© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 132/19 Brain Drain, Wirkungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in den Herkunftsländern und Fachkräftemigration aus Deutschland Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 2 Brain Drain, Wirkungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in den Herkunftsländern und Fachkräftemigration aus Deutschland Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 132/19 Abschluss der Arbeit: 27. Januar 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fachkräftemigration und Brain Drain in der wissenschaftlichen Diskussion 4 2. Fachkräftesicherung und Fachkräfteeinwanderungsgesetz 5 2.1. Fachkräftesicherung 5 2.2. Fachkräfteengpassanalyse 5 2.3. Fachkräfteeinwanderungsgesetz 6 2.4. Mögliche Auswirkungen auf die Herkunftsstaaten 6 3. Fachkräftemigration innerhalb der Europäischen Union 8 4. Fachkräftemigration und Brain Drain aus Deutschland 8 4.1. Statistik 8 4.2. Bundesregierung 9 4.3. Studien 9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 4 1. Fachkräftemigration und Brain Drain in der wissenschaftlichen Diskussion Die internationale Migration hochqualifizierter Fachkräfte (insbesondere Wissenschaftler) wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Forschung zunächst allein unter der negativen Perspektive des sogenannten Brain Drain diskutiert, wie etwa die damalige Auswanderung von Wissenschaftlern aus Großbritannien in die USA. In späteren Jahren versuchte die Entwicklungsforschung das Phänomen der Migration Hochqualifizierter aus Entwicklungsländern in die Industriestaaten in die bestehenden Theorien zur Erklärung der Unterentwicklung einzubinden. Erst seit den 1980er-Jahren wurde im Rahmen der zunehmenden Globalisierung die Zunahme der Mobilität hochqualifizierter Fachkräfte in den Mittelpunkt der Migrationsforschung gestellt, die unter Rückgriff auf die klassischen Push-Pull-Ansätze, aber auch auf bestehende Migrationsnetzwerke auch positive Effekte feststellen konnte. Einen Überblick über die Entwicklung der Migrationsforschung zu diesem Phänomen und eine Einschätzung der Auswirkungen bietet eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) aus dem Jahr 2003: Hunger, Uwe (2003): Vom Brain Drain zum Brain Gain - Die Auswirkungen der Migration von Hochqualifizierten auf Abgabe und Aufnahmeländer, August 2003, Bonn: FES, abrufbar im Internetauftritt der FES: http://library.fes.de/fulltext/asfo/02601/hunger.htm (letzter Abruf: 21. November 2019). Danach interpretieren neuere Forschungsansätze die Migration von Hochqualifizierten nicht mehr als einen abgeschlossenen Prozess, der für die Abgabeländer in einem Humankapitalverlust (brain drain) und für die Aufnahmeländer in einem Humankapitalgewinn (brain gain) resultiert. Stattdessen wird die Elitenmigration eher als ein zirkulärer Prozess der Hin- und Her- bzw. Weiterwanderung (brain circulation) gesehen, von dem nicht nur Aufnahmeländer, sondern auch Abgabeländer profitieren könnten. Einst ausgewanderte Eliten könnten wieder in ihr Heimatland zurückkehren und sich dort mit dem im Industrieland gewonnenen Know-how, Kapital und Netzwerkkontakten am Entwicklungsprozess ihres Heimatlandes beteiligen. Auch stiegen durch Migration die Anreize in Bildung zu investieren. Im Ergebnis könnten sich mithin positive wie negative Effekte für die Herkunftsländer ergeben. Theorie, Evidenz und Implikationen hochqualifizierter Migration werden vorgestellt von: Boeri, Tito / Brücker, Herbert /Docquier, Frédéric / Rapoport, Hillel (Hrsg.) (2012): Brain Drain and Brain Gain - The Global Competition to Attract High-Skilled Migrants , Oxford: Oxford University Press (engl.), Auszug: Kapitel 9: Theory, Evidence and Implications, S. 233-276. - Anlage 1 - Die Ergebnisse der in dem Buch vorgestellten empirischen Studien belegen ebenfalls, dass die Wirkungen hochqualifizierter Migration auf die Abgabeländer nicht notwendigerweise negativ ist, solange die Auswanderung einen Anteil von 20 bis 35 Prozent nicht überschreitet. Im Einzelnen unterlägen die Effekte aber von Land zu Land erheblichen Unterschieden. Die beschränkte Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 5 Datenlage erschwere eine Erfassung der komplexen Dynamik von Migration und Humankapitalbildung und daraus abzuleitende politische Schlussfolgerungen. 2. Fachkräftesicherung und Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2.1. Fachkräftesicherung Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten hebt eine Veröffentlichung der Berliner Gesellschaft für Versicherungswissenschaft- und Gestaltung (GVG) die zunehmende Bedeutung der Fachkräftesicherung hervor, die von einer schlüssigen Gesamtstrategie getragen werden müsse: Autorengemeinschaft (2018): Arbeits- und Fachkräftesicherung in Deutschland - Wichtige Handlungsfelder und ihre Potenziale (Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses Arbeitsmarkt – Vorsitz: Detlef Scheele – vom 23. März 2018), Berlin: GVG, abrufbar im Internetauftritt der GVG: https://gvg.org/wp-content/uploads/2018/08/fachkraeftesicherung_81_homepage.pdf (letzter Abruf: 23. Januar 2020). Darin werden politische Handlungsempfehlungen zur Aktivierung inländischer Potenziale, aber auch zur Erleichterung der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte formuliert. 2.2. Fachkräfteengpassanalyse Die Bundesagentur für Arbeit (BA) führt in halbjährlichem Rhythmus eine Fachkräfteengpassanalyse durch, um festzustellen, in welchen Berufsfeldern es in Deutschland einen Mangel an Fachkräften gibt. Nach der aktuellen Analyse zeigt sich ein Fachkräftemangel in einzelnen technischen Berufsfeldern, in Bauberufen sowie in Gesundheits- und Pflegeberufen: BA - Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung, Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfteengpassanalyse, Nürnberg, Dezember 2019 abrufbar im Internetauftritt der Statistik der BA: https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201912/arbeitsmarktberichte /fk-engpassanalyse/fk-engpassanalyse-d-0-201912-pdf.pdf (letzter Abruf: 23. Januar 2020). Regionale Engpässe werden dabei in Form von Landkarten dargestellt: https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Footer/Top-Produkte/Fachkraefteengpassanalyse -Nav.html (letzter Abruf: 23. Januar 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 6 2.3. Fachkräfteeinwanderungsgesetz Am 7. Juni 2019 hat der Deutsche Bundestag das Fachkräfteeinwanderungsgesetz1 verabschiedet, das am 1. März 2020 in Kraft treten wird. Ziel des Gesetzes ist es, den Fachkräftebedarf, soweit er nicht durch inländische und innereuropäische Potenziale gedeckt werden kann, „durch eine gezielte und gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten zu flankieren und so einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten.“2 Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schafft den rechtlichen Rahmen für gezielte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten. Angesprochen sind Fachkräfte mit Berufsausbildung und Fachkräfte mit akademischer Ausbildung nach der Definition des neu eingeführten § 18 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG neue Fassung - n.F.). Fachkraft im Sinne des Aufenthaltsgesetzes ist nach § 18 Abs. 3 AufenthG n.F. ein Ausländer, der 1. eine inländische qualifizierte Berufsausbildung oder eine mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertige ausländische Berufsqualifikation besitzt (Fachkraft mit Berufsausbildung) oder 2. einen deutschen, einen anerkannten ausländischen oder einen einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzt (Fachkraft mit akademischer Ausbildung). Einzelne Berufsgruppen sind dabei nicht besonders hervorgehoben. „Wenn ein Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation vorliegen, können Fachkräfte in allen Berufen, zu denen sie ihre Qualifikation befähigt, arbeiten.“3 2.4. Mögliche Auswirkungen auf die Herkunftsstaaten Wissenschaftliche Prognosen zu den Auswirkungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes auf die Herkunftsländer der nach Deutschland auswandernden Fachkräfte lassen sich nicht ermitteln . Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) teilte auf Anfrage mit, dass die Effekte zu klein sein würden, um eine Veränderung der Faktorausstattung 1 Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 2019 (BGBl. I 2019, S. 1307). 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes Bundestagsdrucksache 19/8285 vom 13. März 2019, S. 1. 3 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes Bundestagsdrucksache 19/8285 vom 13. März 2019, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 7 in den Herkunftsländern und damit einen sogenannten Brain Drain auszulösen. Die Bundesregierung erwartet einen Effekt von 25.000 zusätzlichen Personen pro Jahr;4 nach Einschätzung des IAB würden sich aber selbst bei 100.000 zusätzlichen Personen pro Jahr verteilt über viele Herkunftsländer keine empirisch messbaren Effekte ergeben. Die Bundesregierung schätzt den Einfluss des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes auf die wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsländern angeworbener Fachkräfte unter Berufung auf entsprechende Studien differenziert ein, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Susanne Ferschl, Gökay Akbulut, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 19/8119 - Zur Bedeutung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes , Bundestagsdrucksache 19/9401 vom 11. April 2019, S. 12 f., abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/094/1909401.pdf (letzter Abruf: 2. Januar 2020) hervorgeht: „Auf der einen Seite verlieren die Sendeländer qualifizierte Arbeitskräfte, in deren Bildung sie investiert haben. Dadurch können das Niveau der Produktion und auch die Wachstumsrate sinken, wenn Arbeitskräfte mit einem überdurchschnittlichen Innovationspotenzial verloren gehen. Auf der anderen Seite steigen durch die Möglichkeit zur Migration die individuellen Anreize, in Bildung zu investieren. Da am Ende aber nur ein Teil dieser Personen, die zusätzlich in Bildung investiert haben, tatsächlich auswandert, kann per saldo das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte in den Herkunftsländern steigen, was wiederum zu positiven Produktivitäts- und Wachstumseffekten führt. Zudem können sich durch Rückkehrmigration bzw. zirkuläre Migration positive Qualifikationseffekte ergeben, sowie durch Rücküberweisungen positive Einkommenseffekte für die Bevölkerung der Herkunftsländer (Docquier et al., 2012). Die Auswirkungen der Auswanderung bzw. der erweiterten Option auf eine Auswanderung von qualifizierten Arbeitskräften sind also ambivalent. Die empirische Literatur schätzt die Effekte der Auswanderung bzw. der Migrationsoption für qualifizierte Arbeitskräfte je nach Herkunftsländern für Einkommen und Wachstum unterschiedlich ein. Während die Auswirkungen auf Schwellenländer häufig positiv und neutral sind, sind Länder mit einem besonders niedrigen Entwicklungsniveau häufig negativ betroffen (Beine et al., 2001; Docquier/Rapoport, 2012). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Einkommen der Migranten durch Arbeitsmigration erheblich steigen, weil ihre Arbeitskraft produktiver eingesetzt werden kann. Hinsichtlich des Entwurfes des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ist zudem zu berücksichtigen , dass er sich mit neuen Möglichkeiten im Bereich der nicht-akademischen Arbeitskräfte mit beruflichen Bildungsabschlüssen sowie den neuen Möglichkeiten für Auszubildende nicht allein an akademische Arbeitskräfte richtet. Des Weiteren ist der deutsche Arbeitsmarkt im Vergleich zu vielen Herkunftsländern und auch anderen Zielländern wie den Vereinigten 4 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes Bundestagsdrucksache 19/8285 vom 13. März 2019, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 8 Staaten vergleichsweise klein. Die Bundesregierung geht daher in Summe nicht von spürbaren negativen Effekten für andere Volkswirtschaften aus.“ 3. Fachkräftemigration innerhalb der Europäischen Union Brain Drain- und Brain Gain-Effekte aufgrund der Migration qualifizierter Arbeitskräfte innerhalb der Europäischen Union (EU) werden von einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichten Studie auf der Grundlage ausgewählter Länderberichte untersucht: Schellinger, Alexander (Hrsg.) (2015): Brain Drain - Brain Gain: Europe Labour Markets in Times of Crisis, Bonn: FES (engl.), Inhaltsverzeichnis und Auszug: S. 87-92, abrufbar im Internetauftritt der FES: https://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/12032.pdf (letzter Abruf: 23. Januar 2020). - Anlage 2 - Die Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht nur Vorteile hat, sondern auch Risiken birgt, die die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Krisenländern in wirtschaftlich stärkere Länder zur Folge haben können. Aufgrund der Komplexität und Heterogenität des Migrationsgeschehens sei es jedoch schwierig Brain Drain-Effekte herauszufiltern. Insbesondere verböten sich pauschale Beurteilungen ganzer Länder als Gewinner oder Verlierer dieser Entwicklung. Eine aussagekräftige Analyse darüber, wer profitiere und wer verliere, müsse auch stets nationale Besonderheiten einbeziehen. 4. Fachkräftemigration und Brain Drain aus Deutschland 4.1. Statistik An dem innereuropäischen Wanderungsgeschehen sowie an der globalen Migration zwischen hoch entwickelten Staaten nehmen auch deutsche Staatsbürger teil. Der Wanderungssaldo deutscher Staatsangehöriger ist seit langem negativ. Das Statistische Bundesamt (Destatis) weist in seiner Wanderungsstatistik die Daten der Wanderungsbewegungen von und nach Deutschland für den Zeitraum als Zeitreihe von 1991 bis 2018 nach5. Im Jahr 2018 sind danach 261.851 Deutsche ins Ausland verzogen und nur 201.531 Deutsche aus dem Ausland nach Deutschland gezogen . Das entspricht einem Wanderungssaldo von - 60.320 Personen. Das Qualifikationsniveau zuoder abwandernder Personen ist jedoch nicht Gegenstand der amtlichen Wanderungsstatistik, so- 5 Destatis: Wanderungen: Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland, Zugezogene, Fortgezogene und Saldo, abrufbar im Internetauftritt von Destatis: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Wanderungen/Tabellen/wanderungen -alle.html (letzter Abruf: 24. Januar 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 9 dass sie auch keine Auskunft über die Wanderungsbewegung hochqualifizierter deutscher Staatsbürger geben kann. Auch Motive für einen Fortzug und Dauer des Aufenthalts im Ausland werden statistisch nicht erfasst. 4.2. Bundesregierung Die Bundesregierung geht allerdings nicht davon aus, dass es durch Abwanderung hochqualifizierter Wissenschaftler zu einem Brain Drain-Effekt in Deutschland kommt. Die internationale Mobilität von Wissenschaftlern trage nicht zu einer Reduktion der Forschungsqualität in Deutschland bei. Zeitweilige Aufenthalte von Wissenschaftlern im Ausland seien vielmehr Teil der wissenschaftsimmanenten „Brain Circulation“. Eine volkswirtschaftliche Berechnung etwaiger Verluste durch die Abwanderung von Akademikern hält die Bundesregierung daher nicht für sinnvoll. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Norbert Kleinwächter , Martin Sichert, René Springer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD - Drucksache 19/5249 - Zur Auswanderung von Fachkräften und Talentabwanderung , Bundestagsdrucksache 19/5763 vom 12. November 2018, S. 2 f. und 6, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/057/1905763.pdf (letzter Abruf: 23. Januar 2020). Dem aktuellen Migrationsbericht der Bundesregierung: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Migrationsbericht 2018, Bundestagsdrucksache 19/16475vom 10. Januar 2020, abrufbar im Internetauftritt des deutschen Bundestages : http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/164/1916475.pdf (letzter Abruf: 24. Januar 2020) zufolge liegen hinsichtlich des Fortzugs hochqualifizierter Erwerbspersonen aus Deutschland lediglich für Ärzte Informationen aus der Statistik der Bundesärztekammer vor; danach ist die Zahl fortziehender Ärzte in der Tendenz rückläufig (S. 171). Daten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes geben daneben Auskunft über die Zahl geförderter zeitweiliger Auslandsaufenthalte von Wissenschaftlern (S. 171 ff.). 4.3. Studien Bisher gibt es nur wenig belastbare wissenschaftliche Forschung über die Migrationsprozesse zwischen hochentwickelten Staaten. Vor dem Hintergrund der kontroversen Diskussion über Auswanderung aus Deutschland setzte sich ein Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) intensiv mit dem Thema auseinander. Eine 2010 veröffentlichte Studie stellt die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts dar: Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 10 Ette, Andreas; Sauer, Lenore (2010): Auswanderung aus Deutschland : Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. 1. Aufl. Wiesbaden: VS-Verlag, Inhaltsverzeichnis und Auszug: S. 11-16, 108, 113, 118-120, 136-138 und 191-198. - Anlage 3 - Die Studie widmet sich unter Verwendung von Datensätzen, die in der Migrationsforschung bisher kaum genutzt wurden, auch der Frage nach einem möglichen Brain Drain. Tabellarische Darstellungen informieren für den Zeitraum 1996 bis 2006 über – Bildungsniveau, Berufsqualifikation und Wirtschaftszweige Deutscher nach Migrationsstatus (Anlage 2, Tabelle 5.2, S. 108), – Auswanderung Deutscher in die EU-11 und Rückwanderung Deutscher aus der EU-11 sowie Rückwanderungsquote, nach ausgewählten Bildungsniveaus, Berufsqualifikationen und Wirtschaftszweigen (Anlage 2, Tabelle 5.3, S. 113), – Ergebnisse logistischer Regressionsmodelle zur Chance deutscher Staatsbürger, aus Deutschland in die EU-11 auszuwandern bzw. aus der EU-11 nach Deutschland zurückzuwandern (Anlage 2, Tabelle 5.4, S. 116). Die beiden Autoren gelangen zu dem Ergebnis, dass die internationale Migration deutscher Staatsbürger insbesondere durch die zunehmende Auswanderung hochqualifizierter Personen gekennzeichnet sei. Jedoch überwögen gerade bei den qualifiziertesten Arbeitskräften temporäre Auslandsaufenthalte und zirkuläre Migrationsprozesse. Der internationale und europäische Vergleich zeige allerdings, dass Deutschland im Wettbewerb um die besten Köpfe nur im Mittelfeld liege. Im Jahr 2015 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development - OECD) einen Bericht über deutsche Auswanderer vorgelegt: OECD (2015): Talente im Ausland: Ein Bericht über deutsche Auswanderer, Paris: OECD, Inhaltsverzeichnis und Auszug: S. 15-18 und 58, abrufbar im Internetauftritt der OECD: https://www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/talente-im-ausland-einbericht -uber-deutsche-auswanderer_9789264234055-de (letzter Abruf: 2. Januar 2020). - Anlage 4 - Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 11 Danach ist die Zahl hochqualifizierter deutscher Auswanderer zwischen 2000/2001 und 2010/2011 rasch gestiegen. Die Zahl deutscher Auswanderer mit Tertiärabschluss habe sich in diesem Zeitraum um 40 Prozent, die Zahl derer mit mittlerem Bildungsabschluss um 7 Prozent erhöht. Auch übten erwerbstätige deutsche Auswanderer häufig Berufe mit hohem Qualifikationsniveau aus und nähmen vor allem außerhalb der EU oft Führungsaufgaben wahr. Die Studie bietet eine Reihe tabellarischer Darstellungen, darunter für 2010/2011 eine Übersicht über – Erwerbstätige deutsche Auswanderer nach Berufsgruppen in den Hauptzielländern (Tabelle 2.5., S. 58). Die Frage, welche Effekte die Migrationsbewegungen in den Herkunfts- oder Aufnahmeländern haben, ist allerdings nicht Gegenstand des Berichts. Seit 2018 führt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen ein umfangreiches Forschungsprojekt zur Migration durch, das insbesondere die Konsequenzen der Migration für die individuellen Lebenschancen der Migranten in den Blick nimmt: German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS), Internetauftritt: https://www.bib.bund.de/DE/Forschung/Migration/Projekte/german-emigration-andremigration -panel-study.html (letzter Abruf: 3. Januar 2010). Das GERPS basiert auf der Befragung von Aus- und Rückwanderern mit deutscher Staatsangehörigkeit im Alter zwischen 20 und 70 Jahren, die in den zwölf Monaten vor der Befragung international migriert sind. Ziel des Forschungsprojektes ist es, am Beispiel der Auswanderung aus Deutschland und der Rückwanderung nach Deutschland die individuellen Konsequenzen internationaler Migration für den weiteren Lebensverlauf zu untersuchen. Bis 2021 sind insgesamt vier Befragungswellen geplant. Auch bei diesem Forschungsprojekt werden Brain Drain-Effekte nicht untersucht. Forschungsdesign und zentrale thematische Schwerpunkte dieses Forschungsprojekts werden präsentiert von: Ette, Andreas et al. (2019): German emigration and remigration Panel Study (GERPS) - Neue GERPS-Daten über deutsche Aus- und Rückwandernde, in: Bevölkerungsforschung aktuell 6/2019, S. 3-7. Abrufbar im Internetauftritt des BiB: https://www.bib.bund.de/Publikation/2019/Bevoelkerungsforschung-Aktuell-2019- 6.html?nn=9998558 (letzter Abruf: 3. Januar 2020). Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts hat das BiB in einem Policy Brief vom Dezember 2019 veröffentlicht: BIB (2019): Gewinner der Globalisierung Individuelle Konsequenzen von Auslandsaufenthalten und internationaler Mobilität, Berlin: BiB, abrufbar im Internetauftritt des BiB: https://www.bib.bund.de/Publikation/2019/pdf/Policy-Brief-Gewinner-der- Globalisierung.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (letzter Abruf: 24. Januar 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 132/19 Seite 12 Danach sind ins Ausland umgezogene Personen überdurchschnittlich qualifiziert; für zwei Drittel sei der Auslandsaufenthalt aber nur zeitlich befristet geplant. Die ins Ausland umgezogenen Personen profitieren beruflich in den meisten Fällen von ihrem Auslandsaufenthalt; daher empfiehlt das BiB in seinem Fazit, öffentlich finanzierte internationale Mobilitätsprogramme auf weitere Bevölkerungsgruppen auszuweiten, damit mehr Menschen an internationaler Mobilität teilhaben könnten. Motivation und Entscheidungsprozesse bei der Migration deutscher Facharbeiter beleuchtet schließlich eine Studie aus dem Jahr 2015 von Kathmann, Till (2015): Zwischen Gehen und Bleiben : Entscheidungsprozesse wanderungswilliger deutscher Facharbeiter, Wiesbaden: Springer VS. ***