© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 123/16 Tarifvertragliche Regelungen für arbeitnehmerähnliche Personen nach dem Tarifvertragsgesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 123/16 Seite 2 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Tarifvertragliche Regelungen für arbeitnehmerähnliche Personen nach dem Tarifvertragsgesetz Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 123/16 Abschluss der Arbeit: 19. Oktober 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 123/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Arbeitnehmerähnliche Personen im Arbeitsrecht 4 2. Gesetzliche Regelung im Tarifvertragsrecht 5 3. Rechtspraxis 6 4. Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person 6 4.1. Fehlende persönliche Abhängigkeit 6 4.2. Wirtschaftliche Abhängigkeit 6 4.3. Soziale Schutzbedürftigkeit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 123/16 Seite 4 1. Arbeitnehmerähnliche Personen im Arbeitsrecht Grundsätzlich ist das Arbeitsverhältnis streng von einem freien oder selbständigen Dienstvertrag oder einem Werkvertrag zu unterscheiden. Maßgebliches Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Arbeitsvertrag und dem freien Dienstvertrag ist die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers durch Eingliederung in die betriebliche Organisation und das Weisungsrecht des Arbeitgebers .1 Dem steht die grundsätzliche Freiheit des freien Dienstnehmers in der Gestaltung seiner Tätigkeit und der Bestimmung seiner Arbeitszeit gegenüber. Beim Werkvertrag kommt der Unterschied in der geschuldeten Leistung hinzu; denn anders als Arbeits- und Dienstvertrag hat er ein bestimmtes Ergebnis zum Gegenstand. Sogenannte arbeitnehmerähnliche Personen „sind zwar wegen ihrer fehlenden Eingliederung in eine betriebliche Organisation und im Wesentlichen freien Zeitbestimmung nicht in gleichem Maße persönlich abhängig wie Arbeitnehmer, also selbständig tätig, wirtschaftlich aber abhängig und einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig. […] Deshalb sind auf sie viele arbeitsrechtliche Vorschriften aufgrund eines Gesetzes oder einer Analogie anzuwenden. […] Sie haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, auf Pflegezeit und Familienpflegezeit sowie auf Schutz vor Benachteiligung, Belästigung und sexueller Belästigung. Bei Kündigung haben sie Anspruch auf die Einhaltung von Kündigungsfristen nach dem Kündigungsschutzgesetz und auf Zeugniserteilung. Für ihre Rechtsstreitigkeiten sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig .“2 Nach den Bildungsgesetzen einiger Bundesländer genießen sie außerdem Anspruch auf Bildungsurlaub.3 Dagegen findet das Mindestlohngesetz für arbeitnehmerähnliche Personen keine Anwendung.4 Nur in einigen Gesetzen wird der Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person ausdrücklich verwendet . Dies ist der Fall in § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG), § 2 Satz 2 des Bundesurlaubsgesetzes, § 1 Abs. 2 Nr. 1, 2. Halbsatz des Beschäftigungsschutzgesetzes sowie in § 12a Abs. 1 Nr. 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG). Dabei wird der Begriff nicht einheitlich gefasst . Zumeist wird das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit in den Mittelpunkt gestellt, lediglich § 12a TVG nimmt explizit auch auf die soziale Schutzbedürftigkeit Bezug. 1 Vgl. im Einzelnen zu den Kriterien der persönlichen Abhängigkeit z. B. Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht , 16. Auflage 2016, § 611 BGB Rn. 50 ff.; BAG, Urteil vom 30. November 1994 - 5 AZR 704/93, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 74. 2 Viethen, Hans Peter, Grundlagen des Arbeitsrechts, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hrsg.), Übersicht über das Arbeitsrecht/Arbeitsschutzrecht, Ausgabe 2016/2016, Rn. 29. 3 Reinecke/Rachor in Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 12a Rn. 3. 4 Viethen, Hans Peter, Arbeitsvertragsrecht, in: BMAS (Hrsg.), Übersicht über das Arbeitsrecht/Arbeitsschutzrecht , Ausgabe 2016/2016, Rn. 185; Dobmann in Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, § 22 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 123/16 Seite 5 2. Gesetzliche Regelung im Tarifvertragsrecht Der Tarifvertrag regelt nach § 1 Abs. 1 TVG die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können. Tarifverträge können damit grundsätzlich nur das Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer regeln, nicht hingegen Rechtsverhältnisse selbständiger Personen, die für einen Auftraggeber tätig werden, unabhängig davon, ob es sich um freie Dienstverträge, Werkverträge, Werklieferungsverträge oder ein anderes Schuldverhältnis handelt. § 12a TVG nimmt jedoch auch auf arbeitnehmerähnliche Personen Bezug, deren Rechtsverhältnisse mit ihren jeweiligen Vertragspartnern danach ebenfalls in tarifvertraglichen Rechtsnormen geregelt werden können. § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG definiert die Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Personen folgendermaßen : „[…] Personen, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind (arbeitnehmerähnliche Personen), wenn sie auf Grund von Dienst- oder Werkverträgen für andere Personen tätig sind, die geschuldeten Leistungen persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringen und – a) überwiegend für eine Person tätig sind oder – b) ihnen von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihnen für ihre Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht; ist dies nicht voraussehbar, so sind für die Berechnung , soweit im Tarifvertrag nichts anderes vereinbart ist, jeweils die letzten sechs Monate, bei kürzerer Dauer der Tätigkeit dieser Zeitraum, maßgebend.“ Eine Sondergruppeneinteilung enthält § 12a Abs. 3 TVG, wonach die Regelung auf Personen, die künstlerische, schriftstellerische oder journalistische Leistungen erbringen, sowie Personen, die an der Erbringung, insbesondere der technischen Gestaltung solcher Leistungen unmittelbar mitwirken , Anwendung findet, wenn ihnen abweichend von § 12a Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe b erster Halbsatz TVG von einer Person im Durchschnitt mindestens ein Drittel des Entgelts zusteht, das ihnen für ihre Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht. Demgegenüber sind nach § 12a Abs. 4 TVG selbständige Handelsvertreter im Sinne des § 84 des Handelsgesetzbuchs ausgeschlossen. Die Regelung gilt nach allgemeiner Ansicht auch nicht für in Heimarbeit Beschäftigte, da insoweit die Bestimmungen § 17 des Heimarbeitsgesetzes als abschließend betrachtet werden.5 5 Reinecke/Rachor in Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 12a Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 123/16 Seite 6 3. Rechtspraxis § 12a TVG, der 1974 durch das Heimarbeitsänderungsgesetz6 eingeführt wurde, hat in der tariflichen Praxis bisher nur geringe Bedeutung. Die mit der Regelung eröffneten tariflichen Gestaltungsmöglichkeiten werden von den Sozialpartnern kaum genutzt und haben sich bisher lediglich im Bereich der freien Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie der Zeitungen durchgesetzt.7 Dies erscheint wenig überraschend, da sie auch die Hauptzielgruppe der Regelung waren.8 4. Begriff der arbeitnehmerähnlichen Person Freie Mitarbeiter im Sinne des § 12a Abs. 1 TVG, wie sie vor allem im Medienbereich vorkommen , können rechtlich nicht einheitlich als arbeitnehmerähnliche Personen eingeordnet werden. „Je nach Grad ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit sind sie als Arbeitnehmer, arbeitnehmerähnliche Personen oder Selbständige anzusehen.“9 4.1. Fehlende persönliche Abhängigkeit Nach § 12a Abs. 1 Halbsatz 1 TVG muss die arbeitnehmerähnliche Person aufgrund eines Dienstoder Werkvertrags tätig werden. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass keine persönliche Abhängigkeit vorliegt, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) das Arbeitsverhältnis charakterisiert.10 4.2. Wirtschaftliche Abhängigkeit Die wirtschaftliche Abhängigkeit, die eine arbeitnehmerähnliche Person kennzeichnet, wird durch § 12a Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a und b TVG näher konkretisiert. Danach ist eine Person wirtschaftlich abhängig, wenn sie in zeitlicher (Buchstabe a) oder finanzieller (Buchstabe b) Hinsicht im Wesentlichen nur einen Auftraggeber hat. „Für beide Konstellationen geht der Gesetzgeber zwingend von einer Angewiesenheit des Beschäftigten auf den Erwerb zur Sicherung seiner 6 BGBl. I S. 2879. 7 Reinecke/Rachor in Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, Rn. 9; vgl z. B. Tarifvertrag für Freie Mitarbeiterinnen und Freie Mitarbeiter des Mitteldeutschen Rundfunks, abrufbar im Internetauftritt der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di: https://rundfunk.verdi.de/++file++5645c43f7713b8087600041a/download /Tarifvertrag%20f%C3%BCr%20freie%20Mitarbeiter.pdf und Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche freie Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen, abrufbar im Internetauftritt von Ver.di: https://dju.verdi.de/++file++5200c2e16f6844774400009c/download/%5CBLNPFS01%5Cjournal$%5CRelaunch %5CTarif%5CTV_Zeitung_Freie_2011_WEB.pdf (letzter Abruf jeweils: 17. Oktober 2016). 8 Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage 2016, § 611 BGB Rn. 50 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. 9 Viethen, Grundlagen des Arbeitsrechts (Fn. 2), Rn. 31. 10 Siehe oben Fn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 123/16 Seite 7 wirtschaftlichen Existenz aus. Daraus folgt zugleich, dass der Status ‚arbeitnehmerähnliche Person ‘ regelmäßig nur bejaht werden kann, wenn der Beschäftigte entweder aufgrund eines auf eine gewisse Dauer angelegten Vertrags tätig wird oder auf der Grundlage eines Rahmenvertrags Einzelaufträge erhält, die zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit führen.“11 Nach § 12a Abs. 1 Buchstabe b TVG („überwiegend“) muss die Person mindestens die Hälfte ihres Erwerbseinkommens von einer Person beziehen. Mehrere Auftraggeber werden dabei nach § 12a Abs. 2 TVG zu einem einzigen Auftraggeber zusammengefasst, wenn es sich um Konzerne oder um Organisations- oder Arbeitsgemeinschaften handelt. „Letzteres kommt vor allem für die Auftragnehmer der in der ARD zusammengefassten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum Tragen.“12 Auf die Festlegung von Verdienstobergrenzen hat der Gesetzgeber verzichtet. Die wirtschaftliche Abhängigkeit entfällt nach der Rechtsprechung des BAG nur dann, wenn ein anderweitiger Verdienst den Tätigen unabhängig macht.13 Dabei sollen andere Einkommensarten (Einkünfte aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung etc.) außer Betracht bleiben.14 4.3. Soziale Schutzbedürftigkeit § 12a TVG setzt neben der wirtschaftlichen Abhängigkeit voraus, dass der Tätige „vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig“ ist. „Die Formulierung geht auf die vom BAG zu § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG genutzte Wendung zurück, der wirtschaftlich Abhängige müsse seiner sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sein. Das bestimme sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls. Das Maß der Abhängigkeit müsse nach der Verkehrsanschauung einen solchen Grad erreichen, wie er im Allgemeinen nur in einem Arbeitsverhältnis vorkomme.“15 „Entscheidend für eine zulässige Konkretisierung des Merkmals der ‚sozialen Schutzbedürftigkeit ‘ soll nach der Rechtsprechung des BAG sein, ob eine für Arbeitnehmer typische Notwendigkeit besteht, die Arbeitskraft zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz zu verwerten.“16 In dem vorgegebenen Rahmen sind die Tarifvertragsparteien nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich „frei, den unbestimmten Rechtsbegriff der arbeitnehmerähnlichen Person im Sinne 11 Reinecke/Rachor in Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 12a Rn. 45. 12 Giesen in Beck'scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, 41. Edition, Stand: 1. September 2016, § 12a TVG Rn. 4. 13 Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage 2016, § 12a TVG Rn. 4. 14 Reinecke/Rachor in Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 12a Rn. 49. 15 Reinecke/Rachor in Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 12a Rn. 51; BAG, Urteil vom 2. Oktober 1990 – 4 AZR 106/90, AP TVG § 12 a Nr. 1. 16 Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage 2016, § 12a TVG Rn. 5; BAG, Urteil vom 2. Oktober 1990 – 4 AZR 106/90, AP TVG § 12 a Nr. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 123/16 Seite 8 des § 12a TVG auszufüllen, wenn sie den Geltungsbereich von Tarifverträgen für diesen Personenkreis festlegen wollen.“ 17 Sie können hierzu auch Entgeltgrenzen vorsehen, oberhalb derer die soziale Schutzbedürftigkeit fehlt.18 Ende der Bearbeitung 17 BAG, Urteil vom 15. Februar 2005 - 9 AZR 51/04, AP TVG § 12a Nr. 6. 18 BAG, Urteil vom 14. Dezember 2004 - 9 AZR 673/03, AP TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk Nr. 43.