© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 121/16 Kritik an der geplanten Neuregelung für Fremdpersonaleinsatz Ausgewählte Standpunkte aus der Literatur Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher 11 9. Privilegierung der öffentlichen Hand (§ 11 Abs. 5 AÜG-E) 12 10. Liste der einbezogenen Literaturbeiträge 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 4 1. Einleitung Dem Bundestag liegt derzeit der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze1 vor. Ein erster Referentenentwurf war bereits im November 2015 in die Fachöffentlichkeit gelangt und hat im rechtswissenschaftlichen Schrifttum lebhafte Resonanz erfahren. Dabei werden vielfach rechtliche und praktische Bedenken gegen die geplante Neuregelung erhoben. Im Folgenden sollen die in einer vorgegebenen Auswahl von Beiträgen (siehe unten Punkt 10) vorgetragenen wesentlichen Kritikpunkte zusammenfassend wiedergegeben werden. Kritik, die Teile des Referentenentwurfs oder im Vorfeld dazu diskutierte Regelungen betrifft, die im aktuellen Entwurf nicht mehr enthalten sind, bleibt in diesem Zusammenhang unberücksichtigt. 2. Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens Henssler bemängelt, dass der geplanten Neuregelung des Fremdpersonaleinsatzes keine empirische Aufarbeitung des tatsächlichen Ausmaßes der unterstellten Flucht von Unternehmen vor Zeitarbeit in Werkverträge zugrunde liege, und wirft dem Entwurf insoweit „Aktionismus“ und „unternehmerfeindliche Einseitigkeit“ vor.2 3. Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag Erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs ist es, „die Leiharbeit auf ihre Kernfunktion hin zu orientieren und den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern.“3 Als Missbrauch werden danach Vertragskonstruktionen angesehen, die von den Vertragsparteien als „Werkvertrag“ bezeichnet werden, nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung aber als Arbeitsverträge anzusehen sind, sowie vor allem der Einsatz von freien Werkverträgen, deren tatsächliche Durchführung sich als genehmigungspflichtige Arbeitnehmerüberlassung darstellt (sog. „verdeckte Arbeitnehmerüberlassung “).4 Der sicheren Abgrenzung der Vertragsarten sollen gesetzliche Definitionen des Arbeitnehmerbegriffs und der Arbeitnehmerüberlassung dienen. 1 Bundesratsdrucksache 294/16 vom 1. Juni 2016; Bundestagsdrucksache 18/9232 vom 20. Juli 2016; im Folgenden wird nach der Bundestagsdrucksache zitiert. 2 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (18, 22 f.); der Beitrag bezieht sich auf den Referentenentwurf von November 2015. 3 Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 1. 4 Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 5 3.1. Einführung eines § 611a BGB Die in dem Entwurf eines neu einzuführenden § 611a BGB (BGB-E) vorgesehene Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs halten Baeck/Winzer/Hies bereits im Ansatz für verfehlt, weil sich die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmereigenschaft und selbständiger Tätigkeit bzw. zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werk- bzw. Dienstvertrag aufgrund der nach der Rechtsprechung vorzunehmenden Gesamtabwägung in der Rechtspraxis als höchst problematisch darstelle. Die beabsichtigte Stärkung der Rechtsklarheit könne durch gesetzliche Niederlegung der von Einzelfallentscheidungen geprägten Rechtsprechung nicht erreicht werden, die vielmehr die Gefahr neuer Auslegungsprobleme bin sich erge.5 Ungeklärt bleibe außerdem das Verhältnis zwischen § 611a BGB-E und § 106 der Gewerbeordnung (GewO), da die Formulierung zum Weisungsrecht in § 611 Satz 2 BGB-E sich mit der Definition des § 106 GewO nicht völlig decke.6 Dass § 106 GewO nach der Begründung des Gesetzesentwurfs unangetastet bleibe, lasse sich im Gesetzestext nicht nachvollziehen.7 3.2. Änderung des § 1 Abs. 1 AÜG In Bezug auf die Rechtsklarheit gilt nach Baeck/Winzer/Hies ähnliches auch für die die Legaldefinition der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG-E), denn nach wie vor bedürfe es für die rechtliche Würdigung einer Gesamtbetrachtung aller Umstände. Die bestehende Rechtsunklarheit gehe durch die Einführung der Kennzeichnungspflicht in § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG-E (vgl. dazu auch unten Punk 4) überdies verstärkt zu Lasten der Vertragsparteien, die mit der rechtlichen Einordnung oft überfordert seien.8 Thüngertal/Andorfer kritisieren in diesem Zusammenhang, der Gesetzentwurf gehe über die Vereinbarung im Koalitionsvertrag9 hinaus. Die Begründung erwecke den falschen Eindruck, die Legaldefinition der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG-E gebe lediglich die von der 5 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (216). 6 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (216). 7 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, 415-419 (416). 8 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (218); Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (23). 9 Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 69. Abrufbar im Internetauftritt der Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen /2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf: 10. Oktober 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 6 Rechtsprechung über Jahrzehnte entwickelte und praktizierte Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag wieder.10 Die Autoren vertreten demgegenüber die Überzeugung , dass dies nicht der Fall sei. Nach dem Entwurfstext liegt Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn Arbeitnehmer „in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen.“ Die Rechtsprechung hebe jedoch einschränkend stets das Erfordernis der vollständigen Eingliederung in den Betrieb des Entleihers und dessen alleiniger Weisungsbefugnis hervor.11 Durch die Abweichung von diesen einschränkenden Kriterien werde der Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auch auf in der Praxis unvermeidbare Mischformen erstreckt und der Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassung ausgeweitet.12 4. Kennzeichnungspflicht und Sanktionen Liegt nach den tatsächlichen Umständen verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vor, wird nach geltender Rechtslage ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Entleiher fingiert (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG). Die Fiktion tritt nach der Rechtsprechung jedoch nur ein, wenn der Verleiher nicht über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügt (§ 9 Nr. 1 AÜG). Der aus dieser Rechtslage resultierenden Praxis sog. Vorratserlaubnisse, die in solchen Fällen zur Vermeidung fingierter Arbeitsverhältnisse vorgewiesen werden können, soll durch die Kennzeichnungspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG-E entgegengewirkt werden, mit der sich die Vertragspartner auf eine bestimmte Vertragsart festlegen müssen. Nach Auffassung von Willemsen/Mehrens ist diese Kennzeichnungspflicht jedoch zu einer klareren Abgrenzung der Vertragsarten nicht geeignet, da die Vertragspartner nicht selten gutgläubig von einem Werkvertrag ausgingen, der sich tatsächlich als Arbeitnehmerüberlassung darstelle. Vielfach hätten sie auch auf die konkrete Vertragsdurchführung vor Ort, auf die es im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung ankommt, gar keinen Einfluss. Die Autoren plädieren vor diesem Hintergrund zumindest für eine Beschränkung der Rechtsfolge auf offensichtliche Fälle.13 Baeck/Winzer/Hies bemängeln, dass die Kennzeichnungspflicht im Widerspruch zu dem im allgemeinen Recht anwendbaren Grundsatz stehe, wonach eine falsche Bezeichnung auf die rechtliche Einordnung keinen Einfluss habe. Auch sei sie systemwidrig, da es auch nach dem vorliegen- 10 Tuengerthal/Andorfer, BB 2016, S. 1909-1913 (110); dabei gehen die Autoren allerdings trotz ausdrücklicher Bezugnahme auf den vorliegenden Regierungsentwurf offenkundig vom Begründungstext in der Fassung des früheren Referentenentwurfs aus. 11 Tuengerthal/Andorfer, BB 2016, S. 1909-1913 (110 f.) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und verschiedener Landesarbeitsgerichte. 12 Tuengerthal/Andorfer, BB 2016, S. 1909-1913 (112 f.). 13 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (902 f.); der Beitrag wurde noch im Vorfeld eines Referentenentwurfs veröffentlicht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 7 den Entwurf für das Arbeitsverhältnis nach § 611a Satz 4 BGB-E und für die Arbeitnehmerüberlassung nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG-E gerade nicht auf die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses ankommen solle.14 5. Überlassungshöchstdauer 5.1. Grundsatz Während der Gesetzgeber bisher auf die (Wieder)Einführung einer Überlassungshöchstgrenze verzichtet hat, enthält der aktuelle Gesetzentwurf in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG-E eine arbeitnehmerbezogene Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten, die aber nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG-E tarifdispositiv gestaltet ist. Die Leiharbeitsrichtlinie der Europäischen Union (EU)15 charakterisiert die Leiharbeit ausdrücklich als „vorübergehend“. Nach Ansicht von Juncker bedarf es aber aus europarechtlicher Sicht keiner Konkretisierung dieses Begriffs durch eine feste zeitliche Höchstgrenze.16 Jedoch dürfte ihre Einführung Willemsen/Mehrens zufolge richtlinienkonform sein.17 Dies gilt nach Überzeugung von Juncker auch für die im Entwurf gewählte arbeitnehmerbezogene Interpretation des Begriffs 18, die Willemsen/Mehrens aus rechtlichen und praktischen Gründen für vorzugswürdig halten .19 Bedenken gegen die Überlassungshöchstdauer erheben auch Baeck, Winzer/Hies, die bezweifeln, dass die Regelung geeignet sei, das gesetzgeberische Ziel der Stärkung der Stammbelegschaft20 zu erreichen; denn dem Entleiher stehe es danach frei, nach Ablauf der der Überlassungshöchstdauer einen anderen Leiharbeitnehmer zu beschäftigen.21 Franzen hält es im Hinblick auf die unternehmerische Freiheit (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 GG) für verfassungsrechtlich bedenklich, die Überlassungshöchstdauer primär auf den Schutz der 14 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (418). 15 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit. Abrufbar in der Rechtsdatenbank der EU: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2008:327:0009:0014:DE:PDF (letzter Abruf: 11. Oktober 2016). 16 Juncker, ZfA 2/2016, S. 197-214 (203 f.). 17 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (898). 18 Juncker, ZfA 2/2016, S. 197-214 (203). 19 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (898). 20 Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 20. 21 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (419). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 8 Stammbelegschaft als gesetzgeberisches Ziel zu stützen; auch aus europarechtlicher Perspektive müsse bei der geplanten Regelung der Schutz der Leiharbeitnehmer im Vordergrund stehen.22 Henssler kritisiert, dass eine starre Überlassungshöchstgrenze die bedarfsgerechte Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung erschwere. Er hebt in diesem Zusammenhang als wichtigen Anwendungsbereich den Vertretungsfall hervor. Die Festlegung einer zeitlichen Höchstgrenze sei auch im europäischen Vergleich kaum verbreitet.23 Die vom Gesetzentwurf vorgesehene dreifache Sanktion eines Verstoßes gegen die Höchstüberlassungsdauer durch Entzug der Überlassungserlaubnis , Bußgeld und Fiktion eines Arbeitsverhältnisses hält Henssler für „eine im Koalitionsvertrag nicht vorgesehene und auch sachlich nicht gebotene Überreaktion“.24 Willemsen/Mehrens weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) nach derzeitiger Rechtslage die Begründung eines fiktiven Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nicht für zwingend geboten halte.25 5.2. Tariföffnungsklausel Die in § 1 Abs. 1 Satz 3 ff. AÜG-E vorgesehene Tariföffnungsklausel für die Überlassungshöchstdauer wird von Baeck/Winzer/Hies begrüßt26, Willemsen/Mehrens halten sie sogar für zwingend erforderlich, um den Tarifpartnern die notwendige Flexibilität zur Berücksichtigung betrieblicher Gegebenheiten zu ermöglichen.27 Als „systemfremd“28 bezeichnet Henssler, dass die Tarifbefugnis den Tarifpartnern der Einsatzbranche vorbehalten ist. Er hält dies für einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit der Zeitarbeitsverbände aus Art. 9 Abs. 3 GG, der mangels Erforderlichkeit nicht verfassungskonform sei.29 Kritik erfährt auch die Beschränkung der geplanten Regelung auf tarifgebundene Entleiher. Franzen sieht darin einen „Systembruch“, der kein Vorbild im geltenden Recht habe.30 Die Regelung widerspreche im Übrigen der Wertung jüngerer gesetzlicher Regelungen auf dem Gebiet der kol- 22 Franzen, ZfA 1/2016, S. 25-45 (35 f.). 23 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (23). 24 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (23). 25 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (900) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BAG. 26 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (419). 27 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (898). 28 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (23). 29 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (23). 30 Franzen, ZfA 1/2016, S. 25-45 (41). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 9 lektiven Arbeitsbeziehungen wie des Tarifautonomiestärkungsgesetzes und des Tarifeinheitsgesetzes .31 Willemsen/Mehrens führen dazu aus, es sei widersprüchlich, dass Außenseiter auf abweichende Regelungen zum Gleichstellungsgebot gemäß § 8 Abs. 4 Satz 3 AÜG-E Bezug nehmen dürften, nicht aber auf solche bezüglich der Überlassungshöchstdauer.32 Henssler hält die Regelung aus verfassungsrechtlichen Gründen für bedenklich. Da Tarifverträgen eine Richtigkeitsgewähr zukomme, gehe es dem Gesetzentwurf „ersichtlich nicht um den Schutz der Arbeitnehmer, sondern um einen verfassungswidrigen mittelbaren Zwang in den Arbeitgeberverband “.33 Franzen, der sich mit der Tarifdispositivität ausführlich befasst, erkennt darin einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der Entleiher34, den auch Baeck/Winzer/Hies zumindest für denkbar halten.35 Für Franzen stellt die Ungleichbehandlung der Unternehmen außerdem einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG dar.36 Hinsichtlich der Auswirkung der Regelung auf die Arbeitnehmer unterscheidet Franzen zunächst zwischen Betriebsnormen im Sinne des § 3 Abs. 2 des Tarifvertragsgesetzes (TVG), die im Betrieb einheitlich auf alle Arbeitnehmer Anwendung finden, und Inhaltsnormen, die nach § 3 Abs. 1 TVG ausschließlich für tarifgebundene Arbeitnehmer gelten. Unter Darstellung der Rechtsprechung des BAG zu dieser Frage geht er davon aus, dass es sich bei der Regelung abweichender Überlassungshöchstzeiten für Leiharbeitnehmer nicht um Betriebsnormen handele, und folgert daraus, dass Leiharbeitnehmer je nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit unterschiedlich behandelt werden könnten.37 Diese Ungleichbehandlung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Sie verstoße daher gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 GG und verletze sowohl die Stammbelegschaft der tarifgebundenen als auch die dort eingesetzten Leiharbeitnehmer in deren positiver Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG.38 6. Gleichstellungsgrundsatz Der geltende § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG wurde in § 8 Abs. 1 S. 1 AÜG-E wortgleich als Legaldefinition für den Gleichstellungsgrundsatz übernommen. § 8 Abs. 2, 4 AÜG-E lässt Abweichungen durch 31 Franzen, ZfA 1/2016, S. 25-45 (42). 32 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (898). 33 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (23). 34 Franzen, ZfA 1/2016, S. 25-45 (39 f.). 35 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (419). 36 Franzen, ZfA 1/2016, S. 25-45 (39 f.). 37 Franzen, ZfA 1/2016, S. 25-45 (37 f.). 38 Franzen, ZfA 1/2016, S. 25-45 (40 ff., 44). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 10 einen Tarifvertrag für die Dauer von neun Monate zu, im Falle bestimmter bestehender (Branchen )Zuschlagstarifverträge bis längstens 15 Monate. Hinsichtlich des Entgelts knüpft das Gleichstellungsgebot nach § 8 Abs. 1 Satz 2 AÜG-E an das Arbeitsentgelt eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Entleihers an und erfasst nach der Rechtsprechung des BAG zur bisherigen Rechtslage nicht nur laufendes Entgelt, sondern auch sonstige Geld- und Sachleistungsansprüche. Hieraus entstehen nach Ansicht von Henssler und Willemsen /Mehrens erhebliche praktische Schwierigkeiten und rechtliche Unsicherheiten39, die Willemsen /Mehrens zufolge nur durch eine eindeutige Legaldefinition beseitigt werden könnten, die nach Überzeugung der Autoren auch unionsrechtlich zulässig sei.40 Juncker weist darauf hin, dass der Gesetzentwurf durch die wortgetreue Übernahme des bisherigen Rechts von den Vorgaben der EU-Leiharbeitsrichtlinie abweiche, indem er als Vergleichsebene statt des Unternehmens den Betrieb bestimme und statt einer hypothetischen arbeitsplatzbezogenen Betrachtung den vergleichbaren Arbeitnehmer als Maßstab heranziehe. Der Autor lässt jedoch offen, ob die gefundene Lösung einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich ist.41 Soweit der Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf Leiharbeitnehmer angewandt werde, die ein unbefristetes Arbeitsverhältnis beim Verleiher haben, gehe bereits das im Änderungsentwurf beibehaltene geltende Recht über die Vorgaben der Richtlinie hinaus.42 7. Erweiterte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Willemsen/Mehrens begrüßen eine geplante Klarstellung der bereits nach aktueller Rechtslage bestehenden Informationsrechte des Betriebsrats, die auch der Vereinbarung im Koalitionsvertrag entspreche.43 Aus unionsrechtlicher Sicht gibt Juncker zu bedenken, dass bereits die nach geltendem Recht eingeräumten Informationsrechte über das in der EU-Leiharbeitsrichtlinie verlangte Maß hinausgingen . Insbesondere die nun im Entwurf eines § 80 Abs. 2 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes ausdrücklich geregelte Einsichtnahme in Verträge gehe weit über die europarechtlichen Mindestanforderungen hinaus.44 39 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (24); Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (900). 40 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (900). 41 Juncker, ZfA 2/2016, S. 197-214 (205). 42 Juncker, ZfA 2/2016, S. 197-214 (206). 43 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (903). 44 Juncker, ZfA 2/2016, S. 197-214 (209). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 11 8. Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher Kritik wird vielfach auch an der Regelung des § 11 Abs. 5 AÜG-E geübt, wonach dem Entleihunternehmen der Einsatz von Leiharbeitnehmern untersagt sein soll, wenn sein Betrieb durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist. Nach der Gesetzesbegründung gehört der Einsatz als Streikbrecher nicht zu den Kernfunktionen der Arbeitnehmerüberlassung.45 Die Regelung soll das nach gegenwärtiger Rechtslage bestehende Leistungsverweigerungsrecht von Leiharbeitnehmern ergänzen und entsprechende tarifliche Regelungen flankieren. 46 Damit werde die Position der Leiharbeitnehmer gestärkt und eine missbräuchliche Einwirkung auf Arbeitskämpfe unterbunden .47 Nach Ansicht von Baeck/Winzer/Hies normiert die Regelung „quasi eine Streikpflicht der Leiharbeitnehmer “, die entgegen der Entwurfsbegründung nicht geeignet sei, die Position der Leiharbeitnehmer zu stärken.48 Auch Bauer/Haußmann zweifeln an der „Stärkung der Position von Leiharbeitnehmern durch Beschränkung ihrer Willensfreiheit“.49 Henssler hält die Regelung schon deshalb für verfehlt, weil sie auch bereits vor Streikbeginn im Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer von ihr erfasse. Mit diesem Eingriff in die Kampfparität verletze der Staat seine Neutralitätspflicht.50 Auch Ubber/Löw halten ein solch weitgehendes Verbot im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit des Entleihers, nach Art. 9 Abs. 3 GG für „äußerst bedenklich “.51 Ubber/Löw weisen darauf hin, dass zum Schutzbereich dieses Grundrechts auch der Arbeitskampf und die Wahl der Kampfmittel gehöre. Ein Abwehrmittel der Arbeitgeberseite könne aber gerade im Einsatz von Leiharbeitnehmern liegen. Die Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das den Einsatz arbeitswilliger Arbeitnehmer auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer zur Aufrechterhaltung des Betriebs oder zur Verringerung der wirtschaftlichen Folgen des Streiks anerkannt habe.52 Insofern widersprechen auch Bauer/Haußmann der These, dass der Streikeinsatz nicht zu den Funktionen der Arbeitnehmerüberlassung zähle; denn deren Funktion sei nach den europarechtlichen Vorgaben lediglich 45 Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 15. 46 Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 27. 47 Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 28. 48 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (419). 49 Bauer/Haußmann, NZA 2016, S. 803-808 (805). 50 Henssler, RdA 2016, S. 18-24 (24). 51 Ubber/Löw, BB 2015, S. 3125-3128 (3125). 52 Ubber/Löw, BB 2015, S. 3125-3128 (3126). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 12 die Deckung vorübergehenden Personalbedarfs.53 Ein Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher stelle sich damit als Eingriff in die Koalitionsfreiheit dar, der nach Ansicht der Autoren nicht mit dem Schutz der Leiharbeitnehmer zu rechtfertigen sei, die durch das ihnen zustehende Leistungsverweigerungsrecht hinreichend geschützt seien.54 Auch Willemsen /Mehrens vertreten die Überzeugung, dass der Eingriff allein mit der abstrakten Gefahr, Leiharbeitnehmer könnten angehalten werden, auf die Ausübung ihres Leistungsverweigerungsrechts zu verzichten, nicht gerechtfertigt werden könne.55 Die Entwurfsbegründung, wonach mit der Regelung eine missbräuchliche Einwirkung auf Arbeitskämpfe unterbunden werden solle, wird von Ubber/Löw im Hinblick auf die staatliche Neutralitätspflicht als problematisch betrachtet.56 Vielmehr verschiebe der Gesetzgeber damit nach Bauer/Haußmann die Arbeitskampfparität und die wirtschaftlichen Streikrisiken einseitig zu Lasten der Entleihbetriebe und stärke unangemessen die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften.57 Damit verletze die geplante Regelung sowohl die Koalitionsfreiheit der Entleiher als auch deren durch Art. 12 Abs. 1 und 14 GG geschützte unternehmerische Freiheit.58 9. Privilegierung der öffentlichen Hand „Nicht nachvollziehbar“ ist für Baeck/Winzer/Hies die geplante Ausnahmereglung für die öffentliche Hand nach § 1 Abs. 3 Nr. 2c AÜG-E,59 die nach der Entwurfsbegründung in ihrer Funktion dem für die Privatwirtschaft zugänglichen Konzernprivileg des § 1 Absatz 3 Nummer 2 AÜG ähneln soll.60 Die Autoren vermögen für diese Privilegierung keinen sachlichen Grund zu erkennen und halten sie daher für „verfassungsrechtlich höchst bedenklich“.61 10. Liste der einbezogenen Literaturbeiträge Baeck, Ulrich; Winzer, Thomas; Hies, Dominic: Zweiter Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, NZG 2016, S. 415-419 53 Bauer/Haußmann, NZA 2016, S. 803-808 (804). 54 Ubber/Löw, BB 2015, S. 3125-3128 (3126). 55 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, S. 897-903 (901 f.). 56 Ubber/Löw, BB 2015, S. 3125-3128 (3126). 57 Bauer/Haußmann, NZA 2016, S. 803-808 (808). 58 Ubber/Löw, BB 2015, S. 3125-3128 (3126 ff.); Bauer/Haußmann, NZA 2016, S. 803-808 (808). 59 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (419). 60 Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 22. 61 Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, S. 415-419 (419). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 121/16 Seite 13 Bauer, Jobst-Hubertus; Haußmann, Katrin: Arbeiten verboten! – Das neue Streikbrecherverbot für Leiharbeitnehmer, NZA 2016, S. 803-808 Franzen, Martin: Tarifdispositive Gestaltung einer Höchstüberlassungsdauer nach AÜG, ZfA 1/2016, S. 25-45 Henssler, Martin: Überregulierung statt Rechtssicherheit – der Referentenentwurf des BMAS zur Reglementierung von Leiharbeit und Werkverträgen, RdA 2016, S. 18-24 Juncker, Abbo: Zeitarbeit und Werkverträge im europäischen Kontext, ZfA 2/2016, S. 197-214 Tuengerthal, Hansjürgen; Andorfer, Christian: Neue Abgrenzung von Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag? – Stellungnahme zu der vorgesehenen Modifizierung des § 1 Abs. 1 AÜG durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 1. Juni 2016, BB 2016, S. 1909-1913 Ubber, Thomas; Löw, Meike: Der Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher, BB 2015, S. 3125-3128 Willemsen, Heinz Josef; Mehrens, Christian: Beabsichtigte Neuregelung des Fremdpersonaleinsatzes – Mehr Bürokratie wagen?, NZA 2015, S. 897-903 Ende der Bearbeitung