Fragen zur Altersversorgung der technischen Intelligenz, speziell zum Personenkreis der Chemiker und Physiker, in der ehemaligen DDR - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000-129/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Fragen zur Altersversorgung der technischen Intelligenz, speziell zum Personenkreis der Chemiker und Physiker, in der ehemaligen DDR Sachstand WD 6 - 3000-129/06 Abschluss der Arbeit: 5.7.2006 Fachbereich WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Motive für die Entstehung der Zusatzversorgung für den Personenkreis der technischen Intelligenz in der DDR 3 3. Einbezogener Personenkreis 4 4. Sondergruppe der Ingenieur-Ökonomen 6 5. Einzelfallregelungen 7 6. Versorgungszusage nach BSG-Entscheidung nicht erforderlich 7 7. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 8 8. Gerichtskritik 9 9. Zusammenfassung 10 10. Verzeichnis der Anlagen: 12 - 3 - 1. Einleitung Die Feststellung von Pflichtbeitragszeiten nach § 5 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) für Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (AVI tech)1 setzt die in § 1 AAÜG beschriebene Anwendbarkeit dieses Gesetzes voraus. Sie ist nach der ausdehnenden verfassungskonformen Auslegung des Bundessozialgerichts (BSG)2 gegeben, wenn - entweder am 30.06. 1990 (Schließung der Versorgungssysteme) in der DDR eine Einbeziehung in ein Versorgungssystem tatsächlich erfolgt war oder - eine Einbeziehung nachträglich durch Rehabilitierung oder durch eine Entscheidung nach Art. 19 Satz 2 oder 3 des Einigungsvertrages erlangt wurde, oder - aufgrund der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage im Juli 1991 ein Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage bestanden hätte. Diese Voraussetzungen erfüllen Diplom-Chemiker und Diplom-Physiker im Regelfall nicht. Nach dem Recht der DDR waren diese Berufsgruppen nicht, jedenfalls nicht obligatorisch , in die Zusatzversorgung der AVI tech einbezogen. 2. Motive für die Entstehung der Zusatzversorgung für den Personenkreis der technischen Intelligenz in der DDR Der Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage im Bereich der Altersversorgung der technischen Intelligenz für Zeiten im Beitrittsgebiet bestimmt sich nach § 1 der AVI tech vom 17. August 1950 sowie nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der Zeiten Durchführungsbestimmung (2. DB)3 zur AVI tech vom 24. Mai 1951 in Verbindung mit dem Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (AAÜG). Hintergrund für die Schaffung einer solchen Zusatzversicherung war aus Sicht der damaligen Regierung, dass diejenigen Personenkreise zu bevorteilen seien, welche durch ihre Arbeit für die Gesellschaft der DDR regelmäßig einen hervorhebenswerten Beitrag leisteten. Ein weiteres Motiv lag in der Schaffung einer höheren betrieblichen Bindung 1 Anlage 1 2 U.a BSG vom 09.04.2002, B 4 RA 31/01 R, B 4 RA 41/01 R, B 4 RA 2/02 R, Anlage 2 3 1. und 2. DB zur AVI tech, Anlage 3 - 4 - und der Erhöhung ökonomischer Anreize, die einer Abwanderung der begünstigten Berufsgruppen entgegenwirken sollte. In der Präambel der AVI tech vom 17. August 1950 ist dies wie folgt nachzulesen: „Die allseitige Entwicklung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit und Technik ist für den schnelleren und planmäßigen Aufbau der Friedenswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik von großer Bedeutung. Darum hat die technische Intelligenz, die vor allem diese großen wissenschaftlichen und technischen Aufgaben durchzuführen hat, einen Anspruch auf einen höheren Lebensstandart. Es ist notwendig, die Lebenslage der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben durch Gewährung einer zusätzlichen Altersversorgung weiter zu verbessern. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik beschließt zu diesem Zwecke folgende Verordnung: …“ 3. Einbezogener Personenkreis Dieses Zusatzversorgungssystem wurde eingerichtet für Personen, die - berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzungen) und - die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzungen ), - und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzungen). Nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB, welcher seit Inkrafttreten zum 1. Mai 1951 maßgeblich für die Bestimmung des einschlägigen Personenkreises der Zusatzversorgung im Beitrittsgebiet ist, gehörten der technischen Intelligenz u.a. Ingenieure, Konstrukteure, Architekten und Techniker aller Spezialgebiete, sowie Ingenieure und Techniker diverser Sondergebiete, u.a. auch der Chemie, an. Der dort genannte Personenkreis genoss eine obligatorische Mitgliedschaft in diesem Zusatzversorgungssystem. Für die Sparte „Chemie“ benennt § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB nur Techniker der Chemie bzw. Ingenieure der Chemie. Demzufolge waren Nicht-Techniker und Nicht-Ingenieure, wie z.B. Diplom-Chemiker auch nicht von der Regelung in der Fassung seit Mai 1951 - 5 - erfasst. Dies hat die Rechtsprechung im Urteil vom 10.4.2002 (B 4 RA 32/01 R) bestätigt . Entsprechendes gilt für die Sparte „Physik“. Auch diese Personengruppe findet sich nicht in § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB, so dass Diplom-Physiker nicht zum auserwählten Personenkreis gehörten. Bestätigt wurde dies durch die Rechtsprechung im Urteil des Bundessozialgerichts vom 31.7.2002 (B 4 RA 62/01 R). Unter den Begriff „Ingenieur“ i.S. der Verordnung fielen in der ehemaligen DDR nur solche Personen, die „den Titel eines Ingenieurs“ hatten, § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB; es musste also das Recht zur Führung des Titels bestanden haben. Diese Berechtigung wurde entweder durch die Verordnung vom 12.04.1962 zum Führen der Berufsbezeichnung „Ingenieur“ (siehe hierzu Ziff. 4) erlangt oder wurde im Wege eines staatlichen Zuerkennungsaktes übertragen. Eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem erfolgte unabhängig von der Berufssparte erst mit Verleihung des Titels bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen. Beachtenswert ist, dass in der Ersten Durchführungsbestimmung zur AVI tech vom 26. September 1950 (1. DB)4 Chemiker noch zum berechtigten Personenkreis zählten. Jedoch ist gemäß § 10 Abs. 2 der 2. DB die 1.DB mit Wirkung zum 1. Mai 1951 außer Kraft gesetzt worden, so dass diese keinen Einfluss mehr auf die Beurteilung haben kann. Rechtliche Anhaltspunkte dafür, dass auch nach der 2. DB zur AVI tech Chemiker weiterhin oder Physiker erstmals einen obligatorischen Anspruch auf die Zusatzversorgung der technischen Intelligenz erhalten sollten, finden sich nicht. Vielmehr wurden zeitgleich mit der 2. DB zur AVI tech, also am 24. Mai 1951, mit der 3. DB zur „VO über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben“5 Rechtgrundlagen geschaffen, mit denen die fakultative Möglichkeit der Einbeziehung weiterer, von den obligatorischen Regelungen der AVI tech und ihrer Durchführungsbestimmungen nicht erfasster Personen geschaffen wurden (siehe Ziff. 5). Das der Verordnungsgeber der ehemaligen DDR keine weitere, auf bestimmte erworbene wissenschaftliche Ausbildungen oder Qualifikationen generell anwendbare Regelungen zur Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung schaffen wollte, zeigt auch die Differenzierung nach volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben zu den übrigen Betrieben. 4 siehe Anlage 3 5 Anlage 4 - 6 - 4. Sondergruppe der Ingenieur-Ökonomen Für diesen Personenkreis wurde im Wege des § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung „Ingenieur“ vom 12. April 1962 eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zur Führung des Titels „Ingenieur“ geschaffen, mit der Folge, dass dieser Personenkreis die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB erfüllte und den Anspruch auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem bei vorliegen der übrigen sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen erlangte. Klargestellt hat dies das BSG in seinem Urteil vom 12.6.2001 (B 4 RA 117/00 R)6, in dem es um die Zuerkennung von Zusatzversorgungsansprüchen für einen Ingenieur- Ökonomen ging. Das erstinstanzliche SG hatte festgestellt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum einen (abstrakt) von der Versorgungsordnung erfassten Beruf tatsächlich ausgeübt hat. Die AV-techInt und die zu ihrer Umsetzung erlassene Zweite Durchführungsbestimmung benennen als dem Kreis der (unmittelbar, d.h. ohne gesonderten Gleichstellungsakt des zuständigen Fachministeriums o.ä.) Begünstigten zugehörig u.a. "Ingenieure" (§ 1 Satz 1 2. Durchführungsbestimmung). Aus Satz 3 a.a.O. ist dabei zu entnehmen, dass es hierfür wesentlich auf den entsprechenden "Titel" ankommt. Insofern bestimmt § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Berufsbezeichnung "Ingenieur" ausdrücklich , dass auch Diplom-Ingenieur-Ökonomen - wie der Kläger - bezüglich der Berechtigung zur Führung des Titels Ingenieur den Diplom-Ingenieuren gleichgestellt waren. Letztlich enthielt auf diese Weise die Zweite Durchführungsbestimmung eine gleitende Verweisung auf diejenigen abstrakt-generellen Regelungen, aus denen sich jeweils die Befugnis zur Führung des Titels ergab. Der Kläger war nach den Feststellungen des SG im umstrittenen Zeitraum auch durchgehend in einem von der Versorgungsordnung erfassten volkseigenen Betrieb beschäftigt und hat in dieser Zeit Aufgaben erfüllt, welche die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Diplom-Ingenieur-Ökonomen erforderten; er war also konkret im Rahmen dieses Berufsbildes beschäftigt und nicht etwa berufsfremd eingesetzt. An einem solchen Recht zur Führung des Titels „Ingenieur “ fehlt es, unabhängig von den weiteren sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen , den Diplom-Chemikern und Diplom-Physikern. Sie konnten deshalb die persönlichen Voraussetzungen für einen obligatorischen Anspruch auf Zusatzversorgung nach der AVI tech und der hierzu erlassenen 2. DB nicht erfüllen. Auf die Entscheidungsgründe des o.a. BSG – Urteils (Anlage 5), insbesondere auf RnZiff. 16, 18, 19, 22 und 24 – 26, wird hingewiesen. Ebenso auf die kommentierende Anmerkung zum Urteil des LSG Berlin vom 14.06.2004 von Sari Oldörp7, die sich mit der Zugehörigkeit einen Ökonomen zur Zusatzversorgung der technischen Intelligenz auseinandersetzt. 6 Anlage 5 7 Anlage 6 - 7 - 5. Einzelfallregelungen Mit der „Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950“ (Gbl. 839) wurde durch § 4 für leitende Angestellte und Fachkräfte besonderer Qualifikation die Möglichkeit des Abschlusses von Einzelverträgen eröffnet, mit denen eine außertarifliche Entlohnung vereinbart werden konnte. In der hierzu erlassenen 3. Durchführungsverordnung vom 24. Mai 1951 (Gbl. 488) bestimmt § 1 den Abschluss solcher Einzelverträge für Angehörige der technischen Intelligenz, die hervorragenden Einfluss auf die Produktion nehmen. Dazu gehörten u.a. auch Chemiker (nicht jedoch Physiker). In § 2 Abs. 1 wird der als Anlage zur 3. DB abgedruckte Mustervertrag in diesen Fällen für verbindlich erklärt, der wiederum in § 10 einen Anspruch auf zusätzliche Altersversorgung ab dem 65. Lebensjahr in Höhe von 70 % des im letzten Jahr vor Eintritt des Versicherungsfalles bezogenen Durchschnittsgehaltes vorsieht. Satz 2 verweist auf die im Übrigen geltenden Vorschriften der AVI tech. Diese Einzelverträge mussten durch den zuständigen Minister bzw. Leiter der in Frage kommenden Hauptverwaltung bestätigt werden. Personen mit derartigen Einzelverträgen erhielten damit eine Versorgungszusage, die entsprechende Ansprüche nach dem AAÜG auslösen, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Es handelt sich jedoch nicht um eine obligatorische Regelung i.S. eines generellen Anspruchs auf Einbeziehung in die Zusatzversorgung der technischen Intelligenz , sondern um eine Rechtgrundlage zur Regelung von ausgewählten Einzelfällen. Daneben war nach § 1 Abs. 1, letzter Satz der 2. DB zur AVI tech eine „Einreihung“ in das Zusatzversorgungssystem im Einzelfall für weitere Personen möglich, die bedeutenden Einfluss auf den Produktionsprozess ausübten. Auch hierbei bedurfte es jedoch der ausdrücklichen Einzelfallentscheidung durch individuelle Versorgungszusage. 6. Versorgungszusage nach BSG-Entscheidung nicht erforderlich Mit seinen Urteilen vom 12.06.20018 hatte das BSG erstmals Entscheidungen zur Anwendung des AAÜG für Personen getroffen, die zu Zeiten der DDR keine Versorgungszusage erhalten hatten. Anerkannt wurden danach Ansprüche für Ingenieurökonomen , weil sie aus den o.a. Gründen (siehe Ziff 4.) den Titel „Ingenieur“ führen durften und damit bei Vorliegen der übrigen sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen abstrakt-generell von den Regelungen der AVI tech erfasst waren. Damit hatte das BSG klargestellt, dass es für die Feststellung von Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG nicht allein darauf ankommt, ob zu DDR Zeiten eine konkrete Versorgungszusage er- 8 siehe Anlage 5 - 8 - teilt worden ist. Vielmehr soll es ausreichen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Versorgungsordnung erfüllt sind, um die entsprechend begünstigende Rechtsfolge eintreten zu lassen. Bei der Abgrenzung des hiernach begünstigten Personenkreises stellt das BSG auf den Wortlaut der Versorgungsordnungen und den ggf. hierzu erlassenen Durchführungsbestimmungen ab. 7. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Die Verfassungsbeschwerde gegen die BSG-Entscheidung zur Anwendbarkeit des AAÜG hat das BVerfG mit folgender Begründung nicht zur Entscheidung angenommen . (BVerfG, Beschl. v. 4.8.2004 - 1 BvR 1557/01): „Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht gehalten, die in der DDR herrschende Praxis der Aufnahme in Systeme der Zusatzversorgung, obwohl sie formal den Vorschriften der Zusatzversorgungssysteme entgegenstand, im gesamtdeutschen Rechtsraum fortzusetzen. Würde man unter Missachtung des Wortlauts der Versorgungsordnungen nachträglich Kriterien für die Aufnahme in die Versorgungssysteme entwickeln, würde dies zwangsläufig zu neuen Ungleichheiten innerhalb der Versorgungssysteme und im Verhältnis der Versorgungssysteme zueinander führen. Es ist nicht zu beanstanden , dass das Bundessozialgericht seine anders lautende frühere Rechtsprechung inzwischen aufgegeben hat.“ Geklagt hatte eine Dipl.-Chemikerin aus den neuen Bundesländern, die sich darauf berufen hatte, dass es nach der Praxis der DDR-Zusatzversorgungssysteme genügt hätte, wenn konkret eine Tätigkeit ausgeübt worden sei, deretwegen ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen gewesen sei. Deswegen sind bzw. waren vor den Gerichten eine Vielzahl von Verfahren anhängig, mit denen die nachträgliche Anerkennung von Arbeitszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem beantragt wurde. Das BSG hatte im Jahre 1998 seine frühere Anerkennung dieser DDR-Praxis aufgegeben. Zu dieser Änderung der Rechtsauffassung des BSG hat das BVerfG in seinem Nichtannahmebeschluss vom 04.08.2004 u.a. ausgeführt: „2a. Insbesondere ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass sich das BSG bei der Prüfung der Zugehörigkeit zu einer zusätzlichen Altersversorgung am Wortlaut der Versorgungsordnungen orientiert und nicht an eine Praxis oder an diese Praxis möglicherweise steuernde unveröffentlichte Richtlinien der DDR anknüpft.“ - 9 - Damit wird zwar u.U. bei der Anerkennung der Zugehörigkeit anders verfahren als in der ehemaligen DDR. Die Gerichte sind aber verfassungsrechtlich nicht gehalten, die in der DDR herrschende Praxis der Aufnahme in Systeme der Zusatzversorgung, soweit sie dem Text der Zusatzversorgungssysteme entgegenstand, im gesamtdeutschen Rechtsraum fortzusetzen. Würde man unter Missachtung des Textes der Versorgungsordnungen Kriterien für die Aufnahme in die Versorgungssysteme entwickeln, würde dies zwangsläufig zu neuen Ungleichheiten innerhalb der Versorgungssysteme und im Verhältnis der Versorgungssysteme zueinander führen.9“ 8. Gerichtskritik Kritik an Gerichtsentscheidungen steht der Legislative nicht zu. Eine Überprüfung der höchstrichterlichen Entscheidungen kann insoweit nicht erfolgen. Es bleibt ihr aber unbenommen , gestalterische Konsequenzen aus den Urteilen zu ziehen, vorliegend im Hinblick auf die Regelungen des AAÜG. Dies ist jedoch letztlich eine politische Entscheidung . Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass rechtlich begründete Ansprüche oder Anwartschaften aus dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz der ehemaligen DDR für Diplom-Chemiker und Diplom-Physiker bei der Überführung in das gesamtdeutsche Rentenversicherungssystem unberücksichtigt geblieben wären. Einzuräumen ist, dass durch die Sonderregelungen und Einzelfallentscheidungen zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz der ehemaligen DDR und deren teilweise mit bundesdeutschen Maßstäben der Rechtsauslegung nicht nachvollziehbaren Entscheidungspraxis im Guten wie im Schlechten bei den nicht begünstigten Personenkreisen Ungleichbehandlung mit moralischer Rechtfertigung reklamiert werden kann. Zu beachten ist jedoch auch, dass durch die Eingangs dargestellte Stichtagsentscheidung des BSG zur Anwendbarkeit des AAÜG der Personenkreis der Versicherten, für den Pflichtbeiträge nach dem AAÜG festzustellen sind, erheblich ausgeweitet wurde. Für die überwiegend betroffene technische und wissenschaftliche Intelligenz ist die Zahl der Personen ohne positive Versorgungszusage um ein vielfaches größer als die Anzahl der Versicherten, die in der DDR tatsächlich eine Versorgungszusage erhielten. So waren z.B. nur 3 % bis 5 % aller Ingenieure in das Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen. Es beruhen demnach 95 % 9 Orientierungssatz Juris-Datenbank - 10 - aller in diesem Versorgungssystem festgestellten Pflichtbeitragszeiten auf den Entscheidungen des BSG10. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ist auch zu beachten, dass auch die zusätzliche , insbesondere betriebliche, Alterssicherung in den alten Ländern von großen Unterschieden geprägt ist. Selbst bei gleicher Qualifikation und tatsächlicher Tätigkeit unterscheiden sich Ansprüche aus der betrieblichen Alterssicherung je nach Beschäftigungsbetrieb ganz erheblich. Ebenso wird, ohne dass dies als unzulässig diskutiert würde, zwischen älteren, bereits länger im Betrieb oder Unternehmen tätigen Arbeitnehmern und neu eingestellten Jüngeren häufig differenziert, bis hin zum Ausschluss neuer Arbeitnehmer aus bisher bestehenden betrieblichen Alterssicherungssystemen. Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass die „Durchführungsbestimmung zu der Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur……… - Weitere Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der technischen Intelligenz……“ vom 24. Mai 1951 ( GBl. S. 486 ff.), selbst wenn sie als Präambel zur 2. DB der AVI tech verstanden würde, Anlass zu der Vermutung gibt, die Gerichte hätten die AVI tech bisher nicht sinngemäß angewandt. Vielmehr werden unter Ziff. 6 der o.a. VO die Fachminister und Staatssekretäre mit eigenem Geschäftsbereich verpflichtet, „für die Angehörigen der technischen Intelligenz, die gegenwärtig ihrer Stellung nach hierauf Anspruch haben, den Abschluss der Versicherung gemäß der 2. DB vom 24. Mai 1951 zur Verordnung über die zusätzliche Altersicherung der technischen Intelligenz ……… bis zum 01. Juli 1951 zu beenden“ (..wohl i.S. von : abzuschließen). Damit erfolgte eine eindeutige Verweisung auf den Wortlaut der 2. DB zur AVI tech und die Verpflichtung zur Durchführung in der gleichen Zuständigkeit (Fachminister etc.), wie sie für die Sonderregelungen zur Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung nach der 3. DB zur VO über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten und dem danach möglichen Abschluss von Einzelverträgen mit entsprechender Zusatzversorgung gewählt wurde, jeweils unter dem gleichen Datum des 24. Mai 1951. Ein redaktionelles Versehen hinsichtlich der unterlassenen Erwähnung der Chemiker und Physiker ist danach mehr als unwahrscheinlich. 9. Zusammenfassung Sowohl Diplom-Chemiker als auch Diplom-Physiker hatten keinen obligatorischen Anspruch auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz und damit auch keinen Anspruch auf Feststellung von Pflichtbeitragszeiten in diesem System nach § 5 AAÜG. 10 Anja Ganske-Gerhardt, Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, „30.06.1990 – Ein Stichtag und seine Auswirkungen“, Die Angestellten Versicherung, Jahrgang 52, August 2005, Anlage 7 - 11 - Es kommt bei der Beurteilung des Begriffs „technische Intelligenz“ nicht darauf an, welcher Berufs- oder Hochschulabschluss erlangt wurde, sondern es war für die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen der AVI tech entscheidend, ob die betreffende Person den Titel „Ingenieur“ verliehen bekommen hatte bzw. führen durfte oder nicht. Sofern eine ausdrückliche Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem später durch fakultative Einzelregelung erfolgte, beispielsweise durch Abschluss von Einzelverträgen zur übertariflichen Entlohnung und Zusage einer zusätzlichen Altersversorgung, war dies eine vom Berufsabschluss unabhängige Variante für von den obligatorischen Regelungen nicht erfassten Personen, in den Genuss des Privilegs der Einbeziehung in die Zusatzversorgung zu gelangen. - 12 - 10. Verzeichnis der Anlagen: Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 - Anlage 1 - Juris – Leitsatz zu BSG vom 09.04.2002, B 4 RA 31/01 R - Anlage 2 - Erste und Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 - Anlage 3 - Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 - Anlage 4 - BSG – Entscheidung vom 12.06.2001, B 4 RA 117/00 R - Anlage 5 - Anmerkung zum LSG-Urteil vom 14.06.2004 - Anlage 6 - Anja Ganske-Gerhardt, Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, „30.06.1990 – Ein Stichtag und seine Auswirkungen “, Die Angestellten Versicherung, Jahrgang 52, August 2005 - Anlage 7 -