© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 129/16 Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 2 Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 129/16 Abschluss der Arbeit: 23. Februar 2017 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorschlag der Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe 4 2. Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung 6 2.1. Versicherung schutzbedürftiger Erwerbspersonen 6 2.2. Finanzierung im Umlageverfahren 7 2.3. Zusammenwirken von Äquivalenz-, Solidar- und Versicherungsprinzip 8 3. Verfassungsrechtliche Würdigung 9 3.1. Schutz des Eigentums 10 3.2. Allgemeiner Gleichheitssatz 11 3.2.1. Vergleichbare Normadressaten 12 3.2.2. Verpflichtung zur weiteren Differenzierung 12 3.2.3. Rechtfertigung der regressiven Abflachung 13 3.2.4. Zwischenergebnis 15 3.3. Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit 15 4. Fazit 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 4 1. Vorschlag der Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung werden gemäß § 157 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) proportional, also nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den Erwerbseinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben. Seit dem 1. Januar 2015 beträgt der Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung 18,7 Prozent. Die kalenderjährlich neu zu bestimmende Beitragsbemessungsgrenze beträgt für das Jahr 2017 in Westdeutschland 76.200 Euro und in Ostdeutschland 68.400 Euro und damit etwa das Doppelte des jeweiligen Durchschnittsverdienstes .1 Die Höhe einer Rente richtet sich gemäß §§ 63 ff. SGB VI vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Erwerbseinkommen. Grundsätzlich berechnet sich die Rentenhöhe aus dem für jedes Kalenderjahr zu bestimmenden Verhältnis des durch Beiträge versicherten individuellen Erwerbseinkommens zum durchschnittlichen Verdienst aller Versicherten. Dabei werden relative Einkommenspositionen aus der Erwerbsphase in die Ruhestandsphase übertragen, so dass bei lückenloser Erwerbsbiographie Versicherte mit einem höheren versicherten Einkommen im Verhältnis zum Durchschnittsverdiener überdurchschnittliche Renten erhalten, während die Rente für Versicherte mit geringeren Einkommen oder diskontinuierlicher Erwerbsbiographie unter dem Durchschnitt liegt. Durch die Beitragsbemessungsgrenze erfolgt eine Beschränkung der Höhe des maximal zu versichernden Verdienstes. Daraus ergibt sich zum einen der für ein Kalenderjahr zu zahlende Höchstbeitrag und zum anderen die daraus resultierende höchstmögliche Rente. Rein rechnerisch beträgt die höchstmögliche Rente das Doppelte der sich aus einem versicherten Durchschnittsverdienst ergebenden Rente. Oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze erzielte Erwerbseinkommen unterliegen keiner Beitragspflicht und haben auch keine Auswirkung auf die Rentenhöhe. Für das Jahr 2017 ergeben sich für einen versicherten Verdienst in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze folgende Beträge:2 Westdeutschland Ostdeutschland Monatliche Beitragsbemessungsgrenze 6.350 Euro 5.700 Euro Höchstbeitrag 1.187,45 Euro 1.065,90 Euro Daraus resultierende monatliche Rente 5,21 Euro 4,93 Euro 1 Vgl. § 157 und Anlagen 1, 2, 2a SGB VI. Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2015 (Beitragssatzverordnung 2015 - BSV 2015). Die Beitragsbemessungsgrenzen für die allgemeine und die knappschaftliche Rentenversicherung werden jeweils kalenderjährlich neu bestimmt , zuletzt mit der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2017 (Sozialversicherungs -Rechengrößenverordnung 2017). Die Ausführungen im Rahmen dieser Ausarbeitung beziehen sich auf die allgemeine Rentenversicherung. 2 Eigene Berechnung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 5 Im politischen Raum wird über die stärkere Einbeziehung höherer Einkommen in die Beitragspflicht durch die Anhebung oder Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze diskutiert.3 Dies würde im Umlageverfahren jedoch nur vorübergehend einen geringeren Beitragssatz ermöglichen , beziehungsweise den zu erwartenden demografisch bedingten Anstieg begrenzen. Auf Dauer würden jedoch die Finanzierungslasten künftiger Generationen ausgeweitet, wenn den zusätzlichen Beiträgen später auch höhere Rentenleistungen gegenüberstünden. In der Literatur ist die Frage der gänzlichen Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung – soweit bekannt – bisher nicht behandelt worden. Dies geschah eher mit Blick auf die Vorschläge zur Einführung einer Bürgerversicherung im Bereich der Krankenversicherung, die eine Ausweitung des versicherten Personenkreises sowie der versicherten Einkünfte vorsehen.4 Eine höhere Beitragszahlung hat jedoch im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Krankenversicherung nur geringe Auswirkung auf die zu erbringenden Leistungen, zum Beispiel bei der Bemessung des Krankengeldes. In der Regel werden die Leistungen der Krankenversicherung wie etwa die medizinische Behandlung unabhängig von der Höhe der Beitragsleistung erbracht. Dagegen führt eine höhere Beitragszahlung in der gesetzlichen Rentenversicherung zu höheren Rentenansprüchen. Ohne Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze würden auch aus den Beitragszahlungen für hohe Einkommen nach der gegenwärtigen Systematik proportional berechnete , entsprechend hohe Rentenleistungen erwachsen. Dies würde umso bedeutender, je höher das bezogene Einkommen ist, aus dem Beiträge zu zahlen wären. Dass aus höheren Einzahlungen höhere Ansprüche folgen müssen, legt die herrschende verfassungsrechtliche Interpretation nahe; damit ist allerdings das Verhältnis von Einzahlung und Anspruch noch nicht festgelegt.5 Zur stärkeren Beteiligung höherer Einkommen an der gesetzlichen Rentenversicherung könnte die Beitragsbemessungsgrenze abgeschafft und dabei eine regressive Abflachung der Rentenhöhe vorgesehen werden, um künftige sich daraus ergebende Mehrausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung zu begrenzen. Dies müsste bedeuten, dass Versicherte mit einem Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze zwar einen proportional zu bemessenden entsprechend hohen Beitrag zu leisten hätten, jedoch daraus keine dem Verhältnis zum Durchschnittsverdienst entsprechende Rentenzahlung erfolgen würde. 3 Vgl. Meldungen in der Rheinischen Post vom 29. Oktober 2016 und MDR-Aktuell vom 31. Oktober 2016, abrufbar im Internet unter: http://www.presseportal.de/pm/30621/3469265 und http://www.mdr.de/nachrichten/politik /inland/reform-der-rente-100.html, zuletzt abgerufen am 14. Februar 2017. 4 Vgl. Brall, Natalie und Voges, Hans-Joachim (2005). Modell Bürgerversicherung – Verfassungsrechtliche und europarechtliche Fragen. Baden-Baden: Nomos. 5 Bericht der sogenannten Rürup-Kommission „Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme . Herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung im August 2003. Abrufbar im Internet unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/c318-nachhaltigkeit-inder -finanzierung-der-sozialen-sicherungssysteme.pdf?__blob=publicationFile, S. 11 und 140, zuletzt abgerufen am 9. Januar 2017. Zu den langfristigen Auswirkungen der Ausweitung der Beitragspflicht siehe auch: Jess, Heinrich (2002): Konsequenzen einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für Verteilung und Wachstum, in: Die Angestelltenversicherung, 12/2002, S. 490. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 6 Die nachfolgende Abbildung zeigt die sich aktuell aus überdurchschnittlichem Einkommen ergebende Rente mit Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze nach geltendem Recht sowie ohne Beitragsbemessungsgrenze mit regressiver und proportionaler Berücksichtigung des höheren Beitrags:6 Im Folgenden werden die verfassungsrechtlichen Aspekte einer regressiven Abflachung der Rentenhöhe für versicherte Einkommen bei Abschaffung der heutigen Beitragsbemessungsgrenze untersucht . Hierfür erfolgt zunächst eine Darstellung der Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung . 2. Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung 2.1. Versicherung schutzbedürftiger Erwerbspersonen Die gesetzliche Rentenversicherung ist in erster Linie ein Alterssicherungssystem für abhängig Beschäftigte und bestimmte selbständig Tätige. Anknüpfungspunkt für die Rentenversicherungspflicht ist die soziale Schutzbedürftigkeit.7 Danach ist darauf abzustellen, ob ohne eine entsprechende Versicherungspflichtregelung im Alter ein ausreichendes Einkommen vorhanden sein wird. Das Gesetz geht insoweit von dem Erfordernis einer obligatorischen Absicherung gegen die biometrischen Risiken Langlebigkeit, Erwerbsminderung und Tod aus. Die Schutzbedürftigkeit von Erwerbspersonen wird in der Regel anzunehmen sein, wenn diese bei objektiver Betrachtung 6 Auf der Grundlage eigener Berechnungen. 7 Vgl. Kreikebohm, Ralf und Kuszynski, Jens (2012): Der versicherte Personenkreis in der gesetzlichen Rentenversicherung , in: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln: Luchterhand, Kapitel 10, Rn. 20. 0 20 40 60 80 100 120 50 60 70 80 90 100 110 120 130M on at li ch e R en te n h öh e in Eu ro Versichertes Jahreseinkommen in Tsd. Euro Abb.: Rente aus überdurchschnittlichem Einkommen Geltendes Recht Regressiv Progressiv Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 7 außerstande sind, sich gegen die biometrischen Risiken selbst zu schützen. Dies setzt vor allem voraus, dass ein solcher Selbstschutz aufgrund der Einkommensverhältnisse wirtschaftlich möglich ist und die Bereitschaft und das Vermögen besteht, eigene Interessen selbst wahrzunehmen und für sich zu sorgen.8 Die Auswahl der versicherten Berufsgruppen beruht hinsichtlich der sozialen Schutzbedürftigkeit auf einer typisierenden Betrachtungsweise, d. h., die Versicherungspflicht tritt bei Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale unabhängig von der konkreten sozialen Schutzbedürftigkeit ein. Die im Gesetz genannten Berufsgruppen unterliegen der Versicherungspflicht selbst dann, wenn sie im Einzelfall zu einer eigenverantwortlichen Daseinsvorsorge befähigt oder auf Grund ihrer individuellen Lebensverhältnisse nicht schutzbedürftig sind.9 Dabei unterliegt nur das aus versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Versicherungspflicht. Darüber hinausgehendes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bedarf keines sozialen Schutzes durch den Staat und ist insoweit über eine ergänzende betriebliche Altersversorgung oder private Altersvorsorge abzusichern. In der Rentenversicherung der Angestellten waren Beschäftigte mit einem über einen bestimmten Jahresarbeitsverdienst hinausgehenden Einkommen bis 1967 zur Gänze versicherungsfrei.10 Mit der Beitragspflicht wird ein nicht unbeträchtlicher Teil des Arbeitsertrages berührt, der zu individueller Vorsorge nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen des Arbeitnehmers nicht mehr zur Verfügung steht.11 Durch die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze wird der aufgrund der Schutzbedürftigkeit legitimierte staatliche Eingriff in die Verwendung der erzielten Erwerbseinkommen beschränkt. 2.2. Finanzierung im Umlageverfahren Die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung werden gemäß § 153 SGB VI im Umlageverfahren durch die im selben Zeitraum erzielten Einnahmen bestritten. Neben den Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber werden die Ausgaben der Rentenversicherung seit ihrem Bestehen durch staatliche Zuschüsse mitfinanziert. Die Beteiligung des Bundes aus dem allgemei- 8 Nach Grüll, Ferdinand (1967): Wie schutzbedürftig sind leitende Angestellte? In: Arbeit und Sozialpolitik, 2/1967, S. 38. 9 Vgl. u. a. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Oktober 2000, Az. B 12 RA 2/99 R. 10 Vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Angestelltenversicherungsgesetz a.F. 11 Schlegel, Rainer (2000): Wen soll das Sozialrecht schützen? - Zur Zukunft des Arbeitnehmer- und Beschäftigtenbegriffs im Sozialrecht, NZS, S. 421, beck-online. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 8 nen Steueraufkommen beruht neben der allgemeinen Sicherungsfunktion aus staatlicher Verantwortung auch auf der Gewährung sogenannter versicherungsfremder Leistungen, die aus sozialpolitischen Erwägungen nach dem Solidarprinzip erbracht werden.12 Die mitunter verwendete Bezeichnung Rentenkasse ist irreführend, da mit Ausnahme einer verhältnismäßig geringen Reserve zum Ausgleich konjunktureller Schwankungen kein angespartes Vermögen im Sinne eines Kapitalbestands aufgebaut wird. Die Beitragszahlungen der Versicherten werden vielmehr sogleich für die Rentenzahlungen an die derzeitigen Rentner verwendet. Im Gegenzug erhalten die Versicherten einen Anspruch auf den Bezug einer Rente im Alter. Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Umlageverfahrens ist die fortdauernde Einbeziehung des überwiegenden Teils der Erwerbstätigen in den versicherten Personenkreis durch die Auferlegung der Versicherungspflicht.13 Beiträge zur Rentenversicherung sind wie Steuern durch gesetzlichen Zwang auferlegte öffentliche Abgaben. Im Gegensatz zu Steuern werden Beitragsleistungen jedoch zur Finanzierung äquivalenter Gegenleistungen verwendet. Daher hängt die Rentenhöhe vor allem von Dauer und Höhe der Beitragsleistung ab. Steuerfinanzierte Leistungen sind dagegen unabhängig von der Vorleistung und werden meist in der gleichen Höhe gewährt.14 2.3. Zusammenwirken von Äquivalenz-, Solidar- und Versicherungsprinzip Die aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlenden Renten sind aufgrund des Versicherungs - und Äquivalenzprinzips in erster Linie lohn- und beitragsbezogen. Einer Versicherung liegt der Grundgedanke einer gemeinsamen Selbsthilfe durch den Zusammenschluss von gleichartig Gefährdeten und den Risikoausgleich innerhalb dieser Gefahrengemeinschaft zugrunde.15 So wird unter einer Versicherung im Allgemeinen die kollektive Übernahme individueller Risiken durch die Solidargemeinschaft gegen einen Beitrag der einzelnen Versicherten nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung verstanden. In der Sozialversicherung wird das Versicherungsprinzip durch das Solidarprinzip ergänzt, nach dem sich die Beitragshöhe unabhängig vom individuellen Risiko nach der persönlichen Leistungsfähigkeit bemisst, also insoweit lohnbezogen ist.16 12 Clemens, Johannes (2012): Ökonomische und demographische Rahmenbedinungen der Rentenpolitik in Deutschland, in: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand, Kapitel 4, Rn. 50 ff. 13 Hüfken, Hartmut (2012): Die Finanzierung und Finanzbeziehungen der Rentenversicherung, in: Eichenhofer- Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand, Kapitel 23, Rn. 58. 14 Vgl. u.a. Creifelds Rechtswörterbuch, Abgaben, 22. Auflage, 2017, München, Verlag C.H. Beck, S. 5. 15 Vgl. Köhler-Rama, Tim (2003), Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung aus versicherungsökonomischer Sicht, in: Die Angestelltenversicherung, 8-9/2003, S. 413. 16 Heidel, Susanne und Loose, Brigitte (2004), in: Das ‚Soziale‘ in der gesetzlichen Rentenversicherung, DAngVers 5-6/04, Seite 223. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 9 Durch den für alle Versicherten gleichermaßen geltenden Beitragssatz hängt die Rentenhöhe zwar von der Höhe der gezahlten Beiträge ab, dennoch besteht zwischen der Summe der im gesamten Erwerbsleben gezahlten Beiträge und der insgesamt im Ruhestand bezogenen Leistungen keine direkte Äquivalenz. Hintergrund hierfür ist, dass der Beitragssatz nicht als statische Größe feststeht , sondern je nach wirtschaftlichen Gegebenheiten und den Anforderungen des umlagefinanzierten Rentenversicherungssystems variiert. Eine exakte Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung besteht daher lediglich innerhalb einer Gruppe von Versicherten, die zur selben Zeit Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt haben.17 Die gesetzliche Rentenversicherung beruht insoweit neben dem Versicherungsprinzip auch auf dem Prinzip der so genannten Teilhabeäquivalenz, nach dem die Rentenhöhe auf das Verhältnis des durch Beiträge versicherten individuellen Erwerbseinkommens zum durchschnittlichen Verdienst aller Versicherten zurückgeht.18 Dabei werden relative Einkommenspositionen aus der Erwerbsphase in die Ruhestandsphase übertragen, so dass bei lückenloser Erwerbsbiographie Versicherte mit einem höheren Einkommen im Verhältnis zum Durchschnittsverdiener überdurchschnittliche Renten erhalten, während die Rente für Versicherte mit geringeren Einkommen oder diskontinuierlicher Erwerbsbiographie unter dem Durchschnitt liegt. Dem Versicherungsprinzip steht in der gesetzlichen Rentenversicherung ein sozialer Ausgleich in beträchtlichem Umfang gegenüber. Zu diesem Solidarprinzip gehören sämtliche Rentenleistungen , die nicht als Äquivalent zum gezahlten Beitrag erbracht werden und insoweit nicht beitragsgedeckt , also versicherungsfremd sind. Die der gesetzlichen Rentenversicherung aus nicht beitragsgedeckten Leistungen entstehenden Aufwendungen werden in der Regel aus Bundesmitteln gegenfinanziert.19 3. Verfassungsrechtliche Würdigung Als Zweig der Sozialversicherung unterliegt die gesetzliche Rentenversicherung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Dennoch könnten sich aus der regressiven Abflachung der Rente bei höheren Einkommen Fragen hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz ergeben: Soweit die Rentenhöhe bei besonders hohen versicherten Einkommen nicht mehr erkennbar auf die Beitragsleistung zurückzuführen ist, also keine adäquate Gegenleistung mehr erfolgt, lässt sich diese nicht mehr der Sozialversicherung zuordnen. Ohne Gegenleistung an den Staat abzuführende Geldleistungen würden nicht mehr vom Begriff der Sozialversicherung erfasst werden. Es würde sich dann nach § 3 Abs. 1 der Abgabenordnung vielmehr um eine weitere Steuer handeln, für die die in Art. 104a ff. GG geregelte Finanzverfassung keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorsieht. Insoweit kommt es hier 17 Ruland, Franz (2012): Grundprinzipien der Rentenversicherung, in: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand, Kapitel 9, Rn. 47. 18 Rürup, Bert (2006): Die Bedeutung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Gesetzliche Rentenversicherung , in: Deutsche Rentenversicherung, 4-5/2006, S. 240. 19 Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2010, Bundestags-Drucksache 17/3900, S. 76. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 10 auf die konkrete Ausformung der regressiven Abflachung der Rente an.20 Auch bei besonders hohen Einkommen müsste eine Gegenleistung erfolgen, die noch im Verhältnis zur Beitragsleistung steht. Art. 20 GG legt zur Verwirklichung der Grundrechte das Sozialstaatsprinzip als eine der verfassungsrechtlichen Grundstrukturen des Staates fest.21 Sämtliche Maßnahmen und Entscheidungen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der vollziehenden Gewalt sind am Sozialstaatsprinzip zu messen. Für die Erfüllung des sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages steht dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich ein weiter Gestaltungs - und Abwägungsspielraum zu.22 Die Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung berührt dabei vor allem das geschützte Eigentum, die Gleichbehandlung und die allgemeine Handlungsfreiheit. 3.1. Schutz des Eigentums Das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum wird verletzt, wenn ein ungerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG vorliegt. Dies kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Fall sein, wenn durch eine gesetzliche Regelung in bereits erworbene Rentenanwartschaften oder bestehende Rentenansprüche eingegriffen wird.23 Die Heranziehung höherer Erwerbseinkommen in die Versicherungspflicht berührt nicht bereits erworbene Rentenanwartschaften oder bestehende Rentenansprüche. Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze greift insoweit nicht in eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte konkrete Rechtsposition ein. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Lehre ist Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG nicht das Vermögen des Bürgers schlechthin, sondern seine vermögenswerte Rechtsposition.24 Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Feststellung der Rentenversicherungspflicht nicht berührt. Das Grundrecht vermittelt insoweit keinen Anspruch darauf, als Erwerbstätiger nicht der Versicherungspflicht zu unterliegen.25 20 Brall, Natalie und Voges, Hans-Joachim (2005). Modell Bürgerversicherung – Verfassungsrechtliche und europarechtliche Fragen. Baden-Baden: Nomos, S. 51. 21 Näher dazu: Grzeszick, Bernd (2015), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 74. Ergänzungslieferung Mai 2015, Art. 20 Kap. I Rn. 1; Sommermann, Karl-Peter (2010), in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Band 2, 6. Auflage, Art. 20 Rn. 1. 22 Papier, Hans-Jürgen (2012): Die gesetzliche Rentenversicherung und das Bundesverfassungsgericht, in: Eichenhofer -Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand, Kapitel 30 Rn. 1. 23 BVerfGE 53, 257 und nachfolgende Rechtsprechung. 24 U.a. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 160. Papier, Hans-Jürgen (2012): Die gesetzliche Rentenversicherung und das Bundesverfassungsgericht, in: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand, Kapitel 30 Rn. 10. 25 Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. August 2004, Az. 1 BvR 285/01. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 11 Öffentlich-rechtliche Geldleistungspflichten können nur dann den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG berühren, wenn diese den Betroffenen in einer Weise übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie eine erdrosselnde Wirkung haben .26 Dies wäre etwa der Fall, wenn die Erwerbstätigkeit durch die Versicherungs- und Beitragspflicht nicht mehr lohnend ausgeübt werden könnte. Auch wenn höhere Erwerbseinkommen durch die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze stärker an der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung beteiligt würden, hätte dies wohl keine erdrosselnde Wirkung.27 Die regressive Abflachung der Rente für Beiträge aus einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze dürfte ebenfalls nicht vom Schutzbereich des Art. 14 GG erfasst sein, da die Rentenanwartschaften als geschütztes Eigentum erst mit der Beitragszahlung entstehen. Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rente erscheint folglich mit der Eigentumsgarantie vereinbar. 3.2. Allgemeiner Gleichheitssatz Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ist wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Ein Verstoß gegen das Grundrecht liegt jedoch nur vor, wenn die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung reichen.28 Zu einer Differenzierung bei ungleichen Sachverhalten ist der Gesetzgeber nur verpflichtet, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Allerdings setzt eine zulässige Typisierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist.29 26 BVerfGE 95, 267, ständige Rechtsprechung. 27 Vgl. Wallerath, Maximilian (1990): Rentenversicherung und Verfassungsrecht, in: VDR/Ruland(Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung. Neuwied, Luchterhand, Kapitel 11, Rn. 33; Brall, Natalie und Voges, Hans-Joachim (2005). Modell Bürgerversicherung – Verfassungsrechtliche und europa-rechtliche Fragen. Baden- Baden: Nomos, S. 53. 28 BVerfGE 129, 49. 29 U. a. BVerfGE 2011, 416. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 12 3.2.1. Vergleichbare Normadressaten Gemeinsamer Bezugspunkt für die Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze ist die Versicherungspflicht für abhängig Beschäftigte und bestimmte selbständig Tätige in der gesetzlichen Rentenversicherung. Durch die bisherige Rechtslage werden Personen mit einem beitragspflichtigen Erwerbseinkommen bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze und solche, die darüber hinaus Erwerbseinkommen erzielen, ungleich behandelt. Für Erstere ergäbe sich durch die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze keine Änderung, während die zweite Gruppe zwar höhere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen müsste, jedoch aufgrund der regressiven Abflachung keine äquivalente Gegenleistung zu erwarten hätte. Bei Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze würde die heute bestehende Ungleichbehandlung von Personen mit einem Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze und solchen mit einem höheren Einkommen aufgehoben. Es ist zum einen zu prüfen, ob eine Verpflichtung zur weiteren Differenzierung besteht, und zum anderen, ob ausreichende Rechtfertigungsgründe für eine regressive Abflachung der Rentenhöhe aus Beiträgen, die aufgrund eines höheren Einkommens zu zahlen wären, vorliegen. 3.2.2. Verpflichtung zur weiteren Differenzierung Hintergrund der heutigen Ungleichbehandlung von Personen mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze gegenüber Personen mit geringeren Einkommen ist die fehlende Schutzbedürftigkeit. Bei hohem Einkommen wird unterstellt, dass eine ausreichende Alterssicherung für das über der Beitragsbemessungsgrenze liegende Einkommen aus eigenem Antrieb erfolgt . Gerade bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise liegen aber eher Gründe für eine Gleichbehandlung aller versicherungspflichtig Beschäftigten und selbständig Täten vor als für eine weitere Differenzierung aufgrund der Höhe des Einkommens. Durch die generelle Beitragspflicht aller Erwerbseinkommen ergeben sich für Personen mit höherem Verdienst aufgrund der größeren Belastung zwar gewisse Härten, jedoch betrifft dies im Verhältnis zur Gesamtheit aller Versicherten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen. Bei höherem Einkommen ist eine stärkere Belastung mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung durchaus zumutbar, sodass der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Dies gilt umso mehr, soweit Vertrauensschutzregelungen Ausnahmen vorsehen, beispielsweise bei Nachweis einer betrieblichen oder privaten Alterssicherung für das über der Beitragsbemessungsgrenze liegende Einkommen. Eine Gleichbehandlung aller versicherungspflichtig Beschäftigten und selbständig Täten durch die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze verstieße insoweit nicht gegen den Gleichheitssatz , da keine Verpflichtung zur weiteren Differenzierung besteht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 13 3.2.3. Rechtfertigung der regressiven Abflachung Aus Beiträgen oberhalb der heutigen Beitragsbemessungsgrenze sollen nach dem Vorschlag verhältnismäßig geringere Rentenleistungen resultieren. Eine solche regressive Abflachung der Rentenhöhe beträfe nur Bezieher höherer Einkommen und beinhaltete eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die nur Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze beziehen. Zu prüfen ist, ob für die Ungleichbehandlung durch die regressive Abflachung der Rentenhöhe ein sachlicher Grund gegeben sein könnte. Dabei ist zu beachten, dass der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber nicht jede Ungleichbehandlung verwehrt. Die erforderliche Rechtfertigung ist umso strikter, je mehr der Gleichheitssatz an den Merkmalen einer Person ansetzt. Der Raum für gesetzgeberische Gestaltungen ist größer, wenn allgemeine Lebenssachverhalte geregelt werden.30 Die Höhe des erzielten Einkommens betrifft nicht den Einzelnen in seiner Person, so dass an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weniger strenge Maßstäbe anzulegen sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.31 Fraglich ist, ob mit der regressiven Abflachung der Rentenhöhe ein legitimer Zweck verfolgt werden kann. Hierzu müsste die Ungleichbehandlung ein mit dem geltenden Recht in Einklang stehendes Ziel verfolgen. Mit der Heranziehung höherer Einkommen zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung wäre eine gleichmäßigere Belastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verbunden. Ein legitimer Zweck der Ungleichbehandlung dürfte somit vorliegen. Geeignet ist jede Maßnahme, die die Zielerreichung fördert. Hierfür genügt die Tauglichkeit der Maßnahme, ohne dass diese die bestmögliche sein muss.32 Für Versicherte mit höheren Einkommen ergäbe sich eine höhere Beitragsbelastung, ohne dass ihre späteren Renten in gleichem Maße steigen würden. Insoweit wäre die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe ein geeignetes Mittel. Erforderlich ist die regressive Abflachung der Rentenhöhe dann, wenn es kein anderes gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel zur Erreichung des Zwecks gibt.33 Dieselbe Auswirkung ergäbe sich auch durch eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung , die über eine Anhebung der Steuern auf höhere Einkommen finanziert werden könnte. Hiervon wären nicht nur besserverdienende Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung , sondern alle Erwerbstätigen mit hohen Einkommen betroffen, so dass sich die finanzielle Belastung bei gleichem Volumen auf einen größeren Personenkreis verteilen würde. Mit der Möglichkeit der höheren Besteuerung besteht so ein weniger belastendes Mittel zur Erreichung des Zwecks, höhere Einkommensbezieher ohne äquivalente Gegenleistung stärker an der Finanzie- 30 BVerfGE 88, 87 (96 f.). 31 BVerfGE 120, 274 (318 f.). 32 BVerfGE 115, 276 (308). 33 BVerfGE 30, 292 (316; 90, 145 (172); 91, 207 (222). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 14 rung der gesetzlichen Rentenversicherung zu beteiligen. Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe ist daher für die Zielerreichung nicht erforderlich . Möglicherweise ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur durch die fehlende Erforderlichkeit nicht gewahrt, sondern darüber hinaus auch, weil die Regelung nicht angemessen erscheint. Für die Prüfung der Angemessenheit müsste die gesetzliche Regelung zunächst konkret ausgestaltet sein. Eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte ist nur dann angemessen , wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht.34 Hier ist das Interesse der Versicherten mit höherem Einkommen auf eine nach dem Äquivalenzprinzip zu berechnenden Rente mit dem der übrigen Versicherten und dem Allgemeinwohl gegenüberzustellen. Dies betrifft die grundsätzliche Ausrichtung der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Äquivalenz-, Solidar- und Versicherungsprinzip, welche vom gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum erfasst sein dürfte. So erfolgt eine Abweichung vom Äquivalenzprinzip für bestimmte Sachverhalte bereits nach geltendem Recht, zum Beispiel für die Zahlung von Pflichtbeiträgen während der Erziehung eines Kindes bis zu dessen zehnten Lebensjahr bzw. für Zeiten vor 1992 bei geringem Arbeitsentgelt.35 Insoweit sind Abweichungen vom Äquivalenzprinzip nicht unüblich . Das Bundesverfassungsgericht hat der gesetzlichen Rentenversicherung als Schwerpunkt bisher weder das Versicherungs- noch das Solidarprinzip zugeordnet. Zunächst hat es einen zwangsläufigen Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung verneint, später zwar eine Äquivalenz von Beitrag und Leistung dem Grundsatz nach für verfassungsrechtlich geboten erachtet, aber wegen des Solidarprinzips Abweichungen stets zugelassen und den Gesetzgeber nie verpflichtet, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen. Allerdings dürfe die Relation zwischen Leistung und Gegenleistung nicht gänzlich außer Betracht bleiben.36 Je höher das Einkommen ist, aus dem proportional zu bemessende Beitragszahlungen erfolgen sollen, desto weniger wahrscheinlich könnte eine daraus regressiv berechnete Rente noch angemessen sein. Zumindest bei außerordentlich hohen Einkommen könnte daher die Angemessenheit in Frage gestellt werden, wenn die Belastung aus der Beitragszahlung nicht mehr im Verhältnis zur daraus zu erbringenden Rentenleistung steht. Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe wäre nicht erforderlich und für Versicherte mit außerordentlich hohen Einkommen auch nicht angemessen , sodass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist. 34 BVerfGE 118, 168 (195). 35 §§ 70 Abs. 3, 262 SGB VI. 36 Ruland, Franz (2013): Die Bedeutung des Äquivalenzprinzips in der gesetzlichen Rentenversicherung. In: Deutsche Rentenversicherung 2/2013, S.106, unter Verweis auf die jeweilige Rechtsprechung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 15 3.2.4. Zwischenergebnis Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe würde wohl gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Zwar besteht keine Verpflichtung zur weiteren Differenzierung versicherungspflichtig Erwerbstätiger nach ihrer Einkommenshöhe, jedoch scheint die Ungleichbehandlung von Personen mit einem höheren Verdienst gegenüber den übrigen Versicherten hinsichtlich der Rentenhöhe nicht ausreichend gerechtfertigt zu sein. 3.3. Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit Neben der Unvereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Gleichbehandlung könnte auch der mit dem Vorschlag verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dazu führen, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Unter das von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit fällt auch die allgemeine Handlungsfreiheit. Danach ist ein staatlicher Eingriff in private Lebensbereiche wie die Frage der Verwendung von Mitteln nur verfassungsmäßig, soweit nicht Rechte anderer verletzt werden und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird. Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung greift in den sehr weit auszulegenden Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht ein. Die Einbeziehung der abhängig Beschäftigten und bestimmter selbständig Tätiger in die gesetzliche Rentenversicherung ist durch deren soziales Schutzbedürfnis gerechtfertigt, so dass die heutige Rechtslage den verfassungsmäßigen Vorgaben entspricht. Das Schutzbedürfnis besteht jedoch nur für Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Im Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung hat der Gesetzgeber von der ihm eingeräumten weiten Gestaltungsfreiheit entsprechenden Gebrauch gemacht.37 Dabei gehörte die Begrenzung der Beitragspflicht von Beginn an zu den Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung. Bis zur Einführung der Beitragsbemessungsgrenze durch die Rentenreformgesetze des Jahres 1957 sorgten dafür die so genannten Beitragsklassen und in der Rentenversicherung für Angestellte die Jahresarbeitsverdienstgrenze als Versicherungspflichtgrenze .38 Dadurch wird die Beitragsbelastung für Versicherte mit hohen Einkommen begrenzt und das Gewicht des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit durch die Zwangsversicherung gemindert.39 Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe würde dazu führen, dass die Versicherungspflicht stärker in die allgemeine Handlungsfreiheit 37 Vgl. u.a. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Oktober 2000, Az. B 12 RA 2/99 R. 38 Schmidt, Wolfgang (1999), in: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 3, Bertram Schulin (Hrsg.), C.H. Beck Verlag, § 49 Rn. 167. 39 BVerfGE 29, 231 (236), BVerfGK 12, 81 – 85. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 129/16 Seite 16 eingreift. Für die Rechtfertigung der nicht mehr durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzten Beitragspflicht ist folglich die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung zu prüfen; die Regelung muss formell und materiell mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Ferner kommt der genauen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit auch bei Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit besondere Bedeutung zu. Allerdings wurde bereits dargelegt, dass die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe weder erforderlich noch angemessen und damit nicht verhältnismäßig erscheint. Soweit die Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung bei Beziehern außerordentlich hoher Einkommen nicht mehr gegeben ist, würde zudem die finanzielle Belastung nicht mehr dem Bereich der Sozialversicherung zuzuordnen sein. Vielmehr wäre von einer Quasi-Steuer auf höhere Verdienste auszugehen, die nicht mehr von der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfasst wird. Die in Rede stehende Regelung wäre bereits aus formalen Gründen verfassungswidrig. Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe verstieße somit auch gegen die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. 4. Fazit Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bei regressiver Abflachung der Rentenhöhe ist nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 GG und der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar. Versicherte mit einem Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze hätten zwar einen proportional zu bemessenden entsprechend hohen Beitrag zu leisten, würden jedoch daraus keine entsprechende Rentenzahlung zu erwarten haben. Dies ist bis zu einem gewissen Maße zumutbar, jedoch dürfte bei außerordentlich hohen Verdiensten die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten sein. ***