© 2014 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 200/14 Rechtsprechung zum Sozialstaatsprinzip und zu sozialen Grundrechten in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 2 Rechtsprechung zum Sozialstaatsprinzip und zu sozialen Grundrechten in Deutschland Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 200/14 Abschluss der Arbeit: 3. November 2014 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einschlägige Rechtsprechung zum Sozialstaatsprinzip in Deutschland 4 2. Einschlägige Rechtsprechung zu sozialen Grundrechten 6 2.1. Rechte auf Sozialleistungen 6 2.1.1. Existenzminimum 6 2.1.2. Soziale Sicherheit 7 2.1.3. Öffentliche Fürsorge 7 2.1.4. Bildung 8 2.1.5. Arbeit 8 2.2. Gleichheit 9 2.2.1. Im Arbeitsverhältnis 9 2.2.2. Allgemeines Gleichheitsprinzip 9 2.2.3. Verbot der Benachteiligung von behinderten Menschen 10 3. Literatur 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 4 1. Einschlägige Rechtsprechung zum Sozialstaatsprinzip in Deutschland „Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik ein Sozialstaat. (…) Die Verfassung gibt auf diese Weise ein höchstes Ziel für jede staatliche Aktivität vor. (…) In der Praxis ist es insbesondere Aufgabe des Gesetzgebers, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Der Einzelne könnte sich unmittelbar auf das Sozialstaatsprinzip nur dann stützen und subjektive Rechte daraus ableiten, wenn der Gesetzgeber seine Pflicht willkürlich verletzen würde. (…) Dieser Fall ist bislang nicht eingetreten und wird im Zweifel auch nie bejaht werden. (…) Das Sozialstaatsprinzip wird in der Verfassung selbst nur an wenigen Stellen konkretisiert. Man muss deshalb auf andere Rechtsquellen zurückgreifen, um ein relativ vollständiges Bild der aktuellen deutschen Situation zu geben.“1 Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte in seinem Urteil vom 17. Mai 19612 fest, dass auch das Sozialstaatsprinzip den Staat nicht zu beliebiger Sozialgestaltung ermächtigen würde. „Das Sozialstaatsprinzip ist als Staatszielbestimmung eingebettet in die Staatsfundamentalnorm der bundes-, demokratie- und rechtsstaatlichen Ordnung (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs.1 S. 1GG). Ihm kommt in diesem Geflecht kein Vorrang zu. Das Sozialstaatsprinzip ermächtigt den Staat daher nicht zu beliebiger Sozialgestaltung;3 die staatliche Sozialgestaltung ist vielmehr eingebunden in die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, in die demokratiestaatliche Regelungsprärogative des Parlaments und vor allem in die grundrechtlichen und objektiv-rechtsstaatlichen Eingriffsbegrenzungen der öffentlichen Gewalt. Nicht der totale Sozialstaat, sondern die „soziale Demokratie in Form des Rechtsstaats“ entspricht dem Artikel 20 Abs. 1 GG.4“5 Die sog. „Lüth-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)6 aus dem Jahr 1958 ist die bekannteste und wichtigste Entscheidung zu den Grundrechten. Das Gericht urteilte, inwieweit die Grundrechte auch im Privatrecht zu berücksichtigen sind. Leitsätze: 1. Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. 2. Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch 1 Däubler, Wolfgang (2010) in Iliopoulos-Strangas, S. 126 f. 2 Az.BvR 561, 579/60, 114/61 -- Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des ..., 2. des ..., 3. ..., gegen das Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21. Juli 1960 (BGBl. I S. 585). 3 Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung (BVerfGE) 12, 354, 367. 4 BVerfGE 5, 85, 198. 5 Papier (2012), S. 113, 114. 6 BVerfGE 7, 198. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 5 die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln. 3. Der Zivilrichter kann durch sein Urteil Grundrechte verletzen (§ 90 BVerfGG), wenn er die Einwirkung der Grundrechte auf das bürgerliche Recht verkennt. Das Bundesverfassungsgericht prüft zivilgerichtliche Urteile nur auf solche Verletzungen von Grundrechten, nicht allgemein auf Rechtsfehler.“ Das BVerfG7 hat in einer Entscheidung im Jahr 1967 folgende Ausführung gemacht: „Das Sozialstaatsprinzip gebiete dem Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, fordere aber nicht, dass dieses Ziel ausschließlich durch unmittelbare behördliche Betreuung der Hilfsbedürftigen verfolgt werde; es räume auch den Ländern kein Recht auf eigene soziale Betätigung ein.“ „Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die insbesondere vom BVerfG und vom Bundessozialgericht entwickelte These, dass das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I keine geeignete Grundlage für die Ableitung konkreter, einklagbarer Rechtsansprüche darstellt.8 Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht schon die systematische Stellung des Prinzips; denn es ist vom Verfassungsgeber offenbar bewusst nicht unter die Grundrechte (Art. 1–19), sondern unter die allgemeinen Verfassungsprinzipien eingereiht worden, die für sich gesehen ganz allgemein keine Rechtsansprüche zugunsten des einzelnen begründen. Hätte der Verfassungsgeber des Jahres 1949 die verfassungsrechtliche Operationalisierung des Sozialstaatsprinzips in Form von Rechtsansprüchen gewollt oder auch nur für möglich gehalten, so hätte es näher gelegen, die Grundanliegen der Sozialstaatlichkeit (im politischen Sinne) in einzelne, mehr oder weniger konkrete soziale Grundrechte aufzulösen. Das hat er bewusst nicht getan, und zwar – entgegen den bekannten Vorwürfen – nicht aus prinzipieller Feindseligkeit gegenüber der Idee sozialer Grundrechte , sondern aus der Erkenntnis, dass der Staat zwar mit Sicherheit die rechtlichen, nicht aber die tatsächlichen, vor allem wirtschaftlichen Voraussetzungen der Wirksamkeit solcher sozialen Grundrechte garantieren kann, d.h. wiederum aus der grundsätzlichen Ablehnung unerfüllbarer Versprechungen im Verfassungsrang.“9 „Wegen seiner Offenheit ist das Sozialstaatsprinzip aber nicht geeignet Grundrechte unmittelbar einzuschränken. Dazu bedarf es der Konkretisierung durch ein grundrechtseinschränkendes Gesetz .10“11 7 BVerfGE 22, 180. 8 BSozGE 6, 213 ff. (219); 10, 97 ff. (100); 19, 88 ff. (92); ähnlich u.a. BVerf 27, 253 ff. (283); 39, 302 ff. (315) unter Berufung auf ältere Entscheidungen. Offener wieder BSozGE 20, 41 ff. (45). 9 Maunz/Dürig/Herzog/Grzeszick VIII. Rn. 28. 10 BVerfG AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 14 = NJW 1980, 1093; AP GG Art. 5 Abs. 1 Rundfunkfreiheit Nr. 1; dazu- Rüthers DB 1982, 1869, 1875 f. 11 MüKoBGB/Müller-Glöge BGB § 611 Rn. 275-277. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 6 2. Einschlägige Rechtsprechung zu sozialen Grundrechten 2.1. Rechte auf Sozialleistungen 2.1.1. Existenzminimum „Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kennt keine sozialen Grundrechte und keine sonstigen ausdifferenzierten sozialen Programmsätze.“12 „Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat jedoch aus der Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 GG ein subjektives Recht auf Gewährung der existenznotwendigen Leistungen abgeleitet. In seinem Urteil vom 18. Juni 1975 hat das Gericht festgestellt, die Sozialhilfe gehöre zu den „selbstverständlichen“ Pflichten eines Sozialstaats; eine „menschenwürdige Existenz müsse für jedermann gesichert sein.13“14 „ (…) nach der grundlegenden Entscheidung des BVerfG zu den Regelleistungen nach dem SGB II (BVerfG NZS 2010, 270; BVerfGE 125, 175 ff.; SozR 4-4200 § 20 Nr. 12) aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums ableiten. Zwar wurde mit dieser Entscheidung kein gänzlich „neues Grundrecht“ anerkannt, sondern insoweit an etablierte Rechtsprechung angeknüpft : Der Gestaltungsspielraum des Parlaments findet seine Grenze in der hinreichenden Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfGE 40, 121 (133); s. Voßkuhle SGb 2011, 86 mwN). Nach dieser Entscheidung ist dem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art.20 Abs. 1 GG kein verfassungsunmittelbar zu beziffernder Umfang der erforderlichen Sozialleistungen zu entnehmen, sondern in erster Linie das Recht auf die Einhaltung bestimmter Standards an Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Berechnung.“15 Im Jahr 1990 hat „der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 29. Mai 199016 die Steuerfreiheit des Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (und Art. 6 Abs. 1 GG für die Besteuerung von Familien) hergeleitet. Demgegenüber hat aber der 2. Senat in seinem Beschluss vom 25. September 199217dasselbe Ergebnis unter stärkerer Betonung der Freiheitsrechte der Art. 2 Abs. 1, 12 und 14 Abs. 1 GG gewonnen.“18 12 Papier (2012), S. 113. 13 BVerfGE 40, 121, 133. In diesem Sinne auch BVerfGE 82, 60, 85. 14 Däubler (2010), S. 128. 15 BeckOK SozR/Niedermeyer SGB I § 1 Rn. 2-3.1. 16 BVerfGE 82, 60, 85. 17 BVerfGE 87, 153, 169. 18 Papier (2012), S. 116. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 7 2.1.2. Soziale Sicherheit § 4 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) räumt jedem ein Recht auf Zugang zur Sozialversicherung „im Rahmen dieses Gesetzbuches“ ein. Im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG soll sich „Sozialversicherung “ nicht nur auf Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall beschränken. „Der Begriff der Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG wird vom Bundesverfassungsgericht zu Recht als ein „weitgefasster verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff“ bezeichnet , der alles umfasse, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstelle.19 (…) Ein „schützbarer Bedarf“ außerhalb der durch klassische Sozialversicherung abgedeckten Lebensrisiken stellt insbesondere die Gefahr der Pflegebedürftigkeit dar, so dass auch die soziale Pflegeversicherung unter den Begriff der Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG fällt.20 (…) Ebenfalls von der Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gedeckt sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Regelungen des Risikostrukturausgleichs der Krankenkassen, da diese letztlich die Verteilung des primären Beitragsaufkommens zwischen den Krankenkassen beinhalten und damit der Finanzierung der Sozialversicherung dienen.21“22 2.1.3. Öffentliche Fürsorge Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG besitzt der Bund das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung für die „öffentliche Fürsorge“. Unter öffentlicher Fürsorge im Sinne des Grundgesetzes ist auch Mutterschafts -, Säuglings-, Jugend- und die Fürsorge für behinderte Menschen zu verstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Zusammenhang Urteile zur Pflichtplatzquote für Arbeitgeber bei der Beschäftigung behinderter Menschen und zum Contergan-Stiftungsgesetz gefällt . Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 198123 sind die Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes über die Pflichtplatzquote sowie über die Ausgestaltung und Verwendung der Ausgleichsabgabe24 mit dem Grundgesetz vereinbar. Ferner hat es die 19 BVerfGE 11, 111 f; 75, 108, 146. 20 BVerfGE 103, 197, 215. 21 BVerfGE 113, 167, 195 f. 22 Papier (2012), S. 119. 23 BVerfGE 57, 139, 166 f. 24 Arbeitgeber, die den Einstellungsverpflichtungen hinsichtlich behinderter Menschen nicht genügen, werden laut Gesetzt zu einer Ausgleichsabgabe herangezogen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 8 Zuständigkeit des Bundes für das Contergan-Stiftungsgesetz auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt .25 2.1.4. Bildung Das Bundesverfassungsgericht hat sich auch mit der Studienplatzvergabe der Hochschulen beschäftigt . „ Wer die Hochschulreife erlangt, hat im Prinzip ein Recht auf einen Studienplatz an einer Universität . In der Mehrzahl der Fächer gibt es jedoch einen Numerus Clausus: Man muss bestimmte Voraussetzungen (gute Noten im Abitur oder relativ lange Wartezeit) erfüllen, um effektiv zugelassen zu werden. Angesichts des staatlichen Quasi-Monopols im Bereich der Universitäten ist der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet, Kriterien für die Zulassung bestimmter Kandidatengruppen zu schaffen: Jeder muss seine Chance bekommen .26 Andernfalls wäre die freie Wahl des Ausbildungsplatzes nach Art. 12 Abs. 1 GG nicht mehr gewährleistet. In diesem Rahmen hat sich das BVerfG auch mit der Frage befasst, ob der Staat von Verfassungs wegen zur Schaffung von Studienplätzen verpflichtet ist. Dabei hat es sich ausdrücklich zu dem Argument bekannt, die Freiheit sei „ohne Wert“, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien, um sie in Anspruch zu nehmen.27 Allerdings hat das Gericht eine konkrete Stellungnahem vermieden; ein Individualrecht auf Schaffung eines Studienplatzes sei nur dann „vorstellbar“, wenn der Staat seine Verpflichtungen „offenkundig“ verletzt habe.28“29 2.1.5. Arbeit In der Bundesrepublik Deutschland gilt das Recht auf Arbeit nicht als subjektives Individualgrundrecht . Das Bundesverfassungsgericht urteilte im April 1991: „Das in Art 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes schützt den Einzelnen in seinem Entschluss, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, beizubehalten oder aufzugeben. Dagegen ist mit der Wahlfreiheit kein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl verbunden. Wenn eine Regelung in die freie Wahl des Arbeitsplatzes mit ähnlicher Wirkung eingreift wie eine objektive Zulassungsschranke in die Freiheit der Berufswahl, ist sie nur zur Sicherung eines entsprechend wichtigen Gemeinschaftsguts unter Wahrung des 25 BVerfGE 42, 263, 281 f. 26 BVerfGE 43, 291 ff. 27 BVerfGE 33, 303, 331. 28 BVerfGE 33, 303, 331. 29 Däubler (2010), S. 134. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 9 Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig.“30 Das bedeutet, dass der Gesetzgeber bestehende Arbeitsverhältnisse nur unter spezifischen Voraussetzungen beenden kann. Das Sozialstaatsprinzip ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts31 (BAG) u. a. verwendet worden, um (vor Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes) einen allg. Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern aus der Fürsorgepflicht abzuleiten und die Unzulässigkeit grundloser Befristungen von Arbeitsverhältnissen (Kettenarbeitsverträgen) zu begründen. 2.2. Gleichheit 2.2.1. Im Arbeitsverhältnis Der Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Art. 3 GG gilt nicht unmittelbar auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Mit Ausnahme der öffentlichen Arbeitgeber sind die Arbeitsvertragsparteien nicht Grundrechtsadressaten. Der Arbeitnehmer kann sich gegenüber dem (privaten) Arbeitgeber damit nicht unmittelbar auf das Grundrecht aus Art. 3 GG berufen. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt.32 2.2.2. Allgemeines Gleichheitsprinzip „Die Rechtsprechung hat daraus zunächst ein Verbot willkürlicher Differenzierungen gemacht.33 Um zwischen verschiedenen Personen oder Personengruppen zu unterscheiden, müssen sich Gesetzgeber und Verwaltung auf einen „sachlichen Grund“ stützen können, dessen Vorliegen sich nach „einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise“ bestimmt.34 (…) Später ist die Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst worden: 35„Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt 30 BVerfGE 84, 133-160. 31 Einfügung durch Autorin. 32 BVerfGE 82, 126-156. 33 BVerfGE 9, 201, 206. 34 BVerfGE 46, 224, 233. 35 BVerfGE 88, 87, 96. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 10 aus dem Wortlaut und Sinn des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen.““36 2.2.3. Verbot der Benachteiligung von behinderten Menschen Art. 3 Abs. 3 GG wurde 1994 ergänzt37. Seitdem darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Ein aktueller Beschluss38 liegt hierzu vor, der insbesondere blinden Menschen weitere Rechte einräumt. Das Gericht stellte fest: „Prozessunterlagen müssen nur dann nicht in Blindenschrift zugänglich gemacht werden, wenn die Vermittlung durch den Rechtsanwalt gleichwertig ist.“ Damit ist zugleich der Möglichkeit einer sehbehinderten Person zur Überwachung ihres Prozessbevollmächtigten in angemessener Weise Rechnung getragen. Kommt dieser seiner Pflicht zur Kenntnisverschaffung nicht in ausreichender Weise nach, kann sie dies dem Gericht gegenüber vortragen und (erneut) die Zugänglichmachung der Prozessunterlagen verlangen; bei entsprechenden Anhaltspunkten muss das Gericht im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dies von selbst veranlassen .“39 36 Däubler (2010), S. 141. 37 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBL I, S. 3146. 38 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2014, Az. 1 BvR 856/13. 39 BVerfG, Pressemitteilung Nr. 97/2014 vom 31. Oktober 2014. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 200/14 Seite 11 3. Literatur Däubler, Wolfgang (2010) in Iliopoulos-Strangas, Julia (Hrsg.), Soziale Grundrechte in Europa nach Lissabon, 1. Aufl. - Baden-Baden : Nomos. Herzog, Roman, Grzeszick, Bernd (2014) in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 71. Ergänzungslieferung 2014, C. H. Beck. Müller-Glöge, Rudi (2012), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Auflage. Niedermeyer (2014) in Rolfs/ Giesen/ Kreikebohm/ Udsching (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht. Papier, Hans-Jürgen (2012) in Maydell, Bernd Baron von (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 5. Auflage , Baden-Baden : Nomos.