© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 128/19 Einzelfragen zu Teilhabeleistungen und Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 128/19 Seite 2 Einzelfragen zu Teilhabeleistungen und Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 128/19 Abschluss der Arbeit: 28. November 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 128/19 Seite 3 1. Einleitung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden um die Beantwortung einzelner Fragen zu den rechtlichen Regelungen in Deutschland in Hinblick auf Leistungen für Menschen mit Behinderungen, insbesondere Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, gebeten. Ein eigenes Gesetz, das ausschließlich finanzielle Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen regelt, gibt es in Deutschland nicht. Vielmehr ist das Rehabilitationsrecht in Deutschland durch ein gegliedertes System gekennzeichnet . Ein Großteil des Sozialrechts ist in den Sozialgesetzbüchern kodifiziert. Das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)1 enthält dabei eine bereichsübergreifende Zusammenfassung von Rechtsvorschriften zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und ist für unterschiedliche Leistungsrechte verbindlich.2 Grundsätzlich erhalten Menschen mit Behinderungen zusätzlich zu den allgemeinen Sozialleistungen besondere Leistungen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei gibt es spezielle Förderungen für Frauen und Kinder, damit sie aufgrund ihres Geschlechts beziehungsweise ihres Alters nicht zusätzlich benachteiligt sind.3 Diese Leistungen zur Teilhabe umfassen unterschiedliche Leistungsgruppen und werden von unterschiedlichen Rehabilitationsträgern erbracht. Die Rehabilitationsträger wiederum erbringen die Leistungen nach den für sie geltenden Leistungsgesetzen. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich unter anderem mit der Definition des Begriffs der Behinderung und geben eine kurze Zusammenfassung der Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung und von Behinderung bedrohte Menschen, insbesondere der Eingliederungshilfe, wieder. 2. Begriff der Behinderung § 2 Absatz 1 SGB IX definiert den Begriff der Behinderung: Menschen mit Behinderungen sind demnach Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine solche Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), das zuletzt durch Artikel 130 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626) geändert worden ist, in deutscher Sprache abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/SGB_IX.pdf (zuletzt abgerufen am 12. November 2019). 2 Für weitere Informationen in Hinblick auf Leistungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen wird verwiesen auf die Publikation des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Ratgeber für Menschen mit Behinderungen, Ausgabe 2018, in deutscher Sprache abrufbar unter: https://www.gesetzeim -internet.de/sgb_9_2018/SGB_IX.pdf (zuletzt abgerufen am 25. November 2019). 3 § 1 SGB IX. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 128/19 Seite 4 von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht , wenn eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Der Begriff der Behinderung war mit Wirkung zum 1. Januar 2018 neu definiert und sprachlich an Artikel 1 Satz 2 und die Präambel Buchstabe e) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention - UN-BRK) angepasst worden. Die Regelung gründet sich in ihrem Verständnis dabei wesentlich auf das biopsychosoziale Modell der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization - WHO), das der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) zugrunde liegt. Das deutsche Recht kennt darüber hinaus den Begriff der Schwerbehinderung. Menschen sind im Sinne des SGB IX schwerbehindert, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt, das heißt die Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 SGB IX eine besondere Schwere aufweist (§ 2 Absatz 2 SGB IX). Das Vorliegen einer Schwerbehinderung vermittelt nochmals einen besonderen gesetzlichen Schutz, insbesondere vor Benachteiligungen. 3. Leistungen zur Teilhabe Wie eingangs dargelegt, erhalten Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen - unter besonderer Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Frauen und Kindern - zur Förderung ihrer Selbstbestimmung und um ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken , besondere Sozialleistungen, § 1 SGB IX. Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden dabei so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können, § 4 Absatz 3 SGB IX. Die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden in fünf Leistungsgruppen unterteilt (§ 5 SGB IX): – Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, – Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, – unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, – Leistungen zur Teilhabe an Bildung und – Leistungen zur sozialen Teilhabe. Diese Leistungen werden von unterschiedlichen Trägern (Rehabilitationsträger) erbracht. Zu den Rehabilitationsträgern zählen unter anderem die gesetzlichen Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die Träger der Eingliederungshilfe (§ 6 SGB IX). Die Träger der Eingliederungshilfe sind die Träger der Sozialhilfe. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 128/19 Seite 5 Die Leistungserbringung richtet sich jeweils nach den für den zuständigen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen. Zu den einkommens- und vermögensabhängigen Leistungen gehört die Eingliederungshilfe, §§ 53 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Auch die Eingliederungshilfe dient der Förderung eines selbstbestimmten Lebens behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und ihrer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Eingliederungshilfe gehört zu den Leistungen der Sozialhilfe.4 Sie ist grundsätzlich gegenüber den Leistungen von anderen Rehabilitationsträgern nachrangig, das heißt sie wird nur gewährt, wenn kein anderer Rehabilitationsträger vorrangig zur Leistung verpflichtet ist. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind in § 54 SGB XII aufgeführt; die Aufzählung ist nicht abschließend. Es kommen folglich auch andere, nicht ausdrücklich genannte Leistungen in Betracht , sofern diese nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls zur Erfüllung der Aufgaben der Eingliederungshilfe geeignet und erforderlich sind. Dementsprechend umfasst die Eingliederungshilfe ein sehr breites Leistungsspektrum. Es handelt sich unter anderem um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören beispielsweise Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung von Wohnraum entsprechend den besonderen Bedürfnissen der Leistungsberechtigten, Leistungen zur Mobilität (zum Beispiel die Beförderung durch einen Fahrdienst oder zur Beschaffung eines Autos), Hilfen zur Schulbildung oder Leistungen zur Frühförderung für Kinder. Die Eingliederungshilfe wird nach den Bestimmungen der §§ 53 ff. SGB XII nur geleistet, soweit den Leistungsberechtigten selbst und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel nach den Regelungen für den Einkommens - und Vermögenseinsatz im Rahmen der Sozialhilfe nicht zuzumuten ist. Dabei gelten zwar für die Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe grundsätzlich höhere Freigrenzen.5 Die erhöhten Freibeträge finden jedoch keine Anwendung auf die Anrechnung von Vermögen der Eltern für ihre eingliederungshilfebedürftigen Kinder. Als Teil einer umfassenden Reform des Rechts für Menschen mit Behinderungen wird das Eingliederungsrecht mit Wirkung zum 1. Januar 2020 aus dem Recht der Sozialhilfe (SGB XII) herausgelöst und in das SGB IX integriert. *** 4 Für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche ist die Eingliederungshilfe gesondert in § 35a Sozialgesetzbuch - Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) geregelt. 5 Ab dem 1. Januar 2019 werden die Freibetragsgrenzen für die Eingliederungshilfe erhöht. Dies gilt jedoch nicht für den Vermögenseinsatz der Eltern für ihre eingliederungsbedürftigen Kinder.