen eines sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhaltenden Nicht-EU-Ausländers in seinem Heimatland nach deutschem Strafrecht werden im Folgenden ausgewählte rechtliche Implikationen summarisch aufgezeigt. 2. Grundsatz Das deutsche Strafrecht gilt – dem Territorialitätsprinzip entsprechend2 – generell für Taten, die auf deutschem Staatsgebiet begangen werden (§ 3 StGB3). Für Taten, die im Ausland begangen werden, gilt es nur, soweit dies ausdrücklich geregelt ist. So klassifiziert etwa § 5 StGB unterschiedliche außerhalb des deutschen Staatsgebiets verwirklichte Straftbestände als „Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug“ und statuiert, dass in diesen Fällen das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts gilt. Für die eingangs geschilderte Fallkonstellation ist nicht ersichtlich, dass § 5 StGB eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts eröffnen könnte. 3. Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 6 Nr. 9 StGB § 6 StGB normiert als Ausdruck des so genannten Weltrechtsprinzips4 die Geltung des deutschen Strafrechts für bestimmte Auslandstaten gegen international geschützte Rechtsgüter auch dann, wenn kein konkreter Anknüpfungspunkt im Inland besteht.5 Die Bundesrepublik Deutschland übt insofern abgeleitete Strafgewalt aus, indem sie die Tat „treuhänderisch“ für die gesamte Staatengemeinschaft verfolgt.6 Gemäß § 6 Nr. 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts auch für solche im Ausland begangene „Taten, die auf Grund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden.“ Grundsätzlich sind von diesem Begriff des zwischenstaatlichen Abkommens erfasst „alle völkerrechtlichen Verträge, die die Bundesrepublik mit einem oder mehreren Staaten geschlossen hat. 1 Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3150) geändert worden ist. 2 Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 3 Rdn. 1; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, Vor §§ 3–7 Rdn. 3. 3 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 4 Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, Vor §§ 3–7 Rdn. 3. 5 von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 36. Edition, Stand: 01.11.2017, Rdn. 1. 6 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, Rdn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 006/18 Seite 5 Nr. 9 ist daher auch auf regional begrenzte Abkommen, insbesondere die des Europarates, anwendbar . Die Verbindlichkeit setzt die Verabschiedung eines parlamentarischen Zustimmungsgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG) und die Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt II voraus.“7 Ein Abkommen in diesem Sinne liegt jedoch nur vor, wenn es eine Verfolgungspflicht enthält; eine bloße Befugnis zur Verfolgung reichte deswegen nicht aus.8 Jedes in Betracht kommende Übereinkommen ist deshalb daraufhin zu überprüfen, ob es das Weltrechtsprinzip oder nur das Territorialitätsprinzip oder das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege begründet – und nur, wo das Weltrechtsprinzip verbindlich normiert ist, kann ein Fall von § 6 Nr. 9 StGB vorliegen .9 4. Voraussetzungen für einen „systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung“ gemäß § 7 Absatz 1 VStGB § 7 VStGB stellt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter anderem unter Strafe, „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“ einen Menschen zu töten (§ 7 Absatz 1 Nr. 1 VStGB). § 7 VStGB beruht auf Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut)10.11 Zum Tatbestandsmerkmal des Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung gilt im Einzelnen Folgendes: „Nach der Legaldefinition in Art. 7 IIa des Römischen Statuts, auf die ausweislich der Gesetzesbegründung zur Auslegung des § 7 I VStGB zurückgegriffen werden soll, liegt ein „Angriff gegen eine Zivilbevölkerung” in einer „Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in [Art. 7] Abs. 1 genannten Handlungen verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat”. Hinter dem Angriff muss somit ein Kollektiv stehen, bei dem es sich typischer-, jedoch nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne handelt. Ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts wird zur Tatbestandsverwirklichung nicht vorausgesetzt . Ebenso wenig bedarf es einer Gewaltanwendung im Sinne körperlich wirkenden Zwangs; vielmehr genügt jede Form der Misshandlung der Zivilbevölkerung, so etwa auch die „Auferlegung eines Apartheid-Systems”. Tatobjekt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit muss eine Zivilbevölkerung in ihrer Gesamtheit sein, nicht lediglich Einzelpersonen. Dass der Angriff sich gegen die ganze Bevölkerung eines bestimmten Staates oder Gebietes 7 Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 6 Rn. 17. 8 Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 6 Rn. 17. 9 Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 6 Rdn. 9. 10 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Angenommen am 17. Juli 1998 auf der Diplomatischen Bevollmächtigtenkonferenz der Vereinten Nationen zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, BT-Drs. 14/2682, S. 9 ff. 11 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches, BT-Drs. 14/8542, S. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 006/18 Seite 6 richtet, ist indes nicht erforderlich. Im Vordergrund steht der kollektive Charakter des Verbrechens , nicht die Individualität der jeweiligen Tatopfer.“12 Ein solcher Angriff müsse „schon begrifflich mit der mehrfachen Begehung von in Abs. 1 genannten Taten verbunden sein. Eine mehrfache Begehung liegt sowohl dann vor, wenn dieselbe Tatbestandsalternative mehrfach verwirklicht wird, als auch dann, wenn jeweils verschiedene Tatbestandsalternativen verwirklicht werden. Ein einzelner Täter muss dabei nicht selbst mehrfach handeln. Vielmehr kann bereits die „einzelne“ vorsätzliche Tötung den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen, wenn sich die Einzeltat in den funktionalen Gesamtzusammenhang einfügt. (…) Schließlich kann eine mehrfache Begehung auch in einer Vielzahl von Verletzungen höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Personen durch einen einzelnen Vorgang („Einmalschlag“) bestehen. (…) Andererseits stellt eine mehrfache Tatbegehung nicht ohne weiteres einen „ausgedehnten“ Angriff dar.“13 „Systematisch“ ist ein solcher Angriff, „wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird.“14 Das Tatbestandsmerkmal „systematisch “ soll dazu dienen, bloß isoliert auftretende oder zufällige Taten aus dem Anwendungsbereich des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit auszuscheiden.15 5. Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 129b StGB § 129b StGB – Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland – knüpft hinsichtlich des Vereinigungsbegriffes an die §§ 129, 129a StGB an.16 Demnach muss eine Vereinigung vorliegen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit entweder allgemein darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen (kriminelle Vereinigung, § 129 StGB), oder darauf, die in § 129a StGB aufgezählten schweren Delikte zu begehen (terroristische Vereinigung, § 129a StGB) – insbesondere Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB). Das Bestehen einer „Vereinigung“ setzt nach herrschender Meinung voraus, dass ein auf eine gewisse Dauer berechneter organisatorischer Zusammenschluss einer Anzahl von Personen vorliegt , die bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander 12 Barthe, Der Straftatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in § 7 VStGB in der staatsanwaltschaftlichen Praxis – Zur Abgrenzung von Völkerstraftaten und allgemeinen Delikten, NStZ 2012, 247, 249 f. Vgl. auch Werle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2018, § 7 VStGB Rdn. 15 ff. 13 Werle (a.a.O.) § 7 VStGB Rdn. 24. 14 Werle (a.a.O.) § 7 VStGB Rdn. 27. 15 Barthe, Der Straftatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in § 7 VStGB in der staatsanwaltschaftlichen Praxis – Zur Abgrenzung von Völkerstraftaten und allgemeinen Delikten, NStZ 2012, 247, 250 m.w.N. 16 Vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 129b Rdn. 5 ff.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, § 129b Rdn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 006/18 Seite 7 als einheitlicher Verband fühlen.17 Die einschlägige Zweckgerichtetheit liegt vor, wenn die Organisation nach dem Willen der für ihre Willensbildung maßgeblichen Personen das Ziel verfolgt, strafbare Handlungen zu begehen und wenn sie deshalb auch ihrer inneren Struktur nach zweckrational daraufhin angelegt ist.18 Das bloße Bewusstsein, es könne zu Straftaten kommen, ohne dass diese als Ziel und Zweck des Zusammenschlusses angestrebt werden, ist nicht hinreichend .19 Andererseits ist nicht notwendig, „dass kriminelle Aktionen den Hauptzweck oder die ausschließliche Tätigkeit der Vereinigung ausmachen; auch brauchen sie nicht der Endzweck zu sein, vielmehr genügt es, wenn sie die Erreichung des eigentlichen Ziels nur vorbereiten sollen (BGH 15 260, 27 326, 41 56). Immer aber müssen sie die Zielsetzung und die innere Struktur der Vereinigung jedenfalls mitprägen ….“20 Ob diese Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, kann nur im jeweiligen Einzelfall unter Einbeziehung sämtlicher relevanter Umstände beurteilt werden. Allerdings fallen ausländische Vereinigungen , deren Bestrebungen sich allein auf Verhaltensweisen richten, die nach deutschem Recht keine Straftaten darstellen, von vornherein nicht unter § 129b.21 Gleiches soll auch im umgekehrten Fall gelten, also wenn eine Tat in Deutschland strafbar ist, am ausländischen Tatort jedoch straflos wäre.22 Liegen den fraglichen Handlungen vor Ort geltende gesetzliche Regelungen zugrunde, ist zudem zu beachten, dass nach deutschem Recht die Befolgung eines Gesetzes als Handeln in einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB einzuordnen sein kann, selbst wenn das betreffende Gesetz völkerrechtswidrig sein sollte.23 Für Taten nach § 129b Absatz 1 Satz 2 StGB ist gemäß § 129b Absatz 1 Satz 3–5 StGB eine Verfolgungsermächtigung erforderlich, die gegebenenfalls vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erteilt wird. Die Staatsanwaltschaft holt sie von Amts wegen ein; bis zur Entscheidung sind Strafverfolgungsmaßnahmen jedenfalls insoweit zulässig, als sie unaufschiebbar sind.24 Die keiner Begründung bedürfende Ermessensentscheidung des Ministeriums unterliegt 17 Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, § 129 Rdn. 4 m.w.N. 18 Sternberg-Lieben (a.a.O.) § 129 Rdn. 7. 19 Sternberg-Lieben (a.a.O.) § 129 Rdn. 7 m.w.N. 20 Sternberg-Lieben (a.a.O.) § 129 Rdn. 7. 21 Sternberg-Lieben (a.a.O.) § 129b Rdn. 4. 22 Sternberg-Lieben (a.a.O.) § 129b Rdn. 4; Altvater, Das 34. Strafrechtsänderungsgesetz - § 129b StGB, NStZ 2003, 179, 180. 23 Weigend, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2018, § 3 VStGB Rdn. 10 Fn. 28. 24 Altvater, Das 34. Strafrechtsänderungsgesetz - § 129b StGB, NStZ 2003, 179, 182. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 006/18 Seite 8 keiner Befristung und kann bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens jederzeit zurückgenommen werden.25 Zweck des Ermächtigungsvorbehalts ist es unter anderem, der Bundesregierung die Möglichkeit einzuräumen, aus außenpolitischen Erwägungen auf die Durchführung eines Strafverfahrens zu verzichten.26 * * * 25 von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 36. Edition, Stand: 01.11.201, Rdn. 9. 26 von Heintschel-Heinegg (a.a.O.) Rdn. 9.1.