© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 127/18 Kurzzeitpflege im SGB XII Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 2 Kurzzeitpflege im SGB XII Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 127/18 Abschluss der Arbeit: 4. März 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Aktuelle Rechtslage 4 2.1. Verzahnung zwischen SGB XI, SGB XII und SGB V 4 2.2. Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII 4 2.2.1. Leistungsberechtigte 4 2.2.2. Pflegebedürftigkeit 5 2.3. Pflegegrade 5 2.3.1. Bindungswirkung der Entscheidung der Pflegekasse über den Pflegegrad 5 2.3.2. Leistungen für Pflegebedürftige 5 2.3.3. Anspruch auf Kurzzeitpflege 6 3. Entwicklung des Anspruchs auf Kurzeitpflege durch KSHG und PSG II und PSG III 6 3.1. Einführung von § 39c SGB V durch das Krankenhausstrukturgesetz 6 3.2. Pflegestärkungsgesetze II und III 7 4. Bewertung der Rechtslage 8 4.1. Pflegegrade 8 4.2. Keine zeitliche Untergrenze 10 4.3. Fazit 11 5. Praxisbericht des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen nach § 39c Satz 4 SGB V 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 4 1. Einleitung Mit der vorliegenden Arbeit soll auf die rechtlichen Regelungen zur Kurzeitpflege im Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) eingegangen werden, insbesondere auf Ansprüche von Personen mit keinem Pflegegrad oder einem Pflegegrad von 1. 2. Aktuelle Rechtslage 2.1. Verzahnung zwischen SGB XI, SGB XII und SGB V Zwischen dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) und dem SGB XII besteht eine enge Verzahnung. Dem liegt zugrunde, dass es sich bei der sozialen Pflegeversicherung um eine Teilabsicherung handelt, die nicht alle bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit in Zusammenhang stehenden Kosten vollständig deckt. Insbesondere übernimmt sie keine Unterbringungskosten . Für Pflegebedürftige bedeutet das, dass sie ungedeckte Kosten selbst tragen müssen. Soweit sie dazu nicht in der Lage sind, besteht ein ergänzender Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII.1 Dies gilt - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nach dem SGB XII - ebenso für eine Kurzzeitpflege nach § 39c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Hier ist ein Anspruch auf eine Kurzzeitpflege für Fälle vorgesehen , in denen keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 im Sinne des SGB XI festgestellt ist. Reichen in diesen Fällen die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht aus, so erbringt die gesetzliche Krankenversicherung bei schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung die erforderliche Kurzzeitpflege entsprechend § 42 SGB XI. Auch dieser Anspruch ist insoweit als Teilleistungsanspruch ausgestaltet.2 2.2. Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII 2.2.1. Leistungsberechtigte Im Siebten Kapitel des SGB XII ist die Hilfe zur Pflege geregelt. Nach § 61 Satz 1 SGB XII haben Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII sind, Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII aufbringen. 1 Lutz in Übersicht über das Sozialrecht, 15. Auflage 2018, Kapitel 12, Rn. 311. 2 BT-Drucksache 18/6586, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 4. November 2015, S. 102; Welti in Becker/Kingreen, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, 6. Auflage 2018, § 39c SGB V, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 5 2.2.2. Pflegebedürftigkeit § 61a SGB XII regelt, wann eine Pflegebedürftigkeit anzunehmen ist. Pflegebedürftig sind danach Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Pflegebedürftige Personen in diesem Sinne können körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen. In § 61a SGB XII ist geregelt, welche Kriterien für die Beurteilung der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten maßgeblich sind. Dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff entspricht inhaltlich dem Pflegebedürftigkeitsbegriff in § 14 SGB XI, allerdings mit der Ausnahme der zeitlichen Untergrenze des SGB XI. Gemäß § 14 SGB XI muss die Pflegebedürftigkeit auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate bestehen. Damit ist der im SGB XII geltende Pflegebedürftigkeitsbegriff umfassender als der im SGB XI, „…als auch Leistungen in den Fällen erbracht werden können, in denen voraussichtlich für weniger als sechs Monate die Voraussetzungen einer Pflegebedürftigkeit vorliegen.“3 2.3. Pflegegrade Nach der sogenannten Gesamtpunktzahl, die sich nach dem Begutachtungsverfahren nach § 62 SGB XII nach der Schwere der Beeinträchtigung der Selbständigkeit und oder der Fähigkeiten ergeben, werden die fünf Pflegegrade zugeordnet. Der Pflegegrad 1 etwa und damit die unterste Schwelle des Leistungssystems wird bei einem Punktwert von 12,5 erreicht. 2.3.1. Bindungswirkung der Entscheidung der Pflegekasse über den Pflegegrad § 62a SGB XII sieht zwar vor, dass die Entscheidung der Pflegekasse über den Pflegegrad nach SGB XI für den Träger der Sozialhilfe bindend ist, allerdings nur soweit sie auf Tatsachen beruht, die bei beiden Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Hat der Träger der Sozialhilfe den Pflegegrad zu ermitteln, so kann er sich der Hilfe von Sachverständigen bedienen, auf Anforderung unterstützt ihn auch der medizinische Dienst der Krankenversicherung. 2.3.2. Leistungen für Pflegebedürftige § 63 SGB XII zählt die Leistungen der Hilfe zur Pflege abschließend auf, wobei weitere Leistungen nach anderen Vorschriften des SGB XII unberührt bleiben.4 Der hier geregelte Leistungskatalog umfasst für Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 als Hilfe zur Pflege Pflegehilfsmittel, Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes und einen Entlastungsbetrag, § 63 Abs. 2 SGB XII. Die Kurzzeitpflege ist für diesen Personenkreis nicht vorgesehen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 umfasst die Hilfe zur Pflege neben den Leistungen der häuslichen Pflege, der 3 BT-Drucksache 18/9518, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 84. 4 Kaiser in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, § 63 SGB XII. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 6 teilstationären Pflege, der Kurzzeitpflege und der stationären Pflege auch einen Entlastungsbetrag , § 63 Abs. 1 SGB XII. 2.3.3. Anspruch auf Kurzzeitpflege Dementsprechend macht § 64h SGB XII den Anspruch auf die Versorgung in einer stationären Pflegeeinrichtung im Rahmen einer Kurzzeitpflege von zwei Voraussetzungen abhängig. Zum einen muss der Anspruchssteller mindestens einen Pflegegrad von 2 aufweisen. Zum anderen besteht der Anspruch nur soweit die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden kann und die teilstationäre Pflege nach § 64g SGB XII nicht ausreicht. Somit besteht erst ab einer Einstufung in Pflegegrad 2 ein Anspruch auf Kurzzeitpflege in einer stationären Einrichtung. Der Anspruch ist insoweit deckungsgleich mit demjenigen Anspruch auf Kurzzeitpflege nach dem SGB XI, vgl. § 42 SGB XI. Ein weitergehender Anspruch nach dem Siebten Kapitel des SGB XII besteht nicht.5 Gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften, wie § 39c SGB V, gehen entsprechend dem auch für die Hilfe zur Pflege geltenden Nachranggrundsatz den Leistungen nach § 64h SGB XII vor, vgl. § 63b Abs. 1 SGB XII.6 3. Entwicklung des Anspruchs auf Kurzeitpflege durch KSHG und PSG II und PSG III 3.1. Einführung von § 39c SGB V durch das Krankenhausstrukturgesetz Mit dem Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz - KHSG) vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2229) wurde zum 1. Januar 2016 in das SGB V insbesondere der Anspruch auf Kurzzeitpflege für die Fälle eingeführt, in denen keine Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI festgestellt ist.7 Diese Regelung wurde geschaffen, um bestehende Versorgungslücken bei schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, dann zu schließen, wenn Versicherte noch nicht im Sinne der Pflegeversicherung pflegebedürftig sind und deshalb keine Ansprüche auf Pflegeleistungen haben.8 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers geht es in den Fällen, die 5 BT-Drucksache 18/9518, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 89. 6 BT-Drucksache 18/9518, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 97. 7 Die Regelung des § 39c SGB V wurde durch das Dritte Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III) an die Änderungen im SGB XI angepasst , da sichergestellt werden musste, dass von der neu eingeführten Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V ab dem 1. Januar 2017 nur diejenigen Pflegebedürftigen ausgeschlossen werden, die als Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 einen Anspruch auf Kurzzeitpflege nach dem SGB XI haben. 8 Welti in Becker/Kingreen, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, 6. Auflage 2018, § 39c SGB V, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 7 § 39c SGB V erfassen soll, gerade darum, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden.9 Es bleibt bei diesem Anspruch zu prüfen, ob nicht durch Leistungen der Grundpflege ein Verbleiben in der Häuslichkeit ermöglicht werden kann. Nur wenn ein besonderer Unterstützungsbedarf bestehe, kommt die neue Leistung der Kurzzeitpflege in Betracht.10 3.2. Pflegestärkungsgesetze II und III Durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II) vom 21. Dezember 2015 wurde zum 1. Januar 2017 ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und das Neue Begutachtungsassessment (NBA) eingeführt. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Im Zentrum soll auf Basis des NBA die umfassende Erfassung aller relevanten Aspekte der Pflegebedürftigkeit stehen, unabhängig davon, ob diese auf körperlichen, psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen beruhen. Die Einstufung erfolgt nicht mehr - wie bisher - in drei Pflegestufen mit gesonderter Feststellung, ob eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz vorliegt, sondern sie wird durch das NBA für alle antragstellenden Personen einheitlich (und gleichzeitig wesentlich differenzierter) in fünf Pflegegrade vorgenommen . Maßgeblich für die Einstufung ist zukünftig somit der Grad der Selbständigkeit einer Person in allen pflegerelevanten Bereichen.“11 Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind mithin Personen pflegebedürftig im Sinne des SGB XI, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere bestehen. In § 42 Abs. 1 SGB XI ist geregelt, dass für die Fälle, in denen die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden kann und auch teilstationäre Pflege nicht ausreicht, für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 ein Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung besteht. Die Regelungen der Hilfe zur Pflege im SGB XII wurden mit diesem Gesetz nicht verändert. Mit dem Dritten Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III)12 wurde zum 1. Januar 2017 das Siebte 9 BT-Drucksache 18/6586, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 4. November 2015, S. 102. 10 Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 99. EL Juni 2018, § 39c SGB V, Rn. 2. 11 BT-Drucksache 18/5926, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 7. September 2015, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II), S. 3. 12 Drittes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I 2016, S. 3191). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 8 Kapitel des SGB XII (Hilfe zur Pflege) neugefasst. Auch nach diesen Neuregelungen bleibt es dabei , dass die Hilfe zur Pflege als eine Auffangordnung für den Fall konzipiert ist, dass vorrangig anwendbare Sicherungssysteme keine Anwendung finden.13 „Die bisherigen Leistungen der Hilfe zur Pflege bleiben erhalten, allerdings korrespondieren die künftigen Leistungen mit dem erweiterten Verständnis von Pflegebedürftigkeit.“14 4. Bewertung der Rechtslage Einen Anspruch auf Kurzzeitpflege in einer stationären Einrichtung haben - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nach § 64h SGB XII Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 und 5 soweit der Pflegebedarf nicht durch eine häusliche oder teilstationäre Versorgung gedeckt werden kann. Pflegebedürftige mit einem Pflegegrad unter 2 haben einen solchen Anspruch nicht. Für Pflegebedürftige mit einem Pflegegrad von 1 sind nach § 63 Abs. 2 SGB XII von der Hilfe zur Pflege Pflegehilfsmittel , Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes und ein Entlastungsbetrag umfasst . 4.1. Pflegegrade Verbunden mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im SGB XII hat der Gesetzgeber - wie auch im SGB XI - die nach der alten Rechtslage bestehenden drei Pflegestufen abgelöst durch die Einführung von fünf Pflegegraden. Personen, die im Begutachtungsverfahren weniger als 12,5 Gesamtpunkte erhalten und daher keinen Pflegegrad erreichen, erhalten keine Leistungen der Hilfe zur Pflege. Da nach Einschätzung Gesetzgebers ein pflegerischer Bedarf, der Leistungen zur Pflege auch unterhalb dieses Gesamtpunktwertes erfordert, pflegewissenschaftlich nicht begründet werden könne. Dazu ist in der Gesetzesbegründung insbesondere ausgeführt : „Im Zuge der Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade werden die Leistungssysteme von SGB XII und SGB XI angeglichen, als pflegebedürftig im Sinne der Hilfe zur Pflege nur solche Personen sind, die in einen Pflegegrad eingestuft werden. Personen, die im Begutachtungsverfahren weniger als 12,5 Gesamtpunkte erhalten und daher keinen Pflegegrad erreichen, werden künftig keine Leistungen der Hilfe zur Pflege erhalten. Damit ist gegenüber dem geltenden Recht jedoch keine Verschlechterung verbunden, da trotz des weiter reichenden Charakters des geltenden § 61 SGB XI die dort enthaltenen Bestimmungen durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff abgedeckt werden. Bereits der Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist in seinem Umsetzungsbericht davon ausgegangen , dass Personen, deren ermittelter Gesamtpunktwert unter dem Schwellenwert von 15 Punkten liegt, lediglich geringfügige Selbständigkeitseinbußen aufweisen (vgl. Umsetzungsbericht , Seite 19), die aus pflegewissenschaftlicher Sicht keine Leistungen rechtfertigen . Die Schwelle zum Pflegegrad sei so festgelegt worden, dass Personen, die fachlich 13 Greier in Knickrehm, Kreikebohm, Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 5. Auflage 2017, § 66a SGB XII, Rn. 2. 14 BT-Drucksache 18/9518, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 83. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 9 als pflegebedürftig gelten, aber nur verhältnismäßig geringe Beeinträchtigungen aufweisen , einbezogen werden können. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird die Schwelle für den Pflegegrad 1 zugunsten der Betroffenen in Übereinstimmung mit dem SGB XI – auf 12,5 Gesamtpunkte festgelegt. Ein pflegerischer Bedarf, der Leistungen der Hilfe zur Pflege auch unterhalb dieses Gesamtpunktewertes erfordert, kann daher pflegewissenschaftlich nicht begründet werden. Andere Leistungen der Sozialhilfe, wie etwa die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts, blieben möglich.15 Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 erhalten nur eingeschränkte Leistungen nach dem Leistungskatalog des § 63 Abs. 2 SGB XII. Die hier aufgeführten Leistungen sollen in erster Linie dazu dienen , den Verbleib im häuslichen Umfeld sicherzustellen. In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt: „Aufgrund der nur geringen Ausprägung der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten erhalten Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 nur eingeschränkte Leistungen entsprechend dem Leistungskatalog des Absatzes 2. Erbracht werden Leistungen der Hilfe zur Pflege, die dazu beitragen sollen, den Verbleib in der häuslichen Umgebung auch für Pflegebedürftige sicherzustellen. Wie andere Pflegebedürftige können auch Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 sowohl Pflegehilfsmittel als auch Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes erhalten. Darüber hinaus erhalten Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 nach Maßgabe des neuen § 66 einen Entlastungsbetrag in Höhe von maximal 125 Euro monatlich. Mit diesen Leistungen wird der notwendige pflegerische Bedarf nach den Vorschriften zur Pflege umfassend abgedeckt. Darüber hinaus haben Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 daher keinen Anspruch auf weitere Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege. Unberührt bleiben Leistungen nach anderen Vorschriften des SGB XII wie z. B. die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nach § 70, die auch Pflegebedürftigen des Pflegegrades 1 gewährt werden können ebenso wie beispielsweise Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt.“16 Im Hinblick darauf, dass die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit und der Fähigkeiten im Sinne des § 61a SGB XII bei Personen des Pflegegrades 1 gering ausgeprägt sind, werden Leistungen der Hilfe zur Pflege - wie auch im vorrangigen System des SGB XI - grundsätzlich für die Pflegegrade 2, 3, 4 und 5 gewährt. Dazu zählt auch die Kurzzeitpflege.17 15 BT-Drucksache 18/5926, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 89. 16 BT-Drucksache 18/5926, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 89. 17 BT-Drucksache 18/5926, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 88. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 10 4.2. Keine zeitliche Untergrenze Anders als bei Leistungen nach dem SGB XI setzen Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII, wie bereits dargestellt, nicht voraus, dass die Pflegebedürftigkeit auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate bestehen muss. Auf die Frage, wie lange eine Pflegebedürftigkeit voraussichtlich vorliegen wird, kommt es hier nicht an. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Im Unterschied zum Pflegebedürftigkeitsbegriff nach dem SGB XI, demzufolge Pflegebedürftigkeit auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, vorliegen muss, setzt die Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XII auch künftig keine zeitliche Untergrenze voraus.“18 Der Begriff der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XII ist insofern umfassender, als der des SGB XI. Es ist damit möglich, auch dann sowohl ambulante als auch stationäre Leistungen der Hilfe zur Pflege zu erhalten, wenn eine Pflegebedürftigkeit voraussichtlich für einen deutlich geringeren Zeitraum als sechs Monate vorliegen wird. Dies ist insbesondere dann zu berücksichtigen , wenn Personen, etwa nach einem Krankenhausaufenthalt voraussichtlich für einen geringeren Zeitraum pflegebedürftig sind. In diesen Fällen können auch bei einer solchen vorrübergehenden Pflegebedürftigkeit Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 64h SGB XI bestehen, wenn eine Einordnung mindestens in den Pflegegrad 2 erfolgt, die Leistungen nach § 39c SGB V nicht ausreichen und eine finanzielle Bedürftigkeit besteht. Im Regelfall dürfte in solchen Fällen, in denen Personen insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt aufgrund der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einer temporären vollstationären Pflege bedürfen, auch davon auszugehen sein, dass ein - vorrübergehender - Pflegegrad von mindestens 2 anzunehmen ist und damit ein Anspruch auf Leistungen der Kurzzeitpflege nach dem SGB XII bestünde . Liegt jedoch gleichwohl kein Pflegegrad von mindestens 2 vor, so besteht kein Anspruch auf Kurzzeitpflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII - Hilfe zur Pflege. Dem Gesetz und der Gesetzesbegründung ist dazu, wie oben ebenfalls bereits dargestellt, zu entnehmen, dass Personen , die keinen Pflegegrad erreichen, keine Leistungen der Hilfe zur Pflege und Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad 1 nur die in § 63 Abs. 3 SGB XII genannten Leistungen erhalten.19 Allerdings hat der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass weitere Leistungen nach dem SGB XII unberührt bleiben.20 So könnte etwa trotz fehlender Pflegebedürftigkeit oder dem Vorliegen von 18 BT-Drucksache 18/9518, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 84. 19 BT-Drucksache 18/9518, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 88 f. 20 BT-Drucksache 18/9518, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. September 2016, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III), S. 84, 89. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 11 Pflegegrad 1 nach § 73 SGB XII, wonach Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden können, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen, ein sozialhilferechtlicher Hilfebedarf bestehen, aufgrund dessen die Kosten für eine Kurzzeitpflege zu übernehmen wären.21 Dem entsprechen auch die von der Konferenz der obersten Landessozialbehörden (KOLS) im September 2017 beschlossenen Handlungsempfehlungen zum Umgang mit dem durch die Neuregelung in der Hilfe zur Pflege aufgetretenen Umsetzungsproblemen in der Praxis. Darin heißt es im Hinblick auf die Kurzzeitpflege: „Für Personen, die aufgrund der Bedarfsprognose unterhalb von 6 Monaten nicht pflegebedürftig i.S.d. SGB XI sind, kann ggf. eine Krankenkassenleistung nach § 39c SGB V durch die Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII aufgestockt werden , sofern der Sozialhilfeträger einen vorübergehenden pflegerischen Bedarf von mindestens Pflegegrad 2 festgestellt hat. In diesem Fall kollidiert eine solche Feststellung nicht mit der Bindungswirkung nach § 62a SGB XII. Sollte ein Bedarf unterhalb des Pflegegrades 2 festgestellt werden, kann bei Nichtpflegeversicherten höchstens der Entlastungsbetrag nach § 66 SGB XII gewährt werden. Es bleibt zu prüfen, ob andere sozialhilferechtliche Bedarfe vorliegen.“ 4.3. Fazit Wie oben dargestellt, hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Neuregelung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs aus den in der Gesetzesbegründung zum Dritten Pflegestärkungsgesetz - PSG III erläuterten Gründen die Regelung getroffen, dass für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 - neben anderen Leistungen - die Kurzzeitpflege von der Hilfe zur Pflege umfasst ist, für Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 aber nicht. Für Personen ohne einen Pflegegrad sieht der Gesetzgeber keine Leistungen der Hilfe zur Pflege vor. Insoweit macht der Gesetzgeber aber deutlich , dass gegebenenfalls andere Leistungen nach dem SGB XII in Betracht kommen können. Von einer Regelungslücke dürfte vor diesem Hintergrund wohl nicht zu sprechen sein. 5. Praxisbericht des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen nach § 39c Satz 4 SGB V Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen wurde mit Einführung des § 39c Satz 4 SGB V bis Ende des Jahres 2018 verpflichtet, über das Bundesministerium der Gesundheit einen Bericht an 21 So hat das Sozialgericht Koblenz in einem Urteil vom 16. August 2018 (- S 1 SO 143/17 -) festgestellt, dass jedenfalls bei Pflegebedürftigen des Pflegegrades 1, welche bis zum 31. Dezember 2016 rechtmäßig Hilfe zur Pflege in stationären Einrichtungen bei damals bestehender Pflegestufe 0 erhalten haben, die Weitergewährung der Hilfe in der bisherigen Höhe nach § 73 SGB XII gerechtfertigt sei. Die „Besitzstandswahrung stelle eine „sonstige Lebenslage“ im Sinne des § 73 SGB XII dar. Zwar stehe die Gewährung von Leistungen nach § 73 SGB XII im Ermessen des Sozialhilfeträgers, im zu entscheidenden Fall sei jedoch von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen, denn jede andere Ermessensausübung als die Weitergewährung der Leistungen wäre ermessensfehlerhaft gewesen. Vgl. zur Thematik insgesamt auch Schweigler, Die reformierte Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII - Bedarfsdeckung allenfalls auf Umwegen?, Soziale Sicherheit 10/218, S. 376, 379 ff., die darauf hinweist, dass bei einer Bedarfsdeckung außerhalb der Hilfe zur Pflege jedenfalls solange sich keine transparenten Verwaltungspraxen etabliert hätten und gerichtliche Klarstellungen erfolgt seien, viele Unsicherheiten blieben, die die Bedarfsdeckung erschwerten. Vgl. weiter Meßling in Schlegel/Voelzke/Coseriu/Eicher/Siefert, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, Stand: 2. Januar 2019, § 61 SGB XII; 32, 55 ff., die sich ausführlich mit den Voraussetzungen der in Frage kommenden Ansprüchen außerhalb der Hilfe zur Pflege beschäftigt; vgl. ferner Griep, Versorgungslücken in der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII, SRa 2017, S. 165. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 127/18 Seite 12 den Deutschen Bundestag über die Erfahrungen mit dem neu geschaffenen Anspruch abzugeben. In diesem Bericht kommt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu dem Ergebnis, dass keine wesentlichen Umsetzungsprobleme vorlägen.22 Gesonderte Ausführungen mit Bezug zu Leistungsberechtigten nach SGB XII sind nicht enthalten. *** 22 BT-Drucksache 19/6933, Unterrichtung durch die Bundesregierung vom 7. Januar 2019, Bericht des GKV-Spitzenverbandes zu den Erfahrungen mit der Einführung der Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit, S.8.