© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 138/16 Tarifdispositives Arbeitsrecht Ausgewählte Beispiele Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 2 Tarifdispositives Arbeitsrecht Ausgewählte Beispiele Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 138/16 Abschluss der Arbeit: 5. Januar 2017 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Kündigungsfristen 4 3. Arbeitsentgelt 5 4. Arbeitszeitrecht 6 5. Urlaubsrecht 7 6. Teilzeitarbeits- und Befristungsrecht 7 7. Arbeitnehmerüberlassung 8 8. Recht der betrieblichen Altersversorgung 8 9. Zuständigkeitsregelungen der Arbeitsgerichtsbarkeit 9 10. Einbeziehung nicht tarifgebundener Parteien 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 4 1. Einleitung Für den Arbeitsvertrag gilt grundsätzlich die verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Vertragsfreiheit. Dabei unterliegen auch die gesetzlichen Vorgaben zu Arbeitsbedingungen im Einzelfall der Disposition der Vertragsparteien (z.B. §§ 612, 613, 614, 615 BGB). Zahlreiche arbeitsrechtliche Bestimmungen können demgegenüber einzelvertraglich nicht abbedungen werden, weil sie dem Schutz des Arbeitnehmers dienen. In einigen Fällen enthalten Arbeitnehmerschutzbestimmungen jedoch in unterschiedlichem Umfang Öffnungsklauseln für abweichende tarifvertragliche Regelungen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass zwar der einzelne Arbeitnehmer aufgrund seiner sozialen Unterlegenheit des gesetzlichen Schutzes bedarf, Tarifverträge aber zwischen den beiden gleichstarken Sozialpartnern ausgehandelt werden, die den hinreichenden Schutz des Arbeitnehmers gewährleisten können. Das tarifdispositive Gesetzesrecht soll es den Tarifpartnern ermöglichen, für einen bestimmten Wirtschaftszweig einen vom Gesetz abweichenden sachgemäßen Interessenausgleich zu schaffen. Im Folgenden werden ausgewählte Beispiele für tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht aus unterschiedlichen Bereichen dargestellt, die überwiegend dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum entnommen sind.1 Die Aufzählung erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Derzeit (Stand 1. Oktober 2016) sind im Tarifregister des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) fast 72.000 Tarifverträge als gültig erfasst.2 Das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI-Tarifarchiv) analysiert die Tariflandschaft zwar regelmäßig statistisch nach unterschiedlichen Aspekten,3 weist aber nicht aus, inwieweit in den Vertragswerken gesetzliche Tariföffnungsklauseln in Anspruch genommen werden. Auch Untersuchungen anderer Stellen und Institute mit dieser Zielrichtung konnten nicht ermittelt werden. 2. Kündigungsfristen § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB ermöglicht den Tarifvertragspartnern die Vereinbarung einer Abweichung von den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1 bis 3 BGB für Arbeitsverträge. 1 Vgl. z.B. die Bespiele bei Linck in Schaub: Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Auflage 2015, München: C.H. Beck, § 31, Rn. 12 sowie die Aufzählung bei Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Aufl. 2017. München: C.H. Beck, § 611 BGB Rn. 207 und Wendeling-Schröder, Ulrike: Rechtsgutachten erstattet im Auftrag des Hugo- Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht. Universität Hannover, März 2013, S. 59. Abrufbar im Internetauftritt des Hugo-Sinzheimer-Instituts: http://www.hugo-sinzheimer-institut.de/fileadmin/user_data_hsi/Veroeffentlichungen /HSI_Schriftenreihe/Wendeling-Schroeder.pdf (letzter Abruf: 22. Dezember 2016). 2 Vgl. im Internetauftritt des BMAS: http://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsrecht/Tarifvertraege/allgemeinverbindliche -tarifvertraege.html (letzter Abruf: 3. Januar 2016). 3 Vgl. Bispinck, Reinhard et al.: WSI-Tarifarchiv 2016. Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik. Düsseldorf: Hans- Böckler-Stiftung. Abrufbar im Internetportal der Hans-Böckler-Stiftung: http://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch _2016.pdf (letzter Abruf: 3. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 5 Mit der Einräumung dieses Gestaltungsspielraums soll nach der Gesetzesbegründung dem praktischen Bedürfnis nach branchenspezifischen Regelungen Rechnung getragen werden.4 3. Arbeitsentgelt Abweichungen von den gesetzlichen Mindestregelungen sind zum Beispiel beim Arbeitsentgelt möglich. So enthält § 24 Abs. 1 Satz 1 des im Rahmen des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vom 11. August 2014 eingeführten Mindestlohngesetzes (MiLoG) eine Übergangsregelung, wonach vom gesetzlichen Mindestlohn abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien bis zum 31. Dezember 2017 in Kraft bleiben, sofern ab 1. Januar 2017 ein Mindestentgelt von 8,50 Euro nicht unterschritten wird. Nach der Gesetzesbegründung soll „sachnahen und für die Branche repräsentativen Tarifpartnern damit die Möglichkeit eingeräumt [werden], für ihre Branche eine abweichende Mindestlohnhöhe zu bestimmen und so der spezifischen Ertragskraft der Unternehmen in ihrer Branche Rechnung zu tragen.“5 § 24 Abs. 1 Satz 1 MiLoG dehnt diese Regelung auf Rechtsverordnungen nach § 11 des Arbeitnehmer -Entsendegesetzes sowie § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) aus. Für die Höhe der Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall kann nach § 4 Abs. 4 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) durch einen Tarifvertrag eine von der gesetzlichen Bemessungsgrundlage abweichende Bemessungsgrundlage festgelegt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind sowohl die Berechnungsmethode (Ausfalloder Referenzprinzip) als auch die Berechnungsgrundlage tarifdispositiv.6 Diese Regelung beruht „auf dem Gedanken, dass es ohnehin weitgehend der Beurteilung der Tarifvertragsparteien unterliegt, ob, aus welchem Anlass und in welchem Umfang etwa Zuschläge in Tarifverträgen geregelt werden.“7 Insofern stehe es ihnen daher frei, bestimmte Vergütungsbestandteile ganz oder teilweise aus der Berechnung der Entgeltfortzahlung herauszunehmen.8 4 Bundestagsdrucksache 12/4902, S. 9. 5 Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz ) vom 28. Mai 2016, Bundestagsdrucksache 18/1558, S. 43. 6 BAG, Urteil vom 16. Juli 2014, NZA 2015, S. 499. 7 BAG, Urteil vom 7. Dezember 2005, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 34 – 5 AZR 228/05, Rn. 24 (zit. nach juris). 8 Ricken in Beck'scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, 42. Edition, Stand: 1. Dezember 2016, § 4 EntgFG, Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 6 4. Arbeitszeitrecht Tarifvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Arbeitszeitrecht sind nach §§ 7 und 12 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) zulässig. Dadurch werden branchenspezifische Sonderregeln ermöglicht . § 7 ArbZG lässt unter anderem begrenzte Abweichungen von der werktäglichen Arbeitszeit nach §§ 3 und 6 Abs. 2 ArbZG zu, wenn regelmäßig in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst anfällt; auch andere Ausgleichszeiträume können im Tarifvertrag festgelegt werden (§ 7 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 ArbZG). In Schicht- und Verkehrsbetrieben können die Ruhepausen nach § 4 Abs. 2 ArbZG anders aufgeteilt werden (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG). Einer in Grenzen abweichenden Regelung sind ferner die Ruhezeiten nach § 5 Abs. 1 ArbZG zugänglich (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG) und auch der Beginn des siebenstündigen Nachtzeitraums nach § 2 Abs. 3 ArbZG ist in einem in § 7 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG bestimmten Umfang tarifdispositiv. Weitere tarifvertragliche Ausnahmen lässt § 7 Abs. 2 und 2a ArbZG unter der Voraussetzung zu, dass der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich bzw. durch eine anderweitige Regelung sichergestellt wird. Nach § 12 ArbZG kann unter bestimmten Bedingungen durch Tarifvertrag in Grenzen auch von den Sonn- und Feiertagsregelungen des § 11 ArbZG abgewichen werden. Auch die besonderen Arbeitszeit- und Freizeitregelungen für Auszubildende und jugendliche Arbeitnehmer , die zur Wahrung des Schutzes ihrer Gesundheit in den §§ 8 bis 18 des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) niedergelegt sind, unterliegen nach § 21a Abs. 1 JArbSchG, wenn auch in engeren Grenzen, der Disposition der Tarifvertragsparteien. Zu den tarifdispositiven Regelungen zählen danach die Bestimmungen über die tägliche Arbeitszeit, Lage der Ruhezeiten, die Dauer von Schichtzeiten und Ersatzruhezeiten sowie das Verbot der Arbeit an Samstagen und Sonntagen. Die durch das erste Gesetz zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 15. Oktober 1984 eingefügte Bestimmung soll Befugnisse und Verantwortung der Tarifvertragsparteien stärken und ihnen die Möglichkeit eröffnen, „die Arbeitszeitvorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes den konkreten Erfordernissen der Ausbildung und Beschäftigung Jugendlicher innerhalb des dort bestimmten, gesundheitlich vertretbaren Rahmens anzupassen.“9 „Die Arbeitszeitvorschriften können dadurch flexibler an die Bedürfnisse der Betriebe angepasst werden, da die Tarifparteien schneller und leichter auf eintretende Veränderungen reagieren als der Gesetzgeber und auch regionale Besonderheiten berücksichtigen können.“10 Nach §§ 49 und 54 des Seearbeitsgesetzes (SeeArbG) vom 20. April 2013, mit dem das Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar 2006 umgesetzt wird, sind im Seearbeitsrecht ebenfalls abweichende tarifvertragliche Arbeitszeitregelungen sowohl für erwachsene als auch für jugendliche Besatzungsmitglieder möglich. 9 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) 1. zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes - Drucksache 10/340 - 2. zu dem von dem Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes und des Berufsbildungsgesetzes - Drucksache 10/1128, Bundestagsdrucksache 10/2012 vom 19. September 1984, S. 14. 10 Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Auflage 2017, § 21a JArbSchG, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 7 5. Urlaubsrecht § 13 Abs. 1 Satz 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG), das den gesetzlichen Mindestanspruch eines Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub regelt, erlaubt den Sozialpartnern Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben durch Tarifvertrag. „Dem Gesetzgeber ging es nicht vorrangig darum, die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes für unabdingbar zu erklären. Er nahm mit den Regelungen des § 13 BUrlG vielmehr Rücksicht darauf, dass die Tarifvertragsparteien in großem Umfang urlaubsrechtliche Regelungen getroffen hatten. In den Vorbereitungen für das Bundesurlaubsgesetz wurde betont, dass den Sozialpartnern (weiter) Spielraum für die Gestaltung des Urlaubsrechts gelassen werde, um die Bedeutung der Tarifautonomie für die Entwicklung des Urlaubsrechts hervorzuheben. Mit § 13 werde den Tarifpartnern für einen großen Teil der Vorschriften Gestaltungsfreiheit eingeräumt.“11 Das BAG hat das als „tarifliches Vorrangprinzip“ bezeichnet .12 Nicht zur Disposition stehen dabei ausdrücklich der Anspruch auf Erholungsurlaub als solcher (§ 1 BurlG) und dessen persönlicher Geltungsbereich (§ 2 BurlG) sowie die Mindestdauer von 24 Werktagen (§ 3 Abs. 1 BurlG). 6. Teilzeitarbeits- und Befristungsrecht Tariföffnungsklauseln finden sich auch im Bereich der Teilzeitarbeit. So erlauben die Bestimmungen §§ 12 bis 14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben zu Ungunsten der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag. § 12 Abs. 3 TzBfG ermöglicht eine Veränderung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten ebenso wie der Vorankündigungsfristen für die jeweiligen Arbeitseinsätze im Falle der Arbeit auf Abruf. Nach § 13 Abs. 4 TzBfG kann unter bestimmten Voraussetzungen von den gesetzlichen Regelungen zur Arbeitsplatzteilung abgewichen werden. § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG sieht schließlich die Möglichkeit einer abweichenden Regelung der Anzahl der Verlängerungen oder der Höchstdauer der Befristung vor. Die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist jedoch nach der Rechtsprechung des BAG aus verfassungs- und unionsrechtlichen Gründen insoweit nicht schrankenlos.13 11 Gallner in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Auflage 2017, § 13 BUrlG, Rn. 1; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (21. Ausschuss) über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Mindesturlaub für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) - Drucksache IV/142 - und über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Bundesurlaubsgesetzes - Drucksache IV/207 auf Bundestagsdrucksache IV/785, S. 2. 12 BAG, Urteil vom 9. Juli 1964, AP BUrlG § 13 Nr. 2; zit. nach Gallner (Fn. 11). 13 Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Auflage 2017, § 14 TzBfG, Rn. 101a unter Bezugnahme auf BAG, Urteil vom 5. Dezember 2012, NZA 2013, S. 515 und BAG, Urteil vom 18. März 2015, NZA 2015, S. 821, Rn. 22 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 8 Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) kann ebenfalls durch Tarifvertrag von den in den §§ 2, 3 und 6 WissZeitVG vorgeschriebenen Befristungsdauern abgewichen werden. 7. Arbeitnehmerüberlassung Die Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung sind ebenfalls zum Teil tarifdispositiv. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Regelungen in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 und 9 Nr. 2 Halbsatz 2 AÜG, wonach ein Tarifvertrag von dem Grundsatz der Gleichbehandlung in der Leiharbeit abweichen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte nicht unterschritten werden. Tarifvertragliche Ausnahmen von der gesetzlichen Regelung lässt Art. 5 Abs. 4 der Leiharbeitsrichtlinie der Europäischen Union14 ausdrücklich zu, „sofern Leiharbeitnehmern ein angemessenes Schutzniveau gewährt wird“. Hierzu muss der Gesetzgeber den Schutz der Leiharbeiter und die Tarifautonomie gegeneinander abwägen. Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Ausnahmeregelungen der §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 und 9 Nr. 2 AÜG wurden im Schrifttum Bedenken geltend gemacht.15 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat allerdings eine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde mangels grundsätzlicher Bedeutung zurückgewiesen.16 8. Recht der betrieblichen Altersversorgung Eine Tariföffnungsklausel findet sich auch in § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz - BetrAVG). Danach kann von bestimmten Regelungen des Gesetzes abgewichen werden. Sie betreffen unter anderem den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltumwandlung, die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft, Abfindung und Übertragung sowie das Auszehrungsverbot, außerdem die jährliche Anpassungspflicht und die Verjährungsfrist. Die übrigen Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes, zu denen insbesondere die Unverfallbarkeitsanordnung des § 1b BetrAVG zählt, sind nach § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG in jedem Falle zwingend und nur einer Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers zugänglich.17 14 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit, Abrufbar im Internetauftritt der Europäischen Kommission: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2008:327:0009:0014:DE:PDF (letzter Abruf: 4. Januar 2017). 15 Vgl. Wank in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Auflage 2017, § 3 AÜG, Rn. 23 ff. 16 BVerfG, Beschluss vom 29. Dezember 2004, NZA 2005, S. 153; zit. nach Wank (Fn. 15), Rn. 23c. 17 Steinmeyer in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Auflage 2017, § 17 BetrAVG, Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 138/16 Seite 9 9. Zuständigkeitsregelungen der Arbeitsgerichtsbarkeit Tarifdispositiv ist schließlich auch die örtliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit. Für bürgerliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus Arbeitsverhältnissen, die sich nach einem Tarifvertrag bestimmen sowie für Streitigkeiten aus dem Verhältnis zwischen Arbeitnehmern oder Arbeitgebern zu einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien, kann nach § 48 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) durch die Tarifvertragsparteien die Zuständigkeit eines örtlich unzuständigen Arbeitsgerichts festgelegt werden. Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen von Tarifverträgen können die Parteien nach § 101 Abs. 1 ArbGG die Arbeitsgerichtsbarkeit gänzlich ausschließen und die Entscheidung einem Schiedsgericht übertragen. Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, das sich nach einem Tarifvertrag bestimmt, können die Tarifvertragsparteien aber für künstlerisch geprägte Berufsgruppen auch eine Schiedsgerichtsentscheidung ausdrücklich ausschließen (§ 101 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). 10. Einbeziehung nicht tarifgebundener Parteien Von Tarifverträgen werden nach § 3 des Tarifvertragsgesetzes grundsätzlich nur die tarifgebundenen Parteien erfasst. Charakteristisch für die aufgeführten tarifdispositiven Regelungen ist es jedoch , dass sie im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages in der Regel auch nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausdrücklich die Möglichkeit eröffnen, die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen individualvertraglich zu vereinbaren, um eine Vereinheitlichung der Arbeitsvertragsbedingungen zu ermöglichen.18 „Eine für die Arbeitnehmer ungünstige Regelung kann sich also auch für nichttarifgebundene Arbeitnehmer nachteilig auswirken. Dogmatisch ist dies jedoch keine Außenseiterbenachteiligung, weil die Anwendung der Regelung ja immer über die individualrechtliche Vereinbarung legitimiert ist.“19 Es muss insoweit aber „sichergestellt sein, dass der Arbeitgeber nicht nur die den Arbeitnehmer benachteiligenden Normen übernimmt. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag ist nur dann wirksam, wenn auf den Tarifvertrag insgesamt oder einen bestimmten Regelungsbereich (z. B. die Kündigungsvorschriften) verwiesen wird und die tariflichen Regelungen nach ihrem fachlichen, zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich für den Betrieb gelten würden.“20 *** 18 Vgl. § 4 Abs. 4 EntgFG, §§ 7 Abs. 3 Satz 1 und 12 Satz 2 ArbZG, § 21a Abs. 2 JArbSchG, §§ 49 Abs. 2 und 54 Abs. 2 SeeArbG, § 13 Abs. 1 Satz 2 BurlG, §§ 12 Abs. 3 Satz 2, 13 Abs. 4 Satz 2 und 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG, § 1 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 und 9 Nr. 2 Halbsatz 3 AÜG, § 17 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG. 19 Wendeling-Schröder, Ulrike (Fn. 1), S. 60 mit weiteren Nachweisen. 20 Linck in Schaub: Arbeitsrechts-Handbuch (Fn. 1), § 31, Rn. 12 mit Nachweisen aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung.