© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 149/19 Einzelfragen zum Zugang von ausländischen Staatsangehörigen zu ausgewählten Sozialleistungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 2 Einzelfragen zum Zugang von ausländischen Staatsangehörigen zu ausgewählten Sozialleistungen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 149/19 Abschluss der Arbeit: 20. März 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Leistungsausschlüsse nach dem SGB II und SGB XII für ausländische Staatsbürger 4 2.1. Gesetzeslage bis zum 28. Dezember 2016 5 2.2. Rechtsprechung des EuGH zu den Leistungsausschlüssen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aF 6 2.3. Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aF und § 23 SGB XII aF 8 2.4. Aktuelle Gesetzeslage 9 2.4.1. Neuregelungen der Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 SGB II 10 2.4.2. Neuregelungen in § 23 SGB XII 11 2.4.3. Geltung der Neuregelungen für Drittstaatsangehörige 12 3. Kinderzuschlag 13 4. Berufsausbildungsbeihilfe 13 5. Wohngeld 14 6. Sozialversicherung 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 4 1. Einleitung Die nachfolgende Arbeit befasst sich mit dem Zugang ausländischer Staatsangehöriger zu ausgewählten Sozialleistungen. Dabei wurde der Frage nachgegangen, ob und inwieweit es in der Rechtsprechung und der juristischen Fachliteratur Rechtsauffassungen gibt, die Differenzierungen ausgehend von der Staatsbürgerschaft oder dem Aufenthaltsrecht über die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen hinaus ausdrücklich thematisieren und für zulässig halten. Ausgegangen wurde dabei von den einschlägigen aktuellen bundesgesetzlichen Bestimmungen, die den Zugang von ausländischen Staatsangehörigen zu den jeweiligen Sozialleistungen regeln. Unterschiedliche Rechtsaufassungen, die die Auslegung der bestehenden bundesgesetzlichen Regelungen betreffen, werden nachfolgend hingegen nicht aufgegriffen, da der Gesetzeswortlaut hiervon letztlich unberührt bliebe. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass der Bundesgesetzgeber sowohl die unionsrechtlichen auch als auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben einzuhalten hat. Es wird darauf verwiesen , dass sich insbesondere einschlägige Kommentare und Aufsätze häufig auf eine Beschreibung der Rechtslage und der Auslegung durch die Gerichte beschränken. Darüber hinaus gehende Ausführungen befassen sich - soweit ersichtlich - zum Großteil mit der Frage, ob und inwieweit die bestehenden Regelungen mit den unionsrechtlichen und deutschen verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar sind. Dies gilt umso mehr für die Rechtsprechung. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der zahlreichen Judikatur und der Vielzahl an rechtswissenschaftlichen Publikationen, die sich grundsätzlich mit dem Zugang zu Sozialleistungen für ausländische Staatsangehörige befassen, eine abschließende Sichtung nicht möglich ist. 2. Leistungsausschlüsse nach dem SGB II und SGB XII für ausländische Staatsbürger Grundsätzlich erhalten auch Ausländer Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und (bestimmte) Leistungen der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), wenn sie die entsprechenden allgemeinen Voraussetzungen erfüllen. Für ausländische Staatsangehörige existieren hinsichtlich ihres Zugangs zu Leistungen nach dem SGB II und SGB XII jedoch besondere Leistungsausschlüsse nach den § 7 Abs. 1 Satz 2 bis 5 SGB II und § 23 SGB XII. Diese Leistungsausschlüsse sind durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 20161 neu gefasst worden.2 1 Bundesgesetzblatt Teil I 2016 Nr. 65, 28. Dezember 2016, S. 3155. 2 Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, Werksstand August 2019, § 21 SGB XII, Rn. 47; Siefert in: Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB XII, 3. Auflage, Stand: 24. Februar 2020, § 23 SGB XII, Rn. 72. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 5 Anlass für die Neuregelungen in § 7 SGB II und § 23 SGB XII war die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gewesen.3 Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Leistungsausschlüsse nach der alten Rechtslage für bestimmte Gruppen von Unionsbürgern in mehreren Entscheidungen4 mit den unionsrechtlichen Vorgaben für vereinbar erklärt hatte5, ergingen seit dem 3. Dezember 2015 mehrere Urteile des Bundessozialgerichts (BSG)6 zu Ansprüchen von EU- Bürgern auf Sicherung ihres Existenzminimums.7 Für das Verständnis der Neuregelungen ist daher die Kenntnis dieser Rechtsprechung erforderlich.8 Ergänzend wird darauf verwiesen, dass Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) weder Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II) noch dem SGB XII (§ 23 Abs. 2 SGB XII) haben. 2.1. Gesetzeslage bis zum 28. Dezember 2016 Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II alte Fassung (aF) waren Ausländer, die weder in Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz /EU (FreizügigG/EU) freizügigkeitsberechtigt waren, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts sowie Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII aF hatten Ausländer, die eingereist waren, um Sozialhilfe zu erlangen , oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Waren sie zum Zweck einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist, sollte Hilfe bei Krankheit insoweit nur zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung geleistet werden. 3 BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Dezember 2019 - 1 BvL 4/16 -; Jüttner in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 62. UPD November 2019, 2. Entstehungsgeschichte. 4 EuGH, Urteil vom 11. November 2014, Rs. C-333/13 (Dano); EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rs. C-67/14 (Alimanovic); EuGH, Urteil vom 25. Februar 2016, Rs. C-299/14 (García-Nieto). 5 Thym, NZS 2016, 441, 442; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, Stand: 24. Februar 2020, § 23 SGB XII, Rn. 68. 6 Vgl. zum Beispiel BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R -; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R -; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 43/15 R -; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 14 AS 15/14 R -; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 14 AS 18/14 R -; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 14 AS 33/14 R -. 7 Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, Stand: 24. Februar 2020, § 23 SGB XII, Rn. 69 ff. 8 Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Mai 2019, SGB II, § SGB II, Rn. 104. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 6 2.2. Rechtsprechung des EuGH zu den Leistungsausschlüssen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aF Der EuGH hatte sich in drei Vorlageverfahren deutscher Gerichte mit der Vereinbarkeit der Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II aF mit den unionsrechtlichen Vorgaben zu befassen. In der Rechtssache Dano stellte der EuGH klar, dass Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie (RL) 2004/389 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 lit. b RL 2004/38 und Art. 4 der Verordnung (VO) (EU) Nr. 883/200410 dahin auszulegen sei, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen , nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“11 im Sinne des Art. 70 Abs. 2 VO (EU) Nr. 883/2004 ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats in der gleichen Situation diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38 zusteht.12 Der Aufenthaltsstatus von Unionsbürgern hängt unter anderem von der Dauer des Aufenthaltes ab. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben in den ersten drei Monaten nach Art. 6 Abs. 1 RL 2004/38 ein Recht auf Aufenthalt. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. b RL 2004/38 hängt ein Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers aus einem anderen Mitgliedstaat, der weder Arbeitnehmer noch Selbständiger ist, bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten, aber weniger als fünf Jahren im Aufnahmemitgliedstaat davon ab, ob dieser für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.13 9 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten , zur Änderung […], ABl.EU 2004 Nr. L 158/77, https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004L0038-20110616&qid=1584720624198&from=DE (konsolidierte Fassung vom 16. Juni 2011; zuletzt abgerufen am 3. März 2020). 10 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl.EU 2004 Nr. L 166/1, https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004R0883-20190731&qid=1584720681735&from=DE (konsolidierte Fassung vom 31. Juli 2019; zuletzt abgerufen am 3. März 2020). 11 Hierzu gehören auch die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. 12 EuGH, Urteil vom 11. November 2014, Rs. C-333/13 (Dano), Rn. 84; vorgehend Sozialgericht Leipzig, EuGH-Vorlage vom 3. Juni 2013 - S 17 AS 2198/12 -. 13 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Nationale Gestaltungsspielräume zur Begrenzung von Grundsicherungsleistungen für wirtschaftlich nicht aktive Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten, PE 6 - 3000 - 100/19 - WD 6 - 3000 - 134/19, 14. November 2019, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 7 Folglich haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, die sich länger als drei Monate, aber weniger als fünf Jahre im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und nicht über für sich oder ihre Familienangehörigen ausreichende Existenzmittel verfügen, mangels Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38 in Hinblick auf Sozialleistungen keinen unionsrechtlichen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats.14 Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aF sei daher europarechtskonform. Auf einen Vorlagebeschluss des BSG hat der EuGH in der Rechtssache Alimanovic15 nochmals ausdrücklich festgestellt, dass Leistungen nach dem SGB II „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 VO (EU) Nr. 883/2004 seien.16 Des Weiteren falle die Grundsicherung für Arbeitsuchende auch unter den Begriff „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38. Deshalb sei sie nicht zugleich als Maßnahme der Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bestimmen.17 Gemäß Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 sei der Aufnahmemitgliedstaat abweichend vom Grundsatz der Gleichbehandlung nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 lit. b RL 2004/38 (fortgesetzte Arbeitsuche) einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Sodann wies der EuGH darauf hin, dass ein Unionsbürger hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 nur verlangen könne, wenn diese im Aufnahmestaat auch ein Aufenthaltsrecht hätten.18 Um feststellen zu können, ob Sozialhilfeleistungen auf der Grundlage der Ausnahmebestimmung von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 verweigert werden dürften, müsse daher vorab geprüft werden, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 anwendbar sei, und damit, ob sich der betreffende Unionsbürger rechtmäßig im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhalte.19 Unter Zugrundelegung von Art. 7, 14 und 24 Abs. 2 RL 2004/38 legte der EuGH dar, dass auch Arbeitsuchende generell und grundsätzlich als Erwerbstätige gelten und damit freizügigkeitsbe- 14 EuGH, Urteil vom 11. November 2014, Rs. C-333/13 (Dano), Rn. 73. 15 EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rs. C-67/14 (Alimanovic); vorgehend BSG, EuGH-Vorlage vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R -. 16 EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rs. C-67/14 (Alimanovic), Rn. 43. 17 EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rs. C-67/14 (Alimanovic), Rn. 44. 18 EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rs. C-67/14 (Alimanovic), Rn. 49. 19 EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rs. C-67/14 (Alimanovic), Rn. 51. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 8 rechtigt seien. Allerdings erlaube Art. 7 Abs. 3 lit. c) RL 2004/38 den Mitgliedstaaten, diesen Status sechs Monate nach Eintritt der Arbeitslosigkeit zu begrenzen, soweit diese auf einer vorangegangenen inländischen Beschäftigung von weniger als zwölf Monaten beruhe.20 In der Rechtssache García Nieto21 schließlich urteilte der EuGH, dass aus dem Wortlaut der Ausnahmebestimmung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 ausdrücklich hervorgehe, dass der Aufnahmemitgliedstaat anderen Personen als Arbeitnehmern, Selbständigen oder Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts jegliche Sozialhilfeleistungen verweigern darf.22 Das Gleiche gelte hinsichtlich der Auslegung von Art. 4 VO (EU) Nr. 883/2004. „Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne des Art. 70 Abs. 2 VO (EU) Nr. 883/2004 würden nach Art. 70 Abs. 4 VO (EU) Nr. 883/2004 ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats gewährt. Daher spreche nichts dagegen, solche Leistungen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die weder Arbeitnehmer oder Selbständige seien noch Personen, denen dieser Status erhalten bleibe, während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts im Aufnahmestaat zu verweigern.23 2.3. Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aF und § 23 SGB XII aF Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH hielt das BSG zwar die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II aF für mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar. Es ging in seiner Rechtsprechung jedoch davon aus, dass der Zugang zu Leistungen nach dem SGB XII für Ausländer eröffnet gewesen sei, soweit diese nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II aF von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen waren. Zwar sei ein Anspruch auf Sozialhilfe nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII aF für Ausländer, die eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, sowie ihre Familienangehörigen ausgeschlossen. In einem solchen Fall könnten jedoch nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt sei. Zudem hatte das BSG darauf erkannt, dass das Ermessen bei einem verfestigten 20 EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rs. C-67/14 (Alimanovic), Rn. 53; Eichenhofer, ZESAR 2016, 36, 37. 21 EuGH, Urteil vom 25. Februar 2016, Rs. C-299/14 (García-Nieto). 22 EuGH, Urteil vom 25. Februar 2016, Rs. C-299/14 (García-Nieto), Rn. 44. 23 EuGH, Urteil vom 25. Februar 2016, Rs. C-299/14 (García-Nieto), Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 9 Aufenthalt, den das Gericht im Regelfall nach sechs Monaten angenommen hatte, auf null reduziert sei.24 Das BSG begründete seine Rechtsprechung unter anderem mit verfassungsrechtlichen Erwägungen.25 Ferner hatte das BSG entschieden, dass sich bei nicht erwerbstätigen ehemaligen Arbeitnehmern, die die elterliche Sorge für Schüler während deren Ausbildung ausübten, unabhängig von einem Freizügigkeitsrecht, ein Aufenthaltsrecht nach der unionsrechtlichen Regelung des Art. 10 VO (EU) Nr. 492/201126 ergeben könne. Aufgrund dieses eigenständigen oder abgeleiteten Aufenthaltsrechts würden diese Unionsbürger ohne Aufenthaltsrecht nicht von den Leistungsausschlüssen des SGB II erfasst.27 2.4. Aktuelle Gesetzeslage Der Gesetzgeber hat die § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und § 23 SGB XII durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 neu geregelt, um der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu begegnen28, die, so die Gesetzesbegründung, zu Mehrbelastungen bei den für die Leistungen zuständigen Kommunen, also den Sozialhilfeträgern, geführt habe.29 24 Vgl. zum Beispiel BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R -; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R -; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 43/15 R -; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 14 AS 15/14 R -; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 14 AS 18/14 R -; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 14 AS 33/14 R -. 25 BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R -, Rn. 53. 26 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, ABl.EU 2011 Nr. L 141/1, https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02011R0492-20190731&qid=1584720254823&from=DE (konsolidierte Fassung vom 31. Juli 2019; zuletzt abgerufen am 3. März 2019). 27 BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 43/15 R -; BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Dezember 2019 - 1 BvL 4/16 -, Rn. 3 (zitiert nach juris). 28 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 11. 29 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 1 und 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 10 2.4.1. Neuregelungen der Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 SGB II Die Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II hält laut Gesetzesbegründung daran fest, dass Unionsbürger mit einem Freizügigkeitsrecht aus der Freizügigkeitsrichtlinie insbesondere als Erwerbstätige Leistungen nach dem SGB II erhalten (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II). Daneben bleibt der grundsätzliche Leistungsausschluss für Unionsbürger, die allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche haben, bestehen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b SGB II). Zusätzlich wurden die Leistungsausschlüsse zur Klarstellung dahingehend ergänzt, dass nicht erwerbstätige Personen ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht „erst recht“ von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a). Ausgeschlossen sind zudem Personen, deren Aufenthaltsrecht sich unmittelbar oder abgeleitet von ihren Kindern nur aus dem Recht zum allgemeinen Schul- oder Ausbildungsbesuch aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 ergibt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 lit. c SGB II). Der Leistungsausschluss gelte damit sowohl für erwerbsfähige Schüler selbst als auch für ihre Eltern, die ihr Aufenthaltsrecht nur von ihren Kindern ableiten, und für die übrigen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Familienangehörigen.30 Dagegen bleiben Personen, die als Arbeitnehmer, Selbständige oder aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügigG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, ergänzend nach dem SGB II leistungsberechtigt. Die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greifen jedoch nicht für ausländische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben (§ 7 Abs. 1 Satz 4 HS. 2 SGB II); erst nach fünf Jahren sei von einer Verfestigung des Aufenthaltes auszugehen.31 Eine Leistungsberechtigung besteht jedoch auch nach fünf Jahren nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 Freizügig G/EU festgestellt wurde (§ 7 Abs. 1 Satz 4 HS. 2 SGB II). Während der EuGH - wie oben unter 2.2 dargestellt - die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II für mit dem Unionsrecht vereinbar erklärt hatte, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch nicht über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit nach dem Grundgesetz (GG) entschieden . Mit Beschluss vom 18. April 2016 hatte das Sozialgericht Mainz32 dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aF mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sei. Das BVerfG hat die Vorlage mit Beschluss vom 4. Dezember 201933 als unzulässig erachtet; der Vorlagebeschluss sei nicht hinreichend begründet. Das BVerfG verweist unter anderem darauf, dass das 30 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 13. 31 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 14. 32 Sozialgericht Mainz, Vorlagebeschluss vom 18. April 2016 - S 3 AS 149/16 -. 33 BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Dezember 2019 - 1 BvL 4/16 -. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 11 vorlegende Gericht nicht geprüft habe, ob die Rechtsprechung des BSG Anwendung finden könne. Wäre eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung der Ausschlussregelungen möglich, liege es zumindest nahe, dass die Kläger einen Anspruch auf Leistungen hätten.34 2.4.2. Neuregelungen in § 23 SGB XII Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, im Falle ihrer Bedürftigkeit einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie auf Hilfe zur Pflege. Auf darüber hinausgehende Leistungen besteht kein Anspruch; sie können gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Die Leistungseinschränkungen gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten (§ 23 Abs. 1 Satz 4 SGB XII). Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII kann im Übrigen Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Mit der Neufassung hat der Gesetzgeber die Leistungsausschlüsse in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII an die Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB II angepasst. Ferner werden für die von den Leistungsausschlüssen nach § 23 Abs. 3 SGB XII Betroffenen ausdrücklich die Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ausgeschlossen. Insbesondere wurde ein Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthaltes aufgenommen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII). Dies sei nach der Gesetzesbegründung notwendig, da nach Art. 6 Abs. 1 RL 2004/38 und § 2 Abs. 3 FreizügG/EU für Unionsbürger ein voraussetzungsloses Freizügigkeitsrecht für drei Monate bestehe.35 Durch die neue Formulierung in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII soll klargestellt werden, dass den von den Leistungen ausgeschlossenen Personen weder ein Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII zusteht noch dass ihnen Leistungen im Ermessenswege gewährt werden.36 Wie nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II gelten die Leistungseinschränkungen nicht für Ausländer und ihre Familienangehörigen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügigG/EU festgestellt wurde. 34 BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Dezember 2019 - 1 BvL 4/16 -, Rn. 17 (zitiert nach juris). 35 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 15. 36 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 12 Neu eingeführt wurden Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII. Danach werden hilfebedürftigen Ausländern, die den Leistungsausschlüssen unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken. Die Hilfen orientieren sich an den eingeschränkten Leistungen nach § 1a AsylbLG. Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen, wobei die Leistung als Darlehen zu erbringen ist (§ 23 Abs. 3a SGB XII). Nach Auffassung des Gesetzgebers sind diese neu geschaffenen Leistungstatbestände im SGB XII nach der Rechtsprechung des EuGH nicht geboten und werden somit über die europarechtlichen Vorgaben hinaus gewährt.37 Auch die Vereinbarkeit der Leistungsausschlüsse des § 23 SGB XII mit den Vorgaben des Grundgesetzes ist noch nicht abschließend geklärt. Das BVerfG hatte eine Richtervorlage des Sozialgerichts Darmstadt38 gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zu der Frage, ob § 23 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB XII (Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht oder Arbeitsuchende) mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums) mit Beschluss vom 26. Februar 202039 als unzulässig zurück gewiesen, da die Vorlage unzureichend begründet sei. 2.4.3. Geltung der Neuregelungen für Drittstaatsangehörige Nach dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzesbegründung gelten die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 ff. SGB II und § 23 SGB XII grundsätzlich auch für Drittstaatsangehörige.40 In Hinblick auf die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II verweist Schumacher darauf, dass die unionsrechtlichen Beschränkungen für den nationalen Gesetzgeber insoweit unbeachtlich seien. Schumacher führt aus: „Das SGB II dürfte in Bezug auf Drittstaatsangehörige strenger sein als für EU-Bürger. Die Bestimmungen des SGB II machen von derlei - theoretisch - bestehenden Möglichkeiten keinen Gebrauch.“41 Die weitere Kommentierung zu 37 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 11. 38 Sozialgericht Darmstadt, 14. Januar 2020 - S 17 SO 191/19 ER -, Vorlagebeschluss. 39 BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Februar 2020 - 1 BvL 1/20 -. 40 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 7. November 2016, S. 14. 41 Schumacher in: Oestreicher/Decker, SGB II/SGB XII, Stand der EL 88: 1. September 2019, SGB II, § 7, Rn. 8d. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 13 § 7 Abs. 1 Satz 2 bis 5 SGB II enthält keine Ausführungen, welche nach seiner Auffassung - theoretisch - bestehenden Differenzierungen möglich seien. 3. Kinderzuschlag Ein Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG setzt voraus, dass dadurch Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden wird. Ein Anspruch auf Kinderzuschlag kann daher nur bestehen, wenn der Antragsteller zu dem Personenkreis gehört, der grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat.42 Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 7 SGB II verwiesen. 4. Berufsausbildungsbeihilfe Gemäß § 56 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) haben Auszubildende Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe während einer Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung förderungsfähig ist, sie zum förderungsberechtigten Personenkreis gehören und ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten und die sonstigen Aufwendungen (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen. Der mit dem Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern - Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz -43 vom 8. Juli 2019 neu eingefügte § 60 Abs. 3 SGB III regelt die Förderungsberechtigung von Ausländern. Zeitgleich wurde § 59 SGB III aF, der bis zu der Gesetzesänderung den förderungsfähiger Personenkreis festlegte, aufgehoben. Anders als nach altem Recht (§ 59 SGB III aF) ist die Staatsangehörigkeit für die Ausbildungsförderung heute grundsätzlich irrelevant.44 Ausnahmen im Sinne von Leistungsausschlüssen für Ausländer enthält § 60 Abs. 3 SGB III. Danach sind Ausländer, die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen, während einer Berufsausbildung nicht zum Bezug von Berufsausbildungsbeihilfe berechtigt. Geduldete Ausländer sind während einer Berufsausbildung zum Bezug von Berufsausbildungsbeihilfe berechtigt , wenn die allgemeinen Zugangsvoraussetzungen nach § 60 Abs. 1 und 2 SGB III vorliegen und sie sich seit mindestens 15 Monaten ununterbrochen erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten. Laut Gesetzesbegründung wurde nach der alten Rechtslage der Zugang zur Berufsausbildungsbeihilfe differenziert nach Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und (unter Umständen) Voraufenthaltszeit in Deutschland durch positive Aufzählung der zugangsberechtigten Personen geregelt. 42 Kühl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, Stand: 1. März 2020, § 6a BKGG, Rn. 52. 43 Bundesgesetzblatt Teil I 2019 Nr. 26, 15. Juli 2019, S. 1029. 44 Schmidt in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck‘scher Onlinekommentar Sozialrecht, 55. Edition, Stand: 1. Dezember 2019, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 14 Durch die Neuregelung solle ein Systemwechsel vollzogen werden. Wie bei vielen anderen arbeitsmarktpolitischen Leistungen entfielen auch bei der Förderung von Berufsausbildung und Berufsvorbereitung künftig Beschränkungen aufgrund Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus weitgehend; stattdessen erlange der abstrakte Arbeitsmarktzugang als allgemeine Zugangsvoraussetzung höhere Bedeutung. Damit stände die Berufsausbildungsbeihilfe in Zukunft vielen Ausländern offen, für die der Zugang bisher an zum Teil enge Voraussetzungen oder lange Voraufenthaltszeiten geknüpft gewesen sei. Zu ihnen zählten insbesondere Unionsbürger, Staatsangehörige aus Drittstaaten, die zum Zwecke der Berufsausbildung nach Deutschland kämen, und Geflüchtete . Lediglich für Gestattete und für Geduldete bestehe nach dem neuen § 60 Abs. 3 SGB III ein eingeschränkter Zugang. Somit solle eine frühzeitige Eingliederung von Ausländern, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten sei, in den Arbeitsmarkt gefördert werden .45 Hier sind keine Publikationen bekannt, die ausdrücklich die Möglichkeit weitergehender Leistungseinschränkungen für ausländische Staatsangehörige in Hinblick auf die erst kürzlich erfolgten Rechtsänderungen thematisieren. 5. Wohngeld Ausländer sind nach § 3 Satz 1 Wohngeldgesetz (WoGG) wohngeldberechtigt, wenn sie sich im Bundesgebiet tatsächlich aufhalten und – ein Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU haben, – einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz haben, – ein Recht auf Aufenthalt nach einem völkerrechtlichen Abkommen haben, – eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz haben, – die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet haben oder – auf Grund einer Rechtsverordnung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind. Nicht wohngeldberechtigt sind ausländische Personen, die durch eine völkerrechtliche Vereinbarung von der Anwendung deutscher Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit befreit sind (§ 3 Satz 2 WoGG). 45 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern - Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz, Bundestagsdrucksache 19/10053 vom 10. Mai 2019, S. 2, 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 149/19 Seite 15 Rechtsauffassungen, die eine weitergehende Differenzierung des Zugangs ausgehend von der Staatsangehörigkeit oder dem Aufenthaltsrecht thematisieren, sind hier nicht bekannt. 6. Sozialversicherung Die Regelungen über die Sozialversicherung (Arbeitslosen-, Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung ) stellen gemäß §§ 3 ff. des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) auf den Ort der ausgeübten Erwerbstätigkeit oder den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland ab. Auf die Staatsangehörigkeit oder den Sitz des Unternehmens kommt es dagegen regelmäßig nicht an. Ausnahmen bestehen lediglich hinsichtlich der Versicherungsberechtigung, beispielsweise für deutsche Seeleute auf Seeschiffen unter fremder Flagge gemäß § 2 Abs. 3 SGB IV und hinsichtlich einer freiwilligen Rentenversicherung für Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI). Aus den zur Sozialversicherung gezahlten Beiträgen erwachsene Ansprüche sind ohne Ansehen persönlicher Merkmale unter Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 GG zu leisten. Soweit sie der Sicherung der Existenz dienen, unterliegen sie zudem in der Regel dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG, so dass eine Differenzierung nach Staatsbürgerschaft, Aufenthaltstitel oder anderen auf den Erwerbs- und Aufenthaltsstatus bezogenen Kriterien gegen verfassungsrechtliche Vorgaben verstieße. Anderweitige Rechtsauffassungen, nach denen bestimmten Sozialversicherten aufgrund dieser Kriterien Leistungen verwehrt werden könnten, sind nicht bekannt. ***