Voraussetzungen und Erfahrungen des Sabbaticals in der freien Wirtschaft - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 -191/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Voraussetzungen und Erfahrungen des Sabbaticals in der freien Wirtschaft Ausarbeitung WD 6 - 3000 -191/08 Abschluss der Arbeit: 12.12.2008 Fachbereich WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 4 2. Wesentliche Merkmale von Sabbaticalmodellen und ihre Umsetzung in Unternehmen 5 3. Motivationen und Erfahrungen 7 - 4 - 1. Einleitung Die Grundlage für die Inanspruchnahme des sog. Sabbatjahres oder Sabbaticals bietet das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Durch die Möglichkeit der Arbeitszeitverringerung in § 8 TzBfG eröffnet sich den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen die Chance, durch eine gezielte Verteilung der reduzierten Arbeitszeit eine Freistellung für ein Sabbatical mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. In § 8 Abs. 1 TzBfG heißt es, dass ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, verlangen kann, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird. „Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Ein betrieblicher Grund liegt insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Die Ablehnungsgründe können durch Tarifvertrag festgelegt werden.“(§ 8 Abs. 4 S. 1-3 TzBfG) Das Gesetz insgesamt dient in seinen teilzeitrechtlichen Regelungen der Umsetzung einer europäischen Richtlinie über Teilzeitarbeit (RL 97/81/EWG). Der deutsche Gesetzgeber wollte mit dem Rechtsanspruch nach § 8 nach dem Vorbild der Niederlande vor allem beschäftigungspolitische Effekte erzielen. Die vermehrte Inanspruchnahme von Teilzeitarbeit soll zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen.1 Einen direkten Rechtsanspruch auf eine Freistellung von der Arbeitsleistung für sechs oder zwölf Monate gibt es nicht. In der Regel existieren Betriebsvereinbarungen, in denen die Rahmenbedingungen für ein Sabbatical definiert werden (siehe Anlage 1). Das Sabbatical ist ein noch junges und relativ selten in Anspruch genommenes Instrument der flexiblen Arbeitszeitgestaltung. Die Forschung geht davon aus, dass lediglich rund 3 Prozent der deutschen Unternehmen diese Form der Auszeit von der Berufstätigkeit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anbieten.2 Tendenziell zeigt sich, dass vor allem größere Unternehmen ab 200 Beschäftigten das Angebot eines mehrmonatigen Berufsausstiegs machen. Dieser eher geringen Angebotszahl steht ein doch relativ großes Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber. Eine Forsa-Umfrage 1 PREIS in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, TzBfG § 8 Verringerung der Arbeitszeit, 9. Auflage 2009, Rn 1 2 KLENNER, Christian; PFAHL, Svenja; REUYß, Stefan (2002). Arbeitszeiten – Kinderzeiten – Familienzeiten. Bessere Vereinbarkeit durch Sabbaticals und Blockfreizeiten? In: Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie (MASQ) des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Düsseldorf, S. 181. http://www.boeckler.de/pdf/wsi_proj_sabbati2.pdf (zuletzt abgerufen am 12.12.08) - 5 - im Jahr 2002 ergab, dass 43 Prozent der Befragten in Deutschland die Idee eines temporären Berufsausstiegs für sinnvoll halten. Umso jünger die Befragten waren, desto höher war das Interesse. Immerhin noch 35 Prozent in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen wünschten sich ein Sabbatical.3 Die Motivationen, für eine längere Phase die Erwerbsarbeit zu unterbrechen, sind sehr unterschiedlich. Die Wissenschaftlerin Barbara Siemers hat in ihrer Dissertation folgende Typen ermittelt: Den Regenerationstypus , den Kinderbetreuungstypus, den Qualifizierungstypus, den Neuorientierungstypus und den Projekttypus.4 Unternehmen scheinen die Sabbaticals in den vergangenen Jahren verstärkt als personalpolitisches Steuerungsinstrument zu nutzen. Mit dem 1998 in Kraft getretenen „Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeiten“ erhalten die Tarifparteien flankierend erweiterte Vereinbarungsmöglichkeiten für längerfristige Freistellungsphasen , da seither der Erhalt von Sozialversicherungsleistungen auch bei längerer Abwesenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet bleibt. In privatwirtschaftlichen Unternehmen werden Sabbaticalmodelle offenbar vor allem vor dem Hintergrund stark schwankender Auftragslagen genutzt, um insbesondere qualifiziertes Personal weiterhin an das Unternehmen zu binden. Statt Arbeitsplätze abzubauen, soll die Arbeitszeit reduziert werden, um so wirtschaftliche Krisenzeiten bewältigen zu können.5 2. Wesentliche Merkmale von Sabbaticalmodellen und ihre Umsetzung in Unternehmen Das Besondere an einem Sabbatjahr oder einem Sabbatical ist die Optionalität der Angebote . Die Beschäftigten können freiwillig und individuell entscheiden, ob sei das Sabbaticalangebot in Anspruch nehmen oder nicht. Wenn sich jemand für eine mehrmonatige Freistellungsphase entscheidet, kann er den Zeitpunkt und die Dauer selbst wählen – in Abstimmung mit dem Unternehmen. „Am relativ hohen Grad von Autonomie und Mitwirkung an den Freistellungsbedingungen ist erkennbar, dass sich Sabbaticalangebote über ihre Funktion als betriebliches Steuerungsinstrument hinaus explizit auch an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren wollen.“6 Die zweite Besonderheit des Sabbaticalmodells ist die Langfristigkeit, denn die Freistellungszeiten liegen in der Regel bei sechs bis zwölf Monaten. Die Forschung spricht bei einer Auszeit von lediglich drei Monaten von einem „Kurzsabbatical“, bei der Dauer 3 ebd. S. 179. 4 SIEMERS, Barbara (2005). Sabbaticals – Optionen der Lebensgestaltung jenseits des Berufsalltags. Europäischer Verlag der Wissenschaften. Frankfurt am Main. S. 117. 5 ebd. S. 53. 6 ebd. S. 53ff. - 6 - von einem Jahr wird der Begriff „Sabbatjahr“ verwendet. Ein Sabbatical erwirtschaften sich die Nutzerinnen und Nutzer immer selbst durch entsprechende Kurzarbeits- und Ansparmodelle in den jeweiligen Betrieben. Die Unternehmen wählen in der Regel zwei Wege, auf denen sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Sabbatical ermöglichen. Das häufigste Modell, das von ungefähr 70 Prozent der anbietenden Unternehmen gewählt wird ist der Teilzeitansparmodus. Hier reduzieren die Beschäftigten ihre vertragliche Arbeitszeit, arbeiten aber über einen vereinbarten Zeitraum hinweg länger als die reduzierte vertragliche Wochenarbeitszeit vorsieht. Das heißt, die Beschäftigten arbeiten meist Vollzeit, erhalten aber nur das reduzierte Einkommen. Die zu viel gearbeitete Zeit nehmen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann in geblockter Form frei. Dies entspricht einer befristeten Teilzeitarbeit mit ungleichmäßiger (geblockter) Arbeitszeitverteilung. Das zweite Modell ist der so genannte Überstundenansparmodus, bei dem die Beschäftigten weiter zu ihren bisherigen Vertragsbedingungen arbeiten und die Erwirtschaftung der Auszeit ausschließlich durch Ansparen von zusätzlichen Geld- und/oder Zeiteinheiten wie Weihnachtsgeld , Schichtzulagen, Überstunden etc. erfolgt. Diese zweite Variante ist in 21,2 Prozent der Betriebe möglich, die das Sabbatical anbieten. Knapp jedes zehnte Unternehmen (9,9 Prozent) bietet beide Möglichkeiten an. 7 Sabbaticalmodelle werden häufiger in Groß-, als in Kleinunternehmen angeboten. Nur 2,1 Prozent der Kleinbetriebe (1 bis 19 Beschäftigte) bieten die Möglichkeit zu einer längeren Auszeit, in Betrieben mit 20 bis 199 Beschäftigten sind es 5,5 Prozent und bei Mittelbetrieben mit 200 bis 499 Beschäftigten schon 7,2 Prozent. Immerhin 16,4 Prozent der Großbetriebe (500 und mehr Beschäftigte) haben Sabbaticalangebote vereinbart . Mit zunehmender Betriebsgröße fällt es leichter, den temporären Ausstieg einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszugleichen, zudem sind in größeren Betrieben auch die betrieblichen Interessenvertretungen stärker. Arbeitszeitverteilungen mit der Möglichkeit zu Sabbaticals bedürfen in der Regel einer Aushandlung zwischen der Unternehmensleitung und der Beschäftigtenvertretung. Dementsprechend sind Sabbaticals in Unternehmen mit Interessenvertretung mit 7,1 Prozent häufiger vorhanden, als in Unternehmen ohne Interessenvertretung (1,7 Prozent).8 Vor allem Betriebe, die Arbeitszeitkonten führen, können ihren Beschäftigten längere Blockzeiten oder Sabbaticals anbieten. Zwischen 1998 und 2001 hat sich der Anteil der Betriebe, die Arbeitszeitkonten führen, fast um die Hälfte erhöht. Im Jahr 2001 nutzten 29 Prozent der Betriebe in Deutschland Arbeitszeitkonten für insgesamt 40 Prozent der Beschäftigten. Im Jahr 1998 verfügten nur 19 Prozent der Betriebe und 33 Prozent der 7 KLENNER u. a., S. 182ff. 8 ebd. S. 183. - 7 - Beschäftigten über solche Arbeitszeitkonten. Diese Konten erfassen die jeweiligen Phasen von Mehrarbeit und Wenigerarbeit, bzw. die Freiphasen, um dann den Arbeitszeitausgleich zu ermitteln. In 50 Prozent aller Arbeitszeitkontenbetriebe ist weder eine Obergrenze für die auf dem Konto anzusammelnden Zeitguthaben, noch ein Ausgleichszeitraum festgelegt, in weiteren 9 Prozent gibt es keine Obergrenze für Zeitguthaben . Das erweitert die Möglichkeiten für längere Freiphasen, denn je größer die Zeitguthaben werden, desto größer und häufiger können auch die Freistellungsphasen zum Beispiel in Form von Sabbaticals sein.9 3. Motivationen und Erfahrungen Die Motivationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ein Sabbatical zu nehmen, sind sehr individuell. Die empirische Untersuchung von Barbara Siemers kristallisiert fünf Typen heraus. Der erste Typus ist der Regenerationstypus, der sich von Stress und Hetze des Berufslebens erholen will, Abstand gewinnen und neue Kraft tanken möchte. Hier handelt es sich durchweg um beruflich hoch engagierte Menschen, die sich im Berufsleben über lange Zeit auf hohem Niveau verausgabt haben. Der Familientypus will das Sabbatical für Familienaufgaben verwenden, speziell für die Kinderbetreuung. Hier dominieren vor allem Frauen, die das Sabbatical nehmen. Der Weiterbildungstypus verknüpft das Sabbatical vor allem mit beruflichen Motiven, er will sich weiterbilden und qualifizieren und braucht dafür einen längeren Zeitraum, in dem er nicht erwerbstätig ist. Der Neuorientierungstypus will sich beruflich oder privat verändern und neu orientieren, Auch hier sind viele Frauen vertreten, die ein intensives Arbeitsleben haben und nun neue, zum Teil private Perspektiven suchen. Der Projekttypus will die Freistellungszeit für ein individuelles Vorhaben nutzen, das oft nichts mit dem Berufsleben zu tun hat.10 Barbara Siemers hat die bislang einzige Studie vorgelegt, die die verschiedenen individuellen Beweggründe und Erfahrungen der Sabbatical-Nutzerinnen und –nutzer untersucht . Die Arbeit stützt sich auf empirische Verfahren der qualitativen Sozialforschung mit dem Schwerpunkt auf kommunikative Erhebungsmethoden. Sie kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die Inanspruchnahme von Sabbaticals ein Reflex der Nutzerinnen und Nutzer auf einen bestimmten Außendruck ist, mit dem sie flexibel und wendig umgehen können.11 9 PFAHL, Svenja; REUYSS, Stefan (2002). Blockfreizeiten und Sabbaticals – mehr Zeit für die Familie ?: WSI-Mitteilungen 55 (8) 459-465. 10 SIEMERS a. a. O., S. 119ff. 11 ebd. S. 283ff. - 8 - In der Privatwirtschaft sind die mehrmonatigen Auszeiten mit höheren Risiken für die Nutzerinnen und Nutzer behaftet, als im öffentlichen Dienst. Zwar existieren auch in der Privatwirtschaft zeitlich ausgedehnte Angebote, „diese mehrjährigen Varianten entbehren jedoch jeglicher betriebsbezogener Finanzierungsbasis und sind aufgrund ihrer extrem langfristigen Zeithorizonte vor allem mit Blick auf die Rückkehrmöglichkeiten mit besonderen Risiken behaftet. „Sichere“ Sabbaticalkonditionen bieten Privatbetriebe nur um den Preis kürzerer Freistellungszeiten. Zeiträume von einem halben Jahr bilden hier in der Regel die Obergrenze.“ Beschäftigte in der Privatwirtschaft sind zudem häufig darauf angewiesen, ihre Wünsche nach einem Sabbatical sehr individuell in Einzelabsprache auszuhandeln und durchzusetzen. In der Privatwirtschaft ist laut der Studie von Siemers die Nutzung von Sabbaticals durch die dort herrschenden, vergleichsweise unsicheren und dynamischen Arbeitsbedingungen um einiges voraussetzungsvoller und risikobehafteter als im öffentlichen Dienst.12 12 ebd. S. 285