© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 139/19 Tarifdisposivität im Arbeits- und Sozialrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 139/19 Seite 2 Tarifdisposivität im Arbeits- und Sozialrecht Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 139/19 Abschluss der Arbeit: 5. Dezember 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 139/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Übersicht ausdrücklicher Zulassungsnormen 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 139/19 Seite 4 1. Einleitung Für den Arbeitsvertrag gilt grundsätzlich die durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich gewährleistete Vertragsfreiheit. Dabei unterliegen auch die gesetzlichen Vorgaben zu Arbeitsbedingungen im Einzelfall der Disposition der Vertragsparteien (beispielsweise §§ 612 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Zahlreiche arbeitsrechtliche Bestimmungen können demgegenüber einzelvertraglich nicht abbedungen werden, weil sie dem Schutz des Arbeitnehmers dienen. In einigen Fällen enthalten Arbeitnehmerschutzbestimmungen jedoch in unterschiedlichem Umfang Öffnungsklauseln für abweichende tarifvertragliche Regelungen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass zwar der einzelne Arbeitnehmer aufgrund seiner sozialen Unterlegenheit des gesetzlichen Schutzes bedarf, Tarifverträge aber zwischen den beiden gleichstarken Sozialpartnern ausgehandelt werden, die den hinreichenden Schutz des Arbeitnehmers gewährleisten können. Das tarifdispositive Gesetzesrecht soll es den Tarifpartnern ermöglichen, für einen bestimmten Wirtschaftszweig einen vom Gesetz abweichenden sachgemäßen Interessenausgleich zu schaffen. Im Folgenden erfolgt eine Aufstellung ausgewählter Rechtsnormen für tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht aus unterschiedlichen Bereichen, die überwiegend dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum entnommen sind.1 Es handelt sich insoweit um eine Aktualisierung eines früheren Sachstandes.2 Die Aufzählung erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler -Stiftung (WSI-Tarifarchiv) analysiert die Tariflandschaft regelmäßig statistisch nach unterschiedlichen Aspekten. Danach sind im Tarifregister des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im Jahr 2017 rund 76.000 Tarifverträge als gültig erfasst.3 Das Tarifarchiv des WSI weist aber nicht aus, inwieweit in den Vertragswerken tarifdispositive Gesetze in Anspruch genommen werden. Auch Untersuchungen anderer Stellen und Institute mit dieser Zielrichtung konnten nicht ermittelt werden. 1 Vgl. die Übersicht bei Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2017, § 1 Rn. 1068 sowie die Aufzählung bei Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 611a BGB Rn. 207; siehe auch Ulber, in: Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, Einleitung Rn. 473 und Wendeling-Schröder, Ulrike, Kritik der Lehre vom fehlerhaften Tarifvertrag, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht. Universität Hannover, März 2013, S. 59, abrufbar im Internetauftritt des Hugo-Sinzheimer-Instituts : https://www.hugo-sinzheimer-institut.de/fileadmin/user_data_hsi/Veroeffentlichungen/HSI_Schriftenreihe /Wendeling-Schroeder.pdf (zuletzt abgerufen am 2. Dezember 2019). 2 Vgl. Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste (2018), Tarifdispositives Arbeitsrecht – Übersicht und wissenschaftliche Diskussion, Sachstand WD 6 - 3000 - 110/18 vom 22. November 2018, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/resource/blob/595242/d077f7d4f3accfce 79e23504ffe9e0bf/WD-6-110-18-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 2. Dezember 2019). 3 Vgl. Schulten, Thorsten et al., WSI-Tarifarchiv 2018, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, abrufbar im Internetportal der Hans-Böckler-Stiftung: https://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch_2018.pdf (zuletzt abgerufen am 2. Dezember 2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 139/19 Seite 5 2. Übersicht ausdrücklicher Zulassungsnormen Bereich Rechtsgrundlage Kündigungsfristen § 622 Abs. 4 BGB Urlaubsrecht § 13 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) Betriebliche Altersversorgung § 17 Abs. 3 Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz – BetrAVG) Teilzeitarbeitsrecht §§ 8 Abs. 4 Satz 3, 12 Abs. 3, 13 Abs. 4, 14 Abs. 2 Satz 3, 15 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), § 1 Abs. 1 Satz 3 Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) Entgeltfortzahlung § 4 Abs. 4 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Arbeitszeitschutz §§ 7, 12 Arbeitszeitgesetz (ArbZG), § 21a Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG), § 6 Abs. 3 Nr. 2 Fahrpersonalverordnung (Fahrpersonal VO) Arbeitszeitrecht für Seeleute §§ 49, 54 Seearbeitsgesetz (SeeArbG) Arbeitnehmerüberlassung §§ 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), Art. 5 Abs. 4 Leiharbeitsrichtlinie der europäischen Union4 Weitergeltung von Kollektivverträgen nach Betriebsübergang § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB Vergütungssysteme in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen §§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr.4, 45 Abs. 2 Satz 1 Nr.6 Kreditwesengesetz (KWG), § 1 Abs. 3 Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV), § 25 Abs. 5 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), § 1 Abs. 4 Versicherungsvergütungsverordnung (VersVergV), § 10 Abs. 2c Satz 1 Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz 4 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit. Abrufbar im Internetauftritt der Europäischen Kommission: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2008:327:0009:0014:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 2. Dezember 2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 139/19 Seite 6 (FMStFG), § Abs. 5 Satz 1 Restrukturierungsfondsgesetz (RStruktFG) Haushaltsrecht § 52 Satz 1Bundeshaushaltsordnung (BHO) Zuständigkeit des Arbeitsgerichts §§ 48 Abs. 2, 101 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) ***