© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 127/19 Ausgewählte verfassungsrechtliche Aspekte des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 2 Ausgewählte verfassungsrechtliche Aspekte des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 127/19 Abschluss der Arbeit: 13. Oktober 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtslage vor Inkrafttreten des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes 4 3. Neuregelungen durch das Pflegelöhneverbesserungsgesetz 6 3.1. Tarifvertragslösung 6 3.2. Kommissionslösung 7 4. Verfassungsrechtliche Kritik 8 5. Grundrechte der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber 8 5.1. Koalitionsfreiheit 8 5.2. Arbeitsvertragsfreiheit 10 6. Grundrechte der Tarifvertragsparteien 12 6.1. Tarifautonomie 12 6.2. Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie 13 7. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip 14 7.1. Fehlende demokratische Legitimation der Kirchen 15 7.2. Erstreckung von Minderheitstarifverträgen 16 8. Weitere verfassungsrechtliche Aspekte 17 8.1. Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG 17 8.1.1. Ungleichbehandlung der Pflegebranche gegenüber anderen Branchen 17 8.1.2. Ungleichbehandlung der Religionsgesellschaften gegenüber anderen Außenseitern 18 8.2. Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften 19 9. Schlussbetrachtung 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 4 1. Einleitung Am 29. November 2019 ist das Pflegelöhneverbesserungsgesetz1 in Kraft getreten, das eine Verbesserung der Entgeltsituation im Bereich der Pflege zum Ziel hat. Wesentliches sozialpolitisches Anliegen ist es der Gesetzesbegründung zufolge, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten und die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche spürbar zu verbessern. Hierzu wurden die Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG)2 geändert. Pflegedienste werden in erheblichem Umfang von kirchlich getragenen Pflegeeinrichtungen erbracht . Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Religionsgesellschaften im Bereich der Pflege und zur Berücksichtigung branchenbezogener Besonderheiten wurden die Regelung des Verfahrens zum Erlass von Rechtsverordnungen nach § 7a AEntG und die Bestimmungen über die Berufung und die Beschlussfassung der bereits vorgesehenen Kommission nach §§ 10 bis 13 AEntG modifiziert. Eine Verbesserung der Pflegelöhne soll sowohl durch eine dafür eingesetzte Kommission (sogenannte Kommissionslösung) als auch über einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag (sogenannte Tarifvertragslösung) über die Festlegung eines Mindestlohns ermöglicht werden . Vor dem Hintergrund, dass Frauen in der Pflege deutlich überwiegen, verfolgt das Gesetz daneben auch ein gleichstellungspolitisches Ziel.3 2. Rechtslage vor Inkrafttreten des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes Ziele des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sind nach § 1 Satz 1 AEntG die Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen sowie die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen durch die Erstreckung der Rechtsnormen von Branchentarifverträgen . Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz stellt sicher, dass in den von § 4 Abs. 1 AEntG erfassten Branchen nicht die zu seiner Umsetzung vereinbarten Mindestlohntarifverträge unterschritten werden. Für andere Branchen wurde 2014 im Rahmen des Tarifautonomiestärkungsgesetzes durch § 4 Abs. 2 AEntG ein separater Weg zur Erstreckung der Rechtsnormen eines Branchentarifvertrages zur Verfügung gestellt.4 Voraussetzung dafür ist, dass daran ein öffentliches Interesse besteht, um die in § 1 AEntG genannten Gesetzesziele zu erreichen und dabei insbesondere einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenzuwirken. 1 Gesetz für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz) vom 22. November 2019 (BGBl. I 2019, S. 1756). 2 Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) vom 20. April 2009 (BGBl. 2009 I, S. 799), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. November 2019 (BGBl. I 2019, S. 1756) geändert worden ist. 3 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz ) vom 23. September 2019, Bundestagsdrucksache 19/13395, S. 11. 4 Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) vom 11. August 2014 (BGBl. I 2014, S. 1348. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 5 Die Tarifnormenerstreckung erfolgt durch Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes (TVG)5 oder durch Rechtsverordnung nach § 7 AEntG für Branchen nach § 4 Abs. 1 AEntG bzw. § 7a AEntG für Branchen nach § 4 Abs. 2 AEntG. Das Verfahren der Erstreckung von Tarifbedingungen durch Rechtsverordnung muss durch einen gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien im Sinne von § 4 Abs. 2 sowie §§ 5 und 6 AEntG eingeleitet werden. Bereits nach der bisherigen Regelung musste das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vor dem Erlass einer Rechtsverordnung den unter deren Geltungsbereich fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern , den Tarifvertragsparteien sowie den am Ausgang des Verfahrens interessierten Gewerkschaften , Arbeitgeberverbänden und gegebenenfalls den paritätischen Lohnkommissionen der Kirchen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 7a Abs. 3 AEntG alter Fassung - a.F.). Für die Pflegebranche war 2008 ebenfalls eine Aufnahme in die Liste der heute unter § 4 Abs. 1 AEntG aufgeführten Branchen beantragt worden, da es sich um eine besonders personalkostenintensive Branche mit standortgebundenen Dienstleistungen handelt. Allerdings sind die Arbeitsbedingungen der Pflegebranche nicht nur durch tarifvertragliche Regelungen geprägt, sondern auch durch Vereinbarungen, die auf kirchenrechtlichen Regelungen beruhen, denn „die kirchlich getragenen Einrichtungen können sich auf das durch Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 WRV [(Weimarer Reichsverfassung)] geschützte Selbstverwaltungsrecht berufen, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen.6 Einrichtungen , die einen karitativen Auftrag verfolgen, steht die Möglichkeit zur Arbeitsvertragsgestaltung im ‚Dritten Weg‘ zu; von dieser Möglichkeit haben sie ganz überwiegend Gebrauch gemacht . Paritätisch ausgehandelte Arbeitsbedingungen prägen das Lohngefüge der Branche in erheblichem Maße.“7 „Da diese nicht als Tarifverträge im Sinne des Tarifvertragsgesetzes wirken, [kam] eine Geltungserstreckung gemäß § 5 TVG nicht in Betracht, die Erstreckung durch Rechtsverordnung nur nach entsprechenden Modifikationen […].“8 Um den unterschiedlichen Brancheninteressen umfassend Rechnung zu tragen, wurde damals für den Pflegebereich mit den §§ 10 bis 13 AEntG eine Sonderregelung eingeführt, wonach Arbeitsbedingungen , insbesondere Mindestentgeltsätze, durch eine auf Antrag der Tarifvertragspar- 5 Tarifvertragsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 (BGBl. I 1969, S. 1323), das zuletzt durch Artikel 4f des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (BGBl. I 2018, S. 2651) geändert worden ist. 6 Vgl. BVerfG vom 11. Oktober 1977, 2 BvR 209/76; BVerfG vom 25. März 1980, 2 BvR 208/76 und BVerfG vom 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83; zitiert nach Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) a) […] b) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 16/10486 - Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) c) […], Bundestagsdrucksache 16/11669 vom 21. Januar 2009, S. 24. 7 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) a) […] b) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 16/10486 - Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) c) […], Bundestagsdrucksache 16/11669 vom 21. Januar 2009, S. 24. 8 Schlachter in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 10 AEntG Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 6 teien jeweils im Einzelfall einzusetzende, von Vertretern der Tarifvertragspartner und kirchlichen Vertretern gleichermaßen besetzten Kommission vorgeschlagen werden konnten. „Die Gesetzesregelung bildet[e] die Grundlage für die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbedingungenverordnung)9. Da sie das Recht der paritätisch besetzten Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber in der Pflegebranche nach dem sogenannten Dritten Weg festlegen , respektiert, gehört sie zu dem ‚für alle geltenden Gesetz‘ im Sinne des Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), das der Regelungsautonomie der Kirchen Schranken setzt.“10 3. Neuregelungen durch das Pflegelöhneverbesserungsgesetz Die Neuregelungen durch das Pflegelöhneverbesserungsgesetz zielen zum einen auf eine Verfahrensverbesserung bei der bestehenden Kommissionslösung nach §§ 10 bis 13 AEntG, zum anderen auf eine ausdrückliche Öffnung des Pflegebereichs auch für Tarifvertragserstreckungen nach § 7a AEntG. Dabei nimmt der Gesetzgeber Rücksicht auf die Besonderheiten der Pflegebranche und das durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften. 3.1. Tarifvertragslösung Trotz des Wortlauts des § 7a AEntG a.F., der die Anwendung der Vorschrift auch auf den Bereich der Pflege möglich erscheinen ließ, sollten die Bestimmungen der §§ 10 bis 13 AEntG a.F. nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers Spezialregelungen gegenüber einem allgemeinen Rückgriff auf das Tarifvertragssystem darstellen.11 Die Neuregelung des § 7a AEntG soll neben der fortgeltenden Kommissionslösung ausdrücklich auch die Erstreckung von Tarifverträgen im Pflegebereich ermöglichen. Der besonderen Bedeutung der Kirchen in der Pflegebranche und der verfassungsrechtlich geschützten Regelungsautonomie der Religionsgesellschaften trägt das Pflegelöhneverbesserungsgesetz durch eine Sonderregelung zu deren Beteiligung am Verfahrens zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 7a AEntG Rechnung. Nach § 7a Abs. 1a AEntG werden Religionsgesellschaften, in deren Bereichen paritätisch besetzte Kommissionen zur Festlegung von Arbeitsbedingungen in 9 Die seit dem 1. Mai 2020 gültige Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Vierte Pflegearbeitsbedingungenverordnung - 4. PflegeArbbV) vom 22. April 2020 (BAnz AT vom 28. April 2020 V2) tritt am 30. April 2022 außer Kraft (§ 6 4. PflegeArbbV). 10 Richardi, Reinhard in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Übersicht über das Arbeits-/Arbeitsschutzrecht , Ausgabe 2019/2020, Rechtsstand 1. Januar 2019, 13. Auflage 2019, Kap. 3 Rn. 142. 11 Bepler, Klaus, Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz durch das Gesetz für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz), in: jurisPR-ArbR 48/2019 Anm. 1 mit Nachweisen aus der Gesetzesbegründung . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 7 der Pflegebranche auf der Grundlage kirchlichen Rechts gebildet sind, in das Verfahren eingebunden . Von ihnen zu benennende Kommissionen erhalten zunächst nach § 7a Abs. 1a Satz 2 AEntG die Gelegenheit, gegenüber den Tarifvertragsparteien noch vor Abschluss eines Tarifvertrages zu dessen voraussichtlichem Inhalt Stellung zu nehmen. Nach der Gesetzesbegründung sollen die kirchlichen Kommissionen dadurch „Gelegenheit erhalten, sich bereits im Vorfeld zu ihren Regelungsvorstellungen und zu den Auswirkungen des voraussichtlichen Tarifinhalts auf die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zu äußern.“12 Der Antrag der Tarifvertragsparteien nach § 7a Abs. 1 AEntG auf Erlass einer Rechtsverordnung erfordert nach dem neugefassten § 7a Abs. 1a Satz 4 und 5 AEntG außerdem die Zustimmung von mindestens zwei der nach Satz 2 gebildeten Kommissionen repräsentativer Religionsgesellschaften , deren Bereich mindestens zwei Drittel aller in der Pflegebranche im Bereich von Religionsgesellschaften Beschäftigen umfasst. Der neu angefügte § 7a Abs. 1 Satz 3 AEntG, seit 30. Juli 2020 § 7a Abs. 1 Satz 4 AEntG13, sieht vor, dass eine Rechtsverordnung, die den Geltungsbereich der Pflegebranche erfasst, außer den bisher geltenden Vorgaben auch die Voraussetzungen des neu eingeführten § 7a Abs. 1a AEntG erfüllen sowie die in § 11 Abs. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch -Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) genannten Gesetzesziele, nämlich die Sicherstellung der Qualität der Pflegeleistung sowie den Auftrag kirchlicher und sonstiger Träger der freien Wohlfahrtspflege berücksichtigen muss. Dies gehört nach § 7a Abs. 3 Satz 3 AEntG auch zum Inhalt der vor Erlass der Rechtsverordnung durchzuführenden Anhörung durch das BMAS. 3.2. Kommissionslösung Eine Rechtsverordnung über Mindestlöhne im Pflegebereich kann vom BMAS wie bisher auch nach den Sonderregelungen der §§ 10 ff. AEntG für die Pflegebranche auf Vorschlag einer hierzu errichteten Kommission erlassen werden. Als wesentliche Neuerung sieht § 12 Abs. 1 AEntG die Berufung einer ständigen Kommission vor, die nach § 12a AEntG Empfehlungen zur Festlegung von Arbeitsbedingungen beschließt. Die Berufung erfolgt für die Dauer von jeweils fünf Jahren (§ 12 Abs. 2 AEntG); benannt werden die acht Mitglieder der Kommission sowie die gleiche Anzahl von Vertretern vom BMAS auf Vorschlag der Tarifvertragsparteien in der Pflegebranche sowie der Dienstnehmer- und Dienstgeberseite paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber in der Pflegebranche festlegen (§ 12 Abs. 4 AEntG). 12 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz ) vom 23. September 2019, Bundestagsdrucksache 19/13395, S. 14. 13 Artikel I Nr. 8 lit. b des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 10. Juli 2020 (BGBl. I 2020, S. 16). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 8 Bei der Entscheidung über den Erlass der Rechtsverordnung zur Erstreckung der Kommissionsempfehlungen auf alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die unter den Geltungsbereich des Vorschlags fallen, hat das Ministerium auch den Auftrag kirchlicher und sonstiger Träger der freien Wohlfahrtspflege nach § 11 Abs. 2 SGB XI zu berücksichtigen. Die Neufassung des § 12 AEntG enthält darüber hinaus weitere Regelungen zur Abgabe von Vorschlägen und deren Auswahl durch das BMAS, die jedoch vorliegend nicht Gegenstand der Erörterung sind. 4. Verfassungsrechtliche Kritik Der Gesetzentwurf war im Rahmen der parlamentarischen Beratung am 21. Oktober 2019 Gegenstand einer Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales und ist in den dazu vorliegenden schriftlichen Stellungnahmen sowohl von den Vertretern der kirchlichen Arbeitgeber als auch von den Gewerkschaften begrüßt worden. Von den Vertretern der Arbeitgeberverbände in der Pflege wurden demgegenüber verfassungsrechtliche Bedenken erhoben.14 Auch aus den Fraktionen der FDP und der AfD wurden in den Beratungen zum Gesetzentwurf Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Bestimmungen geäußert. Die verfassungsrechtliche Kritik entzündet sich in erster Linie an der Regelung der Beteiligung der Kirchen im Rahmen des Verfahrens nach § 7a AEntG, vor allem an dem in § 7a Abs. 1a Satz 4 AEntG statuierten Erfordernis der Zustimmung der paritätischen Kommissionen der Kirchen zum Antrag der Tarifvertragsparteien auf Erstreckung von Tarifvertragsnormen durch Rechtsverordnung . „Den Kirchen auf diese Weise eine Art Vetorecht über das Verhandlungsergebnis einzuräumen , stelle [nach Auffassung der Fraktion der FDP] ein Novum in der deutschen Tarifgeschichte dar“ und „bedeute einen eklatanten Eingriff in die Tarifautonomie“.15 Aus der Fraktion der AfD werden Verletzungen der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG und der Arbeitsvertragsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG sowie ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG geltend gemacht.16 5. Grundrechte der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber 5.1. Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Das Grundrecht 14 Vgl. bpa Arbeitgeberverband, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462 vom 18. Oktober 2019, S. 20 ff. 15 Vgl. Bericht des Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Bundestagsdrucksache 19/14416, S. 11. 16 Abgeordneter Uwe Witt, Plenarprotokoll 19/121 zur 121. Sitzung am 24. Oktober 2019, S. 15023 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 9 schützt Einzelne in ihrer Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten, aber auch ihr fernzubleiben oder sie zu verlassen (negative Koalitionsfreiheit). Soweit nicht oder anders tarifgebundene Arbeitgeber durch Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG von fremden Tarifnormen erfasst werden, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1977 einen Eingriff in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verneint.17 „Das individuelle Grundrecht des Einzelnen, zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden und an der verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeit seiner Koalition teilzunehmen, wird nicht generell dadurch verletzt, daß für sein Arbeitsverhältnis solche Inhaltsregelungen gelten, die von ihm fremden Verbänden ausgehandelt worden sind.“18 Auch die Freiheit, sich einer anderen als der vertragschließenden oder keiner Koalition anzuschließen (negative Koalitionsfreiheit), wird nach Überzeugung des Bundesverfassungsgerichts durch diese Regelungen nicht beeinträchtigt; Zwang oder Druck in Richtung auf eine Mitgliedschaft werde nicht ausgeübt.19 Rechtsdogmatisch unterscheidet sich der Erlass einer Rechtsverordnung nach § 7a AEntG als staatlicher Rechtsetzungsakt von der bloßen Erstreckung der Tarifbindung durch Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG darin, dass die Rechtsverordnung die normativen Inhalte des Tarifvertrags aus dem tariflichen System herauslöst und zum Gegenstand eigener staatlicher Rechtsetzung macht.20 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind beide Wege verfassungsrechtlich zulässig.21 In ihrer Wirkung auf den einzelnen nichttarifgebundenen Arbeitgeber des jeweiligen Wirtschaftszweigs sind beide Erstreckungsarten insofern identisch, als sie ihn verbindlich Normen unterwerfen , die inhaltlich das Ergebnis fremder Tarifverhandlungen sind. Daher dürfte die skizzierte Argumentation des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen auch auf die Erstreckung tarifvertraglicher Bestimmungen im Wege der Rechtsverordnung zutreffen. Auch die Tatsache, dass bei der Antragstellung nach § 7a Abs. 1 AEntG zur Erstreckung der Tarifvertragsnormen durch das Erfordernis der Zustimmung der Kirchen weitere mit der Vereinbarung von Arbeitsbedingungen in der Branche befasster Akteure an der Rechtsetzung zu beteiligen 17 BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74; BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1980 - 1 BvR 24/74 und 1 BvR 439/79; BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00 (jeweils zitiert nach juris). 18 BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74, Rn. 84 (zitiert nach juris). 19 BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74, Rn. 86 (zitiert nach juris). 20 Vgl. dazu etwa Klumpp in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, München 2018, § 249 Rn. 4 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 21 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. Juli 2000 - 1 BvR 948/00; die zunächst teilweise scharfe Kritik an der Möglichkeit der Tariferstreckung durch Rechtsverordnung ist dadurch erledigt, vgl. Bepler, Klaus: Stärkung der Tarifautonomie - Welche Änderungen des Tarifvertragsrechts empfehlen sich?, Gutachten B zum 70. Deutschen Juristentag, S. 110. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 10 sind, ändert nichts an der Wirkung auf die Koalitionsfreit des einzelnen Arbeitgebers. Es ist daher davon auszugehen, dass der Schutzbereich des Grundrechts der Arbeitgeber aus Art. 9 Abs. 3 GG durch die Beteiligung der Kirchen an der staatlichen Tarifvertragserstreckung nicht betroffen ist. 5.2. Arbeitsvertragsfreiheit Gestützt auf ein in seinem Auftrag erstelltes Rechtsgutachten macht der bpa Arbeitgeberverband auch eine Verletzung der Freiheit der Berufsausübung der Außenseiterunternehmer nach Art. 12 Abs. 1 GG in ihrer Ausprägung als Arbeitsvertragsfreiheit geltend.22 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist „die Freiheit, den Inhalt der Vergütungsvereinbarungen mit Arbeitnehmern und Subunternehmern frei aushandeln zu können, […] ein wesentlicher Bestandteil der Berufsausübung, weil diese Vertragsbedingungen in besonderem Maße den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen bestimmen und damit für die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte, der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit kennzeichnend sind.“23 „Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Erwerbszwecken dienende Tätigkeit“, wie das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil hervorhebt, „auch vor staatlichen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind […]. Die Berufsfreiheit ist auch dann berührt, wenn sich die Maßnahmen zwar nicht auf die Berufstätigkeit selbst beziehen, aber die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und in Folge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben […].“24 Fehlt einer Regelung jedoch die berufsregelnde Tendenz, ist die Berufsausübungsfreiheit nicht betroffen. Die in Rede stehenden Bestimmungen des § 7a AEntG dienen nach der Gesetzesbegründung dem wesentlichen sozialpolitischen Anliegen, den Pflegeberuf attraktiver zu machen und zielen dazu auf eine spürbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege. Allerdings braucht „die 22 bpa Arbeitgeberverband, Zusammenfassung der Ergebnisse des verfassunsrechtlichen Gutachtens zum Thema „Erstreckung von Tarifvertragsnormen zur Pflege“ von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Online-Publikation vom 27. März 2019, abrufbar im Internetauftritt des bpa Arbeitgeberverbandes: https://www.bpa-arbeitgeberverband .de/uploads/media/190327_Zusammenfassung_DiFabio.pdf (letzter Abruf: 5. Oktober 2020); bpa-Newsticker 3/12019 vom 27. März 2019, abrufbar im Internetauftritt des bpa Arbeitgeberverbandes: https://www.bpaarbeitgeberverband .de/uploads/media/2019-03-27_Newsticker_3_2019.pdf (letzter Abruf: 5. Oktober 2020). Das nicht veröffentlichte Gutachten stand bei der Bearbeitung nicht zur Verfügung. 23 BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00 - BVerfGE 116, 202, 226. 24 BAG, Urteil vom 8. Mai 2019 - 10 AZR 559/17, Rn. 44 (zitiert nach juris); ebenso BAG, Urteil vom 20. November 2018 - 10 AZR 121/18, Rn. 55 (zitiert nach juris) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 11 berufsregelnde Tendenz […] nur objektiv vorhanden zu sein, weshalb auch Regelungen, bei denen die Beeinträchtigung beruflicher Betätigung nicht intendiert ist, an Art. 12 Abs. 1 [GG] gemessen werden können.“25 Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner weiter oben (siehe oben Punkt 5.1) zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1977 zur Allgemeinverbindlicherklärung26 auf eine mögliche Verletzung der Arbeitsvertragsfreiheit nicht eingegangen. In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 1980 zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Auferlegung der im konkret angegriffenen Tarifvertrag auferlegten Zahlungspflicht zu den Sozialkassen nicht an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen sei, da objektiv eine Tendenz zur Regelung unternehmerischer Tätigkeiten wie derjenigen der Beschwerdeführer nicht erkennbar sei.27 Das Bundesarbeitsgericht hatte in einer jüngeren Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit der Inbezugnahme verschiedener Fassungen eines konkreten Sozialkassentarifvertrags durch das Sozialkassensicherungsgesetz (SokaSiG)28 zu prüfen, der den Betrieben des Baugewerbes Zahlungspflichten auferlegt, die dazu verwendet werden, die Urlaubsentgeltansprüche der Arbeitnehmer im Baugewerbe zu erfüllen, ihre Aus- und Fortbildung sicherzustellen und den in Bauberufen tätig gewesenen Arbeitnehmern eine zusätzliche Altersrente zu gewähren. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts greift diese Inbezugnahme nicht als Berufsausübungsregelung in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der verpflichteten Arbeitgeber ein. Die durch die Beitragspflicht bezweckte Umlagefinanzierung des Urlaubskassenverfahrens, der Berufsbildung und der zusätzlichen Altersversorgung im Baugewerbe betreffe lediglich den Interessenausgleich zwischen den branchenzugehörigen Arbeitgebern untereinander und zu den Arbeitnehmern auf übertariflicher Ebene.29 Der hier angegriffene § 7a Abs. 1a AEntG enthält anders als die in den zitierten Entscheidungen geprüften Bestimmungen gar keine unmittelbar auf den Arbeitgeber wirkende Regelung der Arbeitsbedingungen , sondern regelt lediglich die Voraussetzungen für den Erlass einer entsprechenden Verordnung der Exekutive. In jedem Einzelfall ist es Aufgabe des BMAS, die Vorteile für den Schutz der strukturell unterlegenen Arbeitnehmer gegen die Nachteile für die nicht oder anders 25 Kämmerer in: von Münch/Kunig: Grundgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 12 GG, Rn. 46. 26 BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74. 27 BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1980 - 1 BvR 24/74 und 1 BvR 439/79, Rn. 48 ff. (zitiert nach juris). 28 Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz - SokaSiG) vom 16. Mai 2017 (BGBl. I 2017, S. 1210). 29 BAG, Urteil vom 20. November 2018 - 10 AZR 121/18, Rn. 55 (zitiert nach juris) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 12 organisierten Arbeitgeber abzuwägen, um zu einer verfassungsrechtlich vertretbaren Entscheidung zu gelangen.30 Eine objektiv berufsregelnde Tendenz ist hierin nicht zu erkennen, so dass auch die Arbeitsvertragsfreiheit der nichttarifgebundenen Arbeitgeber aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht berührt sein dürfte. 6. Grundrechte der Tarifvertragsparteien 6.1. Tarifautonomie Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit schützt auch die Koalition selbst in ihrem Bestand und ihrer organisatorischen Ausgestaltung sowie alle ihre koalitionsspezifischen Verhaltensweisen.31 Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert damit auch die Tarifautonomie als Teilaspekt der Koalitionsfreiheit . Art. 9 Abs. 3 GG garantiert den Tarifvertragsparteien einen geschützten Freiraum, innerhalb dessen sie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder in kollektiven Verträgen autonom gestalten können.32 Im Anhörungsverfahren wurde vor allem von den Arbeitgeberverbänden der Pflegebranche der Standpunkt vertreten, der durch das Pflegelöhneverbesserungsgesetz ermöglichte Einfluss der Kirchen in der Form des ihnen nach § 7a Abs. 1a Satz 4 AEntG durch das Erfordernis ihrer Zustimmung eingeräumten „Vetorechts“ in Bezug auf den Antrag der Tarifvertragsparteien sei zu weitgehend und verletze daher die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien.33 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass § 7a Abs. 1 AEntG den Religionsgesellschaften nicht das Recht zur Teilnahme an den Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien einräumt. Weder auf den Abschluss noch auf den Inhalt des Tarifvertrages haben die Religionsgesellschaften Einfluss. Die Tarifpartner bestimmen vielmehr autonom über die Regelung der Arbeits - und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder. Vorgeschrieben sind lediglich eine Anhörung der Religionsgesellschaften sowie schließlich deren Zustimmung zum gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien auf Erlass einer Rechtsverord- 30 Vgl. bezugnehmend auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG z. B. Franzen in Müller-Glöge, Rudi/Preis, Ulrich/Schmidt, Ingrid: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht. München 2020, § 5 TVG, Rn. 17 f.; Löwisch, Manfred / Rieble, Volker, Tarifvertragsgesetz, Kommentar, München 2017, § 5, Rn. 148. 31 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. zuletzt Urteil vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 et al., Rn. 130 (zitiert nach juris). 32 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 1 TVG, Rn. 3; Schmidt, in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, GG Einleitung, Rn. 46; Baue, in: Dreier (Hrsg.) Grundgesetz, Kommentar , Band I, 3. Auflage 2013, Art. 9, Rn. 92; jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 33 bpa Arbeitgeberverband, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462, S. 20 (21f., 24). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 13 nung zur Erstreckung der vereinbarten Mindestarbeitsbedingungen auf andere Arbeitsverhältnisse . Eine Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, Standpunkte der Religionsgesellschaften in ihrem Verhandlungsergebnis zu berücksichtigen, enthält § 7a Abs. 1 AEntG nicht. Die Entwurfsbegründung weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass „die Wirksamkeit des betreffenden Tarifvertrages nicht von der Erfüllung der in § 7a AEntG geregelten (Verfahrens-)Voraussetzungen abhängt.“34 Die staatliche Erstreckung der eigenen Verhandlungsergebnisse auf andere Arbeitgeber und die Durchführung des dazu erforderlichen Verfahrens dient jedoch nicht mehr der Gestaltung der Arbeits - und Wirtschaftsbedingungen der Mitglieder der Tarifvertragspartner. Die Tarifvertragsfreiheit der Koalitionen bezieht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf Außenseiter und dürfte daher vom Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG nicht umfasst sein.35 6.2. Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie Tarifverträge über Mindestarbeitsbedingungen im Sinne des § 3 AEntG werden allerdings zulässigerweise gerade mit dem Ziel geschlossen, über die hoheitliche Erstreckung ihre branchenweite Anwendung sicherzustellen. Wenn unter Berücksichtigung der Gestaltungsvorstellungen der Religionsgesellschaften vereinbarte Tarifvertragsnormen dann aber tatsächlich nicht erstreckt werden können, weil die nach § 7a Abs. 1a Satz 4 AEntG erforderliche Zustimmung von den Religionsgesellschaften versagt wird, gelten sie am Ende nach § 3 Abs. 1 TVG ausschließlich für die eigenen Mitglieder, nicht aber für die beteiligten Religionsgesellschaften und andere Außenseiter. Dies dürfte wegen der damit möglicherweise verbundenen Wettbewerbsnachteile in der Regel nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien entsprechen. Vereinzelt wird daher befürchtet, die Beteiligungsrechte der Religionsgesellschaften nach § 7a Abs. 1a AEntG stellten eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dar. Es handele es sich insoweit strukturell um keine andere Konstellation als im Falle der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung in einem Arbeitgeberverband (sogenannte OT-Mitgliedschaft).36 Eine derartige Gestaltung ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wegen des für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie notwendigen Zusammenhangs von Verantwortlichkeit und Betroffenheit wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 GG nur wirksam, wenn in der Verbandssatzung eine direkte Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf die tarifpolitische Willensbildung ausgeschlossen wird.37 34 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz ) vom 23. September 2019, Bundestagsdrucksache 19/13395, S. 14. 35 BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00, Rn. 73; BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74. 36 Franzen, Martin, Das Pflegelöhneverbesserungsgesetz, RdA 2020, S. 75 (80). 37 BAG, Urteil vom 4. Juni 2008 - 4 AZR 419/07. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 14 Wie weiter oben bereits beschrieben (Abschnitt 6.1, S. 12 f.), beschränken die Beteiligungsrechte der Religionsgesellschaften die Tarifvertragspartner nicht in ihren autonomen tarifpolitischen Entscheidungen, da es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, auf deren Standpunkte einzugehen. Lassen die Tarifparteien Vorstellungen der Religionsgesellschaften gleichwohl in das Ergebnis ihrer Tarifverhandlungen einfließen, um deren Bereitschaft zu fördern, einem Erstreckungsantrag zuzustimmen, so geschieht dies aufgrund deren autonomer tarifpolitischer Willensbildung. Wegen der Staatsfreiheit der Tarifautonomie ist es grundsätzlich nicht zulässig, die Geltung eines Tarifvertrags von Opportunitätsentscheidungen der Exekutive abhängig zu machen. Um sich vor den negativen Reflexwirkungen eines Mindestlohntarifvertrags nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu schützen, der letztlich nicht durch Rechtsverordnung erstreckt wird, wird jedoch im Schrifttum angenommen, dass das Tarifvertragsrecht den Tarifvertragsparteien in diesem Fall ausnahmsweise die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung erlaube.38 Da die Tarifvertragsparteien mithin insoweit selbst Vorsorge gegen nachteilige Wirkungen treffen können, dürfte auch in einem solchen Fall die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie im Sinne der den Koalitionen von Verfassungs wegen zugewiesenen Aufgabe, „im Prozess freiheitlicher Interessenauseinandersetzung und autonomer Interessenausgleichung das Arbeitsleben zu ordnen und zu gestalten,“39 letztlich keinen Schaden nehmen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die Öffnung der sogenannten Tarifvertragslösung nach § 7a AEntG für den Pflegebereich neben der geltenden Kommissionslösung nach den Sonderregelungen der §§ 10 bis 13 AEntG gerade auf eine Stärkung der „Effektivität von tarifautonom geschaffenen Entgeltregelungen“ in der Pflege abzielt.40 7. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip Das Gesetz wird von Einzelstimmen auch unter dem Aspekt des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1-3 GG in Frage gestellt.41 38 Löwisch, Manfred / Rieble, Volker, Tarifvertragsgesetz, Kommentar, 4. Auflage 2017, § 1, Rn. 1548, 1552 ff. 39 Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 9 Abs. 3, Rn. 161. 40 Bepler, Klaus, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462, S. 43 (45 f); vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz) vom 23. September 2019, Bundestagsdrucksache 19/13395, S. 1. 41 bpa Arbeitgeberverband (Fn. 22); Waltermann, Raimund, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462, S. 4 (7). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 15 Das Demokratieprinzip geht von der Volkssouveränität aus und verlangt im Wesentlichen, dass alle staatlichen Maßnahmen entsprechend legitimiert sein müssen.42 Das in Art. 20 GG ebenfalls garantierte Verfassungsprinzip der Rechtsstaatlichkeit bindet staatliche Gewalt an die Verfassung und an demokratisch zustande gekommenes Recht und Gesetz. 7.1. Fehlende demokratische Legitimation der Kirchen Nach den durch das Pflegelöhneverbesserungsgesetz eingeführten Bestimmungen ist der Erlass einer Verordnung zur Erstreckung tarifvertraglich vereinbarter Mindestarbeitsbedingungen nach § 7a AEntG im Pflegebereich ohne Beteiligung der Religionsgesellschaften nicht möglich. Diesen komme damit einer im Schrifttum vertretenen Auffassung zufolge trotz fehlender demokratischer Legitimation und rechtsstaatlicher Kontrollmöglichkeit eine „ergebnisrelevante Steuerung“ zu.43 Bei fehlender Zustimmung zum Erstreckungsantrag der Tarifvertragsparteien sei dem demokratisch legitimierten Ministerium der Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung nicht möglich . In Bezug auf die parallelgelagerte Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG hat das Bundesverfassungsgericht keinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip erkannt. Das fehlende Initiativrecht des Staates bei der Allgemeinverbindlicherklärung werde unter dem Blickpunkt des Demokratieprinzips durch die Voraussetzungen der Allgemeinverbindlichkeit und in dem ihr vorausgehenden Verfahren hinreichend ausgeglichen. Die Regelung entspreche vielmehr in besonderem Maße der in Art. 9 Abs. 3 GG enthaltenen verfassungsrechtlichen Grundentscheidung der autonomen Ordnung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen durch die Sozialpartner.44 Für Verordnungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt dem Grundsatz nach nichts anderes.45 Die Regelung des § 7a Abs. 1a AEntG bezieht nun wegen deren Bedeutung im Pflegebereich auch die dem sogenannten Dritten Weg verpflichteten Religionsgesellschaften in das Verfahren der Erstreckung von Mindestarbeitsbedingungen ein und legt das Initiativrecht in die gemeinsamen Hände der Koalitionen und der Religionsgesellschaften. Sie entspricht damit der weiteren verfassungsrechtlichen Grundentscheidung des Selbstverwaltungsrechts der Religionsgesellschaften nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV. 42 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 15. Auflage 2018, Art. 20, Rn. 11; Grzeszick in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 20, II. Rn. 117. 43 Waltermann, Raimund, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462, S. 4 (7). 44 BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 - BvL 11/74, Rn. 75, 77 (zitert nach juris). 45 Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. Juli 2000 - 1 BvR 948/00. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 16 Die damit verbundene Beschränkung der staatlichen Entscheidungsfreiheit dürfte unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Bedenken im Hinblick auf das Demokratieprinzip begegnen. 7.2. Erstreckung von Minderheitstarifverträgen Einer Einzelmeinung zufolge sei es mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar , wenn Tarifvertragsnormen, die nur einen geringen Verbreitungsgrad gefunden hätten, auf eine womöglich ablehnende Mehrheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erstreckt würden.46 Dem Demokratieprinzip immanent ist zwar auch das Mehrheitsprinzip.47 Es zählt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den fundamentalen Prinzipien der Demokratie und bildet die der Demokratie angemessene Entscheidungsregel.48 Bezogen auf die Erstreckung tarifvertraglicher Normen bedeutet dies jedoch nicht zwangsläufig, dass nur solche Tarifergebnisse erstreckbar wären, die bereits für eine Mehrheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Anwendung finden. Vielmehr hat die Exekutive sowohl nach § 5 Abs. 1 TVG als auch nach § 7 Abs. 1 und 7a Abs. 1 AEntG zu prüfen, ob die von den Sozialpartnern beantragte Erstreckung der Tarifnormen - unabhängig vom Umfang ihrer bisherigen Geltung - im öffentliche Interesse geboten ist. Hierzu steht der Exekutive ein Beurteilungsspielraum zu. Zu Recht wird in der Gesetzesbegründung des Tarifautonomiestärkungsgesetzes49 zum Wegfall des 50-Prozent-Quorums bei der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG in der bis zum 15. August 2014 geltenden Fassung hervorgehoben, dass es „gerade in Gebieten oder in Wirtschaftszweigen, in denen der Verbreitungsgrad der Tarifverträge gering und der Organisationsgrad der Tarifvertragsparteien schwach ist, […] ein besonderes Bedürfnis bestehen [kann], eine bedrängte tarifliche Ordnung zu stützen und damit in diesen Bereichen angemessene Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.“50 Die Änderungen durch das Pflegelöhneverbesserungsgesetz haben die Rechtslage insoweit nicht verändert. Durch das Erfordernis der Stützung des Erstreckungsantrags auch durch Religionsgesellschaften wird lediglich eine breitere Zustimmung zur Erstreckung sichergestellt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Regelung des § 7a Abs. 1a Satz 5 AEntG, wonach die zustimmenden Kommissionen in den Bereichen von Religionsgesellschaften gebildet sein müssen, in 46 bpa Arbeitgeberverband (Fn. 22). 47 Grzeszick in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 20, II. Rn. 41 ff. 48 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1970 - 2 BvL 17/68. 49 Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) vom 11. August 2014 (BGBl. I 2014, S. 1348). 50 Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz ) vom 28. April 2014, Bundestagsdrucksache 18/1558, S. 27, 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 17 deren Bereichen insgesamt mindestens zwei Drittel aller in der Pflegebranche im Bereich von Religionsgesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer beschäftigt sind. Eine Beeinträchtigung des Demokratie - und Rechtsstaatsprinzips unter dem Gesichtspunkt des Mehrheitsprinzips ist daher nicht ersichtlich. 8. Weitere verfassungsrechtliche Aspekte 8.1. Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu regeln, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund dafür gegeben ist.51 Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt keine Differenzierungen vornehmen dürfte. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen oder nicht Gründe von solcher Art und solchem Gewicht gegeben sind, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Für die Rechtfertigung verfassungsrechtlich relevanter Ungleichbehandlungen steht dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Das gilt insbesondere im Zusammenhang mit sozialpolitischen und wirtschaftsordnenden Maßnahmen, zu denen auch die Mindestarbeitsbedingungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zählen. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz kommt es daher nicht darauf an, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern allein darauf, ob sich die getroffene Regelung im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes hält.52 8.1.1. Ungleichbehandlung der Pflegebranche gegenüber anderen Branchen Der Arbeitgeberverband Pflege e.V. hat in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf unter anderem einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gerügt mit der Begründung, dass die Pflegebranche in § 7a Abs. 1a AEntG insoweit anders behandelt werde als andere Wirtschaftszweige , deren Mindestlohntarifverträge nicht der Beteiligung der Religionsgesellschaften ausgesetzt würden.53 Dem Gesetzgeber ist es nach der einleitend zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht grundsätzlich verboten, einzelne Wirtschaftszweige besonderen rechtlichen Regeln 51 BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1951, Az: 2 BvG 1/51 = BVerfGE 1, 14, 52. 52 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. u.a. BVerfGE 122, 151, 174. 53 Arbeitgeberverband Pflege, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462, S. 10 (13). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 18 zu unterwerfen, wenn es hierfür einen rechtfertigenden Grund gibt. Insoweit sei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe nach § 1b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes verwiesen.54 Im vorliegenden Zusammenhang ist der hohe Anteil an Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft im Pflegebereich hervorzuheben, der sich in keinem anderen Wirtschaftszweig findet. Aufgrund der bedeutenden kirchlichen Beteiligung in der Pflege dürfte das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften die Regelung eines Mitwirkungsrechts der Religionsgesellschaften bei der Erstreckung tarifvertraglicher Mindestarbeitsbedingungen geboten erscheinen lassen.55 Zumindest aber ist sie eine hinreichende verfassungsrechtliche Rechtfertigung dafür. 8.1.2. Ungleichbehandlung der Religionsgesellschaften gegenüber anderen Außenseitern Gerügt wird auch, dass die Regelung des § 7a Abs. 1a AEntG kirchliche Dienstgeber in erheblichem Maße gegenüber anderen Außenseitern privilegiere. Diese Besserstellung sei mit der verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsautonomie der Religionsgesellschaften nicht zu rechtfertigen; denn sie verzichteten freiwillig auf Abschluss und Anwendung von Tarifverträgen, die ihnen staatlicherseits nicht verwehrt sei, und befänden sich daher in derselben Lage wie die anderen Außenseiter.56 Dieser Ansicht ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Recht, bei der Ordnung des kirchlichen Arbeitsrechts auf den sogenannten zweiten Weg von Tarifverhandlungen und Tarifauseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu verzichten und den sogenannten dritten Weg der Regelung von Arbeitsbedingungen nach dem Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft zu wählen, gerade zum Inhalt des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts der Religionsgesellschaften zählt.57 54 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1BvR 1623/82, Rn. 105 ff. (zitiert nach juris). 55 Bepler, Klaus Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462, S. 43 (48). 56 Franzen, Martin, Das Pflegelöhneverbesserungsgesetz, RdA 2020, S. 75 (79). 57 Korioth in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 140, Rn. 41; vgl. auch zur verfassungsrechtlichen Anerkennung des Ausschlusses des Streikrechts als Konfliktlösungsmechanismus durch die Kirchen zuletzt BAG, Urteil vom 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - und BAG, Urteil vom 20. November 2012 - 1 AZR 611/11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 127/19 Seite 19 Andere Träger sind durch die neue Rechtslage nicht in Rechten beeinträchtigt, da sie sich weiterhin zu der Erstreckung äußern können. Ihr verfassungsrechtlicher Schutz geht nicht so weit, dass das Zustimmungsrecht auch auf sie ausgeweitet werden müsste.58 8.2. Selbstverwaltungsrecht der Religionsgesellschaften Im Gegensatz zu den bisher erörterten Diskussionsansätzen halten Einzelstimmen im Schrifttum die in § 7a Abs. 1a AEntG vorgesehene Beteiligung der Religionsgesellschaften sogar für unzureichend und mit der Garantie des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV nicht vereinbar .59 Zwar müssten die Kirchen vom Staat selbst festgelegte Mindestarbeitsbedingungen hinnehmen , weil sie zu den für alle geltenden Gesetzen im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV gehören. Dass aber diese Mindestarbeitsbedingungen in Tarifverträgen festgelegt würden, die gegebenenfalls durch Arbeitskämpfe erzwungen werden, stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht dar. 9. Schlussbetrachtung Der verfassungsrechtliche Grundsatz der praktischen Konkordanz verlangt vom Gesetzgeber einen schonenden Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung und die notwendige Annäherung durch Rücksichtnahme auf kollidierende Verfassungswerte Güterabwägung im Einzelfall.60 Mit dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz dürfte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der dargestellten Diskussion bei der Verfolgung des Ziels einer Verbesserung der Entgeltbedingungen in der Pflege zur Erhöhung der Attraktivität einer Pflegetätigkeit insgesamt einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Verfassungsgütern Koalitionsfreiheit und Selbstverwaltungsautonomie der Religionsgesellschaften im Sinne der praktischen Konkordanz gefunden haben. Eine rechtsgültige Entscheidung hierüber ist jedoch dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten . *** 58 Bepler, Klaus, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 21. Oktober 2019, Ausschussdrucksache 19(11)462, S. 43 (48). 59 Löwisch, Martin, Die Zwangstarifierung der Pflegebranche, BB 2019, I. 60 BAG, Urteil vom 20. November 2012 - 1 AZR 179/11, Rn. 114 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG; allgemein zur praktischen Konkordanz vgl. Schladebach, Marcus, Praktische Konkordanz als verfassungsrechtliches Kollisionsprinzip; Der Staat 2014, S. 263.