Die Pflicht des Arbeitgebers zur Erstattung von Arbeitslosengeld nach § 147 a SGB III Historische Entwicklung und aktuelle Rechtslage - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000-171/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Die Pflicht des Arbeitgebers zur Erstattung von Arbeitslosengeld nach § 147 a SGB III Historische Entwicklung und aktuelle Rechtslage Ausarbeitung WD 6 - 3000-171/07 Abschluss der Arbeit: 01.10.2007 Fachbereich WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Inhalt und Zweck des § 147 a SGB III Nach § 147 a Abs. 1 SGB III wird dem Arbeitgeber bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen langjährig beschäftigter Arbeitnehmer nach Vollendung des 55. Lebensjahres die Pflicht auferlegt, der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Dauer von längstens 32 Monaten das Arbeitslosengeld und die darauf entrichteten Beiträge zur Sozialversicherung sowie bis zum 31.12.2004 nach § 198 Satz 1 Nr. 7 SGB III auch Arbeitslosenhilfe zu erstatten. Die Erstattungspflicht tritt nicht ein, wenn einer der unter Abs.1 Satz 2 Nr. 1 bis 7 aufgeführten Befreiungstatbestände vorliegt. Dabei handelt es sich vor allem um Fälle wirtschaftlicher und sonstiger Zwänge, die der Entlassung längjährig beschäftigter älterer Arbeitnehmer zugrunde liegen. Sie kann auch nachträglich entfallen (Abs. 2) oder bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gemindert sein (Abs. 3). Die Regelung dient nach der Gesetzesbegründung zur Vorgängervorschrift § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG)1 der „Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse der älteren Arbeitnehmer“2 und damit zugleich der Vereitelung der Frühverrentung auf Kosten der Versichertengemeinschaft. Der Arbeitgeber wird, soweit er für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers die Verantwortung trägt, zur Erstattung der wegen der Arbeitslosigkeit gewährten Leistungen herangezogen. § 147 a SGB III soll der Frühverrentung zu Lasten der Versichertengemeinschaft begegnen, indem der Arbeitgeber , der zuvor langjährig die Arbeitskraft eines Arbeitnehmers in Anspruch genommen hat, an den Folgekosten beteiligt wird, wenn er ihn entlässt3. Damit kommt der Vorschrift nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine „verhaltenssteuernde Funktion“ und eine „Entlastungsfunktion“ zu4. Dagegen handelt es sich nicht um die bloße Sanktionierung von Missbrauch oder übermäßiger Ausnutzung5. 2. Entstehung und Entwicklung der Vorschrift6 Erstmalig eingeführt wurde die Erstattungsregelung als § 128 AFG zum 01.01.1982 durch das Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz. Der Gesetzgeber reagierte damit auf Vereinbarungen, in denen sich Arbeitnehmer verpflichteten, bis zur Erfüllung der 1 Zur Rechtshistorie s.u. 2. 2 BT-Drs. 12/3211, S. 17. 3 ROLFS in: Gagel SGB III, § 147a Rn. 9. 4 Urteil des BVerfG vom 23.01.1990 (1 BvL 44/86 u.a.), BVerfGE 81, 156, 189 f. 5 ROLFS in: Gagel SGB III, § 147a Rn. 10; Niesel SGB III, § 147a Rn. 3. 6 Die folgenden Ausführungen beruhen in wesentlichen Teilen auf der Kommentierung von ROLFS in: Gagel SGB III, § 147a Rn. 3-9. - 4 - Voraussetzungen für die vorgezogene Altersrente keinen Antrag auf Arbeitslosengeld zu stellen, und dafür eine höhere Abfindung erhielten. Derartige Vereinbarungen wurden jedoch wegen des Verbots privatrechtlicher Vereinbarungen zu Lasten des Sozialleistungsberechtigten (§ 32 SGB I) für nichtig erklärt7. In einem Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art 100 Abs. 1 GG entschied das BVerfG Anfang 1990, dass § 128 AFG 1982 zwar mit dem GG vereinbar war, aber in vielfältiger Hinsicht einer verfassungskonformen Interpretation bedürfe8. Aufgrund dieser Einschränkungen erwies sich die Vorschrift als praktisch unanwendbar. Die Vorschrift wurde daraufhin durch Änderungsgesetz vom 21.06.1991 - verbunden mit großzügigen Übergangsregelungen - aufgehoben. Nur gut ein Jahr später wurde § 128 AFG aber schon wieder eingeführt (Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen vom 18.12.1992, in Kraft ab 01.01.1993). Allerdings wurden die Befreiungstatbestände unter Berücksichtung des Urteils des BVerfG im Vergleich zu § 128 AFG 1982 wesentlich erweitert; § 128 AFG 1993, der zum Teil über die Anforderungen des BVerfG hinausgeht9, entsprach damit weitestgehend der heute geltenden Fassung des § 147 a SGB III. Das Arbeitsförderungsreformgesetz vom 24.03.1997 nahm dann zunächst wieder von einer Erstattungsregelung Abstand und ersetzte § 128 AFG durch eine weitgehende Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld (§ 115 a AFG, ab 01.01.1998: § 140 SGB III a.F.). Erstmals wurde damit der Druck von den Unternehmen als den Hauptakteuren der Frühverrentungspolitik auf die Arbeitslosen als „Mitläufer“ verlagert 10. Aufgrund von Übergangsvorschriften blieb § 128 AFG allerdings noch in den meisten Fällen wirksam. Gegen die Anrechnungsregelung gab es von Anfang an erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken11. Aufgrund einer Vereinbarung der Bundesregierung mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden im Rahmen des Bündnisses für Arbeit wurde § 140 SGB III a.F. daher, noch bevor er ab 07.04.1999 voll wirksam werden konnte, mit Wirkung zum 01.04.1999 wieder durch eine Erstattungspflicht ersetzt (Entlassungsentschädigungs -Änderungsgesetz vom 24.03.1999). Die früheren §§ 117 Abs. 2 bis 4, 128 AFG wurden in Form der §§ 143 a, 147 a SGB III weitgehend unverändert wieder in Kraft gesetzt. Zur Wahrung des Vertrauensschutzes wurde in § 431 Abs. 2 SGB III 7 BSG 24.03.1988 (5/5 b RJ 84/86), BSGE 63, 112, 115. 8 BVerfG 23.01.1990 (1 BvL 44/86 u.a.), BVerfGE 81, 156, 188 ff. 9 LOHRE in: Lohre/Mayer/Stevens-Bartol 2000, § 147 a SGB III Rn. 2. 10 Mayer 2003, S. 14. 11 Nachw. bei ROLFS in: Gagel SGB III, § 147a Rn. 6. - 5 - eine Übergangsregelung eingeführt. Danach kann § 147 a SGB III nicht rückwirkend für Zeiten vor dem 01.04.1999 angewendet werden. Durch das JobAQTIV-Gesetz vom 10.12.2001 wurde § 147 a SGB III zum 01.01.02002 erstmals geändert. Abs. 2 Nr. 2 erhielt eine neue Fassung. Hintergrund waren mehrere Entscheidungen des BSG, die auch Städten, Gemeinden und den von ihnen unterhaltenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine Berufung auf den Befreiungstatbestand der unzumutbaren Belastung gestattet hatte, wenn durch die Erstattung die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet wären12 Dies wurde korrigiert. Zur Begründung heißt es in den Materialien: „Die Regelung entspricht der bisherigen Auffassung der Bundesanstalt und der Bundesregierung , dass sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht auf die Härteregelung des § 147 a Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative berufen können, wenn das Insolvenzverfahren über sie unzulässig ist. Das Bundessozialgericht hat sich in einer Entscheidung vom 22. März 2001 (B 11 AL 50/00 R) dieser Rechtsauffassung nicht angeschlossen. Die Neuregelung stellt klar, dass die Befreiung von der Erstattungspflicht auf Grund Gefährdung weiterer Arbeitsplätze im Zusammenhang mit der Befreiung wegen Existenzgefährdung zu sehen ist und daher eine Vorstufe zur Existenzgefährdung darstellt. Bei Insolvenzunfähigkeit kann jedoch eine Existenzgefährdung nicht bestehen.“13 3. Aktuelle Rechtslage 3.1. Jüngste Änderungen Das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (Arbeitsmarktreformgesetz - ArbMRefG) vom 24.12.2003 hat mit Wirkung zum 01.01.2004 die Erstattungspflicht ausgeweitet. Das maßgebliche Entlassungsalter wurde von 56 auf 55 Jahre herabgesetzt und zugleich die Erstattungsdauer von 24 auf 32 Monate ausgeweitet. Zu erstatten ist das Arbeitslosengeld außerdem bereits ab Vollendung des 57. statt bisher des 58. Lebensjahres. Die Vereinheitlichung der Vorbeschäftigungszeit dient ebenfalls der Verschärfung der Regelung 14. 12 BSG 22.03 2001 (B 11 AL 50/00 R), BSGE 88, 31, 36; BSG 21.11.2002 (B 11 AL 37/02 R), SozR 3-4100 § 128 Nr. 16; BSG 10.02.2004 (B 7 AL 98/02 R), SGb 2004, 232; zit. nach Gagel SGB III, § 147a Rn. 7. 13 BT-Drs. 14/6944, S 36. 14 Einzelheiten zu Inhalt und Anwendbarkeit der Regelung in der Informationsbroschüre der BA: Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 147 a SGB III. Dienste und Leistungen Ihrer Agentur für Arbeit, Merkblatt Nr. 15. Abrufbar im Internetauftritt der BA unter: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/Veroeffentlichungen/Merkblatt-Sammlung/MB15- Erstattungspflicht-AG-SBGIII.pdf (abgerufen am 28.09.2007). - 6 - Die Verschärfung der Erstattungspflicht dient nach der Begründung der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit dem Anliegen, Frühverrentungen effektiver als bisher zu vermeiden. Sie trägt der ebenfalls durch das ArbMRefG vorgenommenen Änderung des § 127 Abs. 2 SGB III Rechnung, wonach die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer von bislang bis zu 32 Monaten auf längstens 18 Monate verkürzt wurde15. Anwendbar ist diese Änderung nämlich aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen16 erstmals auf Arbeitslosengeldansprüche , die nach dem 31.01.2006 entstanden sind (§ 434 l Abs. 1 SGB III). Um zu verhindern, dass die Arbeitgeber ohnehin geplante Entlassungen vorzogen, um ihre Arbeitnehmer innerhalb der zweijährigen Übergangszeit noch in den Genuss der langen Bezugsdauer gelangen zu lassen, wurde die Erstattungsdauer zunächst auf 32 Monate erweitert17. Auch über diesen Zeitraum hinaus tritt die Erstattungspflicht dann ein, wenn sich die Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs gemäß §§ 127 Abs. 4, 434 l Abs. 2 SGB III durch den Rest eines früheren Anspruchs verlängert. Die geänderte Erstattungspflicht findet jedoch keine Anwendung, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits vor dem 01.01.2004 entstanden ist oder der Arbeitgeber bis zum Stichtag das Erforderliche zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses getan hat. Dies entspricht dem grundgesetzlich verankerten Rückwirkungsverbot. Das gleichfalls am 01.01.2004 in Kraft getretene Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt hat § 147 a SGB III demgegenüber nur unwesentlich verändert . Abgesehen von sprachlichen Anpassungen an die Neuorganisation der Bundesagentur für Arbeit ist die Vorschrift lediglich um einen die Verjährung regelnden Abs. 8 ergänzt worden, der inhaltlich freilich dem entspricht, was schon bislang herrschende Meinung war18. 3.2. Auslaufen der Erstattungspflicht Gleichzeitig mit der Verschärfung der Erstattungsregeln wurde durch das ArbMRefG die Übergangsvorschrift des § 434 l Abs. 4 SGB III eingeführt, die bestimmt, dass § 147 a SGB III auf Arbeitslosengeldansprüche, deren Dauer sich nach neuem Recht richtet, i.d.R. also ab 01.02. 2006, nicht mehr anwendbar ist. Daraus ergibt sich, dass die Verschärfungen der Erstattungspflicht nach § 147 a SGB III nur für eine vorübergehen- 15 BT-Drs. 15/1587, S. 28. 16 Zu berücksichtigen war, dass denjenigen, die vor dem 01.01.2004 bereits eine Anwartschaft erworben hatten, insoweit Eigentumsschutz zusteht; BVerfG 12.02.1986 (1 BvL 39/83), SozR 4100 § 104 Nr. 13; vgl. dazu näher MAYER 2003, S. 9 f.. 17 ROLFS in: Gagel SGB III, § 147a Rn. 9. 18 ROLFS in: Gagel SGB III, § 147a Rn. 133. - 7 - de Zeit wirksam werden. Mit dem Auslaufen von Arbeitslosengeldansprüche, die vor dem 01.02.2006 entstanden sind, läuft auch die Erstattungsregelung des § 147 a SGB III ersatzlos aus. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Wenn die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf höchstens 18 Monate verkürzt ist, kann auf die Erstattungspflicht verzichtet werden. Durch die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes entfallen die arbeitsförderungsrechtlichen Anreize zur Frühverrentung zu Lasten der Arbeitslosenversicherung . Damit entfällt auch die ursprünglich der Erstattungspflicht zu Grunde liegende Begründung.“19 4. Verfassungsmäßigkeit Die Regelung der Erstattungspflicht warf von Anfang an eine Reihe verfassungsrechtlicher Fragen auf. Dazu gehört vor allem, ob es sich bei der Erstattung um eine Sonderabgabe im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG20 handelt, deren Erhebung nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist, und ob durch sie in die verfassungsrechtlich durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers eingegriffen wird, der ja immerhin durch seine hälftige Beitragstragung (§ 346 Abs 1 Satz 1 SGB III) den Arbeitslosenversicherungsschutz seines Arbeitnehmers in nicht unerheblichem Umfang mitfinanziert hat21. 4.1. Rechtsprechung des BVerfG Das BVerfG hat in seinem grundlegenden Urteil vom 23.01.199022 zu § 128 AFG 1982 Auf Vorlage des BSG sowie des LSG Nordrhein-Westfalen entschieden, dass es sich nicht um eine Sonderabgabe handelt, sondern von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes abgedeckt ist. In Anbetracht der gesetzgeberischen Zielsetzung, sozial unzuträgliche Frühverrentungen zu verhindern verstoße es auch grundsätzlich nicht gegen Art 12 Abs 1 GG, wenn einem Arbeitgeber, der an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines langjährig bei ihm beschäftigten älteren Arbeitnehmers mitgewirkt hat, die sich daraus ergebenden sozialen Folgekosten auferlegt würden. Die in der Norm enthaltenen 19 BT-Drs. 15/1587 S. 28. 20 BVerfG 10.12.1980 (2 BvF 3/77), BVerfGE 55, 274, 298 ff.; BVerfG 06.11.1984 (2 BvL 19/83 u.a.); BVerfGE 67, 256, 275 ff; BVerfG 11.10.1994 (2 BvR 633/86), BVerfGE 91, 186, 201 f.; zit. nach ROLFS in Gagel SGB III, § 147 a Rn. 11. 21 ROLFS in Gagel SGB III, § 147 a Rn. 11. 22 BVerfG 23.01.1990 (1 BvL 44/86 u.a.), BVerfGE 81, 156 ff. - 8 - Ausnahmeregelungen müssten im Hinblick auf die zu fordernde besondere Verantwortung des Arbeitgebers verfassungskonform ausgelegt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (und damit die Verfassungsmäßigkeit) sei allerdings in den Fällen verletzt , in denen der Arbeitgeber zur Erstattung herangezogen werde, obwohl der ausscheidende Arbeitnehmer eine andere Sozialleistung beanspruchen könne, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhen oder entfallen lasse. Die schon zu § 128 AFG 1982 entwickelten Grundsätze hat das BVerfG im Zusammenhang mit der Erstattungspflicht des - mit Ablauf des 31.12.2003 außer Kraft getretenen - § 148 SGB III (§ 128 a AFG a.F.) nochmals bestätigt und erweitert. In seinem Beschluss vom 10.11.199823 hat der 1. Senat erkannt, dass es mit Art 12 Abs 1 GG unvereinbar ist, dass der ArbG nach § 128 a AFG/§ 148 SGB III für die Dauer einer Vereinbarung über die Unterlassung von Wettbewerb zusätzlich zur arbeitsrechtlichen Entschädigung (§§ 74 Abs 2, 74 c Abs 1 HGB) die gesamten Kosten der Arbeitslosigkeit seines früheren Arbeitnehmers (Arbeitslosengeld und Sozialversicherungsbeiträge) ohne Rücksicht darauf zu tragen hat, ob die Arbeitslosigkeit durch eine Wettbewerbsvereinbarung verursacht ist. Weil es die Bestimmungen des HGB ausschließen, die Unterlassungspflicht auf den gesamten Arbeitsmarkt zu erstrecken, bleibe der karenzpflichtige Arbeitnehmer - wenn auch nur im nicht geschützten Bereich des Arbeitsmarktes - grundsätzlich vermittelbar. Könne er hier nicht vermittelt werden, beruhe die Arbeitslosigkeit nicht wesentlich auf dem Wettbewerbsverbot, sondern auf der allgemeinen Arbeitsmarktlage oder den persönlichen Eigenschaften des Arbeitslosen. Unter diesen Umständen lasse sich nicht generell sagen, dass Wettbewerbsabreden die typische Ursache für die Arbeitslosigkeit seien. Habe der Arbeitgeber aber nur abstrakt eine von mehreren möglichen Ursachen für das Fortbestehen der Arbeitslosigkeit gesetzt, sei es nicht angemessen, ihm die vollen Kosten der Arbeitslosigkeit aufzuerlegen.24 Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Erstattungspflicht hat das BVerfG zuletzt durch Beschluss vom 09.09.200525 bestätigt. 4.2. Rechtsprechung des BSG Auch gegen die im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG erfolgte Neufassung des § 128 AFG/§ 147 a SGB III sind in zahlreichen Verfahren vor dem BSG verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden. Das BSG hat die Vorschrift aber bislang stets für mit dem GG vereinbar gehalten. Eine Regelung der Berufsausübung sei schon dann mit 23 BVerfG (1 BvR 2296/96), BVerfGE 99, 202 ff.); zit. nach ROLFS in Gagel SGB III, § 147 a Rn. 13. 24 ROLFS in Gagel SGB III, § 147 a Rn. 13. 25 BVerfG 09.09.2005 (1 BvR 620/01), AP AFG § 128 Nr. 7. - 9 - Art 12 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibe. Dabei habe der Gesetzgeber für seine arbeits - oder sozialpolitischen sowie wirtschaftspolitischen Ziele einen weiten Gestaltungsspielraum . Er könne Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen . Seine Gestaltungsfreiheit sei noch größer, wenn die Regelung - wie hier - nicht unmittelbar berufsregelnden Charakter habe. Die arbeits- und sozialpolitische Zielsetzung, „Frühverrentungen“, mit denen Personalkosten namentlich von Großunternehmen auf die Solidargemeinschaft abgewälzt werden, zu vermeiden, dürfe der Gesetzgeber verfolgen ; dies sei durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die Eignung der Erstattungspflicht sei bereits dann anzunehmen, wenn durch sie der gewünschte Erfolg gefördert werde. Eine verfassungsrechtliche Beanstandung sei nur möglich, wenn das eingesetzte Mittel „objektiv ungeeignet“ oder „schlechthin ungeeignet“ sei. Dieses Merkmal habe das BVerfG für die im Wesentlichen gleichlautende frühere Regelung verneint. Für das geltende Recht könne nichts anderes gelten. Den Arbeitgebern sei durch die Befreiungstatbestände des § 147 a Abs. 1 Satz 2 und die Auffangklausel des § 147 a Abs. 2 Nr. 2 insbesondere die Möglichkeit eingeräumt worden, betriebliche Belange vorzutragen und unter Beweis zu stellen, um die Erstattungspflicht - von der zeitlichen Begrenzung abgesehen - in den Grenzen zumutbarer Belastung der Verhältnismäßigkeit zu halten. Damit sei die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung gewahrt.26 Die Erstattungspflicht des Arbeitgebers sei auch insoweit verfassungsgemäß, als Arbeitslose von der Möglichkeit Gebrauch machen, Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III (sog. „58er-Regelung“) in Anspruch zu nehmen . Auch wenn Arbeitslose danach nicht mehr jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen bereit sein müssen, stehe ihnen Arbeitslosengeld nur zu, wenn sie die objektiven und subjektiven Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen erfüllten. Die Rechtsansicht , eingeschränkte Arbeitsbereitschaft älterer Arbeitnehmer und eingeschränkte Vermittlungsbemühungen der BA führten zu einer nicht verhältnismäßigen Risikoverteilung zum Nachteil von Arbeitgebern27, verkenne die tatsächlichen Verhältnisse des Arbeitslebens . Die Regelung des § 428 SGB III berücksichtige u.a., dass Arbeitslosen nach Vollendung des 58. Lebensjahres im Allgemeinen kein Arbeitsplatz mehr vermittelt werden kann, der ihrer bisherigen, in der Regel durch langjährige Betriebszugehörigkeit geprägten Tätigkeit annähernd gleichwertig ist. Bestünden aber für ältere Arbeitnehmer ohnehin kaum Vermittlungsmöglichkeiten, werde deutlich, dass der Aufhe- 26 BSG 17.12.1997 (11 RAr 61/979, BSGE 81, 259, 266 ff.; zuletzt: BSG 20.06.2002 (B 7 AL 8/01 R), SGb 2002, 558; BSG 27.05.2003 (B 7 AL 124/01 R); zit. nach ROLFS in: Gagel SGB III, § 147 a Rn. 14. 27 So z.B. KREßEL 1993, 292, 294. - 10 - bungsvertrag gerade nach langer Betriebszugehörigkeit wesentlich mitwirkende Ursache für die Arbeitslosigkeit sei. Die Frühverrentungspläne der Unternehmen kalkulierten dies ein und gingen davon aus, dass entlassene Arbeitnehmer nach einjähriger Arbeitslosigkeit mit 60 Jahren Altersrente beziehen können. Die Ansicht, bei Inanspruchnahme des § 428 SGB III seien mangelnde Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen und eingeschränkte Vermittlungsbemühungen der BA Grund der Arbeitslosigkeit, werde der Bedeutung, die der Lösung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitslosigkeit zukomme, nicht gerecht. Sie verwechsele insofern Ursache und Wirkung und sei nicht geeignet, Arbeitgeber von ihrer Verantwortung für die Arbeitslosigkeit langjähriger älterer Arbeitnehmer zu entlasten.28 5. Wirksamkeit der bisherigen Erstattungsregelung Die Regelung der Erstattungspflicht des Arbeitgebers bei Entlassung langjährig beschäftigter älterer Arbeitnehmer beabsichtigt eine Entlastung der Arbeitslosenversicherung von den Kosten sog. Frühverrentungen. Ob sie aber tatsächlich zu einer verbesserten Risikoverteilung zwischen Arbeitslosenversicherung und Arbeitgeber führte, erschien bereits in den 90-er Jahren zweifelhaft. So kam es 1993 in lediglich 0,7 % der relevanten Leistungsfälle zur Erstattung durch Arbeitgeber29. Die inzwischen wesentlich verkürzte Höchstdauer des Bezuges von Arbeitslosengeld verbessert zwar die Risikoverteilung zwischen dem Arbeitgeber und der Solidargemeinschaft der Versicherten bei der Entlassung älterer Arbeitnehmer nicht, vermindert aber den Umfang des bei der Versichertengemeinschaft verbleibende Risikos. Bei der Beurteilung der Frage einer möglichen Wiedereinführung einer Erstattungspflicht wird dies ebenso zu berücksichtigen sein wie der Umstand, dass der von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht bestimmte Rahmen für die Heranziehung des Arbeitgebers einen erheblich höheren Wirkungsgrad als den von der Vorgängerregelung erreichten unwahrscheinlich macht. 28 BSG 17.12.1997 (11 RAr 61/97), BSGE 81, 259, 266 ff.; weitere Nachw. bei ROLFS in Gagel SGB III, § 147 a Rn. 15. Bestätigt durch BVerfG 09.09.2005 (1 BvR 620/01), SozR 4-4100 § 128 Nr. 4. 29 LOHRE in: Lohre/Mayer/Stevens-Bartol 2000, § 147 a SGB III Rn. 2, eine kontinuierliche Erfassung des Wirkungsgrades der Regelung hat es nach Auskunft der BA nicht gegeben, so dass verlässliche Zahlen dazu dort nicht vorliegen. - 11 - 6. Literaturverzeichnis GAGEL, Alexander: Sozialgesetzbuch III - Arbeitsförderung - mit SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kommentar. Loseblattsammlung. Stand: 01.05.2007. München: C.H.Beck. (Zit. als Gagel SGB III) KREßEL, Eckhard (1993): Die Erstattungspflicht nach § 128 AFG und Ansprüche auf alternative Sozialleistungen. In: NZS 1993, S. 292 ff. (Zit. als Kreßel 1993) LOHRE, Werner; MAYER, Udo; STEVENS-BARTOL, Eckart (Hrsg.) (2000): Arbeitsförderungsrecht . 3. Aufl. Frankfurt am Main: Bund-Verlag. (Zit. als Lohre/Mayer/Stevens -Bartol 2000) MAYER, Udo (2003): Gutachterliche Stellungnahme zur Verkürzung der Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld. Hamburg. (Zit. als Mayer 2003) NIESEL, Klaus (Hrsg.), bearb. von Jürgen Brand (2007): Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung - SGB III. Kommentar. 4. Aufl. München: C.H.Beck. (Zit. als Niesel SGB III)