Zur sozialen Situation von Personen mit Migrationshintergrund Die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000-127/10 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Zur sozialen Situation von Personen mit Migrationshintergrund Die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt Aktenzeichen: WD 6 – 3000-127/10 Abschluss der Arbeit: 22. Juni 2010 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Inhaltsverzeichnis 1. Personen mit Migrationshintergrund 4 1.1. Der Begriff der Integration 4 2. Die Integration in den Arbeitsmarkt von Personen mit Migrationshintergrund 5 2.1. Junge Migrantinnen und Migranten am Arbeitsmarkt 7 3. Personen mit Migrationshintergrund im Rechtskreis des SGB II 8 3.1. Sprachkurse für Personen mit Migrationshintergrund 10 4. Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) für Personen mit Migrationshintergrund 11 1. Personen mit Migrationshintergrund Gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes gehört zu den Personen mit Migrationshintergrund die ausländische Bevölkerung – unabhängig davon, ob sie im Inland oder im Ausland geboren wurde – sowie alle Zugewanderten unabhängig von ihrer Nationalität. Daneben zählen zu den Personen mit Migrationshintergrund auch die in Deutschland geborenen eingebürgerten Ausländer sowie eine Reihe von in Deutschland Geborenen mit deutscher Staatsangehörigkeit , bei denen sich der Migrationshintergrund aus dem Migrationsstatus der Eltern ableitet. Zu den Letztgenannten gehören die deutschen Kinder (Nachkommen der ersten Generation) von Spätaussiedlern und Eingebürgerten und zwar auch dann, wenn nur ein Elternteil diese Bedingung erfüllt, während der andere keinen Migrationshintergrund aufweist. Außerdem gehören zu dieser Gruppe seit 2000 auch die (deutschen) Kinder ausländischer Eltern, die die Bedingungen für das Optionsmodell erfüllen, das heißt mit einer deutschen und einer ausländischen Staatsangehörigkeit in Deutschland geboren wurden.1 In Deutschland leben laut Mikronzensus 2005 etwas mehr als 15 Millionen Menschen mit einem Migrationshintergrund, das sind 18,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. 10,3 Millionen haben eine eigene Migrationserfahrung.2 Der Mikrozensus 2006 weist nur einen geringen Anstieg der Personen mit Migrationshintergrund aus. Demnach sind es 130.000 Personen mehr. Mit dem Mikrozensus 2005 konnte das Statistische Bundesamt erstmals wichtige Strukturmerkmale der Bevölkerung mit Migrationshintergrund darstellen. Sie ist deutlich jünger als die deutsche Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Jeder zweite Einwohner mit Migrationshintergrund ist jünger als 34,2 Jahre, für die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund liegt dieses Medianalter bei 46,5 Jahren. In der Altersgruppe der unter 5-jährigen Kinder gehört jeder dritte Einwohner zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund. 98 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund leben im früheren Bundesgebiet und in Berlin.3 1.1. Der Begriff der Integration Unter Integration ist die gleichberechtigte Teilhabe an den ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Ressourcen der Gesellschaft zu verstehen.4 Die Integration in den Arbeitsmarkt gilt dann als erreicht, wenn die Teilnahme am Erwerbsleben 1 STATISTISCHES BUNDESAMT, Fachserie 1, Reihe 2.2. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2008, S. 332. 2 ebd., S. 322. 3 Bericht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Abrufbar im Internet unter: www.migration-info.de. 4 FILSINGER, Dieter (2008). Bedingungen erfolgreicher Integration –Integrationsmonitoring und Evaluation. Friedrich -Ebert-Stiftung (Hrsg.), Bonn, S. 4. von Migrantinnen und Migranten identisch mit der von Einheimischen mit vergleichbaren Qualifikationen ist. Messbar ist dies zum Beispiel mit der Erwerbstätigenquote und der Erwerbslosenquote . Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in das Erwerbssystem einer modernen Dienstleistungsgesellschaft ist eine adäquate Ausbildung, denn Bildung bestimmt in starkem Maße die Entwicklungs- und Handlungschancen des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt, im Privatleben und als Bürger. Ein zentraler Aspekt der Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten ist deren Bildungsbeteiligung.5 Zwei wichtige Indikatoren der Beschäftigung sind die Erwerbsbeteiligung, die sich aus dem Anteil der Erwerbstätigen und Arbeitslosen an den Personen zwischen 15 und 65 Jahren bemisst, sowie die Erwerbstätigkeit, die zusätzlich die Selbstständigen mit einbezieht.6 Von einer relativ erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt kann zum Beispiel auch dann gesprochen werden, wenn die Arbeitslosenquote ausländischer Personen überhaupt nicht oder nur geringfügig von der Quote deutscher Arbeitnehmer nach oben abweicht.7 2. Die Integration in den Arbeitsmarkt von Personen mit Migrationshintergrund Insgesamt betrachtet sind Zuwanderer in Deutschland gegenüber der einheimischen Bevölkerung im Nachteil. Das gilt auch für die zweite (und mittlerweile dritte) Zuwanderergeneration, die häufig über eine eher niedrige Schulausbildung verfügt. Die Arbeitslosigkeit ist bei allen Ausländern – bei weiter zunehmenden Gefälle – deutlich höher als in der deutschen Gesamtbevölkerung. „Auffällig ist der markante Anstieg der Arbeitslosigkeit von Türken in Deutschland mit einem Anstieg von 10 Prozent im Jahr 1990 auf 24 Prozent im Jahr 1997 und erneut um gut 23 Prozent im Jahr 2002.“8 Der Leiter der Arbeitsgruppe Migration und Integration am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Elmar Hönekopp, spricht von einem „dramatischen“ Rückgang der Erwerbsbeteiligung der Ausländer in Deutschland.9 Die Erwerbsbeteiligung habe sich in den vergangenen 15 Jahren bei Deutschen und Ausländern in zwei grundsätzlich verschiedene Richtungen entwickelt . Während sie bei den Deutschen tendenziell steige – insbesondere wegen der zunehmenden 5 WILKENS, Ingrid (2008). Migration, Bildung und Beschäftigung – Die Situation in Deutschland. In: Migration und Soziale Arbeit, 30. Jg., Heft 3/4, S. 172ff. 6 ebd., S. 174. 7 RIESEN, Ilona (2009). Der IW-Integrationsmonitor. In: IW-Trends, Heft 2, S. 3. 8 ZIMMERMANN, Klaus F.; KAHANEC, Martin; CONSTANT, Amelie u.a. (2008). Studie über die soziale Eingliederung und Arbeitsmarktintegration ethnischer Minderheiten. In: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), Research Report No. 16, Bonn, S. 31. 9 HÖNEKOPP, Elmar (2008). Migranten auf dem Arbeitsmarkt. Integration verlangt mehr Qualifizierung und bessere Arbeitsmarktchancen. In: Personalführung, Heft 2, S. 23. Erwerbsbeteiligung von Frauen – falle sie bei Ausländern deutlich zurück. Allerdings müssen die einzelnen Gruppen differenziert betrachtet werden. So haben die so genannten „EU-14-Ausländer“ (Angehörige der EU-Länder vor der jüngsten Erweiterung) in etwa gleich hohe Erwerbstätigenquoten wie Deutsche. Hönekopp zeigt unter anderem auf, dass aufgrund des Strukturwandels die Arbeitslosigkeit von Ausländern in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen ist. Auf manchen regionalen Arbeitsmärkten liege die Arbeitslosenquote bei ausländischen Arbeitskräften bei 40 Prozent und dabei seien es die „Unqualifizierten“, die immer stärker die Arbeitslosigkeit prägen.10 Die Arbeitsmarktintegration von Personen mit Migrationshintergrund ist seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts schwierig und bis heute ist der Zugang in den deutschen Arbeitsmarkt für Menschen mit Migrationshintergrund weniger erfolgreich als für Menschen ohne Migrationshintergrund . Laut Mikrozensus 2005 wiesen 29 Prozent der Erwerbslosen einen Migrationshintergrund auf. Deutlich mehr als die Hälfte dieser Erwerbslosen (59 Prozent) sind Ausländerinnen und Ausländer , 23 Prozent sind (Spät-)Aussiedlerinnen und –aussiedler und 18 Prozent sind Eingebürgerte bzw. als Deutsche Geborene.11 Die Erwerbslosenquote von Menschen mit Migrationshintergrund liegt mit 18 Prozent fast doppelt so hoch wie bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (10 Prozent).12 Nach den Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) verfügen drei von zehn Personen mit Migrationsmerkmal (29,4 Prozent) im mittleren Erwerbsalter über keine formale berufliche Qualifikation . Für die nichtdeutschen Personen fällt dieser Anteil mit 39,3 Prozent dreimal höher aus als etwa bei den Aussiedlern mit 12,4 Prozent. Immerhin noch 18,4 Prozent der zweiten Zuwanderergeneration fehlt der berufliche Bildungsabschluss. Nach den Daten des Mikrozensus 2005 sind insgesamt 40,6 Prozent der Migrantinnen und Migranten ohne beruflichen Bildungsabschluss, wobei Zuwanderer und Zuwanderinnen aus der Türkei und aus den sonstigen ehemaligen Anwerberstaaten die höchsten Quoten aufweisen. Von den Deutschen ohne Migrationshintergrund haben 13,1 Prozent keinen beruflichen Abschluss.13 Vgl. auch die vom Statistischen Bundesamt zusammengestellten Daten zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund . 10 ebd., S. 26. 11 FILSINGER (2008). S., 19ff. 12 ebd., S. 20. 13 ebd., S. 20. Anlage 1 2.1. Junge Migrantinnen und Migranten am Arbeitsmarkt Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat mit Hilfe des Mikrozensus 2005 die Arbeitsmarktsituation von jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund untersucht.14 Junge Erwachsene sind die 26-bis 35-Jährigen, eine Altersgruppe, die ihre nicht-akademische Ausbildung im Wesentlichen beendet hat. Die untersuchten Gruppen waren Deutsche ohne Migrationshintergrund, (Spät-)Aussiedler, Deutsche türkischer Herkunft, Deutsche sonstiger Herkunft, Türkische Staatsangehörige und sonstige Ausländer. In der Studie ging es insbesondere um die Frage, welche beruflichen Bildungsabschlüsse die Bildungsinländer (also diejenigen, die in Deutschland eine schulische wie berufliche Ausbildung absolviert haben) im Alter zwischen 26 und 35 Jahren haben und ob sie mit den erlangten Ausbildungsabschlüssen vergleichbare Verwertungschancen auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen wie einheimische Ausbildungsabsolventen. Von Deutschen ohne Migrationshintergrund besitzen lediglich 2 Prozent keinen Schulabschluss, 25 Prozent erreichen einen Hauptschulabschluss, weitere 35 Prozent einen Realschulabschluss und 38 Prozent verfügen über ein (Fach)-abitur. (Spät-)Aussiedler und Deutsche mit sonstiger Herkunft sind mit jeweils 31 Prozent Hauptschulabsolventen im unteren Bereich der Bildungsskala etwas stärker vertreten als Einheimische. Bei den Deutschen mit türkischer Herkunft fällt der Abstand deutlicher aus. 8 Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluss, 45 Prozent haben einen Hauptschulabschluss. Türkische Staatsangehörige schneiden mit 13 Prozent ohne Schulabschluss und 58 Prozent Hauptschulabschluss schlechter ab als die eingebürgerten Türken. Insgesamt unterscheiden sich junge Erwachsene mit Migrationshintergrund erkennbar von den Einheimischen hinsichtlich ihrer schulischen Vorbildung. Die Unterschiede fallen für die Personen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit deutlicher aus, als für die Eingebürgerten.15 Eines der Ergebnisse dieser Studie ist, dass die Erwerbstätigenquoten höher ausfallen, wenn die befragten Personen einen Schulabschluss haben. Während unter den Einheimischen ohne Ausbildung nur 76 Prozent der Erwerbspersonen auch tatsächlich erwerbstätig sind, liegt dieser Anteil bei denen mit Abschluss bei 92 Prozent.16 „Ausbildung ist also bei Deutschen ohne Migrationshintergrund ein wirksamer Schutz gegen Erwerbslosigkeit . Das gilt aber auch für die hier untersuchten Migrantengruppen, die allesamt deutlich höhere Erwerbstätigenquoten aufweisen, wenn sie einen Ausbildungsabschluss besitzen.“17 14 SEIBERT, Holger (2008). Bildung und Einbürgerung verbessern die Chancen. In: IAB-Kurzbericht, Heft17. 15 ebd., S. 2ff. 16 ebd., S. 4. 17 ebd., S. 4 Am stärksten zeige sich das, so der Wissenschaftler Holger Seibert, bei der Gruppe der eingebürgerten Türken. Türkische Staatsangehörige seien aber selbst mit Ausbildungsabschluss seltener erwerbstätig als alle anderen Gruppen. Ein weiterer Indikator für die Integration am Arbeitsmarkt ist der Anteil der qualifiziert Tätigen an allen Erwerbstätigen in der jeweiligen Gruppe. Der Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten hängt vor allem vom Ausbildungsabschluss ab. Alle Gruppen gewinnen durch einen solchen Abschluss . Die Gewinne für Deutsche mit türkischer Herkunft fallen am höchsten aus. Gegenüber Personen ohne Ausbildung (27 Prozent) liegt der Anteil der qualifiziert Tätigen bei den Ausbildungsabsolventen mit 68 Prozent mehr als doppelt so hoch. „Zwar erreichen sie auch nicht das Niveau der einheimischen Ausbildungsabsolventen, aber sie sind zumindest ähnlich erfolgreich wie die übrigen Migranten.“18 Türkische Staatsangehörige, so das Ergebnis der Untersuchung, können dagegen ihre Ausbildungsabschlüsse deutlich schlechter verwerten als alle Vergleichsgruppen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bis auf die (Spät-)Aussiedler alle anderen Gruppen signifikant niedrigere Arbeitsmarktchancen haben als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Die besondere Benachteiligung der Ausbildungsabsolventen mit türkischer Staatsangehörigkeit wirft Fragen nach möglicher institutioneller Diskriminierung, aber auch nach einem möglichen Mangel an wichtigen arbeitsmarktrelevanten Ressourcen auf. „Auch wenn man verschiedene Einflussgrößen berücksichtigt, bleiben für die meisten Migrantengruppen signifikante Nachteile bestehen. Die Gruppe der türkischen Staatsbürger ist davon besonders betroffen. Ihren Landsleuten mit deutschem Pass gelingt hingegen nach Abschluss einer Ausbildung eine vergleichbare Arbeitsmarktintegration wie den übrigen Migrantengruppen. (Spät-)Aussiedler sind mit ihren schulischen und beruflichen Bildungsabschlüssen zwar weniger gut ausgestattet als die deutschen ohne Migrationshintergrund, dennoch gelingt zumindest der hier untersuchten Altersgruppe eine relativ reibungslose Integration in den Arbeitsmarkt.“19 3. Personen mit Migrationshintergrund im Rechtskreis des SGB II Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eine Studie zum Thema „Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund“ gefördert, die unter anderem von Institut für Arbeit und Qualifikation, der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung durchgeführt und verfasst wurde.20 18 ebd., S. 5 19 ebd., S. 6. 20 Der Abschlussbericht liegt seit Oktober 2009 vor und ist im Internet abrufbar: http://www.bmas.de/portal/39948/property=pdf/f395__forschungsbericht.pdf (zuletzt abgerufen am 21. Juni 2010). Die Studie gibt erstmals Auskunft über den Anteil von Personen mit Migrationshintergrund im Bezug von Arbeitslosengeld II sowie über das relative Gewicht einzelner Herkunftsgruppen von Migrantinnen und Migranten im Rechtskreis des SGB II. Es wurde unter anderem untersucht, ob und in welcher Hinsicht sich die soziale Lage von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet und ob Migrantinnen und Migranten von der Einführung des SGB II in anderer Weise betroffen waren als Deutsche ohne Migrationshintergrund.21 Etwa 28 Prozent der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund . Insgesamt sind Migrantinnen und Migranten mit einem etwa doppelt so hohen Anteil von Hilfebedürftigkeit betroffen wie Deutsche ohne Migrationshintergrund. Die Mehrheit der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit Migrationshintergrund stammt aus Osteuropa einschließlich der GUS sowie aus der Türkei. Die Mehrheit der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit Migrationshintergrund gehört der ersten Migrationsgeneration an, ist also im Ausland geboren und selbst zugewandert. Die Hilfequote, also der Anteil von Arbeitslosengeld-II-Empfängern in einer definierten Personengruppe im Alter zwischen 15 und 64 Jahren ist unter der ersten Migrationsgeneration (den selbst Gewanderten) etwas eben so hoch wie unter der zweiten Generation (den in Deutschland Geborenen).22 Unabhängig vom Migrationshintergrund haben ehemalige Empfänger von Sozialhilfe im Zusammenhang mit der Leistungsreform häufiger finanziell gewonnen als ehemalige Bezieher von Arbeitslosenhilfe . Da sich Bedürftige mit Migrationshintergrund zu höheren Anteilen im Sozialhilfebezug befanden als Bedürftige ohne Migrationshintergrund, konnten Migrantenhaushalte im Langzeitbezug im Zuge der Reform ihr Haushaltseinkommen um durchschnittlich 50 Euro monatlich steigern, während entsprechende Haushalte ohne Migrationshintergrund im Durchschnitt 14 Euro verloren haben. Der Studie zufolge sind erwerbsfähige Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund jünger und haben häufiger keinen, aber auch häufiger höhere Schul- und Berufsabschlüsse – einschließlich akademischer Grade – erworben als erwerbsfähige Hilfebedürftige ohne Migrationshintergrund. Hierin spiegelt sich, so die Wissenschaftler, dass mittlere Berufsabschlüsse, wie sie das deutsche Duale System der Berufsausbildung vermittelt, in den Herkunftsländern geringere oder gar keine Bedeutung haben. Hinzu kommt, dass im Ausland erworbene, in Deutschland aber nicht anerkannte berufliche oder akademische Abschlüsse in der Statistik, weitgehend aber auch in der Vermittlungspraxis, als 21 Es wird aus der Kurzfassung der Ergebnisse zu dieser Studie zitiert, S. 1 bis 6. Abrufbar im Internet unter: http://www.bmas.de/portal/39944/property=pdf/f394__f395__zusammenfassung__der__berichte.pdf (zuletzt abgerufen am 21. Juni 2010). 22 Vgl. auch die Darstellungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ). Abrufbar im Internet unter: http://www.iaq.uni-due.de/projekt/2007/gsm.php (Zuletzt abgerufen am 21. Juni 2010). nichtexistent behandelt werden. Von (Spät-)Aussiedlerinnen und –Aussiedlern und von sonstigen Personen aus Mittel- und Osteuropa einschließlich GUS wird in der Befragung deutlich häufiger, so die Wissenschaftler, von nicht anerkannten Abschlüssen berichtet als vom Fehlen jeglichen berufsqualifizierenden Abschlusses .23 Die Bundesregierung hat am 9. Dezember 2009 Eckpunkte zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und Berufsabschlüssen verabschiedet. Zudem haben die Bundestagsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die LINKEN. entsprechende Gesetzesanträge eingebracht. Anlage 2 Das Fehlen jeglicher Berufsqualifikation komme, so die Studie, bei der türkischen Herkunftsgruppe am häufigsten von allen Gruppen vor. Alarmierend sei der hohe Anteil von weiblichen Jugendlichen türkischer sowie mittel- und osteuropäischer Herkunft (einschließlich GUS), die weder einen Berufsabschluss aufweisen noch aktuell in Ausbildung sind. Zu etwa einem Drittel geben die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit Migrationshintergrund an, dass ihnen die mündliche Verständigung in deutscher Sprache „eher schwer“ oder gar „sehr schwer“ falle. Von Sprachdefiziten am stärksten betroffen, so die Wissenschaftler, sind die Migrantinnen und Migranten aus Mittel- und Osteuropa (einschließlich GUS), dicht gefolgt von der türkischen Herkunftsgruppe. 3.1. Sprachkurse für Personen mit Migrationshintergrund Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente24 wurde im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) der § 3 um Absatz 2b ergänzt, demgemäß die Agentur für Arbeit darauf hinzuwirken hat, „dass erwerbsfähige Hilfebedürftige, die nicht über deutsche Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprache verfügen (…) an einem Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes teilnehmen, sofern sie nicht unmittelbar in eine Ausbildung oder Arbeit vermittelt werden können und ihnen eine Teilnahme an einem Integrationskurs daneben nicht zumutbar ist. Eine Verpflichtung zur Teilnahme ist in die Eingliederungsvereinbarung als vorrangige Maßnahme aufzunehmen.“ In der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung heißt es, dass ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache eine wesentliche, zum Teil die entscheidende Voraussetzung zur 23 Vgl. zu dieser Thematik auch: BRUSSIG, Martin; DITTMAR, Vera; KNUTH, Matthias (2009). Verschenkte Potenziale . Fehlende Anerkennung von Qualifikationsabschlüssen erschwert die Erwerbsintegration von ALG-II- Bezieher/innen mit Migrationshintergrund. IAQ-Report 2009-08. Abrufbar im Internet unter: http://www.iaq.unidue .de/iaq-report/2009/report2009-08.pdf (zuletzt abgerufen am 21. Juni 2010). 24 Drs. 16/10810. Eingliederung in den Arbeitsmarkt seien. Mit der Regelung in § 3 Abs. 2b SGB II werde aber keine neue Grundlage für die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs geschaffen. Es handele sich vielmehr um die programmatische Aufforderung an die Träger, bei den in der Regelung genannten Personen auf die Teilnahme an einem für ihre berufliche Perspektive geeigneten Sprachkurs hinzuwirken, indem Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben werden können.25 Die Bundesagentur für Arbeit weist in der Anlage zur Geschäftsanweisung 19/2009 zum SGB II des Weiteren darauf hin, dass die Vermittlung von berufsbezogenen Sprachkenntnissen (Deutsch oder Fremdsprache) Bestandteil von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 46 SGB III sein kann. Die Vermittlung von berufsbezogenen Sprachkenntnissen ist auf die Dauer von acht Wochen begrenzt. Eine darüber hinaus gehende Vermittlung berufsbezogener Sprachkenntnisse kann im Rahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung unter den Voraussetzungen von § 16 SGB II i.V.m. §§ 77 ff SGB III erfolgen.26 4. Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) für Personen mit Migrationshintergrund Gemäß § 25 ff. AGG wurde eine Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes beim Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend eingerichtet. Im Bericht über Schwerpunkte und Arbeit der Antidiskriminierungsstelle für die Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 21. April 2010 heißt es unter anderem , dass im Zeitraum von August 2006 bis März 2010 insgesamt 562 Beratungen zur Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft durchgeführt wurden. Insgesamt gab es in diesem Zeitraum 9.598 Kontakte mit (vermeintlich) Betroffenen nach dem AGG. Damit machen die Beratungen zur Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft 15,26 Prozent aus. Sie stehen an dritter Stelle, hinter Beratungen wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (24,19 Prozent) und aufgrund des Alters (18,95 Prozent).27 Das AGG hat nicht, wie von vielen Seiten befürchtet, eine Klagewelle ausgelöst. Die juristische Datenbank JURIS verzeichnete bis August 2008 nur 251 Klagen zum Stichwort „Normen AGG“.28 25 Drs., 16/10810, S. 45ff. 26 BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT (2009). SGB II – Arbeitshilfe. Vermittlungsunterstützende Leistungen. Anlage zur Geschäftsanweisung 19/2009, S. 23 ff. 27 Der Bericht ist abrufbar im Internet unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/ADS/Antidiskriminierungsstelle/aktuelles,did=134924.html (zuletzt abgerufen am 21. Juni 2010). 28 RAASCH,, Sybille; Rastetter, Daniela (2009). Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis. Projektbericht. Universität Hamburg, S. 4. Die Studie der Universität Hamburg zur Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis hat ergeben, dass in der Mehrzahl der befragten Unternehmen die Einstellungspraxis dahingehend verändert wurde, dass man sie auf Konformität mit dem AGG hin überprüft hat.29 Gefragt wurden die Unternehmen auch, ob sie religiöse oder weltanschauliche Zeichen zulassen. Hier können drei Gruppen unterschieden werden. Die erste Gruppe mit ca. einem Viertel der Befragten, duldete zum Beispiel das das Kopftuch nicht. Eine zweite Gruppe mit knapp der Hälfte der Befragten hatte keine Probleme mit Kopftuch tragenden Beschäftigten und die dritte Gruppe mit dem restlichen Viertel der Betriebe differenzierte bei eingeschränkter Toleranz.30 Nach Einschätzung der Wissenschaftler zeigen die Ergebnisse, dass in ungefähr der Hälfte der Betriebe Vorbehalte gegenüber diesem religiösen Zeichen bestehen, die entweder generell oder bei bestimmten Arbeitnehmergruppen zum Tragen kommen. „Im Grunde ist jede Ablehnung einer Bewerbung aufgrund eines weltanschaulichen Zeichens ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG, wenn nicht eine bestimmte Religion eine nach Art der Tätigkeit gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“31 Auf die Frage, ob sich in dem unternehmen etwas ändern müsste, um vorhandene Benachteiligung abzubauen, kritisierten nur zwei betriebliche Akteure Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft. Die Wissenschaftler deuten diese geringe Zahl dahingehend, dass die Probleme von Migranten noch nicht ins Blickfeld gerückt seien, einfach weil es sie in vielen Positionen gar nicht gebe.32 (Daniela Christ) 29 ebd., S. 15. 30 ebd., S. 22 ff. 31 ebd., S. 23. 32 ebd., S. 29. Literaturverzeichnis: BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES (2009). Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund. Projekt IIa1-04/06. Abschlussbericht. Hauptband. Duisburg. BRUSSIG, Martin; DITTMAR, Vera; KNUTH, Matthias (2009). Verschenkte Potenziale. Fehlende Anerkennung von Qualifikationsabschlüssen erschwert die Erwerbsintegration von ALG-II- Bezieher/innen mit Migrationshintergrund. IAQ-Report 2009-08. FILSINGER, Dieter (2008). Bedingungen erfolgreicher Integration –Integrationsmonitoring und Evaluation. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Bonn. HÖNEKOPP, Elmar (2008). Migranten auf dem Arbeitsmarkt. Integration verlangt mehr Qualifizierung und bessere Arbeitsmarktchancen. In: Personalführung, Heft 2, S. 21-29. RAASCH, Sybille; Rastetter, Daniela (2009). Die Anwendung des AGG in der betrieblichen Praxis . Projektbericht. Universität Hamburg. RIESEN, Ilona (2009). Der IW-Integrationsmonitor. In: IW-Trends, Heft 2, S. 1-17. SEIBERT, Holger (2008). Bildung und Einbürgerung verbessern die Chancen. In: IAB-Kurzbericht, Heft 17, S. 1-8. STATISTISCHES BUNDESAMT, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2008. Fachserie 1 Reihe 2.2. WILKENS, Ingrid (2008). Migration, Bildung und Beschäftigung – Die Situation in Deutschland. In: Migration und Soziale Arbeit, 30. Jg., Heft 3/4, S. ZIMMERMANN, Klaus F.; KAHANEC, Martin; CONSTANT, Amelie u.a. (2008). Studie über die soziale Eingliederung und Arbeitsmarktintegration ethnischer Minderheiten. In: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), Research Report No. 16, Bonn.