© 2018 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 122/18 Anschaffung von Schulmaterialien nach dem SGB II Gesetzliche Grundlagen und ausgewählte Rechtsprechung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Ausblick 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 4 1. Einleitung Die Kosten für Schulmaterialien werden im Leistungssystem des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) grundsätzlich innerhalb der Regelbedarfsleistung und der Leistungen für Bildung und Teilhabe berücksichtigt. Die Leistungen für Bildung und Teilhabe beruhen im Wesentlichen auf dem Bildungs- und Teilhabepaket, das mit Wirkung vom 1. Januar 2011 im Rahmen des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Kraft trat.1 Ebenfalls mit diesem Gesetz wurden die Regelungen zur Ermittlung der Regelsätze auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt (Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch). Diese Neuregelung erfolgte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 20102 zum menschenwürdigen Existenzminimum. In dieser Entscheidung beanstandete das Gericht zwar nicht die Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II, aber die Art und Weise der Bemessung und gab dem Gesetzgeber auf, die Regelbedarfe nach dem SGB II und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) verfassungskonform neu zu bemessen. Es hob in diesem Urteil insbesondere den zusätzlichen Bedarf bei schulpflichtigen Kindern hervor und betonte , dass notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten zu ihrem existenziellen Bedarf gehörten. Ohne Deckung dieser Kosten drohe hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen, da sie ohne den Erwerb der notwendigen Materialien die Schule nicht erfolgreich besuchen könnten. Bei schulpflichtigen Kindern, deren Eltern Leistungen nach dem SGB II bezögen, bestehe die Gefahr, dass ohne hinreichende staatliche Leistungen ihre Möglichkeiten eingeschränkt würden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können. Dies sei mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nicht vereinbar.3 Im Folgenden werden zunächst die bestehenden gesetzlichen Regelungen des SGB II betreffend der Anschaffung von Schulmaterialien dargestellt und im Hinblick auf die Frage einer analogen Anwendung von § 21 Abs. 6 SGB II unter besonderer Berücksichtigung ausgewählter aktueller Entscheidungen von Sozialgerichten4 sowie einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen -Bremen vom 11. Dezember 20175 bewertet. 1 BGBl. I 2011 S. 453. 2 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09. 3 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, juris Rn. 192. 4 Sozialgericht Gotha, Urteil vom 17. August 2018 – S 26 AS 3971/17; Sozialgericht Stade, Beschluss vom 29. August 2018 – S 39 AS 102/18 ER; Sozialgericht Cottbus, Urteil vom 13. Oktober 2016 – S 42 AS 1914/13; Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 22. Dezember 2015 – S 37 AS 1175/15, Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 6. Februar 2018 – S 68 AS 344/18 ER sowie Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 28. August 2017 – S 30 AS 211/17. 5 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 5 2. Gesetzliche Regelungen 2.1. Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts § 20 Abs. 1 SGB II definiert den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Regelbedarf ist zentraler Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. § 20 Abs. 1 SGB II lautet wie folgt: „Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.“ Gemäß § 20 Abs. 1a SGB II in Verbindung mit § 28 Abs. 1 SGB XII wird bei Vorliegen der Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) die Höhe der Regelbedarfe in einem Bundesgesetz - hier zuletzt durch das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG) vom 22. Dezember 20166 auf Grundlage der EVS 2013 - neu ermittelt.7 Die Daten werden in einem fünfjährigen Turnus erhoben. Nach § 28 Abs. 4 SGB XII werden nur Ausgaben als regelbedarfsrelevant berücksichtigt, soweit sie zur Sicherung des Existenzminimums notwendig sind und eine einfache Lebensweise ermöglichen, wie sie einkommensschwache Haushalte aufweisen , die ihren Lebensunterhalt nicht ausschließlich aus Leistungen nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII bestreiten. Die regelsatzrelevanten Verbrauchsausgaben erfassen in unterschiedlichen Positionen auch Ausgaben für den Schulbedarf. So betragen die regelsatzrelevanten Verbrauchsausgaben für Kinder (6 bis unter 14 Jahre) und Jugendliche (14 bis unter 18 Jahren) in der Abteilung 09 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur) nach der Gesetzesbegründung für die Positionen: - Datenverarbeitungsgeräte sowie System- und Anwendungssoftware (einschließlich Downloads und Apps) monatlich durchschnittlich 2,88 Euro (für Jugendliche keine Angabe), 6 BGBl. I 2016 S. 3159. 7 In Jahren in denen keine Neuermittlung der Regelbedarfe nach § 29 SGB XII erfolgt, werden die Regelbedarfsstufen gemäß § 28a SGB XII aufgrund der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen sowie der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Mischindex) fortgeschrieben . Die Fortschreibung erfolgt durch die jährliche Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung nach § 40 SGB XII zum 1. Januar eines Jahres. Zuletzt durch die Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach den §§ 28a und 134 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2018 (RBSFV 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 6 - Bücher und Broschüren (einschließlich Downloads und Apps) monatlich durchschnittlich 2,63 Euro beziehungsweise 2,55 Euro, - sonstige Gebrauchsgüter für Schule, Büro, Unterhaltung und Freizeit monatlich durchschnittlich 2,88 Euro beziehungsweise 2,17 Euro.8 Laut der Gesetzesbegründung ist die Position „Schreibwaren, Zeichenmaterial und übrige Verbrauchsgüter “ für Kinder und Jugendliche von 6 bis unter 18 Jahren nicht regelbedarfsrelevant, da sie diese Güter gesondert über das Schulbedarfspaket erhalten.9 Der Gesetzgeber geht davon aus, dass „insbesondere die Anschaffung von Schulbüchern vom Regelbedarf umfasst [ist], soweit die Länder nicht ohnehin Lehrmittelfreiheit gewähren.“10 Mit dem Statistikmodell, welches der Ermittlung der Regelbedarfshöhe zugrunde liegt, hat der Gesetzgeber normativ festgelegt, dass sich die Regelbedarfe am Konsumniveau anderer Haushalte mit niedrigem Konsumniveau orientieren sollen. Dabei müssen die Einkommen der anderen Haushalte jedoch oberhalb des sich durch Leistungen nach SGB II oder SGB XII ergebenden Niveaus liegen, damit Personen, die ihren Lebensunterhalt selber erwirtschaften, besser gestellt werden als Personen, die ausschließlich von Transferleistungen leben.11 Am Beispiel der Anschaffung eines Computers wird in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass Leistungsberechtigte eigenständig entscheiden, welche Güter mit dem zur Verfügung gestellten Mitteln beschafft werden. Die Logik des Statistikmodells liege darin, „dass in der Realität nicht exakt die für die einzelnen regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben berücksichtigten Beträge anfallen , sondern die tatsächlichen Verbrauchsausgaben im Einzelfall davon abweichen.“12 Zur Höhe der Regelsätze für das Jahr 2018 sowie der Ermittlung der Regelbedarfe im Rahmen des RBEG wird auf einen Sachstand dieses Fachbereichs verwiesen.13 8 Vgl. Bundestagsdrucksache 18/9984, S. 66 f., 77 f. 9 Bundestagsdrucksache 18/9984, S. 67. 10 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 104. 11 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 51. 12 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 51. 13 Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste (2018): Regelsätze für SGB II-Leistungsempfänger. Regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben, Sachstand WD 6 – 3000 – 036/18 vom 23. März 2018, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/559808/d852008e0fa0bc860c54a8ca05ef2616/wd-6-036-18-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 4. Dezember 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 7 2.2. Persönlicher Schulbedarf nach § 28 Abs. 3 SGB II Die Regelung des § 28 SGB II wurde - wie bereits dargestellt - im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch eingeführt.14 „§ 28 Absatz 1 Satz 1 beschreibt einführend die in den Absätzen 2 bis 6 abschließend geregelten Bedarfe von Kindern und Jugendlichen in den Bereichen Bildung und Teilhabe.“15 Absatz 3 der Vorschrift regelt die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf: „Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf werden bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 1. August und 30 Euro zum 1. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt . Abweichend von Satz 1 werden bei Schülerinnen und Schülern, die im jeweiligen Schuljahr nach den in Satz 1 genannten Stichtagen erstmalig oder aufgrund einer Unterbrechung ihres Schulbesuches erneut in eine Schule aufgenommen werden, für den Monat, in dem der erste Schultag liegt, 70 Euro berücksichtigt, wenn dieser Tag in den Zeitraum von August bis Januar des Schuljahres fällt, oder 100 Euro berücksichtigt, wenn dieser Tag in den Zeitraum von Februar bis Juli des Schuljahres fällt.“ Diese sogenannte Schulbedarfspauschale in Höhe von 100 Euro pro Kind und Schuljahr, aufgeteilt in eine Zahlung von 70 Euro zum Schuljahresbeginn und 30 Euro zum Schulhalbjahr, ergänzt den Regelbedarf und dient der Anschaffung von Gegenständen, die für den Schulbesuch benötigt werden. In der Gesetzesbegründung sind beispielsweise vorgesehen: Schulranzen, Schulrucksack, Sportzeug, Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien (Füller, Kugelschreiber, Blei- und Malstifte, Taschenrechner, Geodreieck, Hefte und Mappen, Tinte, Radiergummis, Bastelmaterial , Knetmasse).16 Diese Aufzählung ist nicht abschließend.17 Allerdings sollen nach der Gesetzesbegründung die Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern nicht von § 28 Abs. 3 SGB II gedeckt sein, da diese vom Regelbedarf erfasst würden.18 Laut der Gesetzesbegründung wird eine Pauschale gewährt, da die Anforderungen an die persönliche Schulausstattung in den Bundesländern divergieren und eine konkrete Bedarfsermittlung daher einen erheblichen Verwaltungsaufwand bedeute. Darüber hinaus handele es sich bei der Schulbedarfspauschale um eine ergänzende Leistung.19 Für die Begründung der Summe verweist die Bundesregierung auf die Position „Sonstige Verbrauchsgüter (Schreibwaren, Zeichenmaterial 14 Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I 2011 S. 453). 15 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 104. 16 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 105. 17 Thommes, in: Gagel, SGB II / SGB III, 71. Ergänzungslieferung September 2018, § 28 SGB II, Rn. 16 sowie Luik, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 28 SGB II, Rn. 29. 18 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 104. 19 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 105. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 8 u.a.)“ in Abteilung 09 der EVS 2008, die dem Gesetz zugrunde liegt. Diese sei wegen der Regelung des § 28 SGB II bei der Ermittlung des Regelbedarfs nicht berücksichtigt worden und wäre mit einem monatlich vorgesehenen Betrag von 1,91 Euro beziehungsweise 2,86 Euro je nach Alter des Kindes in die Bemessung des Regelbedarfs eingegangen. Die Schulbedarfspauschale in Höhe von 100 Euro übersteige diesen Wert.20 2.3. Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II Mit § 21 Abs. 6 SGB II hat der Gesetzgeber die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 201021 umgesetzt und die vom Gericht geforderte Härtefallregelung geschaffen. Sie soll sicherstellen, dass Leistungen nach dem SGB II auch in atypischen Bedarfslagen erbracht werden können.22 Der statistischen Durchschnittsbetrachtung im Rahmen der Ermittlung der Regelbedarfshöhe sei es immanent, dass ein in Sondersituationen auftretender Bedarf nicht erfasster Art oder atypischen Ursprungs, oder ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf nicht ausgewiesen werde.23 Die Regelung des § 21 Abs. 6 SGB II lautet wie folgt: „Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer , laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.“ Der Anspruch entsteht erst bei einem längerfristigen, dauerhaften Bedarf, „wenn dieser so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen – einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparungsmöglichkeiten des Hilfebedürftigen – das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet.“24 Einmalige oder kurzfristige Bedarfslagen könnten innerhalb des SGB II hingegen durch ein Darlehen ausgeglichen werden. Angesichts der engen und strikten Tatbestandvoraussetzungen sei die Regelung auf wenige Fälle begrenzt.25 Entsprechend der Gesetzesbegründung stellen Schulmaterialien grundsätzlich keinen zu übernehmenden zusätzlichen Mehrbedarf dar.26 Die Bedarfe von Kindern und 20 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 105; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung vom 4. November 2010 auf eine schriftliche Frage der Abgeordneten Diana Golze, Bundestagsdrucksache 17/3620, S. 37 f. 21 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09. 22 Bundestagsdrucksache 17/1465, S. 8. 23 Bundestagsdrucksache 17/1465, S. 8. 24 Bundestagsdrucksache 17/1465, S. 8. 25 Bundestagsdrucksache 17/1465, S. 8. 26 Bundestagsdrucksache 17/1465, S. 9; vgl. insoweit auch Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen zu § 21 SGB II, S. 13, abrufbar unter: https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download /documents/dok_ba015861.pdf (zuletzt abgerufen am 15. November 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 9 Jugendlichen in den Bereichen Bildung und Teilhabe sind nach der Gesetzesbegründung zu § 28 SGB II dort abschließend geregelt.27 Auf Grundlage der alten Rechtslage und der Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 zu den Regelleistungen hat das Bundessozialgericht (BSG) einen Anspruch auf Kostenübernahme für Schulmaterialien aus dem bis zu diesem Zeitpunkt nur verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf Deckung unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarfe abgelehnt . In einem Urteil vom 19. August 2010 zur Erstattung von Kosten für Schulbücher hat es entschieden , dass es sich dabei nicht um einen anspruchsbegründenden besonderen, atypischen Bedarf handelt.28 Das BSG stellte dabei heraus, dass es sich auch nicht um einen fortlaufend wiederkehrenden , regelmäßigen Anspruch handele, sondern sich die Anschaffung von Schulbüchern für das jeweilige Schuljahr in einem einmaligen Rechtsakt erschöpfe.29 Auf diese Begründung nahm das BSG in einer weiteren Entscheidung vom 10. Mai 2011 zur Übernahme von Kosten für Schulbedarf vollständig Bezug.30 Mit Urteil vom 10. September 2013 hat sich das BSG mit den Anspruchsvoraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II befasst. In dem konkreten Fall ging es um die Übernahme von Leihgebühren für ein Cello, das im Rahmen des Besuchs eines musischen Zweiges einer Schule genutzt wurde. Es betonte dabei, dass an der Heranziehung dieser Anspruchsgrundlage im Bereich der Aufwendungen für den Schulunterricht erhebliche Zweifel bestünden. Die Deckung von Bedarfen für den Schulunterricht, die seiner Durchführung selbst dienen würden, liege in der Verantwortung der Schule und dürfe nicht von den Schulen oder Schulträgern auf das Grundsicherungssystem abgewälzt werden.31 2.4. Bewertung Die vorgesehenen Sozialleistungen, auch über die Leistungen des SGB II hinaus, stellen nach Auffassung der Bundesregierung die Deckung des erforderlichen Bedarfs an Ge- und Verbrauchsgütern für die Schule, insbesondere vor dem Hintergrund der Regelung des § 28 Abs. 3 SGB II zum persönlichen Schulbedarf, sicher. Der Regelbedarf sei demnach auskömmlich und decke in Verbindung mit sonstigen Sozialleistungen auch die Ausstattung mit langlebigen Gebrauchsgütern , beispielsweise Schreibtisch und Schreibtischstuhl.32 27 Bundestagsdrucksache 17/3404, S. 104; vgl. auch Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 28 SGB II, Rn. 30, 41, 52. 28 BSG, Urteil vom 19. August 2010 – B 14 AS 47/09 R, BeckRS 2010, 73631, Rn. 10, 16. 29 BSG, Urteil vom 19. August 2010 – B 14 AS 47/09 R, BeckRS 2010, 73631, Rn. 16. 30 BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 11/10 R, BeckRS 2011, 74148, Rn. 12, 17. 31 BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 12/13 R, BeckRS 2013, 73631, Rn. 27. 32 Vgl. Antwort der Bundesregierung vom 4. August 2011 auf eine schriftliche Frage der Abgeordneten Diana Golze, Bundestagsdrucksache 17/6773, S. 32 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 10 Das BVerfG hat mit Beschluss vom 23. Juli 201433 festgestellt, dass das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 201134 den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG hinsichtlich der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gerecht wird. Es führte dazu aus: „Nach diesen Maßstäben genügen die vorgelegten Vorschriften für den entscheidungserheblichen Zeitraum in der erforderlichen Gesamtschau noch den Vorgaben von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Regelbedarfs nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums und die Anpassung der Leistungshöhe mit den Regelungen der § 20 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1, Abs. 4, Abs. 5, § 23 Nr. 1, § 77 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SGB II und § 8 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 und 6, Abs. 2 Nr. 1 und 3 RBEG, jeweils in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II und § 28a SGB XII, sowie der Anlage zu § 28 SGB XII sowie § 2 RBSFV 2012, § 2 RBSFV 2013 und § 2 RBSFV 2014 gesetzlich gesichert. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Leistungen evident unzureichend festgesetzt sind […]. Die Vorgaben für die Bestimmung der Leistungshöhe genügen derzeit den Anforderungen an eine sachangemessene Berechnung der Leistungshöhe; der Gesetzgeber hat jedoch nach Maßgabe der Gründe dafür Sorge zu tragen, dass erkennbare Risiken einer Unterdeckung existenzsichernder Bedarfe nicht eintreten werden […]. Die Vorgaben für die Fortschreibung des Regelbedarfs sind mit der Verfassung vereinbar […]. Ein Verstoß gegen weitere Grundrechte liegt nicht vor […].“35 An einer anderen Stelle führt das Gericht aus: „Auf die Gefahr einer Unterdeckung kann der Gesetzgeber durch zusätzliche Ansprüche […] auf Zuschüsse zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs reagieren. Fehlt es aufgrund der vorliegend zugrunde gelegten Berechnung des Regelbedarfs an einer Deckung der existenzsichernden Bedarfe, haben die Sozialgerichte Regelungen wie § 24 SGB II über gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringende einmalige, als Zuschuss gewährte Leistungen verfassungskonform auszulegen […]. Fehlt die Möglichkeit entsprechender Auslegung geltenden Rechts, muss der Gesetzgeber einen Anspruch auf einen Zuschuss neben dem Regelbedarf schaffen. Auf ein nach § 24 Abs. 1 SGB II mögliches Anschaffungsdarlehen […] kann nur verwiesen werden, wenn die Regelbedarfsleistung so hoch bemessen ist, dass entsprechende Spielräume für Rückzahlungen bestehen.“36 Hinsichtlich der Höhe der Schulbedarfspauschale hat das BVerfG ausgeführt: „Die Entscheidung des Gesetzgebers, Verbrauchsausgaben für Kinder und Jugendliche, die durch die Beschaffung von Schreibwaren, Zeichenmaterial und Ähnlichem anfallen, über das Schulbasispaket gesondert zu erfassen […], stößt ebenfalls nicht auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. […] Die Gesetzesmaterialen verweisen zwar lediglich auf Erfahrungen der Praxis, wonach 100 € auch bei Kindern aus bedürftigen Familien zu Schuljahresbeginn eine gute Ausstattung ermöglichten […]. Doch ist, ausgehend von den im Gesetzentwurf in Bezug genommenen Positionen der EVS 33 BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13. 34 BGBl. I 2011 S. 453. 35 BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rn. 86. 36 BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rn. 116. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 11 2008, eine Bedarfsunterdeckung jedenfalls nicht evident. Der Betrag von 100 € jährlich unterschreitet nicht wesentlich die auf Grundlage der EVS ermittelten Durchschnittsausgaben für diesen Bedarf […].“37 In der juristischen Literatur wird die Rechtslage kontrovers diskutiert. Zum einen bezieht sich diese Diskussion auf die Nichtberücksichtigung von Schulbüchern im persönlichen Schulbedarf gemäß § 28 Abs. 3 SGB II. Den Verweis der Bundesregierung darauf, dass diese Kosten vom Regelbedarf gedeckt seien, lehnt Lenze ausdrücklich ab. Sie führt aus, dass in die EVS als Grundlage der Regelbedarfsberechnung nur Durchschnittsbedarfe einfließen. In den einzelnen Bundesländern sei die Kostenbeteiligung für Schulbücher aber unterschiedlich geregelt. Dies führe zu einer Überdeckung von Leistungsberechtigten, die in einem Bundesland mit Lehrmittelfreiheit leben und zu einer Unterdeckung derjenigen, die die Kosten selbst tragen müssen. Um die Vorgaben des BVerfG, alle Befähigungskosten für den Schulbesuch zu tragen, umzusetzen und eine Ungleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen aus Bundesländern mit und ohne Lehrmittelfreiheit zu vermeiden, müsse für die Kostenübernahme von Schulbüchern - bis zu einer gesonderten Regelung im SGB II - § 21 Abs. 6 SGB II vorübergehend herangezogen werden.38 Auch Becker kommt für den Fall, dass mit den vorgesehenen Pauschalen nach § 28 Abs. 3 sowie Abs. 7 SGB II der verfassungsrechtlich gebotene Bedarf nicht hinreichend gedeckt wäre, zu einer rechtssystematischen Heranziehung des § 21 Abs. 6 SGB II im Bereich der Bildungsleistung.39 Ferner wird die Verfassungsmäßigkeit der pauschalen Abgeltung des persönlichen Schulbedarfs hinterfragt. So weist Lenze darauf hin, dass das BVerfG hinsichtlich der Vorgängerregelung (§ 24a SGB II alte Fassung) angemerkt habe, dass der Pauschalbetrag nicht empirisch ermittelt worden sei. Darüber hinaus werde der Festbetrag nicht entsprechend der Preis- und Lohnentwicklung fortgeschrieben, obwohl es auch bei Schulbedarfsgütern zu Preissteigerungen komme.40 Auch Klerks bemängelt die fehlende Transparenz der Berechnung der Schulbedarfspauschale. Es werde nicht offengelegt, welche Anteile aus der Regelleistung herausgenommen und in die persönliche Schulbedarfspauschale einfließen würden. Eine Abgrenzung zwischen Regelbedarf und Schulbedarf sei daher nicht möglich. Die persönliche Schulausstattung erfasse nämlich auch Bedarfssituationen, die innerhalb der Position „Sonstige Verbrauchsgüter (Schreibwaren, Zeichenmaterial u.a.)“ in Abteilung 09 der EVS 2008, welche der Gesetzgeber für die Begründung der Höhe der Pauschale heranzieht, nicht erfasst würden, beispielsweise Ausstattung für den Schulsport oder Schulveranstaltungen.41 Thommes merkt an, dass die Summe von 100 Euro wegen der teilweise erheblichen Beschaffungskosten , beispielsweise für einen Taschenrechner für die Oberschule oder einen Laptop, der 37 BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rn. 135. 38 Lenze, in: Münder, LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 28 SGB II, Rn. 15. 39 Becker, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 5. Auflage 2017, § 29 SGB II, Rn. 4. 40 Lenze, in: Münder, LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 28 SGB II, Rn. 16. 41 Klerks, Leistungen für Bildung und Teilhabe gem. §§ 28, 29 SGB II, info also 2011, Heft 4, S. 147, 157 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 12 nicht vom Schulträger übernommen wird, nicht ausreiche.42 Auch Klerks verweist darauf, dass die Kosten für Schulbedarf bei der Einschulung mit diesem Betrag nicht gedeckt werden könnten .43 Luik hingegen bewertet entsprechend der bereits dargestellten Ausführungen des BVerfG die Höhe der gewährten Pauschale auf Grundlage der validen Daten der EVS 2008 als ausreichend .44 3. Rechtsprechung 3.1. Ausgewählte aktuelle Entscheidungen von Sozialgerichten Verschiedene Sozialgerichte leiten einen Anspruch auf Kostenübernahme für unterschiedliche Schulmaterialien auch aus § 21 Abs. 6 SGB II in analoger Anwendung beziehungsweise einer verfassungskonformen Auslegung von §§ 21 Abs. 6 sowie 24 SGB II ab. Hinsichtlich der Anschaffung eines internetfähigen Computers beziehungsweise Laptops (in einem Fall nebst notwendigen Zubehörs und Serviceleistungen) haben das Sozialgericht Gotha, das Sozialgericht Stade sowie das Sozialgericht Cottbus Zuschüsse in Höhe von 350 Euro bis 600 Euro in den ihnen zur Entscheidung vorliegenden Fällen anerkannt.45 Sie stützen den Anspruch jeweils auf § 21 Abs. 6 SGB II in analoger Anwendung beziehungsweise aufgrund verfassungskonformer Auslegung. Das Sozialgericht Cottbus führt hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen aus, dass der schulische Bedarf des Computers im zu entscheidenden Einzelfall überzeugend dargelegt worden sei. Die Bedarfslage sei auch nicht einmalig, sondern der Computer werde über einen langen Zeitraum benötigt. Diese Situation stehe einer Bedarfslage mit laufenden Kosten im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II gleich, auch wenn die Deckung der längerfristigen Bedarfslage einmalig erfolge. Würde ein Computer gemietet, stelle die monatliche Miete ohne Zweifel einen laufenden Bedarf dar.46 Das Sozialgericht Hannover hat im Wege einstweiligen Rechtsschutzes dem Antrag auf Leistungen für den Erwerb eines Tablets, das zur Teilnahme am Unterricht notwendig war, in Höhe von rund 370 Euro vorläufig stattgegeben. Zur Begründung verwies es auf die verfassungskonforme Auslegung des § 21 Abs. 6 SGB II und merkte an, dass der Bedarf im zu entscheidenden Fall 42 Thommes, in: Gagel, SGB II / SGB III, 71. Ergänzungslieferung September 2018, § 28 SGB II, Rn. 16. 43 Klerks, Leistungen für Bildung und Teilhabe gem. §§ 28, 29 SGB II, info also 2011, Heft 4, S. 147, 152. 44 Luik, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 28, Rn. 28. Zu diesem Ergebnis kommt auch Leopold, in: Schlegel /Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 28 SGB II, Rn. 109. 45 Vgl. Sozialgericht Gotha, Urteil vom 17. August 2018 – S 26 AS 3971/17; Sozialgericht Stade, Beschluss vom 29. August 2018 – S 39 AS 102/18 ER sowie Sozialgericht Cottbus, Urteil vom 13. Oktober 2016 – S 42 AS 1914/13. Die genannten Entscheidungen sind rechtskräftig. Zu dem gleichen Ergebnis allerdings hinsichtlich der Kostenübernahme für Schulbücher kommt das Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 22. Dezember 2015 – S 37 AS 1175/15. Gegen dieses Urteil wurde Berufung beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingelegt (zum Aktenzeichen L 11 AS 107/16). Das Verfahren ruht derzeit. 46 Sozialgericht Cottbus, Urteil vom 13. Oktober 2016 – S 42 AS 1914/13, S.5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 13 anderweitig nicht gedeckt sei, insbesondere habe der Gesetzgeber die Schulbedarfspauschale trotz der veränderten Nutzung elektronischer Geräte im Unterricht nicht angepasst.47 Ebenfalls im Wege einstweiligen Rechtsschutzes hat das Sozialgericht Lüneburg einem Antrag auf vorläufige Kostenübernahme für einen grafikfähigen Taschenrechner in Höhe von 100 Euro nach summarischer Prüfung stattgegeben.48 Im hier zu entscheidenden Einzelfall sei nachgewiesen , dass der schulische Bedarf des Kindes durch die Pauschale des § 28 Abs. 3 SGB II nicht gedeckt werden könne. Eine Leistungsverweigerung sei vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 verfassungswidrig. Aus der Gesetzesbegründung zu § 28 Abs. 3 SGB II ergebe sich, dass der Gesetzgeber davon ausgehe, dass der Schulbedarf teilweise bereits bei der Regelbedarfsermittlung berücksichtigt wird. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass § 28 Abs. 3 SGB II nicht den vollständigen schulischen Bedarf im Einzelfall umfasst. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung sei dann zur Deckung existenziell notwendiger Bedarfe die Gewährung eines Darlehens gemäß § 24 SGB II begründet. Anders als die oben dargestellten Entscheidungen der Sozialgerichte stützt das Sozialgericht Lüneburg den Anspruch damit auf § 24 SGB II. Es bleibt festzuhalten, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handelt, die teilweise vorläufig im einstweiligen Rechtsschutz und daher im Rahmen einer summarischen Prüfung getroffen wurden. 3.2. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 11. Dezember 2017 über die Kostenübernahme von Schulmaterialien nach dem SGB II entschieden.49 Die Schülerin einer 11. Klasse eines beruflichen Gymnasiums begehrte die Übernahme von Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern, eines Taschenrechners, Kopiergeld und sonstiger zu beschaffender Schulmaterialien. Hinsichtlich der Kosten für die Schulbücher war sie mit der Berufung erfolgreich, im Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Das LSG führt dazu aus, dass die Kosten für Taschenrechner, Kopiergeld und sonstige Schulmaterialien Bestandteil der persönlichen Ausstattung im Sinne des § 28 Abs. 3 SGB II und mit der an die Klägerin ausgezahlten Schulbedarfspauschale abgedeckt seien.50 Neben § 28 Abs. 3 SGB II kämen weitere Leistungen nicht in Betracht.51 Die Höhe der Pauschale werde in der einschlägigen Kommentarliteratur als auskömmlich bewertet. Auch das BVerfG habe mit Beschluss vom 23. Juli 2014 festgestellt, dass der Betrag nicht zu einer evidenten Bedarfsunterdeckung führe und 47 Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 6. Februar 2018 – S 68 AS 344/18 ER, juris Rn. 16, 19, 22. Die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz ist rechtskräftig. 48 Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 28. August 2017 – S 30 AS 211/17. 49 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17. 50 Vgl. hierzu eine weitere Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom selben Tag zur Kostenübernahme für die Anmietung eines Taschenrechners – L 11 AS 917/16. 51 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 26 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 14 daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass im Einzelfall die Kosten für den Taschenrechner nur einmalig anfielen, wobei die Pauschale jedes Schuljahr gewährt werde. Die Gewährung von Pauschalbeträgen führe generell dazu, dass die tatsächlich anfallenden Kosten ihrer Höhe nach gerade nicht genau mit gewährten Pauschalbeträgen übereinstimmten.52 Die Kosten seien auch nicht als Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II zu decken, da Kosten für Schulmaterialien von der Schulbedarfspauschale gedeckt seien und deshalb keinen besonderen, unabweisbaren Bedarf im Sinne der Norm darstellten.53 Hinsichtlich der Anschaffungskosten für die Schulbücher hat das LSG hingegen einen Anspruch in analoger Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II bejaht.54 Diese Kosten seien nicht von der Schulbedarfspauschale gedeckt. Auch decke der Regelbedarf diese tatsächlich nicht, sodass mangels sonstiger Anspruchsgrundlage im SGB II die Härtefallregelung heranzuziehen sei.55 Der Regelbedarf , in dem der Gesetzgeber die Kosten für Schulbücher verorte, decke diese Kosten evident nicht ausreichend ab. Bei Zugrundelegung der wesentlichen Position „Bücher und Broschüren“ der EVS 2008 im Zeitpunkt des Bedarfsfalls fließe in die Regelbedarfsermittlung monatlich weniger als 3 Euro ein. Damit decke der Regelbedarf weniger als ein Drittel der streitgegenständlichen Kosten ab. Auch bei der Berücksichtigung weiterer regelbedarfsrelevanter Ausgabenpositionen verbleibe es bei der evidenten Bedarfsunterdeckung.56 Das LSG verweist ferner auf die landesrechtlich unterschiedlichen Regelungen zur Lernmittelfreiheit. Sofern der Gesetzgeber die Beschaffung von Schulbüchern aus dem Regelbedarf decken möchte, müsse sichergestellt werden , dass die Bedarfsermittlung den Anforderungen an die Deckung der sich aus den landesrechtlichen Anforderungen ergebenden Bedarfe genüge.57 Die Sicherstellung des Existenzminimums sei zuvörderst die Aufgabe des Staates und müsse durch gesetzliche Ansprüche sichergestellt werden.58 Die Gewährung eines Darlehens gemäß § 24 Abs. 1 SGB II komme in dem zu entscheidenden Fall nicht in Betracht, da dies nur für Bedarfe gelte, die vom Regelbedarf ausreichend erfasst seien.59 Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II lägen im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung hingegen vor. Die Schulbuchkosten seien insbesondere ein besonderer Bedarf, da sie im Regelbedarf der Höhe nach evident unzureichend abgebildet seien. Da das Land Niedersachsen und die Schule der Klägerin keine kostenfreie Übernahme der Schulbücher ermögliche, habe der Bundesgesetzgeber, der mit dem SGB II ein Leistungssystem schaffen wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleiste, dafür Sorge zu tragen, dass der 52 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 27. 53 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 29, 31. 54 Vgl. hierzu eine weitere Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom selben Tag zur Übernahme von Anschaffungskosten für Schulbücher – L 11 AS 1503/15. 55 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 33. 56 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 35 bis 38. 57 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 43. 58 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 44. 59 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 50. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 15 zusätzliche Bedarf eines Schulkindes gedeckt und das Existenzminimum im Sozialleistungssystem sichergestellt werde.60 Zwar handele es sich nicht um einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II, jedoch liege eine planwidrige Regelungslücke vor, die eine verfassungskonforme Auslegung des SGB II, im entschiedenen Fall durch analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II, gebiete.61 Die Regelungslücke sei planwidrig, da der Gesetzgeber erkennbar gewillt gewesen sei, innerhalb des SGB II das Existenzminimum von Schulkindern zu decken. Eine vergleichbare Interessenlage liege vor, da der Erwerb von Schulbüchern einem laufenden Bedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II nahe komme, zumal der Bedarf deutlich häufiger wiederkehre als typische einmalige Bedarfe und darüber hinaus zum existenziellen, durch das SGB II zu sichernden Bedarf gehöre.62 Das Gericht hat die Revision zugelassen, soweit der Beklagte zur Übernahme der Schulbuchkosten verurteilt wurde. Diese ist nun beim BSG unter dem Aktenzeichen B 14 AS 6/18 R anhängig. 3.3. Besprechung der Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen Die dargestellte Entscheidung des LSG wird in der juristischen Fachliteratur breit besprochen. Schwede weist darauf hin, dass es sich um die erste obergerichtliche Entscheidung zum Thema handele und merkt an, dass die Kosten für den Schulbesuch deutlich spürbar gestiegen seien. Dies lasse insbesondere Leistungsbezieher nach dem SGB II an Grenzen stoßen.63 Wenner bewertet die Entscheidung des LSG als methodisch zwar nicht überzeugend, da § 21 Abs. 6 SGB II auf einmalige Bedarfe sinngemäß nicht analog anwendbar sei. In der Sache sei die Entscheidung aber gut vertretbar. Zur Umgehung einer Überdehnung der dafür eigentlich nicht vorgesehenen Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II spricht er sich für eine gesetzliche Ergänzung des § 28 Abs. 3 SGB II um eine Regelung für Schulbücher aus, wenn diese den Schülern nicht kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.64 Lenze bewertet die Entscheidung des LSG vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe, wonach durch verfassungskonforme Auslegung sicherzustellen sei, dass trotz der noch verfassungsmäßigen Regelbedarfe die existenziellen Bedarfe der Leistungsempfänger auch tatsächlich gedeckt werden, als folgerichtig. Im Übrigen nimmt sie die Entscheidung zum Anlass, die oben dargestellte kritische Bewertung des § 28 Abs. 3 SGB II zu unterstreichen.65 So sei das LSG hinsichtlich der abgelehnten Kostenübernahme für Taschenrechner , Kopierkosten und sonstige Schulmaterialien weniger konsequent gewesen. Der Fall zeige, 60 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 53 bis 55, 57 f. 61 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 70, 74. 62 LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, juris Rn. 75, 78. 63 Schwede, Jobcenter muss Kosten für Schulbücher als Mehrbedarfsleistung übernehmen, NZFam 2018, S. 191. 64 Wenner, Grundsicherung. Jobcenter muss Schulbücher voll bezahlen, Soziale Sicherheit plus 2018, Nr. 3, S. 4. 65 Vgl. die Darstellung unter 2.4. Bewertung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 122/18 Seite 16 dass die Höhe der Pauschale nicht ausreiche, die tatsächlich anfallenden Kosten zu decken. Dies betreffe insbesondere die Phase der Einschulung sowie die Oberstufenphase. Es würde verkannt, dass Leistungsbezieher nicht in der Lage seien, die tatsächlich anfallenden Beträge vorzustrecken . Sie spricht sich für eine Anhebung der Schulbedarfspauschale für alle Altersphasen aus und erwartet basierend auf den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode , der eine Aufstockung des Schulstarterpakets vorsehe, politische Abhilfe.66 Philipp sieht für den Fall einer vom LSG abweichenden Entscheidung des BSG den Gesetzgeber in der Pflicht, da es um einen Bereich gehe, in dem die Chancen von Schülerinnen und Schülern auf eine erfolgreiche Lebensgestaltung betroffen seien.67 4. Ausblick Die Entscheidungen der Sozialgerichte stellen Einzelfallentscheidungen dar. Es bleibt abzuwarten , ob das BSG auf die Revision des landessozialgerichtlichen Urteils seine zweifelnde Position hinsichtlich der Deckung von Schulmaterialien aus § 21 Abs. 6 SGB II beibehält68 oder ob eine Heranziehung der Regelung auch auf höchstrichterlicher Ebene in Betracht gezogen wird.69 Auf politischer Ebene sind Veränderungen bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe beabsichtigt . Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode sieht im Rahmen der Bekämpfung von Kinderarmut unter anderem die Aufstockung des Schulstarterpakets für Schulmaterial von Kindern aus einkommensschwachem Familien vor.70 Im Rahmen eines Familienstärkungsgesetzes soll das Schulstarterpaket von bisher 100 Euro auf 150 Euro aufgestockt werden.71 *** 66 Lenze, Einmalige Beschaffung von Schulbüchern. Eine Anmerkung zum Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, info also 2018, S. 55, 56. 67 Philipp, Anmerkung zu dem Urteil des LSG Niedersachen-Bremen vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 349/17, Sozialrecht aktuell 2018, S. 74. 68 Vgl. die Darstellungen unter 2.3. Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. 69 Vgl. auch Lang, Anmerkung zum Urteil LSG Niedersachen-Bremen: Übernahme von Kosten für Taschenrechner und Schulbücher als Mehrbedarfsleistung durch Jobcenter, FD-SozVR 2018, 403069. 70 Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 19. Legislaturperiode, S. 11, 19, 51, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018- 03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1 (zuletzt abgerufen am 23. November 2018). 71 Familienstärkungsgesetz in Kraft setzen, Interview von Minister Heil und Ministerin Giffey mit der Welt vom 13. Oktober 2018, abrufbar unter: https://www.bmas.de/DE/Presse/Interviews/2018/2018-10-13-welt.html (zuletzt abgerufen am 23. November 2018).