© 2014 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 246/14 Rechtliche Erwägungen zur Einführung von Mitbestimmungsrechten für Werkstatträte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 2 Rechtliche Erwägungen zur Einführung von Mitbestimmungsrechten für Werkstatträte Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 246/14 Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2014 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Abgrenzung von Arbeitnehmern zu arbeitnehmerähnlichen Personen 5 3. Abgrenzung von Mitwirkungs- zu Mitbestimmungsrechten 6 4. Mitwirkungsrechte nach der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung 7 5. Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf arbeitnehmerähnliche Personen 8 5.1. Grundsätzliche Möglichkeit der Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf arbeitnehmerähnlich Personen 8 5.2. Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf die im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigten behinderten Menschen 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 4 1. Einleitung Die Werkstatt für behinderte Menschen ist eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben.1 § 138 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) bestimmt, dass behinderte Menschen, wenn sie nicht Arbeitnehmer sind, im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten zu den Werkstätten in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen. Durch diese Festlegung soll dem im Arbeitsbereich dieser Werkstätten beschäftigten Personenkreis der Schutz der arbeitsrechtlichen Vorschriften zu Gute kommen .2 Nicht erfasst von der Vorschrift werden diejenigen im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen, die Arbeitnehmer sind.3 Für diese gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze.4 Im Folgenden wird daher nur auf die behinderten Menschen eingegangen, die im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sind und in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen. Nach § 139 SGB IX wirken die behinderten Menschen unabhängig von ihrer Geschäftsfähigkeit durch Werkstatträte in den ihre Interessen berührenden Angelegenheiten der Werkstatt mit. Die Norm regelt die Mitwirkung der im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen tätigen behinderten Menschen, die in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen.5 Diese behinderten Menschen können durch einen sog. Werkstattrat vertreten werden. Konkretisiert wird die Vorschrift durch die auf der Grundlage von § 144 Abs. 2 SGB IX erlassene Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO).6 Die Bundesvereinigung der Landesarbeitsgemeinschaften der Werkstatträte (BVWR) ist eine bundesweite Interessenvertretung der Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen und setzt sich für eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation in den Werkstätten ein.7 Sie hält die WMVO für unzureichend und fordert konkrete Änderungen. Eine der Forderung der BVWR zielt auf die Einführung von Mitbestimmungsrechte für Werkstatträte ab.8 Ob die Einführung von Mitbestimmungsrechten rechtlich zulässig ist, soll im Folgenden erörtert werden. Über die Gebotenheit einer solchen Regelung kann der Wissenschaftliche Dienst jedoch keine Einschätzung abgeben, da dies allein eine politische Frage ist. 1 Legaldefinition nach § 136 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. 2 GÖTZE, Bernd, in: Hauck/Noftz, Werkstand: 08/03, SGB IX § 138 Rn. 6. 3 Das ergibt sich aus der Formulierung: „[…], wenn sie nicht Arbeitnehmer sind, […].“ 4 GÖTZE, Bernd, (Fn. 2) Rn. 5. 5 KOSSENS, Michael, in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 3. Aufl. 2009, § 139, Rn. 1. 6 Werkstätten-Mitwirkungsverordnung vom 25. Juni 2001, BGBl. I S. 1297. 7 Selbstdarstellung der BVWR in dem Positionspapier zur Weiterentwicklung des WMVO vom 1.Juli 2011, abrufbar unter: http://www.bvwr.de/uploads/media/Positionspapier_WMVO_Stand_Juni_2012.pdf?PHP- SESSID=7a2c08943f3f1271d495f65e6d80bbd4 [Abruf: 9. Dezemberr 2014]. 8 Positionspapier zur Weiterentwicklung des WMVO der BVWR (Fn.7). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 5 2. Abgrenzung von Arbeitnehmern zu arbeitnehmerähnlichen Personen Da § 138 Abs. 1 SGB IX bestimmt, dass behinderte Menschen, wenn sie nicht Arbeitnehmer sind, in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen, ist eine Abgrenzung des Arbeitnehmers von der arbeitsnehmerähnlichen Person erforderlich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Arbeitnehmer, „wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.“9 Der Arbeitsvertrag ist dabei ein zweiseitiger Vertrag (Austauschvertrag), dessen Hauptleistungspflichten – die weisungsgebundene Tätigkeit einerseits und die vertraglich vereinbarte Vergütung andererseits – in einem Synallagma stehen.10 § 12a Tarifvertragsgesetz (TVG)11 definiert den Begriff der arbeitnehmerähnlichen Personen. Danach sind arbeitnehmerähnliche Personen solche, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind, wenn sie auf Grund von Dienst- oder Werkverträgen für andere Personen tätig sind, die geschuldeten Leistungen persönlich und im wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringen und entweder überwiegend für eine Person tätig sind oder ihnen von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihnen für ihre Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht. Nach der Definition des § 12a Abs. 1 TVG sind arbeitnehmerähnliche Personen damit solche Personen, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind.12 Diesen gesetzlichen Wertungen entspricht auch die Definition der arbeitnehmerähnlichen Person in der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.13 Die soziale Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Person ist gegeben, wenn das Maß der Abhängigkeit vergleichbar ist mit der Abhängigkeit in einem Arbeitsverhältnis und die Person Dienstleistungen erbringt, die als arbeitnehmertypisch einzuordnen sind. Bei der Bewertung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.14 9 Vgl. nur BAG, Urteil vom 24. Oktober 2001, Az.: 5 AZR 33/00. 10 PREIS, Ulrich, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Aufl. 2015, § 611 Rn. 3. 11 Tarifvertragsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 (BGBl. I S. 1323), zuletzt geändert durch Art. 5 Tarifautonomiestärkungsgesetz vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348). 12 GÖTZE, Bernd, (Fn. 2) Rn. 6. 13 ROST, Friedhelm, Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen im Betriebsverfassungsgesetz. In: NZA 1999, S. 113-121 (115). 14 BAG, Urteil vom 2. Oktober 1990,Az.: 4 AZR 106/90. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 6 Arbeitnehmerähnlichen Personen sind somit – im Gegensatz zum Arbeitnehmer – von ihrem Auftraggeber nicht persönlich abhängig.15 Ihre Tätigkeit erfolgt grundsätzlich nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages, sondern im Rahmen eines freien Dienst- oder Werkvertrages oder eines vergleichbaren Vertragstypus. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind arbeitnehmerähnlichen Personen der Gruppe der Selbstständigen zuzuordnen. Von diesen unterscheiden sie sich jedoch insofern, als dass sie von ihrem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig und daher einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sind.16 Um diesem gegenüber den übrigen Selbstständigen erhöhten Maß an Schutzwürdigkeit Rechnung zu tragen, finden bestimmte arbeitsrechtliche Bestimmungen auch auf arbeitnehmerähnlichen Personen Anwendung.17 Eine über die ausdrücklich geregelten Fälle hinausgehende analoge Anwendung sonstiger arbeitsrechtlicher Regelungen auf arbeitnehmerähnliche Personen lehnt das Bundesarbeitsgericht jedoch bisher ab.18 Die Frage, ob ein behinderter Mensch in einem Arbeitsverhältnis steht, richtet sich nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Kriterien, also dem Grad der persönlichen Abhängigkeit sowie dem Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Ort und Dauer der Ausführung der vereinbarten Dienste. Liegt ein umfassendes Weisungsrecht vor, besteht ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis . Bei Arbeitnehmern im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen muss daher die Arbeitsleistung gegenüber dem Betreuungs- oder Pflegeaufkommen für den behinderten Menschen deutlich überwiegen.19 Die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen wird damit im Einzelfall daran zu messen sein, ob das wirtschaftliche Ergebnis der Arbeit oder der therapeutische Effekt der Tätigkeit im Vordergrund steht.20 3. Abgrenzung von Mitwirkungs- zu Mitbestimmungsrechten Der Begriff der Mitbestimmung umschreibt die Partizipation von Personen und Personengruppen an gesellschaftlichen Entscheidungen.21 Mitbestimmungsrechte ermöglichen es Arbeitnehmern, ihre von den Auffassungen des Arbeitgebers abweichenden Vorstellungen zu innerbetrieblichen 15 LANGER, Heiko, in: Grobys/Panzer, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 2. Aufl., Edition 2 2014, Arbeitnehmerähnliche Person, Rn. 1. 16 LANGER, Heiko, (Fn. 15) Rn. 1. 17 So gelten z.B. nach § 2 S. 2 BurlG die Bestimmungen des BurlG auch für arbeitnehmerähnliche Personen. Des Weiteren wird durch § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG und § 2 Abs. 2 Nr. 3 ArbSchG gewährleistet, dass arbeitnehmerähnliche Personen wie Arbeitnehmer Diskriminierungs- und Gesundheitsschutz genießen. 18 BAG, Urteil vom 08.05.2007, Az.: 9 AZR 777/06. 19 JABBEN, Jürgen, in: BeckOK SozR, Stand: 1. September 2014, Ed. 35, SGB IX § 138 Rn. 4. 20 JABBEN, Jürgen, (Fn. 19) Rn. 5; PAHLEN, Ronald, in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 12. Aufl. 2010, § 138 SGB IX, Rn. 11. 21 Definition nach BROCKHAUS online, https://deutscher-bundestag.brockhaus-wissensservice.com/brockhaus /mitbestimmung [Abruf: 11. Dezember 2014]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 7 Regelungen verbindlich durchzusetzen. Denn im Rahmen von Mitbestimmungsrechten ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen, bevor er eine Maßnahme umsetzt, die dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt. Die Zustimmung des Betriebsrats ist dabei eine Wirksamkeitsvoraussetzung.22 Reine Mitwirkungsrechte beschränken sich hingegen darauf, dass Anregungen zwar in das Unternehmen mit eingebracht werden können, jedoch keine Instrumente zu deren Durchsetzung zur Verfügung stehen. 4. Mitwirkungsrechte nach der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung § 4 WMVO definiert die allgemeinen Aufgaben des Werkstattrates, der über die Einhaltung der zugunsten der Werkstattbeschäftigten geltenden Vorschriften (Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften ) und die Durchführung der mit der Werkstatt getroffenen Vereinbarungen zu wachen hat.23 „Dabei soll der Werkstattrat vor allem darauf achten, dass die auf das arbeitnehmerähnliche Verhältnis zwischen den Werkstattbeschäftigten und der Werkstatt anzuwendenden arbeitsrechtlichen Vorschriften und Gesetze (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), die in dem besonderen arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis aufgrund der Fürsorgepflicht geltenden Mitwirkungs- und Beschwerderechte (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) und die Werkstattverträge von der Werkstatt beachtet werden (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. c).“24 Einen Katalog derjenigen Angelegenheiten, in denen der Werkstattrat ein Mitwirkungsrecht besitzt , enthält § 5 WMVO. Die Norm entspricht dabei dem Inhalt nach den Angelegenheiten, in denen dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)25 ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt ist. Doch schon die Überschrift des § 5 WMVO verwendet den Begriff der Mitwirkungsrechte. Dahinter verbirgt sich ein qualifiziertes Unterrichtungs- und Anhörungsrecht (§ 5 Abs. 3 Satz 1 WMVO), welches auch ein Beratungsrecht einschließt, und dessen Wahrung durch die Möglichkeit der Anrufung der Vermittlung nach § 6 WMVO gesichert wird.26 Die Vermittlungsstelle kann jedoch – anders als im Einigungsstellenverfahren für Betriebsräte und Personalräte – keine bindende Entscheidung treffen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 WMVO). 27 Die Kompetenzen des Werkstattrates beschränken sich – sofern von der Möglichkeit der Ausdehnung der Mitwirkung durch einvernehmliche Regelung gemäß § 5 Abs. 4 WMVO kein Gebrauch gemacht wird – damit lediglich auf ein Mitwirkungsrecht. Mitbestimmungsrechte, um die von 22 Ständige Rechtsprechung. des BAG, z.B. Beschluss vom 22. Dezember 1980, Az.: 1 ABR 100/79. 23 PAHLEN, Ronald, in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 12. Aufl. 2010, § 4 WMVO, Rn. 1. 24 PAHLEN, Ronald, (Fn. 23) Rn. 2. 25 Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518); zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 4 des Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868). 26 PAHLEN, Ronald, (Fn. 23) Rn. 4. 27 PAHLEN, Ronald, in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 12. Aufl. 2010, § 139 SGB IX, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 8 den Auffassungen des Arbeitgebers abweichenden Vorstellungen zu innerbetrieblichen Regelungsfragen verbindlich durchzusetzen, werden nicht gewährt. Die fehlenden Mitbestimmungsrechte werden von PAHLEN mit dem Tendenzcharakter der Werkstatt begründet.28 Nach Ansicht CRAMERS sind Mitbestimmungsrechte wie im BetrVG hingegen wegen des Personenkreises, „der überwiegend geschäftsunfähig ist, nicht vorgesehen.“29 Schließlich geht WENDT davon aus, dass die Werkstattleistung den Werkstattrat aufgrund fehlender Sanktionsmöglichkeiten häufig erst nachträglich über Sachverhalte informiere.30 Daher laufe das Mitwirkungsrecht in der Praxis weitgehend leer. Es sei notwendig, eine Regelung in die WMVO aufzunehmen, wonach eine Maßnahme unwirksam sei, wenn der Werkstattrat nicht beteiligt wurde. 5. Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf arbeitnehmerähnliche Personen Das Betriebsverfassungsgesetz – welches die Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern regelt – enthält selbst keine eigene Begriffsbestimmung zur arbeitnehmerähnlichen Person; es erwähnt sie nicht einmal. Für die Frage, ob die arbeitnehmerähnlichen Personen überhaupt betriebsverfassungsrechtliche Relevanz gewinnen können, muss also vom der allgemeinen – bereits dargelegten – Begriffsdefinition ausgegangen werden.31 5.1. Grundsätzliche Möglichkeit der Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf arbeitnehmerähnlich Personen Es kann nicht allgemein davon ausgegangen werden, die Mitbestimmungsrechte des BetrVG seien nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anwendbar. Die betriebliche Mitbestimmung umfasst zwar dem Grundsatz nach die Mitbestimmungsrechte des durch die Arbeitnehmer gewählten Betriebsrates in einem Betrieb. Durch eine Gleichstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen mit den Arbeitnehmern kann das BetrVG jedoch auch auf diese Anwendung finden. Eine solche Gleichstellung ist bereits durch § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG 28 So PAHLEN, Ronald, in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 12. Aufl. 2010, § 5 WMVO, Rn. 1. 29 CRAMER, Horst, Werkstätten für behinderte Menschen, Kommentar, 5. Aufl. 2009, WMVO, § 5 Rn. 1. 30 WENDT, Sabine, Reformbedarf nach 10 Jahren Werkstätten-Mitwirkungsverordnung. In: Rechtsdienst der Lebenshilfen Nr. 2/11 Juni 2011, S. 81-85 (84). 31 ROST, Friedhelm, (Fn. 13) S. 114. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 9 für die in Heimarbeit Beschäftigten erfolgt. Diese sind nach herrschender Auffassung als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen.32 Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gelten als Arbeitnehmer „auch die in Heimarbeit Beschäftigten, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten.“ Eine Erweiterung dieser Gleichstellung auch auf andere arbeitnehmerähnliche Personen ist gesetzgeberisch möglich. Ob eine völlige Gleichstellung arbeitnehmerähnlicher Personen mit Arbeitnehmern geboten ist, ist dabei eine rechtspolitische Entscheidung.33 Ohne eine solche ausdrücklich normierte Gleichstellung sind arbeitsrechtliche Vorschriften nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anwendbar . Denn es entspräche dem Willen des Gesetzgebers, keine Gleichstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen mit Arbeitnehmern vorzunehmen. Dies zeige sich bereits daran, dass dem Gesetzgeber seit vielen Jahren die Problematik arbeitnehmerähnlicher Personen bekannt sei und er es erkennbar für erforderlich gehalten habe, in bestimmten Fällen eine Gleichstellung dieser Personengruppe mit Arbeitnehmern ausdrücklich gesetzlich anzuordnen.34 Auch der sich aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergebende allgemeine Gleichheitssatz und Art. 12 Abs. 1 GG gebieten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine analoge Anwendbarkeit von arbeitsrechtlichen Bestimmungen wie beispielsweise §§ 622 Abs. 1 und Abs. 2, 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf arbeitnehmerähnlicher Personen. Die Rechtsprechung sieht es bislang grundsätzlich als unbedenklich an, dass bestimmte Arbeitnehmerschutzvorschriften vom Gesetzgeber nicht auch zu Gunsten arbeitnehmerähnlicher Personen für anwendbar erklärt worden sind.35 Damit ist im Ergebnis eine Anwendung der Mitbestimmungsrechte des BetrVG auf arbeitnehmerähnliche Personen durch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung grundsätzlich möglich. 5.2. Ausweitung von Mitbestimmungsrechten auf die im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigten behinderten Menschen Zu beachten ist, dass die im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigten behinderten Menschen zu großen Teilen geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 2 BGB) sind36 und einen Betreuer haben, der sie wirksam vertritt (§§ 1896 ff., 1902 BGB). Nach § 105 Abs. 1 BGB ist jede Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen nichtig. Die Vorschrift versagt dem von einem Geschäftsunfähigen vorgenommenen Rechtsgeschäft die rechtliche Anerkennung und 32 ROST, Friedhelm, (Fn. 13) S. 115 mit Verweis auf BAG, Urteil vom 03. April 1990, Az.: 3 AZR 258/88. 33 So auch ROST, Friedhelm, (Fn. 13) S. 120. 34 BAG, Urteil vom 08.05.2007, Az.: 9 AZR 777/06. 35 BAG, Urteil vom 08.05.2007, Az.: 9 AZR 777/06. 36 Vgl. WENDT, Sabine, (Fn. 30) S. 81, wonach über 70 Prozent der im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigte behinderte Menschen geistig behindert seien. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 10 dient damit dessen Schutz vor den – möglicherweise nachteiligen – Folgen einer eigenen Willenserklärung , deren Wirkung er wegen der Störung der Geistestätigkeit nicht überblicken kann.37 Eine Ausnahme sieht seit 2002 lediglich § 105a BGB vor, wonach ein von einem volljährigen Geschäftsunfähigen geschlossener Vertrag über ein Geschäft des täglichen Lebens, das mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden kann, als wirksam gilt, sobald Leistung und Gegenleistung erfüllt sind. Auch die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts als Werkstattrat wird sich wohl als Abgabe einer Willenserklärung darstellen. Diese Willenserklärung wäre jedoch – sofern ein Geschäftsunfähiger sie abgibt – unwirksam.38 Ob eine Regelung, nach der Mitbestimmungsrechte unabhängig von der Geschäftsfähigkeit ausgeübt werden können, mit dem Schutzzweck des § 105 BGB in Einklang zu bringen ist, muss zunächst bezweifelt werden. Denn die gesetzliche Anordnung der grundsätzlichen Nichtigkeit der Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen soll den Geschäftsunfähigen nicht benachteiligen, sondern im Gegenteil vor den möglichen Folgen seiner eigenen Willenserklärung schützen. Des Weiteren müssen auch die Rechte des Arbeitgebers bzw. des Trägers einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen aus Art. 12 Abs. 1 GG berücksichtigt werden. Es könnte in diesem Zusammenhang – sofern die Einführung von Mitbestimmungsrechten für arbeitnehmerähnliche, geschäftsunfähige Personen politisch als geboten erachtet wird – in Betracht kommen Mitbestimmungsrechte durch den jeweiligen Betreuer des Geschäftsunfähigen ausüben zu lassen. So würde sich das Problem der „rechtsgeschäftlichen Wirksamkeit“ der Willenserklärung nicht stellen. Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass Art. 5 Abs. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN- BRK),39 den Vertragsstaaten ausdrücklich „jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ verbietet und sie verpflichtet, „die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern.“40 Art. 4 UN-BRK verpflichtet dabei die Vertragsstaaten und damit auch Deutschland, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zu 37 WENDTLAND, Holger, BeckOK BGB, Stand 1. November 2014, Ed. 33, § 105 Rn. 1. 38 Dies zeigt auch die ausdrücklich Anordnung des § 139 Abs. 1 SGB IX und § 1 WMVO, wonach die in § 138 Abs. 1 SGB IX genannten behinderten Menschen unabhängig von ihrer Geschäftsfähigkeit durch Werkstatträte in den ihre Interessen berührenden Angelegenheiten der Werkstatt mitwirken. Im Umkehrschluss bedeutet die Formulierung, dass wohl auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass sonstige Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen im Bereich der Mitwirkung und dementsprechend auch der Mitbestimmung nach den allgemeinen Grundsätzen nichtig sind. 39 Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 6. Dezember 2006 – die UN- Behindertenrechtskonvention – ist am 3. Mai 2008 in Kraft getreten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sie durch das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. 12. 2008 ratifiziert (BGBl II 2008, S. 1419). 40 BANAFSCHE; Minou, Die UN-Behindertenrechtskonvention und das deutsche Sozialrecht - eine Vereinbarkeitsanalyse anhand ausgewählter Beispiele (Teil II). In: SGb 2912, S. 440-445 (445) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 11 ergreifen, um die in der Konvention anerkannten Rechte auf nationaler Ebene umzusetzen. Dies schließt die Verpflichtung ein, Gesetze zu ändern oder aufzuheben, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen.41 Insbesondere haben sich die Vertragsstaaten nach Art. 27 Abs. 1 lit. c) UN-BRK dazu verpflichtet zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen ihre Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte gleichberechtigt mit anderen ausüben können. In diesem Zusammenhang stellte die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der 16. Legislaturperiode an den Bundestag den Antrag,42 die Bundesregierung aufzufordern einen Gesetzesentwurf vorzulegen, welcher die Mitbestimmungsrechte der Werkstatträte stärkt. Es sollte über eine Evaluierung des § 139 SGB IX sowie der WMVO geklärt werden, wie echte Mitbestimmungsrechte der Werkstatträte verwirklicht werden können. In der 17. Wahlperiode stellte die Fraktion DIE LINKE einen vergleichbaren Antrag.43 Der Bundestag sollte die Bundesregierung auffordern einen Gesetzesentwurf vorzulegen, welcher die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung verbessert und entsprechende Rechte von Betriebsräten, Schwerbehindertenvertretungen und Werkstatträten erweitert. Es sollten Mitbestimmungsrechte für Werkstatträte als Sofortmaßnahme eingeführt werden, welche die Werkstattordnung, die Beschäftigungszeiten , Arbeitsentgelte, Grundsätze für Fort- und Weiterbildung und soziale Angelegenheiten wie Pausenräume, Mittagessen und anderes ausdrücklich betreffen. Beide Anträge wurden vom Bundestag abgelehnt.44 Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass die im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigten behinderten Menschen durch die Anordnung der arbeitnehmerähnlichen Rechtsstellung gerade in den Genuss arbeits- und arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften und Grundsätze gelangen sollten.45 Das SGB IX regelt zwar nicht konkret, welche Vorschriften und Grundsätze dies sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Vorläufer des § 138 Abs. 1 SGB IX sollten die behinderten Personen jedoch in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen, „auf das arbeitsrechtliche Vorschriften und Grundsätze entsprechend anwendbar sind (zum Beispiel über Arbeitszeit, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, 41 SCHULTE, Bernd, Die UN-Behindertenrechtskonvention und der Ausschluss von Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht. In: ZRP 2012, S. 16-18 (16). 42 Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gesamtkonzept zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen (Bundestagsdrucksache 16/11207 vom 3.Dezember 2008, S. 4). 43 Antrag der Fraktion DIE LINKE – Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung (Bundestagsdrucksache 17/9758 vom 23. Mai 2012, S. 6f.). 44 Auf eine kleine Anfrage der SPD Fraktion hin, ob Art. 27 UN-BRK die Veränderung der Mitwirkung in die Mitbestimmung in Werkstätten für behinderte Menschen nach sich ziehe, antwortete die Bundesregierung, die Mitwirkung der Menschen mit Behinderung in diesen Einrichtungen durch die von ihnen gewählten besonderen Interessenvertretungen entspreche ihrer arbeitnehmerähnlichen Position. Praktische Probleme, die zu einer Rechtsänderung Anlass geben könnten, seien der Bundesregierung nicht bekannt. (Bundestagsdrucksache 17/4083 vom 2. Dezember 2010). 45 GÖTZE, Bernd, (Fn. 2) Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 246/14 Seite 12 Entgeltzahlungen an Feiertagen, Erziehungsurlaub und Mutterschutz sowie über den Persönlichkeitsschutz und die Haftungsbeschränkung).“46 Aus dem beispielhaften Charakter der Aufzählung ergibt sich nach Ansicht von GÖTZE, dass diese nicht abschließend ist.47 Vom Gesetzgeber selbst war somit gewollt, die im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigten behinderten Menschen in den Genuss der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften zu bringen. Auch diese Intention muss bei der Frage der Ausdehnung von Mitbestimmungsrechten auf diesen Personenkreis berücksichtigt werden. Schließlich besteht nach § 5 Abs. 4 WMVO bereits die Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Werkstatt und Werkstattrat über weitergehende Arten der Beteiligung. Danach kann auch die Mitbestimmung in den mitwirkungsbedürftigen Angelegenheiten nach § 5 Abs. 1 WMVO vereinbart werden.48 Damit geht der Gesetzgeber selbst grundsätzlich von der Möglichkeit der Ausübung von Mitbestimmungsrechten durch im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigten behinderten Menschen aus – auch wenn diese nach § 138 Abs. 1 SGB IX in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis stehen und möglicherweise geschäftsunfähig sind. Ob die Einführung von Mitbestimmungsrechten für Werkstatträte geboten ist, ist jedoch letztlich eine politische Entscheidung, die von den Wissenschaftlichen Diensten nicht beurteilt werden kann. 46 Bundestagsdrucksache 13/3904 vom 28. Februar 1996, S. 48 zu Art 3 Nr. 2, in Anbetracht dessen, dass § 138 Abs. 1 SGB IX im Wesentlichen dem früheren § 54b Abs. 1 SchwbG entspricht und inhaltliche Änderungen gegenüber dem früheren § 54b Abs. 1 SchwbG mit dem In-Kraft-Treten des § 138 Abs. 1 nicht verbunden sind, kann auf die Rechtslage zum § 54b Abs. 1 SchwbG zurückgegriffen werden 47 GÖTZE, Bernd, (Fn. 2) Rn. 6. 48 CRAMER, Horst, (Fn. 29) Rn. 19.