© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 140/18 Grundlagen der Alterssicherung in Frankreich und Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 140/18 Seite 2 Grundlagen der Alterssicherung in Frankreich und Deutschland Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 140/18 Abschluss der Arbeit: 7. Januar 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 140/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zur Vergleichbarkeit sozialer Sicherungssysteme 4 2. Prinzipien der Alterssicherungssysteme 5 3. Finanzierung der Alterssicherung 5 4. Altersgrenzen 6 5. Niveau der Alterssicherungsleistungen 6 6. Reformen der Alterssicherung 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 140/18 Seite 4 1. Zur Vergleichbarkeit sozialer Sicherungssysteme Die Soziale Sicherung ist geprägt von der jeweiligen kulturellen Tradition, der wirtschaftlichen und der historisch-politischen Entwicklung eines Landes. Auch innerhalb der Eurozone weichen die Sicherungssysteme aus diesem Grunde stark voneinander ab.1 So gibt es zum einen steuerfinanzierte staatliche Systeme mit einheitlicher Grundversorgung und zum anderen Sozialversicherungen mit beitragsabhängigen individuellen Leistungen sowie vielfältige Mischformen beider Sicherungssysteme. Dabei zeigt die Entwicklung der sozialen Sicherung eine unüberschaubare Vielzahl von Möglichkeiten auf, die einen direkten Vergleich erschweren . So weichen die Finanzierung, die Einbeziehung der Personenkreise, die Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe der Leistungen sowie die staatsmittelbare, staatsunmittelbare oder private Organisation unter staatlicher Aufsicht in den Ländern mehr oder weniger stark voneinander ab. Auf Initiative der Europäischen Kommission wurde mit dem gegenseitigen Informationssystem zur sozialen Sicherheit (MISSOC) eine Datenbank eingerichtet, die eine Vergleichbarkeit ermöglichen soll.2 Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales weist auf der Internetseite zum Sozialkompass Europa - der sich auf MISSOC bezieht - darauf hin, dass ein exakter Vergleich der einzelnen Systeme schwierig sei, da es kein für alle EU-Länder einheitliches Raster gibt, auch wenn die Struktur der Datenbank dies bisweilen suggerieren mag. Tatsächlich sind einzelne Risiken oder Leistungsfelder in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlichen Zweigen der sozialen Sicherung zugeordnet.3 So ist beispielsweise die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland zwar das wichtigste, jedoch nicht das einzige Alterssicherungssystem. Beamte, Landwirte, Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke und die meisten Selbständigen werden von der Rentenversicherungspflicht nicht erfasst. Die Einbeziehung bestimmter Gruppen in den versicherten Personenkreis in die gesetzliche Rentenversicherung ist insofern nicht einheitlich geregelt, sodass für einen Vergleich sämtliche Alterssicherungssysteme herangezogen werden müssten. Die Ergebnisse einer Datenabfrage über MISSOC können daher nur als Anhaltspunkt dienen.4 1 Zur Problematik des Vergleichs sozialer Sicherungssyteme vgl. Schmidt, Josef (2010). Wohlfahrtsstaaten im Vergleich : Soziale Sicherung in Europa: Organisation, Finanzierung, Leistungen und Probleme. Forschungsprojekt zum Thema "Stand, Perspektiven und Probleme der Finanzierung von Sozialen Sicherungssystemen in anderen EG-Ländern in Komparativer Perspektive", 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. VS-Verlag, Wiesbaden S. 99. 2 MISSOC-Datenbank abrufbar im Internet unter http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=815&langId=de (zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019. 3 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Sozialkompass Europa, abrufbar im Internet unter http://www.sozialkompass .eu, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019. 4 Vgl. Deutscher Bundestag (2016), Alterssicherung im europäischen Vergleich - MISSOC-Datenbankabfrage zu den im Alter gezahlten Leistungen. Wissenschaftliche Dienste, Az. WD 6 – 3000-023/16, abrufbar im Internet unter https://www.bundestag.de/blob/416282/18c1e0301c0d886a67442656875636f8/wd-6-023-16-pdf-data.pdf, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 140/18 Seite 5 2. Prinzipien der Alterssicherungssysteme Frankreich und Deutschland gehören zu den sogenannten konservativen oder kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten, die durch das Bismarck‘sche Sozialversicherungsmodell geprägt sind und in denen Versicherungsleistungen im Vordergrund stehen.5 Den Alterssicherungen beider Länder liegen daher ähnliche Prinzipien zugrunde. Sie beruhen auf drei Säulen, nämlich der Regelversorgung in öffentlich-rechtlichen Pflichtsystemen, der zusätzlichen betrieblichen Altersversorgung und der ergänzenden individuellen Vorsorge. Dabei kommt der Regelversorgung der ersten Säule als wichtigste Einnahmequelle im Alter eine besonders tragende Rolle zu. Zudem ist eine staatlich finanzierte Grundsicherung für Personen vorgesehen, die zuvor aufgrund eines geringen Verdienstes nur niedrige Ansprüche auf Leistungen im Alter erwerben. Innerhalb der ersten Säule wird in beiden Ländern zwischen den Berufsgruppen der Beamten und Beschäftigten in der Privatwirtschaft differenziert. Hinzu kommen in Deutschland ferner besondere Berufsgruppen wie Unternehmer und Freiberufler, die zum Teil in eigenen Rentenkassen zusammengefasst sind.6 Entgegen der gesetzlichen Rentenversicherung für abhängig Beschäftigte und bestimmte Selbständige in Deutschland, die lediglich in die Allgemeine Rentenversicherung und die Knappschaftliche Rentenversicherung für Bergleute aufgeteilt ist, gliedert sich die französische Alterssicherung in eine Vielzahl von Branchen mit ihren jeweiligen Besonderheiten. 3. Finanzierung der Alterssicherung Die Finanzierung der Regelversorgung erfolgt sowohl in Deutschland als auch in Frankreich im Allgemeinen durch eine von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinschaftlich getragene Umlagefinanzierung ohne nennenswerte Bildung von Rücklagen. Die Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber werden somit direkt an die aktuellen Rentenempfänger ausgezahlt. Im Gegensatz zur paritätischen Beitragstragung für abhängig Beschäftigte in Deutschland ist der ansonsten geringere Beitragssatz für Arbeitgeber in Frankreich höher als für Arbeitnehmer. Der Beitragssatz beträgt beispielsweise im Régime général d'assurance vieillesse des travailleurs salariés (RGAVTS - Allgemeines System für Arbeitnehmer) insgesamt 15,45 Prozent des zu versichernden Arbeitsentgeltes . Davon entfallen 6,90 Prozent auf den Arbeitnehmer und 8,55 Prozent auf den Arbeitgeber. Zur Allgemeinen Rentenversicherung in Deutschland beträgt der Beitragssatz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils 9,3 Prozent, insgesamt 18,6 Prozent. Hinzu kommen in beiden Ländern staatliche Zuschüsse aus Steuermitteln.7 Während in Frankreich für Beschäftigte zwar eine verpflichtende, aber auf kollektivvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden beruhende zusätzliche 5 Oschmiansky, Frank und Kühl, Jürgen (2010). Wohlfahrtsstaatliche Grundmodelle. In: Dossier Arbeitsmarktpolitik , Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, abrufbar im Internet unter http://www.bpb.de/politik/innenpolitik /arbeitsmarktpolitik/55072/wohlfahrtsstaatliche-grundmodelle?p=all, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019. 6 Deutscher Bundestag (2013). Gegenüberstellung der Rentenversicherungssysteme von Frankreich und Deutschland . Wissenschaftliche Dienste, Az. WD 6 – 3000-008/13 (nicht veröffentlicht). 7 MISSOC-Datenbankabfrage, vgl. Fn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 140/18 Seite 6 Altersversorgung besteht, werden arbeitgeberfinanzierte Betriebsrenten in Deutschland weitgehend auf freiwilliger Basis geleistet. Die betriebliche Altersversorgung kommt in Deutschland daher weniger zum Tragen, wohingegen die private Vorsorge in Frankreich geringer ausgeprägt ist.8 4. Altersgrenzen Die Altersgrenze für den Bezug einer unabhängig von der Versicherungsdauer vollen Altersrente ist in beiden Ländern für jüngere Versicherte stufenweise auf das 67. Lebensjahr angehoben worden . Bei vorzeitigem Rentenbezug sind in der Regel Rentenabschläge hinzunehmen. Ein ungekürzter Rentenbezug ist jedoch bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze für besonders langjährig Versicherte möglich. Dies kommt in Frankreich derzeit bei einer Versicherungsdauer von 41 Jahren und sechs Monaten ab dem 62. Lebensjahr und in Deutschland bei einer Versicherungsdauer von 45 Jahren ab dem 65. Lebensjahr in Betracht.9 5. Niveau der Alterssicherungsleistungen Auch wenn die Rentenhöhe jeweils von der Versicherungsdauer und der Höhe des erzielten Einkommens abhängig ist, unterscheiden sich die Alterssicherungssysteme hinsichtlich der Rentenberechnung beträchtlich. So richtet sich beispielsweise die Rentenhöhe in Frankreich nach der Einkommenshöhe der 25 Jahre mit dem höchsten Verdienst. Dagegen ist in Deutschland der im gesamten Erwerbsleben erzielte Verdienst maßgeblich, sodass sich Zeiten mit geringerem Verdienst , etwa aufgrund von Teilzeittätigkeiten, mindernd auf die Rentenhöhe auswirken. Auch sind die Berechnungsmethoden und Referenzwerte nicht vergleichbar.10 Das Rentenniveau der gesetzlichen Rentensysteme ist nach dem OECD-Bericht vom Dezember 2017 „Pensions at a glance“ in Frankreich deutlich höher als in Deutschland. So beträgt die Nettoersatzrate , die einen Vergleich zwischen dem Verhältnis des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes und der Rentenhöhe auf internationaler Ebene ermöglichen soll, in Frankreich für männliche Durchschnittsverdiener 74,5 Prozent gegenüber 50,5 Prozent in Deutschland. Der Durchschnittswert in der Europäischen Union liegt bei 70,6 Prozent.11 8 Steinmüller, Florian (2016). Vorbild Deutschland oder Vorbild für Deutschland? Die französische Rentenversicherung auf dem Weg zu einem neuen Politikmodell. Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin, abrufbar im Internet unter https://library.fes.de/pdf-files/id/12831.pdf, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019. 9 MISSOC-Datenbankabfrage, vgl. Fn. 2, § 38 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI). 10 MISSOC-Datenbankabfrage, vgl. Fn. 2. 11 OECD (2017), Pensions at a Glance 2017: OECD and G20 indicators, abrufbar im Internet unter https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/pension_glance-2017-en.pdf?expires=1546420634&id=id&accname =guest&checksum=C0FF71282108E4E053DD936E9A14D386 und OECD-Statistik, abrufbar im Internet unter https://stats.oecd.org/index.aspx?queryid=69535&_ga=2.52673313.889956486.1546415113- 1614005344.1546415113, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 140/18 Seite 7 Die Rentenanpassungen erfolgen in Frankreich nach der voraussichtlichen Preisentwicklung für den privaten Verbrauch mit Ausnahme von Tabakerzeugnissen und in Deutschland grundsätzlich nach der Entwicklung der Löhne und Gehälter. Im Gegensatz zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung werden in Frankreich Mindest-und Höchstrenten geleistet. 12 6. Reformen der Alterssicherung In beiden Ländern sind die Alterssicherungssysteme in den letzten Jahrzehnten an die Anforderungen der demographischen Entwicklung mit steigender Lebenserwartung und niedriger Geburtenrate angepasst worden.13 Reformen kommen in umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen lediglich auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite in Betracht. Stellschrauben sind insoweit zum Einen die Höhe des Beitragssatzes und der Steuermittel und zum Anderen die Rentenhöhe und die Rentenlaufzeit. In Deutschland sind jüngst sogenannte Haltelinien für das Sicherungsniveau und den Beitragssatz bis zum Jahr 2025 geregelt worden.14 Für die Zeit danach soll die im Mai 2018 eingerichtete Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, der Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner , der Politik und der Wissenschaft angehören, bis zum März 2020 Wege zu einer nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der Alterssicherungssysteme aufzeigen, mit denen die Stellschrauben in ein langfristiges Gleichgewicht gebracht werden können. Die aktuelle rentenpolitische Diskussion wird dagegen in Frankreich von der Frage der in diverse Branchen gegliederten Alterssicherung hin zu einem universellen Rentensystem bestimmt. Dabei wird befürchtet, dass die beabsichtigte Angleichung der Rentenkassen zu Nachteilen der Versicherten führen könnte.15 Im Frühjahr 2019 soll der für die anstehende Rentenreform eigens ernannte Hohe Kommissar entsprechende Empfehlungen vorlegen. Aufgabe des Hohen Kommissars ist es, die Vorbereitung auf interministerieller Ebene zu koordinieren, Legislativ- und Regulierungsprojekte zu entwerfen und deren Fortschritte zu überwachen.16 *** 12 MISSOC-Datenbankabfrage, vgl. Fn. 2. 13 Vgl. u.a. Kaufmann, Otto (2011). Die Rentenreform 2010. In: RV aktuell, S. 47 ff. 14 RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, Bundestagsdrucksache 19/4668. 15 Vgl. entsprechende im Internet abrufbare Medienberichte, u.a. http://www.lefigaro.fr/politique /2019/01/01/01002-20190101ARTFIG00101-les-six-reformes-phares-d-emmanuel-macron-pour-2019.php, https://votreargent.lexpress.fr/retraite/retraite-tout-ce-qui-change-en-2019_2054901.html und https://www.lemonde .fr/les-decodeurs/article/2018/12/06/non-les-pensions-de-reversion-ne-vont-pas-diminuer-de- 25_5393530_4355770.html, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019. 16 Vgl. Internetseite der französischen Regierung zur geplanten Rentenreform, abrufbar unter https://reforme-retraite .gouv.fr/le-haut-commissaire/jean-paul-delevoye/, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2019.