© 2018 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 145/18 Mindestlohnregelung und Arbeitgeberentlastung in Frankreich Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 145/18 Seite 2 Mindestlohnregelung und Arbeitgeberentlastung in Frankreich Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 145/18 Abschluss der Arbeit: 31. Januar 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 145/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Mindestlohnregelung 4 2. Höhe des Mindestlohns 4 3. Mindestlohnausgleich für Arbeitgeber 5 3.1. Geltende Regelung 5 3.2. Geplante Neuregelung 6 3.3. Stand des Gesetzgebungsverfahrens 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 145/18 Seite 4 1. Mindestlohnregelung Die staatliche Festsetzung von Lohnuntergrenzen hat in Frankreich bereits eine lange Tradition. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn (Salaire minimum interprofessionel garanti – SMIG) wurde erstmals 1950 eingeführt. In seiner aktuellen Ausgestaltung als Salaire minimum interprofessionnel de croissance (SMIC) gilt er seit 1970.1 Nach dem Gesetzeswortlaut soll der SMIC Arbeitnehmern nicht nur ein angemessenes Lohnniveau zur Erhaltung der Kaufkraft gewähren, sondern auch die Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes garantieren. Demgegenüber gilt er nicht als „Garant des Äquivalenzprinzips “.2 Der SMIC wird jährlich überprüft und auf Vorschlag einer Kommission (Commission nationale de la négociation collective) angepasst. Die Regierung setzt ihn jeweils zum 1. Januar per Dekret fest. Der Kommission gehören neben drei Ministern und dem Präsidenten des Sozialsenats des Conseil d’Etat je 18 Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbänden an. Mehrere Festsetzungsmechanismen dienen den unterschiedlichen Zielsetzungen des SMIC: Die Bindung an den Verbraucherpreisindex sichert den Kaufkrafterhalt und die jährliche Festsetzung die Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung. Wie in Deutschland sind die Beschlüsse der Kommission für die Regierung rechtlich nicht bindend. Überdies kann die Regierung auch vor Jahresablauf eine außerordentliche Erhöhung anordnen. 2. Höhe des Mindestlohns Der SMIC ist seit seiner Einführung kontinuierlich angestiegen. 2018 betrug er 9,88 Euro je Arbeitsstunde . Nach der absoluten Höhe lag Frankreich damit innerhalb der Gruppe der EU-Mitgliedstaaten hinter Luxemburg an zweiter Stelle im Mindestlohnranking.3 1 Vgl. dazu im Internetauftritt der französischen Botschaft in Deutschland: Mindestlohn: Der SMIC in Frankreich; abrufbar unter: https://de.ambafrance.org/Mindestlohn-Der-SMIC-in-Frankreich (letzter Abruf: 14. Dezember 2018); einen ausführlichen Vergleich der gesetzlichen Regelungen in Deutschland und Frankreich bietet: Heukenkamp , Elisabeth (2017): Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, Baden-Baden: Nomos; die folgenden Ausführungen zum SMIC basieren wesentlich auf dieser Darstellung. 2 Heukenkamp (Fn. 1), S. 90. 3 Lübker, Malte / Schulten, Thorsten (2018): WSI-Mindestlohnbericht 2018: Preisentwicklung dämpft reale Lohnzuwächse , WSI Report Nr. 39, Februar 2018, Abb. 1 (S. 3); abrufbar im Internetauftritt des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI): https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_39_2018.pdf (letzter Abruf: 2. Januar 2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 145/18 Seite 5 Als Reaktion auf die Proteste der sogenannten „gilets jaunes“ („Gelbwesten“) im Herbst 2018 versprach der französische Staatspräsident Emmanuel Macron am 10. Dezember 2018 in einer Fernsehansprache 4 unter anderem eine deutliche Anhebung des Mindestlohns und nannte in diesem Zusammenhang den Betrag von monatlich 100 Euro. Die um 1. Januar 2019 erfolgte Erhöhung auf 10,03 Euro je Arbeitsstunde5 dürfte Macrons Ankündigung unter Berücksichtigung der prime d’activité, einer dem SMIC aufstockenden arbeitsmarktpolitischen Leistung, die die Aufnahme auch niedrig entlohnter Beschäftigung fördern soll und deren Höchstbetrag 2019 ebenfalls angehoben wurde, weitgehend entsprechen.6 3. Mindestlohnausgleich für Arbeitgeber 3.1. Geltende Regelung Für Arbeitgeber mit Beschäftigten im Mindestlohnsegment gibt es jedoch seit 2006 eine nach dem früheren französischen Sozialminister und nachmaligen Premierminister François Fillon benannte Minderung der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialkassen (sogenannte „réduction Fillon“). Die Minderung wird bisher für Arbeitnehmer gewährt, deren Jahresarbeitsentgelt unter dem 1,6- Fachen des SMIC liegt. Sie bezieht sich auf die Arbeitgeberbeiträge für die folgenden Leistungen: Altersrenten, Invaliditätsrenten, Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, Familienleistungen sowie Leistungen der aktiven Solidarität und der Wohnungsbeihilfe. 4 Abrufbar im Internetauftritt der Tagesschau: https://www.tagesschau.de/ausland/macron-rede-gelbwesten-101.html (letzter Abruf: 2. Januar 2019). 5 Décret n° 2018-1173 vom 19. Dezember 2018, JORF n°0294 vom 20. Dezember 2018; abrufbar in der französischen Online-Gesetzesdatenbank: https://www.legifrance.gouv.fr/eli/decret/2018/12/19/MTRX1833925D/jo/texte (letzter Abruf: 2. Januar 2019). 6 Vgl. dazu die Berechnungen eines privaten französischen Lohnberechnungsportals: https://www.salaire-brut-en-net.fr/smic/ (letzter Abruf: 21. Dezember 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 145/18 Seite 6 3.2. Geplante Neuregelung Das im Entwurf vorliegende Gesetz zur Finanzierung der sozialen Sicherung 2019 (Loi de financement de la sécurité sociale pour 2019) soll mit Wirkung vom 1. Januar 2019 weitere Entlastungen für Arbeitgeber mit Arbeitnehmern im Mindestlohnbereich regeln.7 Der Nachlass beim Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung soll danach um sechs Prozentpunkte angehoben werden, sodass der Beitrag von 13 auf sieben Prozent sinkt. Berücksichtigungsfähig sollen insoweit Arbeitnehmer mit einem Arbeitsentgelt bis zum 2,5-Fachen des SMIC sein; im Übrigen bleibt die Obergrenze des 1,6-Fachen des SMIC bestehen. Diese Änderungen dienen nach der Begründung des Gesetzentwurfs im Wesentlichen dem Ausgleich des gleichzeitigen Wegfalls steuerlicher Vorteile. Darüber hinaus wird aber der Kreis der berechtigten Arbeitgeber erweitert. Außerdem sollen ab dem 1. Januar 2019 die Arbeitgeberbeiträge zu den obligatorischen Zusatzrentenkassen und ab 1. Oktober 2019 auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in die réduction einbezogen werden, so dass für Arbeitnehmer im Mindestlohnbereich außer zur Krankenversicherung zukünftig keine Arbeitgeberbeiträge mehr zu zahlen sind.8 Inwieweit mit diesen gesetzgeberischen Maßnahmen der Mehraufwand der Arbeitgeber infolge der aktuellen Anhebung des SMIC ausgeglichen wird, lässt sich aus hiesiger Sicht nicht beurteilen . 3.3. Stand des Gesetzgebungsverfahrens Der Gesetzentwurf wurde am 3. Dezember 2018 in der Assemblé nationale in abschließender Lesung beraten. Seit dem 10. Dezember 2018 liegt er jedoch auf Antrag von mehr als 60 Abgeordneten dem Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) zur verfassungsrechtlichen Prüfung vor,9 sodass die Regelungen bisher nicht in Kraft treten konnten. *** 7 Vgl. zum Inhalt des geplanten Gesetzes im Internetauftritt der Assemblée nationale: http://www.assemblee-nationale.fr/dyn/15/dossiers/alt/plfss_2019 (letzter Abruf: 31. Januar 2019) sowie das Pressedossier des Ministère de l’action et des comptes publiques vom 25. September 2018, abrufbar in dessen Internetauftritt: https://www.economie.gouv.fr/files/files/PDF/2018/dp_plfss2019.pdf (letzter Abruf: 31. Januar 2019); weitere Information im Internetauftritt der französischen Verwaltung: https://www.service-public.fr/professionnels-entreprises/vosdroits/F24542 (letzter Abruf: 31. Januar 2019). 8 Projet de loi de financement de la sécurité sociale pour 2019, S. 20 f., abrufbar im Internetauftritt der Assemblée nationale: http://www.assemblee-nationale.fr/15/pdf/projets/pl1297.pdf (letzter Abruf: 31. Januar 2019). 9 Vgl. zum Gang der Gesetzgebung im Internetauftritt der Assemblée nationale: http://www.assemblee-nationale.fr/dyn/15/dossiers/alt/plfss_2019 (letzter Abruf: 31. Januar 2019).