© 2015 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 156/14 Rechtsfragen zum Crowdsourcing Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 2 Rechtsfragen zum Crowdsourcing Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 156/14 Abschluss der Arbeit: 16. September 2014 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Die Abschnitte 5 und 6 wurden mit dem Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) inhaltlich abgestimmt. © 2015 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 156/14 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses zwischen dem Crowdworker und dem Crowdworking- Portal 5 2.1. Arbeitsvertrag 5 2.2. Dienstvertrag 6 2.3. Werkvertrag 6 2.4. Fazit 7 3. Allgemeine Geschäftsbedingungen 7 4. Rechtsschutz der Crowdworker 9 4.1. Vertraglicher Rechtsschutz 9 4.2. Verbots- oder Sittenwidrigkeit 9 5. Anwendbares Recht und Gerichtsstand bei ausländischem Unternehmenssitz 10 5.1. Anwendbares Recht 10 5.2. Gerichtsstand 10 6. Urheberrecht und öffentliche Bewertung 10 6.1. Urheberrecht 10 6.2. Öffentliche Bewertung 11 7. Einbeziehung der Crowdworker in die Künstlersozialversicherung 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 4 1. Einleitung Der Begriff Crowdsourcing ist ein im Jahre 2006 von dem amerikanischen Journalisten Jeff Howe geprägter Neologismus, der sich aus „Crowd“ und „Outsourcing“, zusammensetzt. Eine wissenschaftliche Definition des Begriffs existiert - soweit ersichtlich - nicht. Crowdsourcing beschreibt die Auslagerung von Unternehmensaufgaben und -strukturen an die Masse der Internetnutzer.1 Dabei kann es sich „um eine Vielzahl von kleinen Teilaufgaben handeln, wie z.B. eine Verschlagwortung von Dokumenten oder die Katalogisierung der Krater auf einem fernen Planeten, die dann vom Auftraggeber zusammengeführt werden. Es kann auch um hochkomplexe, schwierige Aufgaben wie mathematische Probleme, wissenschaftliche Fragen aus der Medizin oder andere Spezialistenthemen gehen, wie z. B. die grafische Entwicklung eines Logos oder Designfragen. So werden der "Schwarmintelligenz" auch hochinnovative, nur mit Spezialwissen und Ideenreichtum lösbare Problemstellungen übertragen.“2 Die erste große kommerzielle Crowdsourcing- Website hat Amazon im November 2005 ins Netz gestellt: „Mechanical Turk“. In Deutschland gibt es einem ausführlichen und gut recherchierten Hörfunkbeitrag des Bayerischen Rundfunks3 zufolge derzeit etwa 70 Crowdsourcing-Seiten; dazu gehören z. B. „Clickworker“ und „Crowdguru “. Die Crowdworking-Portale treten danach im Wesentlichen als Vermittler zwischen den Auftraggebern , den sogenannten „Crowdsourcern“ und den Mitarbeitern, den sogenannten „Crowdworkern “ tätig. Die Portale unterscheiden sich aber erheblich in der Art ihrer Tätigkeit. Mechanical Turk etwa versteht sich als eine reine Vermittlungsplattform zwischen den Auftraggebern und den Crowdworkern, die dort „Turker“ genannt werden. Es besteht in diesem Fall keine vertragliche Beziehung zwischen dem Crowdworker und der Vermittlungsplattform. Der Auftraggeber stellt auf der Webseite von Mechanical Turk den zu erledigenden Auftrag ein. Hat ein Turker einen Teilauftrag erledigt, entscheidet der Auftraggeber ob er für das Ergebnis anerkennt und bezahlt oder nicht. Dabei bleibt der Auftraggeber für den Turker anonym, der sich mithin gegen die Ablehnung der Bezahlung nicht wehren kann. 4 In Deutschland dagegen übernehmen etwa Portale die „Clickworker“ und „Crowdguru“ selbst gegen Entgelt die Aufträge von den Auftraggebern und lassen sie ihrerseits durch Crowdworker erledigen . Sie fungieren gegenüber den Crowdworkern also nicht als Vermittlungsplattform, son- 1 Vgl. dazu im Internetauftritt des Deutscher Crowdsourcing Verbands e. V.: www.crowdsourcingverband.de/uber -crowdsourcing/ (letzter Abruf am 15. September 2014). 2 KLEBE Thoma; NEUGEBAUER, Julia: Crowdsourcing: Für eine handvoll Dollar oder Workers of the crowd unite? In: AuR 2014, 4. 3 STRUBE, Sebastian: Crowdwork. Vom Entstehen der digitalen Arbeiterklasse. Zündfunk Generator vom 14. März 2014. Abrufbar in der Mediathek des Bayerischen Rundfunks: http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk /kolumnen-sendungen/generator/crowdworking-digitale-arbeiterklasse-100.html (letzter Abruf am 15. September 2014; Manuskript abrufbar unter: http://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/manuskripte -zuendfunk-generator-228.html (letzter Abruf am 15. September 2014). 4 Zündfunk Generator, Manuskript (Fn.3) , S. 12, 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 5 dern selbst als Auftraggeber und entscheiden auch über Annahme und Bezahlung der eingereichten Arbeiten. Vertragsbeziehungen bestehen in diesen Fällen mithin zwischen den Auftraggebern und den Crowdworking-Portalen einerseits und diesen und den Crowdworkern andererseits. Der Auftraggeber erhält das fertige Endprodukt vom Crowdworking-Portal und es entsteht zwischen ihm und den Crowdworkern kein Vertragsverhältnis.5 2. Rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses zwischen dem Crowdworker und dem Crowdworking-Portal Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum hat das Thema des noch immer in Entstehung begriffenen Phänomens des Crowdworking mit den damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen bisher nur sporadischen Niederschlag gefunden. Es stellt sich zunächst die Frage nach der Art des Rechtsverhältnisses, das zwischen dem Auftraggeber, bei reiner Vermittlungsfunktion eines Crowdworking-Portals dem eigentlichen Auftraggeber, im anderen Fall dem Crowdworking-Portal selbst und den Crowdworkern entsteht. Vom Letzteren soll, da es sich in Deutschland offenbar um den Normalfall handelt (siehe oben 1.), im Folgenden ausgegangen werden. 2.1. Arbeitsvertrag Der vielfach verwendete Begriff des Crowd-Workers legt die Arbeitnehmereigenschaft nahe, sodass zunächst an ein Arbeitsverhältnis als besondere Form des Dienstvertrages nach § 611 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zwischen Crowdworking-Portal und Crowdworker zu denken ist. Weder der Begriff des Arbeitgebers6 noch der des Arbeitnehmers7 sind gesetzlich definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist Arbeitgeber, wer eine Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer kraft eines Arbeitsvertrages zu fordern berechtigt ist.8 Arbeitnehmer ist dem BAG zufolge, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages für einen anderen weisungsgebundene , fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit gegen Entgelt leistet.9 Das Arbeitsverhältnis ist geprägt durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber . Wesentliches Kriterium für diese Abhängigkeit ist nach der BAG-Rechtsprechung die 5 Zündfunk Generator, Manuskript, S. 13. 6 Hümmerich/Boecken/Düwell/SCHÖNE, Nomos Kommentar Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2010, § 611 BGB, Rn. 126. 7 Hümmerich/Boecken/Düwell/SCHÖNE (Fn.6), § 611 BGB, Rn. 51. 8 BAG 9. September 1982 – 2 AZR 253/80 – AP § 611 BGB Hausmeister Nr. 1. 9 BAG 13. März 2008 – 2 AZR 1037/06 – NZA 2008, 878. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 6 Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers.10 Nach dem in Anlehnung an § 106 der Gewerbeordnung (GewO) entwickelten Direktionsrecht des Arbeitgebers kann dieser die konkrete Leistungspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich Ort, Art und Zeit näher gestalten.11 Crowdworking-Portale üben keine Weisungsbefugnis im dargelegten Sinne gegenüber den Crowdworkern aus. Vielmehr können diese Arbeitszeit und Arbeitsort frei wählen und sind auch in der Art der Erledigung lediglich durch den Auftrag gebunden. Da Crowdworker mithin nicht persönlich abhängig von den Crowdworking-Portalen sind, liegt auch ein Arbeitsverhältnis zwischen ihnen nicht vor. 2.2. Dienstvertrag In Betracht kommt allerdings das Vorliegen eines freien Dienstvertrages nach § 611 BGB. Anders als der Arbeitsvertrag bezieht sich der Dienstvertrag auf eine selbstständige, unternehmerische Tätigkeit. Der Dienstverpflichtete, der häufig auch als freier Mitarbeiter bezeichnet wird, ist anders als der Arbeitnehmer nicht weisungsunterworfen, sondern kann Ort und Zeit der Dienstleistung sowie die Art der Erledigung im Rahmen seiner Dienstverpflichtung frei wählen und damit die zu erbringenden Dienste in wirtschaftlicher und sozialer Selbstständigkeit und persönlicher Unabhängigkeit leisten.12 Allerdings ist der Dienstvertrag rein tätigkeitsbezogen. Das bedeutet, dass allein der zu erbringende Dienst geschuldet ist, nicht jedoch ein bestimmter Erfolg.13 2.3. Werkvertrag Soweit, was beim Crowdworking regelmäßig der Fall sein wird, ein bestimmter Erfolg geschuldet ist, also ein Ergebnis der geleisteten Dienste vorzuweisen ist, kommt ein Werkvertragsverhältnis im Sinne des § 631 BGB zwischen dem Crowdworker und dem Crowdworking-Portal in Betracht. Nach § 631 Abs. 1 BGB verpflichtet sich der Werkunternehmer gegen Zahlung eines Werklohns zur Herstellung eines Werkes. Hinsichtlich der Weisungsfreiheit und der fehlenden persönlichen 10 Vgl. z. B. BAG 13. Januar 1983 – 5 AZR 149/82 – AP § 611 BGB Abhängigkeit Nr. 42. 11 Weitere Kriterien zur Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Selbstständigen sind nach der Rechtsprechung des BAG insbesondere das Abführen von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen durch den Leistungsempfänger , die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle und die Fortsetzung der Vergütung während des Urlaubs. 12 Hümmerich/Boecken/Düwell/SCHÖNE (Fn.6), § 611 BGB, Rn. 141. 13 Hümmerich/Boecken/Düwell/SCHÖNE (Fn.6), § 611 BGB, Rn. 144. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 7 Abhängigkeit gilt für den Werkvertragsunternehmer das für den freien Mitarbeiter Gesagte: Ebensowenig wie dieser unterliegt er einer persönlichen Abhängigkeit vom Besteller. Allein die Erfolgsbezogenheit grenzt den Werkvertrag vom Dienstvertrag ab.14 2.4. Fazit Wie gesehen, sind Crowdworker keine Arbeitnehmer. Das Verhältnis zu ihrem Auftraggeber ist nicht durch persönliche Abhängigkeit geprägt, sondern durch selbstständiges unternehmerisches Handeln. Somit gelten auch die Regelungen des technischen und sozialen Arbeitsschutzes für sie nicht. Der technische Arbeitsschutz betrifft die Verhütung von Gefahren für das Leben und die Gesundheit, die von der Arbeitsstätte, von Gefahrstoffen oder auch Produktions- und Arbeitsverfahren ausgehen können; der soziale Arbeitsschutz umfasst insbesondere die Bestimmungen zu Arbeitszeiten, Erholungsurlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, aber auch den Schutz bestimmter Personengruppen (Mutterschutz und Jugendarbeitsschutz) sowie den Anspruch auf den ab 1. Januar 2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohn. Auch die aufgrund der besonderen Abhängigkeit des Arbeitnehmers bestehende allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers findet keine Anwendung. Ob die Crowdworker stattdessen als freie Mitarbeiter oder als Werkunternehmer zu betrachten sind, kommt letztlich auf den konkreten Zuschnitt der Tätigkeit an. In der Regel werden die Aufträge so konzipiert sein, dass vom Crowdworker nicht nur das bloße Tätigwerden, sondern ein konkretes Arbeitsergebnis erwartet wird, sodass im Allgemeinen wohl von einem Werkvertragsverhältnis auszugehen ist. Für die rechtliche Stellung gegenüber dem Auftraggeber hat dies aber keine entscheidende Bedeutung. Von einer gezielten Umgehung arbeitsrechtlicher Vorschriften durch missbräuchliche Vertragsgestaltung kann jedoch wohl nicht gesprochen werden. Die mit der Arbeitnehmereigenschaft verbundene persönliche Abhängigkeit dürfte weder von Seiten der Auftraggeber noch von Seiten der Crowdworker gewünscht sein. Soweit aber aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses im Einzelfall dennoch die Voraussetzungen für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses vorliegen, ist dieses auch nach arbeitsrechtlichen Bestimmungen zu behandeln; denn die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Vertragsparteien ist für die rechtliche Einordnung nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Durchführung des Vertrages .15 3. Allgemeine Geschäftsbedingungen Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Crowdworker und dem Crowdworking-Portal werden – soweit ersichtlich – zumeist durch die Inbezugnahme von Allgemeinen Geschäftsbedingungen 14 Hümmerich/Boecke/ Düwell/SCHÖNE (Fn.6), § 611 BGB, Rn. 145. 15 Beck‘scher Online-Kommentar BGB/FUCHS § 611, Rn. 37-38. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 8 (AGB) in den Dienst- beziehungsweise Werkvertrag geregelt. AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt. Die Crowdworking-Portale stellen die AGB, die durch den Crowdworker akzeptiert werden müssen , damit es zu einem Vertrag zwischen den beiden Parteien kommt. Es entspricht gemäß § 305 Abs. 1 BGB dem Wesen der AGB, dass diese einseitig vom Verwender formuliert und nicht ausgehandelt werden. Entscheidend für die Wirksamkeit der verwendeten AGB ist, dass sie der Klauselkontrolle nach den §§ 307-309 BGB standhalten. Erweist sich nach Prüfung eine Klausel als unwirksam, z. B. weil sie mit den bestehenden gesetzlichen Vorschriften nicht vereinbar ist (vgl. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), richtet sich die Rechtsfolge nach § 306 Abs. 1 BGB, wonach die unwirksame Klausel wegfällt und stattdessen die gesetzlichen Bestimmungen gelten. Soweit unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)16 vertreten wird, die einseitige Bestimmungsmacht der Crowdsourcer durch die Verwendung von AGB verletze den Crowdworker möglicherweise in seinem Persönlichkeitsrecht, ist festzustellen, dass der Crowdworker zwar auf die Gestaltung der AGB des Auftraggebers keinerlei Einfluss hat; doch befindet er sich nicht in einer Zwangslage, die mit dem der zitierten Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbar wäre. Dort beantragte die Beschwerdeführerin als Versicherungsnehmerin Leistungen der Berufsunfähigkeitsversicherung . Für einen erfolgreichen Antrag war aber die Entbindung der behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht sah die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung verletzt. Die Beschwerdeführerin könne im Ergebnis nicht frei wählen, ob sie die Schweigepflichtentbindungserklärung abgibt, da der Vertragspartner ein solches überlegenes Gewicht habe, dass er den Vertragsinhalt einseitig bestimmen könne. Die Leistung der Berufsunfähigkeitsversicherung sei für die Beschwerdeführerin zur Sicherung ihrer persönlichen Lebensverhältnisse von so erheblicher Bedeutung, dass es für sie unzumutbar sei, die Schweigepflichtentbindungserklärung nicht abzugeben.17 Im Verhältnis zwischen Crowdsourcer und Crowdworker fehlt es bereits an einem dem Sachverhalt in dem vom BVerfG entschiedenen Fall vergleichbaren Machtgefälle. Insbesondere besteht nicht bereits ein Rechtsverhältnis zwischen den beiden, aus dem allein eine Forderung geltend gemacht werden kann. Vielmehr steht es dem Crowdworker frei, eine vertragliche Verbindung mit dem jeweiligen Crowdsourcing-Portal erst einzugehen oder sich nach einer anderen, geeigneteren Crowdsourcing-Plattform oder einer anderen Erwerbsquelle umzuschauen. Damit unterliegt die Verwendung von AGB im Verhältnis zwischen Crowdsourcing-Portal und Crowdworker keinen grundsätzlichen Bedenken. 16 BVerfG Beschluss vom 23. Oktober 2006, Az. 1 BvR 2072/02. 17 BVerfG Beschluss vom 23. Oktober 2006, Az. 1 BvR 2072/02, Rn. 33-40. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 9 4. Rechtsschutz der Crowdworker 4.1. Vertraglicher Rechtsschutz Der Schutz der Crowdworker ergibt sich in erster Linie aus den Bestimmungen des jeweiligen Vertragstyps. Bei Vorliegen eines freien Dienstvertrages hat er Anspruch auf die vereinbarte Vergütung nach § 611 Abs. 1 BGB. Die Zahlung der Vergütung ist nach Erbringung der Dienstleistung gemäß § 614 BGB fällig. Da der Dienstvertrag rein tätigkeitsbezogen ist, gibt es keine speziellen Gewährleistungsregeln. Beim erfolgsbezogenen Werkvertrag nach § 631 BGB regeln die §§ 633 ff. BGB ein ausdifferenziertes Gewährleistungsrecht für Rechts- und Sachmängel des hergestellten Werks. Insbesondere besteht auch bei unwesentlichen Mängeln eine Abnahmepflicht des Bestellers (§ 640 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Anspruch auf die vereinbarte Vergütung ist gemäß § 641 Abs. 1 BGB an die Abnahme des Werkes geknüpft. Verweigert aber das Crowdworking-Portal die Abnahme des Werkes grundlos, kann der Crowdworker nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB dem Portal eine Frist zur Abnahme setzen, mit deren fruchtlosem Verstreichen das Werk als abgenommen gilt und die Vergütung fällig wird. Dabei handelt es sich um dispositive Bestimmungen. Durch Vereinbarung oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann davon im Einzelfall abgewichen werden. Abweichende Bedingungen unterliegen dann jedoch der Klauselkontrolle der §§ 307-309 BGB. 4.2. Verbots- oder Sittenwidrigkeit Im Übrigen richtet sich der Schutz der Crowdworker nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen der § 134 BGB und § 138 BGB. Danach sind Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen, nichtig. Das ist nach § 138 Abs. 2 BGB insbesondere dann der Fall, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen der zu erbringenden Leistung und der Gegenleistung (Wucher) vorliegt. Nach der Rechtsprechung kann von Wucher gesprochen werden, wenn die Vergütung in einem besonders groben Missverhältnis zur üblichen Vergütung von Tätigkeiten oder Leistungen ähnlicher Art steht. Nicht anwendbar ist freilich mangels eines Arbeitsverhältnisses die vom BAG aufgestellte Regel, wonach eine Arbeitsentgeltabrede dann als sittenwidrig anzusehen ist, wenn sie weniger als zwei Dritteln der marktüblichen Vergütung vorsieht.18 Ein wucherischer Vertrag ist nichtig. Wurde er jedoch gleichwohl durchgeführt, verliert der benachteiligte Vertragspartner aber nicht jeglichen Anspruch auf Vergütung. Vielmehr findet eine Umdeutung des Vertrages analog § 140 BGB statt mit dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf die verkehrsübliche Vergütung entsteht. 18 Vgl. dazu Münchener Kommentar/ARMBRÜSTER, § 138 BGB, Rn. 123. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 10 5. Anwendbares Recht und Gerichtsstand bei ausländischem Unternehmenssitz 5.1. Anwendbares Recht Das anwendbare Recht und der Gerichtsstand richten sich grundsätzlich nach dem Sitz des Unternehmens . Bei Inlandsbezug findet jedoch im Rahmen der Europäischen Union der Grundsatz der freien Rechtswahl nach Art. 3 der Verordnung Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I VO) Anwendung. Danach können die Parteien, vorliegend das Crowdsourcing-Portal und der Crowdworker, das anzuwendende Recht frei bestimmen. Dies kann auch im Rahmen von AGB erfolgen. Haben die Parteien die Anwendung ausländischen Rechts gewählt, kann dieser Grundsatz aber eingeschränkt sein durch das Institut des sogenannten „Ordre Public“. Gemäß Art. 21 Rom I VO findet ausländisches Rechts keine Anwendung, wenn dieses mit der deutschen öffentlichen Ordnung unvereinbar ist. Im Übrigen kann bei der Anwendung ausländischen Rechts und einem Inlandsbezug eine Überprüfung anhand der sogenannten Eingriffsnormen nach Art: 9 Rom I VO stattfinden, zu denen insbesondere der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört. Wenn die Parteien von Art. 3 Rom I VO keinen Gebrauch gemacht haben, richtet sich das anzuwendende Recht nach Art. 4 Rom I VO. Für die hier in Betracht kommenden Fälle richtet sich das anzuwendende Recht sowohl nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I VO als auch nach Art. 4 Abs. 2 Rom I VO nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Crowdworkers. 5.2. Gerichtsstand Die Rom I VO findet aber gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I VO keine Anwendung auf Gerichtsstandsvereinbarungen . Für diese gilt Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Danach können die Parteien eine Vereinbarung über einen Gerichtsstand treffen, wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet des entsprechenden Mitgliedstaats hat. Es ist aber zu empfehlen, dass das materielle Recht und der Gerichtsstand korrespondieren, da es sonst sehr kostenaufwändig sein kann, wenn ein Gericht ausländisches Recht ermitteln muss. Die Vorschriften der Rom I VO gelten nur für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Bei einem Firmensitz außerhalb der Europäischen Union finden die Regelungen der völkerrechtlichen Verträge Anwendung, vergleich Art. 25 Rom I VO. 6. Urheberrecht und öffentliche Bewertung 6.1. Urheberrecht Werden beim Crowdworking schöpferische Leistungen erbracht, erfolgt – soweit ersichtlich – in aller Regel eine vollständige Übertragung der Nutzungsrechte auf das Crowdworking-Portal, das dann auch das Recht hat, diese an Dritte, in der Regel den eigentlichen Auftraggeber, weiterzugeben . Ist dies im Vertrag nicht geregelt, verbleiben die Nutzungsrechte beim Crowdworker. Besteht Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 11 aber eine Regelung in den AGB, wonach eine Übertragung der Nutzungsrechte auch für abgelehnte und nicht bezahlte Werke erfolgt, dürfte ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 11 Satz 2 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) vorliegen. Danach soll der Urheber an dem wirtschaftlichen Nutzen beteiligt werden, der aus seinem Werk gezogen wird.19 Bei dem deutschen Crowdworking-Portal „clickworker.com“ erfolgt gemäß § 5.1 der AGB eine Übertragung von Nutzungsrechten nur gegen eine zu zahlende Vergütung für abgenommene Leistungen . Damit setzt der Übergang der Nutzungsrechte auf das Portal sowohl die Zahlung einer Vergütung als auch die Abnahme des Werkes voraus und steht somit im Einklang mit § 11 Satz 2 UrhG. Im Schrifttum wird aber auch die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit die beim Crowdworking auftretenden Erscheinungsformen kollektiven Schaffens eigenständiger gesetzlicher Regulierung bedürfen: „Klassische Ansätze einer anfänglichen Konzentration der Rechte beim Verwerter in Anlehnung an das US-amerikanische Vorbild der works-made-for-hire stehen jedenfalls vor dem Begründungsproblem, auf welcher argumentativen Grundlage man der Vielzahl kleiner Schöpfer die Urheberrechte vorenthalten will, bloß weil sie so viele und die Transaktionskosten eines geordneten Rechtserwerbs vergleichsweise hoch sind.“20 6.2. Öffentliche Bewertung Können die auftraggebenden Unternehmen die einzelnen Crowdworker auf dem Crowdworking- Portal einseitig öffentlich bewerten, ohne dass der Crowdworker die Bewertung anfechten oder nachträglich ändern kann, ist die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, von der Art der Bewertung abhängig. Handelt es sich bei der Bewertung um eine subjektive Einschätzung, stellt dies grundsätzlich eine zulässige Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dar. Die Grenze der Meinungsfreiheit ist aber dann überschritten, wenn es sich um unwahre Tatsachen oder um Schmähkritik, also um Kritik ohne einen sachlichen Bezug, handelt.21 Dann kommt ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht und der Crowdworker hat einen Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. 19 BGHZ 17, 266, 282. 20 DREIER, Thomas/LEISTNER, Matthias: Urheberrecht im Internet: die Forschungsherausforderungen in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 2013, 881, 885. 21 Beck‘scher Online-Kommentar GG/SCHEMMER Art. 5 Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 156/14 Seite 12 7. Einbeziehung der Crowdworker in die Künstlersozialversicherung Soweit Crowdworker schöpferisch tätig werden, kommt eine soziale Absicherung über die Künstlersozialversicherung nach den Vorschriften des Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (Künstlersozialversicherungsgesetz - KSVG) in Betracht. Sie soll freischaffenden Künstlern und Publizisten Zugang zu Leistungen der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ermöglichen. Wie Arbeitnehmer müssen die Versicherten die Hälfte der Beiträge selbst zahlen, die andere Beitragshälfte wird durch eine Abgabe der verwertenden Unternehmen und einen Bundeszuschuss finanziert. Voraussetzung ist aber, dass die selbstständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit als Beruf, also zu Erwerbszwecken, ausgeübt wird.22 Nach Angaben des Deutschen Crowdsourcing Verbands e. V. sind die künstlerisch oder publizistisch tätigen Crowdworker bisher nicht in der Künstlersozialkasse erfasst.23 Nach Auskunft der Künstlersozialkasse sind die Crowdworker im Zusammenhang mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz bisher nicht in Erscheinung getreten, sodass bislang keine praktischen Erfahrungen vorlägen. 22 Vgl. dazu den Internetauftritt der Künstlersozialkasse: http://www.kuenstlersozialkasse.de (letzter Abruf: 15. September 2014). 23 Vgl. im Internetauftritt des Deutschen Crowdsourcing Verbands: http://www.crowdsourcingverband.de/faq (letzter Abruf: 15. September).